DDR von A-Z, Band 1969

Kritik und Selbstkritik (1969)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1975 1979 1985


 

Im ursprünglichen, wissenschaftstheoretischen Wortsinn darauf hinzielend, daß jedes Urteil, weiterhin auch jedes Verhalten und jede Werthaltung ständiger vernunft-orientierter Überprüfung sowohl seitens des Äußernden — Selbstkritik — wie auch seitens der Umwelt bedarf. So sind K. und S. zu wesentlichen Elementen der Parteikontrolle über den einzelnen und der „revolutionären Wachsamkeit“ in den eigenen Reihen geworden. Maßstab für K. und S. ist demgemäß das Parteidogma, die jeweils geltende Linie. Demzufolge darf K. immer nur an Einzelmaßnahmen, insbesondere an Methoden der Verwirklichung von Beschlüssen (Kontrolle) sowie an Auswüchsen des Systems, nie aber am System selbst geübt werden (Demokratischer Zentralismus). Die K. ist weitgehend „eingeplant“. Unerwünschte K. wird unterbunden und kann für den Kritisierenden gefährliche Folgen haben. Jede K. findet ihren Sinn erst durch die dazugehörende S. des Kritisierten. Diese soll schonungslos sein, teils eine heilsame, schocktherapeutische Wirkung haben, notfalls aber auch bis zur moralischen Selbstvernichtung und Diskreditierung führen. Die K. und S. wird nicht nur als Methode benutzt, Fehler zu korrigieren, sondern stellt überdies ein wesentliches Element der angestrebten Vergesellschaftung dar. Bei prominenten Personen wird die K. und S. mit Vorliebe in der Presse geführt, mit dem Zweck, nicht nur den Betroffenen öffentlich zu diffamieren, sondern auch die anderen Funktionäre unter Druck zu setzen. Eine weitere Funktion der K. und S. ist, für offensichtliche Mißerfolge einzelne Personen verantwortlich zu machen und die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Regime auf diese abzulenken.

 

Literaturangaben

  • Leonhard, Wolfgang: Die Revolution entläßt ihre Kinder. Köln 1955, Kiepenheuer und Witsch. 558 S.
  • Schultz, Joachim: Der Funktionär in der Einheitspartei — Kaderpolitik und Bürokratisierung in der SED (Schr. d. Inst. f. polit. Wissenschaft, Berlin, Bd. 8). Stuttgart 1956, Ring-Verlag. 285 S.

 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 353


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.