DDR von A-Z, Band 1969

Politische Ökonomie (1969)

 

 

Siehe auch:


 

Die PÖ. wird im marxistisch-leninistischen Dogma als „Wissenschaft von der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse“ definiert. Die auf Marx zurückgehende und seitdem vielfach modifizierte PÖ., die neben dem Historischen und Dialektischen Materialismus den dritten Pfeiler der Ideologie des Marxismus-Leninismus bildet, geht von der Grundannahme aus, daß die Entwicklung der Gesellschaft entscheidend von der Entwicklung der Produktivkräfte bestimmt wird, die ihrerseits auf die Produktionsverhältnisse einwirken. Die PÖ., die sich primär als historische Wissenschaft versteht, nimmt für sich in Anspruch, unter Wahrung strenger Wissenschaftlichkeit die „ökonomischen Gesetzmäßigkeiten“ analysieren zu können, „denen die Produktion und die Verteilung der materiellen Güter auf den verschiedenen Entwicklungsstufen der menschlichen Gesellschaft unterworfen ist“ (Politische Ökonomie, Lehrbuch, Berlin [Ost] 1964, S. 19).

 

Als eigenständige Unterdisziplinen unterscheidet man die PÖ. des Kapitalismus und die des Sozialismus, für die jeweils spezielle ökonomische „Gesetzmäßigkeiten“ formuliert werden. Darüber hinaus versucht die PÖ., allgemeine ökonomische Gesetze zu finden, die in der Produktion und Zirkulation jeder warenproduzierenden Gesellschaft Gültigkeit haben. Dies gilt u.a. für das Wertgesetz, nach dem bei Existenz von Warenproduktion alle Waren, d.h. alle Güter, die nicht für den eigenen Bedarf, sondern für den Verkauf bestimmt sind, auf der Grundlage des gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwandes produziert werden. Der gesellschaftlich notwendige Arbeitsaufwand, der als durchschnittlicher Arbeitsaufwand bei gegebenen Produktionsbedingungen definiert wird, liegt den Warenpreisen zugrunde. Produzenten, deren Arbeitsaufwand unter dem gesellschaftlich notwendigen liegt, weil sie eine höher entwickelte Technik anwenden, erzielen einen größeren Gewinn und veranlassen dadurch andere Warenproduzenten, die technischen Bedingungen in ihren Betrieben zu verbessern. Dieses Verhalten bildet nach dem Wertgesetz die Ursache für die Entwicklung der Produktivkräfte.

 

Die PÖ. des Kapitalismus hebt als Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise die Konzentration der Produktionsmittel in den Händen einer kleinen Zahl von Privateigentümern hervor. Ihnen stehe die große Masse der Lohnarbeiter gegenüber, die ihre Arbeitskraft als Ware an die Kapitalisten verkaufen müsse, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Nach dem ökonomischen Grundgesetz des Kapitalismus sei das primäre Ziel der kapitalistischen Produktionsweise die Erzeugung von Mehrwert, unter dem man den [S. 487]Teil des durch den Arbeitsprozeß geschaffenen Wertes versteht, der nicht als Lohn an die Arbeiter ausbezahlt, sondern von den Kapitalisten „geraubt“ werde (Mehrwerttheorie). Ein weiteres Merkmal des Konkurrenzkapitalismus sei der anarchische Charakter der Produktion, der mit dem spontanen Wirken des Wertgesetzes erklärt wird, während man für den Sozialismus behauptet, er nutze das Wertgesetz „bewußt“ aus. Die erbitterte Konkurrenz der Kapitalisten untereinander führt nach Auffassung der Politökonomie zu einem unausweichlichen Prozeß der Konzentration von Produktionsmitteln in den Händen einer immer kleineren Zahl von Kapitalisten, während die Masse des besitzlosen Proletariats ständig wächst. Gleichzeitig kommt es nach Marx unvermeidlich zu zyklischen Wirtschaftskrisen, die sich ständig verschärfen. Ihre Ursache soll im Gegensatz zwischen dem kapitalistischen Streben nach Ausweitung der Produktion und der Begrenzung der zahlungsfähigen Nachfrage liegen.

 

Die von Marx vertretene Auffassung, der Kreislauf von Überproduktion, Arbeitslosigkeit, schwindender Verbrauchernachfrage führe in immer kürzeren Abständen zu immer größeren ökonomischen Krisen und schaffe damit die Voraussetzung für die proletarische Revolution, wurde durch die Stalinsche These von den zwei Lagern abgewandelt. Nach Stalin ist mit dem Sieg des Sozialismus in der UdSSR der Kapitalismus in seine allgemeine Krise eingetreten, die durch die Spaltung in einen sozialistischen und einen kapitalistischen Weltmarkt gekennzeichnet ist.

