Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlungen (1969)
Siehe auch:
Der Grundsatz, „Die Verhandlungen vor den Gerichten sind öffentlich“, ist Inhalt von § 4 GV G, kommt aber, im Unterschied zu Art. 133 der alten Verfassung, in der Verfassung vom 6. 4. 1968 nicht zum Ausdruck. Durch die Ö. soll eine Erziehungswirkung auf alle Bürger ausgeübt und die Kontrolle der Rechtsprechung durch die Werktätigen ermöglicht werden (§ 4 GVG). Bereits im Rechtspflegeerlaß vom 4. 4. 1963 (GBl. I, S. 21) hatte der Staatsrat festgestellt: „Die Teilnahme der Bevölkerung an gerichtlichen Verhandlungen trägt dazu bei, das Staats- und Rechtsbewußtsein der Werktätigen zu entwickeln, ihre Verbundenheit zu den Organen ihres sozialistischen Staates zu festigen, die erzieherische Wirkung der Hauptverhandlung zu erhöhen und die Kraft der Öffentlichkeit auf die Überwindung von Gesetzesverletzungen zu lenken.“ Gleichwohl wird der Grundsatz der Ö. häufig durchbrochen, und sogar in den großen Schauprozessen war nicht die Ö. im eigentlichen Sinne, sondern nur ein bestimmter und ausgesuchter Kreis von Zuhörern zugelassen. Das OG rechtfertigt diese Praxis. Wenn an Prozessen „vor allem Werktätige teilnehmen, die auf Grund ihrer beruflichen oder gesellschaftlichen Stellung mit dem Gegenstand des Verfahrens besonders verbunden sind, dann ist die Ö. des Verfahrens gewahrt, selbst wenn durch die Teilnahme ausschließlich solcher Zuhörer andere Interessenten nicht mehr zugelassen werden können“ („Neue Justiz“ 1955, S. 686). In den Verfahren gegen ehemalige Volkspolizisten und Angehörige der Nationalen Volksarmee ist die Ö. grundsätzlich ausgeschlossen. In den Kriegsverbrecherprozessen war die Ö. ebenfalls nicht zulassen. Nicht öffentlich werden auch politische Strafsachen verhandelt, in denen der Angeklagte trotz aller Bemühungen nicht zu einem Geständnis gebracht wurde und die Zeugenaussagen zu einer Verurteilung nicht ausreichen. Wenn aber von einem Verfahren, insbesondere von einem Strafverfahren, eine besondere erzieherische Wirkung auf ein bestimmtes Kollektiv erwartet werden kann, dann sollen die Gerichte „geeignete Verhandlungen unmittelbar in sozialistischen Betrieben, Genossenschaften und Einrichtungen sowie zu einer Tageszeit durchführen, die es den Werktätigen ermöglicht, daran teilzunehmen“. Vertreter von sozialistischen Brigaden, Hausgemeinschaften oder anderen Kol[S. 456]lektiven der Werktätigen sind zur Hauptverhandlung zu laden und haben die Auffassung des Kollektivs zur Tat und zur Persönlichkeit des Täters darzulegen. (gesellschaftliche Erziehung, Rechtswesen)
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 455–456
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