DDR von A-Z, Band 1969

Lohnpolitik (1969)

 

 

Siehe auch die Jahre 1962 1963 1965 1966 1975 1979


 

Nach marxistischer Definition ist im Kapitalismus der Lohn „der Preis der Ware Arbeitskraft“, den der Unternehmer nach Einbehaltung des vom Arbeiter erzeugten „Mehr an Wert“ (Mehrwert) an den Arbeiter auszahlt; die Lohnarbeit gilt als ein Kennzeichen der Ausbeutung, als „Lohnsklaverei“. In Mitteldeutschland arbeiten die Arbeiter und Angestellten zwar auch gegen Lohn bzw. Gehalt, aber der Lohn soll hier eine ganz andere Bedeutung als in westlichen Ländern haben. Der „Werktätige“ würde zwar auch hier nicht das volle von ihm erzeugte „Mehr an Wert“ erhalten, dafür aber habe sich der Charakter der Arbeit gewandelt, weil es „keine Ausbeuter und keine Ausgebeuteten mehr gibt“. Der Lohn gilt entsprechend dem „Lehrbuch der Politischen Ökonomie“ als „der in Geld ausgedrückte Anteil des Werktätigen an dem Teil des gesellschaftlichen Produkts, der den Aufwand an notwendiger Arbeit ersetzt und an die Arbeiter und Angestellten in Übereinstimmung mit der Quantität und Qualität ihrer Arbeit vom Staat ausgezahlt wird“. Solche und ähnliche Erklärungen ändern nichts an der Tatsache, daß auch in der „DDR“ der Lohn das Maß für geleistete Arbeit ist und im Mittelpunkt aller Arbeitspolitik steht. Die wichtigsten Grundsätze der L. der SED sind:

 

1. Der Arbeitslohn ist ein wichtiger „Hebel zur Steigerung der Arbeitsproduktivität“. Die SED fordert daher Anwendung von Lohnformen, die die Arbeiter praktisch zu einer ständigen Erhöhung ihrer Arbeitsleistung zwingen.

 

2. Die Lohnbemessung soll „der Verwirklichung des ökonomischen Gesetzes der Verteilung nach der Arbeitsleistung“ dienen. Auf diesem Grundsatz beruhen die Rangfolgen der Lohntarife nach Industriezweigen und die Eingruppierung der Beschäftigten in die Lohngruppen 1–8.

 

Zur Verwirklichung dieser Grundsätze ihrer L. hat die SED folgendes System der Lohnformen eingeführt:

 

1. Zeitlohn

  • A. Einfacher Zeitlohn
  • B. Prämienzeitlohn
    • a) individueller
    • b) kollektiver

 

2. Leistungsstücklohn

  • A. Proportionaler Leistungsstücklohn
    • a) individueller
    • b) kollektiver
  • A. Prämienstücklohn

 

Erläuterungen. Einfacher Zeitlohn: Der Lohn wird nach dem Zeitgrundlohn (z. B. tarifl. Stundenlohn) und der Anwesenheitszeit bemessen. — Prämienzeitlohn: Verbindung des Zeitlohnes mit einem Prämiensystem (z. B. Prämien für Energie- und Materialeinsparungen, für Einhaltung von Qualitätsmerkmalen usw.). — Proportionaler Leistungsstücklohn: Für in der Regel nach Arbeitsnormen ausgeführte Arbeiten; lohnbestimmend sind der Leistungsgrundlohn (d.i. der tarifliche Zeitlohn zuzügl. eines Zuschlags) und der Erfüllungsgrad der Arbeitsnormen. Bei z. B. 5 v. H. Übererfüllung der Arbeitsnormen steigt auch der Lohn um 5 v. H. Prämienstücklohn: Verbindung des Leistungsstücklohnes mit einem Prämiensystem (z. B. für Senkung des Ausschusses und der Ausfallzeiten oder für Materialeinsparungen usw.). Der Prämienstücklohn in seinen verschiedenen Abwandlungen ist für Industriearbeiter die häufigste Lohnform.

 

Dieses ausgeklügelte System von Lohn[S. 381]formen, das — in Verbindung mit den Sozialistischen ➝Wettbewerben — ausschließlich dazu dient, durch die Intensivierung der Leistungen jedes einzelnen Arbeitnehmers das Arbeitsergebnis ständig zu steigern, hat ein dauerndes Zurückbleiben der Durchschnittslöhne hinter der Entwicklung der Arbeitsproduktivität zur Folge.

