Mauer (1969)
Siehe auch die Jahre 1963 1965 1966 1975 1979
Die Berliner M. (der Begriff steht hier stellvertretend auch für alle Sperrmaßnahmen, die am oder nach dem 13. 8. 1961 in und um Berlin sowie an der Demarkationslinie und auf See getroffen wurden) ist als der politische Höhepunkt jener Berlin-Krise anzusehen, die mit der Ansprache Chruschtschows am 10. 11. 1958 und dem am 27. 11. 1958 gestellten, auf ein halbes Jahr befristeten Ultimatum von der SU heraufbeschworen wurde (Teilung Deutschlands und Wiedervereinigungspolitik).
Politische Ziele
1. Innenpolitisch: Durch die M. sollten die ständig anhaltende, 1961 sogar erheblich angestiegene Fluchtbewegung (Flüchtlinge) abgestoppt, der Verkehr mit dem freien Berlin (West) wegen seiner mancherlei psychologischen Auswirkungen unterbrochen und die kommun. Innenpolitik „störfrei“ gemacht werden.
2. Außenpolitisch: Die M. sollte die in dem Berlin-Ultimatum vom 27. 11. 1958 enthaltene und seitdem oftmals wiederholte, auch variierte Forderung nach Errichtung einer „entmilitarisierten Freien Stadt Westberlin“ und Abschluß eines Friedensvertrages mit der DDR dadurch verstärken, daß sie einerseits im Hinblick auf die Abschließung der DDR vollendete Tatsachen schuf und andererseits West-Berlin vorbereitend in einen Zustand der totalen Abschnürung versetzte. Hierdurch hoffte die SU, dem Westen die Aussichtslosigkeit seiner Position in Berlin (West) klarzumachen. Tatsächlich war durch alle diese Maßnahmen zunächst eine Versteifung der westlichen Haltung herbeigeführt worden, die in immer wiederholten Garantieerklärungen ihren Ausdruck fand.
Entstehung und Ausbau
Nachdem Ulbricht auf einer Pressekonferenz am 15. 6. 1961 erklärt hatte: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“, richteten die Regierungen der Staaten des Warschauer Beistandspaktes am 11. 8. an die Regierung der „DDR“ den „Vorschlag, an der Westberliner Grenze [S. 403]eine solche Ordnung einzuführen, durch die … eine verläßliche Bewachung und eine wirksame Kontrolle gewährleistet wird“. Der Bau der M. wurde in einem Beschluß des Ministerrates vom 12. 8., veröffentlicht am 13. 8. (GBl. S. 332), formuliert. Darin wird zum ersten Male die Sektorengrenze als Staatsgrenze bezeichnet. Zu diesem Beschluß hatte sich der Ministerrat am 11. 8. von der Volkskammer ermächtigen lassen (GBl. S. 167).
Am 13. 8. gegen 2 Uhr nachts besetzten Deutsche Volkspolizei, Bereitschaftspolizei sowie Kampfgruppen die Sektorengrenze und riegelten sie mit Stacheldrahtverhauen und spanischen Reitern ab. Straßen wurden aufgerissen, Barrikaden errichtet und Gräben ausgehoben. Von 81 Sektorenübergängen blieben vorerst noch 12 unter strenger Kontrolle geöffnet. Allen Bewohnern des Sowjetsektors und der DDR wurde das Betreten von West-Berlin untersagt, ebenso wurden den Bewohnern Mitteldeutschlands Besuchsreisen nach Ostberlin verboten.
Am 23. 8. 1961 wurden weitere 5 kontrollierte Übergangsstellen geschlossen. Von den verbleibenden sieben ist einer für Ausländer, Angehörige des diplomatischen Korps und der alliierten Streitkräfte, sind zwei für Bürger der BRD und vier für West-Berliner bestimmt, die einen Sonderausweis besitzen und im Ostsektor arbeiten. Der Grenzgängerverkehr von Ostberlinern, die in Berlin (West) arbeiteten, wurde völlig unterbunden. Ebenfalls am 23. 8. 1961 wurde für West-Berliner der Passierscheinzwang eingeführt (Grenzgänger). Nach dem 13. 8. wurden die Sperrmaßnahmen laufend verstärkt. Eine fast durchgehende Betonmauer wurde errichtet, die nicht nur die Sektorengrenze, sondern vielfach auch die Zonengrenze rund um Berlin (West) abriegelt. Die Mauer- und Stacheldrahtsperren haben, ähnlich wie an der Demarkationslinie, den Charakter von Feldbefestigungen angenommen.
Der Bau der M. und der Stacheldrahtsperren wurde durch vielfältige Maßnahmen ergänzt, so durch Zumauern der Fenster an Grenzhäusern, Räumung und Abreißen solcher Häuser, Legung eines sog. Todesstreifens ähnlich der Demarkationslinie, Bau von Wachttürmen. Der Fluchtweg über See, der mehrfach teils mit, teils ohne Erfolg gewählt wurde, ist durch Einrichtung einer See-Grenzsperre ebenfalls nahezu unpassierbar geworden.
Schießbefehl und Rechtslage an der M.
Das Bewachungspersonal hat rücksichtslosen Schießbefehl, der auch befolgt wird, wenngleich anzunehmen ist, daß viele Angehörige der Grenztruppen absichtlich keine gezielten Schüsse abgeben. Trotz Lebensgefahr bei Fluchtversuchen gelang bis Ende 1967 27.518 Personen die Flucht nach dem Westen. Zwischen dem 13. August 1961 und 31. Dezember 1968 büßten nachweislich mindestens 64 Personen, darunter Jugendliche und sogar Kinder, ihren Fluchtversuch mit dem Tode. Zahlreiche weitere Fluchtversuche scheiterten, teils unter Waffeneinwirkung, teils durch sonstige Festnahme, ohne daß sich ihre Zahl kontrollieren läßt. In allen Fällen der Vereitelung von Fluchtversuchen handelt es sich um Verletzungen von Menschenrechten. Ungeachtet der Rechtswidrigkeit der Sperrmaßnahmen bezeichnen die DDR-Behörden jede Verletzung der M., die praktisch nur zur Flucht oder Fluchthilfe und Demonstration vorgekommen ist, als „Provokation“. (Staatsfeindlicher ➝Menschenhandel, Republikflucht)
Durch die M. ist die völkerrechtliche Lage Berlins nicht verändert worden. Die M. hat jedoch den Charakter des SED-Regimes als einer Zwangsherrschaft aller Welt offenkundig gemacht. Bei der Erörterung der Berliner M. darf indessen nicht vergessen werden, daß die DDR-Behörden schon seit 1952 entlang der Demarkationslinie („Zonengrenze“) ein Sperrgebiet mit ähnlichen Verhältnissen geschaffen haben.
Literaturangaben
- Die Mauer oder der 13. August (hrsg. v. Hans Werner Richter) (rororo Tb. 482). Reinbek b. Hamburg, 1961. Rowohlt. 196 S.
- Speier, Hans: Die Bedrohung Berlins. Eine Analyse der Berlin-Krise von 1958 bis heute. Köln 1961, Kiepenheuer und Witsch. 156 S.
- *: Die Flucht aus der Sowjetzone und die Sperrmaßnahmen des kommunistischen Regimes vom 13. August 1961 in Berlin. — Dokumentarbericht. (BMG) 1961. 159 S. m. 2 Taf.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 402–403