 

In Anknüpfung an den von Lenin entwickelten Begriff des Monopolkapitalismus versucht die gegenwärtige Diskussion der Entwicklung des Kapitalismus Rechnung zu tragen. Nach Lenin ist der Monopolkapitalismus das letzte und höchste Stadium vor dem Übergang zum Sozialismus. Als Merkmale hebt er die Konzentration der Produktion in riesigen Konzernen, Syndikaten, Kartellen usw., eine hohe Stufe der technischen Entwicklung und die enge Verflechtung von Banken und Produktion hervor. Während die Banken im Konkurrenzkapitalismus nur die Aufgabe von Vermittlern übernommen hätten, seien sie im Monopolkapitalismus Mitbesitzer an Produktionsmitteln geworden und übten als Finanzkapital einen entscheidenden Einfluß auf das Wirtschaftsleben aus.

 

Die unerwartete ökonomische Widerstandskraft und Anpassungsfähigkeit der kapitalistischen Wirtschaftssysteme versuchen die heutigen Politökonomen mit der Konzeption des staatsmonopolistischen Kapitalismus zu erklären. Der staatsmonopolistische Kapitalismus wird als letzte Stufe des Monopolkapitalismus vor dem Übergang zum Sozialismus bezeichnet. Dieser Auffassung nach ist der Staat in jenem Stadium nicht mehr nur politisches Instrument in den Händen der Monopolkapitalisten, sondern selbst wichtigster Träger ökonomischer Macht, die er im Interesse der Kapitalisten durch wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Dämpfung der zyklischen Krisen einsetzt. Obwohl die Diskussion noch nicht abgeschlossen ist, scheint eine Mehrheit der Politökonomen zugeben zu wollen, daß die Regulierung ökonomischer Krisen durch wirtschaftspolitische Eingriffe des Staates in kapitalistischen Systemen prinzipiell möglich ist. Damit geht man aber von der Marxschen These ab, der unausweichliche ökonomische Zusammenbruch der kapitalistischen Wirtschaft sei die Voraussetzung für den Sieg des Proletariats. Statt dessen wird die Verstärkung der gesellschaftlichen Gegensätze im staatsmonopolistischen Kapitalismus betont, die man mit der Behauptung zu beweisen versucht, es komme zu einem ständigen Abbau der demokratischen Freiheiten. Daraus zog man den Schluß, in Ländern mit entwickeltem staatsmonopolistischem Kapitalismus vollziehe sich der Sturz des Kapitalismus und die Übernahme der Macht durch das Proletariat nicht in einem Sprung, sondern in zwei Etappen. Dem Sieg des Proletariats müsse eine „antiimperialistisch-demokratische“ Übergangsphase vorausgehen, die nur durch ein Bündnis der kommunistisch geführten Arbeiterbewegung mit allen „antimonopolistischen Kräften“ erreicht werden könne. Mit dieser These wird die Möglichkeit eingeräumt, den Übergang zum Sozialismus auf friedlichem Wege über die Parlamente zu vollziehen.

 

Die PÖ. des Kapitalismus hat innerhalb des Lehrgebäudes des Marxismus-Leninismus die Aufgabe, Argumente für die ideologische Auseinandersetzung mit den kapitalistischen Wirtschaftssystemen zu liefern. Dagegen soll die PÖ. des Sozialismus neben der ideologischen auch eine produktive Funktion erfüllen und als „ökonomische Theorie der sozialistischen Gesellschaft“ die wissenschaftlichen Grundlagen für die Wirtschaftspolitik der Partei schaffen. Als sozialistische wirtschaftswissenschaftliche Grunddisziplin soll sie die Instrumente entwickeln, die notwendig sind, um die im ökonomischen Grundgesetz des Sozialismus postulierte „Proportionalität“ und die „planmäßige ununterbrochene Erweiterung der Produktion auf der Basis der führenden Technik“ zu ermöglichen. Widersprüche zwischen den Produktivkräften und den Produktionsverhältnissen sind nach Auffassung der heutigen Politökonomen auch im Sozialismus möglich, allerdings sollen die daraus resultierenden Konflikte friedlich und im Rahmen der bestehenden sozialistischen Gesellschaftsordnung gelöst werden können.

 

Im Zusammenhang mit der immer stärkeren Betonung der „Produktivkraft Wissenschaft“ und der Notwendigkeit, den wissenschaftlich-technischen Fortschritt schneller für die Volkswirtschaft nutzbar zu machen, bemüht sich die PÖ. des Sozialismus, die Frage nach der optimalen Gestaltung des volkswirtschaftlichen Produktionsprozesses im Sozialismus zu beantworten und wissenschaftlich fundierte Prognosen zur Aufstellung optimaler Perspektivpläne zu bilden. Gegenwärtig versucht man diesem Ziel durch Entwicklung von mathematischen und kybernetischen Modellen näherzukommen und übernimmt dabei zum Teil Methoden, die von westlichen Wirtschaftswissenschaftlern entwickelt worden sind. Aus der PÖ. des Sozialismus sind eine Reihe von ökonomischen Zweigwissenschaften entstanden, so z. B. die Volkswirtschaftsplanung, die sozialistische Ökonomik, die Theorie der sozialistischen Wirtschaftsführung u.a.m. Das Neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft wird als Beitrag [S. 487]der SED für die schöpferische Weiterentwicklung der PÖ. des Sozialismus angeführt. (Wirtschaftswissenschaft, Kybernetik)


 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 485–487


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.