 

Während die Produktivität je Arbeiterstunde in der Industrie zwischen 1955 und 1967 um 151 v. H. anstieg, erhöhte sich der Durchschnittslohn in der gleichen Zeit nur um 52 v. H. In der BRD hingegen hat die Lohnentwicklung mit der Produktivitätsentwicklung annähernd Schritt gehalten. Die L. der SED führte dazu, daß die Durchschnittslöhne der Arbeiter und Angestellten hinter der Entwicklung in der BRD in den letzten Jahren zunehmend zurückblieben.

 

In der amtlichen Statistik werden seit 1959 keinerlei Angaben über die Lohnentwicklung für Arbeiter und Angestellte veröffentlicht. Statt dessen enthält die Statistik Angaben über „Arbeitseinkommen der vollbeschäftigten Arbeiter und Angestellten in sozialistischen Betrieben der materiellen Produktion“. Die darin enthaltenen Zahlen sind für Vergleiche mit der BRD nicht brauchbar: sie sind erheblich überhöht, weil sie Zuwendungen einschließen, die keine Lohnbestandteile entsprechend der westdeutschen statistischen Erfassung sind.

 

„Die nachstehende Tabelle beruht auf Berechnungen westdeutscher Fachleute, wobei die Vergleichbarkeit der Zahlen der BRD mit denen der „DDR“ hergestellt wurde:

 

 

Die geringere Kaufkraft des Geldes in der „DDR“ erhöht den Rückstand der Löhne gegenüber der BRD zusätzlich. Aus Angaben im „Statistischen Jahrbuch der DDR, 1968“, geht hervor, daß der reale Nettolohn der Arbeitnehmer sich von 1961 bis 1967 nur um 12 v. H. erhöht hat. In der BRD betrug im gleichen Zeitraum der reale Nettolohnzuwachs aller Arbeitnehmer 45 v. H.

 

Für leitende Angestellte (einschl. Werkmeister) ist die Entlohnung auf der Basis des sog. „Prämiengehaltes“ weitgehend eingeführt worden. Nur etwa 80 v. H. des Monatsgehaltes gelten dabei als garantiertes Gehalt, die restlichen 20 v. H. sind „an die Erfüllung von Leistungskennziffern gebunden“, d.h. sie werden nur im Verhältnis zur Erfüllung der Betriebspläne (Produktionsplan usw.) ausgezahlt.

 

In der amtlichen Richtlinie für das Neue ökonomische System der Planung und Leitung wurde verfügt, daß mehr noch als vorher „Lohn und Prämien als ökonomische Hebel der materiellen Interessiertheit wirksam“ sein sollen. Das Instrumentarium zur Verwirklichung dieser Forderung des SED-Regimes sind eine Vielzahl sog. „neuer Lohnformen“, die so ausgeklügelt sind, daß die Arbeiter empfindliche Lohneinbußen haben, wenn sie nicht ihr Arbeitstempo und ihre Arbeitsintensität wesentlich steigern. Bei allen diesen „neuen Lohnformen“ ist der Lohn aufgegliedert in einen Grundlohnteil und einen „leistungsgebundenen“ Teil. Der Grundlohn wird dabei stets niedriger angesetzt als der von den Arbeitern vorher erzielte Effektivlohn; der „leistungsgebundene“ Lohnteil wird nur ausgezahlt, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Dazu zählen auch Faktoren, auf die der einzelne Arbeiter überhaupt keinen Einfluß nehmen kann, z. B. die Erfüllung des betrieblichen Produktionsplanes, des Planes der Arbeitsproduktivität und des Planes der Selbstkostensenkung. Das bedeutet, daß ein Teil des Lohnes von dem Betriebsergebnis abhängig gemacht wird. Damit wird der einzelne Arbeiter haftbar gemacht für Mängel in der Planung und in der Leitung der Betriebe. Die neu eingeführten Lohnformen haben zu einer großen Lohnunsicherheit geführt.

 

Literaturangaben

  • Haas, Gerhard, und Alfred Leutwein: Die rechtliche und soziale Lage der Arbeitnehmer in der sowjetischen Besatzungszone. 5., erw. Aufl. (BB) 1959. Teil I (Text) 264 S., Teil II (Anlagen) 162 S.

 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 380–381


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.