Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) (1969)
Siehe auch:
Wirtschaftsblock der osteuropäischen Länder, am 25. 1. 1949 auf einer Konferenz von Vertretern Bulgariens, Ungarns, Polens, Rumäniens, der SU und der Tschechoslowakei gegründet. Im gleichen Jahr trat Albanien dem Rat bei; 1950 wurden die „DDR“ und 1962 die Mongolische Volksrepublik Mitglieder. Albanien wurde im Dez. 1962 ausgeschlossen. China, Korea und Vietnam sind ständige Beobachter der Ratstagungen. Verschiedentlich nahm auch Jugoslawien daran teil. Über den RGW übt die SU maßgeblichen Einfluß auf die weitere Entwicklung in den angeschlossenen Ländern aus.
Die Organe des RGW sind: die Ratstagung, die Tagung der Ländervertreter, die Ständigen Kommissionen und (seit Juni 1962) das Exekutivkomitee. Sitz des organisatorischen Zentrums der RGW die Hauptstadt der SU, Moskau. Der Rat tagt im Turnus in einer der Hauptstädte der Mitgliedsländer. Auf der 16. Tagung vom Juni 1962, die mit einer Tagung der kommun. Parteiführer aller RGW-Länder verbunden war, wurden die „Grundprinzipien der internationalen sozialistischen Arbeitsteilung“ beschlossen. Danach sollte die Entwicklung im RGW nicht mehr auf der Grundlage von „Empfehlungen“, sondern von Verpflichtungen beruhen. Die Bildung eines Exekutivkomitees war der Ausdruck dieses neuen Kurses im RGW. Es war geplant, die Volkswirtschaftspläne aller Mitgliedsländer vollständig zu koordinieren und ihre Industrieproduktion zu spezialisieren. Weitgehende Spezialisierungspläne auf dem Gebiet des Maschinenbaus waren vorgesehen. Grundsätzlich sollte dasjenige Land die Produktion übernehmen, in dem die günstigsten Bedingungen dafür vorhanden sind.
Tatsächlich sind seitdem nur verhältnismäßig wenige für alle Mitgliedsländer gültige Produktionsabsprachen wirksam geworden. Die Verflechtung vollzieht sich nicht ohne Reibungen und Widerstände, da auch in Planwirtschaftssystemen nationale Interessen bestehen.
Der Widerstand gegen eine volle Koordinierung der Wirtschaftspläne resultiert nicht zuletzt daraus, daß die SU sich nicht daran beteiligt. Die SU nimmt für sich in Anspruch, die Industrie universell zu entwickeln, da sie imstande sei, die Spezialisierung und Koordinierung innerhalb des eigenen Landes zu organisieren. Der Umfang der gegenseitigen Lieferungen von Erzeugnissen des Maschinenbaus zwischen den Sowjetblockländern ist bisher in geringerem Maße gestiegen als die Produktion solcher Erzeugnisse in diesen Ländern. Seit 1963 ist der Trend zu zweiseitigen Vereinbarungen von Jahr zu Jahr mehr in den Vordergrund getreten.
Jedes der Mitgliedsländer des RGW unterhält für jedes andere Mitgliedsland einen „Wirtschaftsausschuß“ zur Aushandlung von zweiseitigen Absprachen. Solche Absprachen betrafen bisher nur in einem Falle die Spezialisierung eines ganzen Industriezweiges (Schiffbau), im übrigen jedoch bestimmte Erzeugnisgruppen oder Einzelerzeugnisse (z. B. Erzeugnisse des Maschinenbaus, der Kraftfahrzeug- und Traktorenindustrie). Indessen ist bekannt, daß die beteiligten Länder sich keineswegs immer strikt an solche Vereinbarungen halten.
In der Tschechoslowakei und in Polen sind außerordentlich kritische Stimmen über die [S. 507]geringe Funktionsfähigkeit des RGW laut geworden. Der tschechoslowakische Volkswirtschaftler Prof. Sik erklärte Anfang 1968 öffentlich, die Schwierigkeiten im RGW beruhten in erster Linie darauf, daß sich die Mitgliedsländer auf verschiedenen wirtschaftlichen Entwicklungsstufen befänden. Die ČSSR und die „DDR“ seien mit einem durchschnittlichen Nationaleinkommen von 1.000 bis 1.100 Dollar je Kopf der Bevölkerung die am weitesten entwickelten Länder des RGW. Die SU, Ungarn und Polen seien demgegenüber weit schwächer entwickelt. Bulgarien und Rumänien mit einem durchschnittlichen Nationaleinkommen von nur 400 bis 600 Dollar pro Kopf seien gegenüber den anderen RGW-Ländern unterentwickelte Länder. Weitere Schwierigkeiten entstünden dadurch, daß es im RGW keinen gemeinsamen Markt mit allseitiger Verrechnungsmöglichkeit der Außenhandelsguthaben gebe. Es bestünde vorwiegend ein primitiver Naturalaustausch von Waren gegen Waren.
In den letzten Jahren hat der Warenumsatz zwischen den RGW-Ländern in geringerem Umfange zugenommen als der Handel zwischen den entwickelten westlichen Industrieländern.
Am 1. Jan. 1964 nahm die Internationale Bank für wirtschaftliche Zusammenarbeit in Moskau ihre Tätigkeit auf. Damit sind jedoch nur in begrenztem Maße multilaterale Verrechnungen zwischen den beteiligten Ländern möglich. Eine echte Integration dieser Länder ist auch solange nicht möglich, wie unterschiedliche Produktionsbedingungen in den einzelnen Ländern unterschiedliche Produktionskosten zur Folge haben, so daß ein einheitliches Preissystem nur auf der Grundlage der Subventionierung der industriell weniger entwickelten Mitgliedsländer des RGW beruhen könnte.
Die Situation im RGW ist also auf dem Gebiet der Preise ganz ähnlich wie in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), wo das Problem der unterschiedlichen Produktivität — und damit das der unterschiedlichen Preise — durch sog. „Abschöpfungen“ gelöst wird.
In der ersten Hälfte des Jahres 1968 haben zwei Mitgliedsländer des RGW, die Tschechoslowakei und Rumänien, die Meinung ausgedrückt, die bisherige Form der Zusammenarbeit im RGW habe ihre wirtschaftliche Entwicklung eher behindert als gefördert. Sie erklärten, daß sie künftig entschlossen seien, bei dieser Zusammenarbeit in erster Linie ihre nationalen wirtschaftlichen Interessen zu berücksichtigen. Insbesondere seien sie gewillt, den einseitig betonten Handel mit den anderen RGW-Ländern zu korrigieren und künftig mit westlichen Ländern stärker Handel zu betreiben.
Literaturangaben
- Hoffmann, Emil: Comecon — der gemeinsame Markt in Osteuropa (Die großen Märkte der Welt, Bd. 3). Opladen 1961, Leske. 174 S.
- Klinkmüller, Erich, und Maria E. Ruban: Die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Ostblockstaaten (Wirtschaftswissensch. Veröff. d. Osteuropa-Instituts a. d. Freien Univ. Berlin, Bd. 12). Berlin 1960, Duncker und Humblot. 319 S.
- Pritzel, Konstantin: Die wirtschaftliche Integration der SBZ in den Ostblock und ihre politischen Aspekte. 2., erw. Aufl. (BB) 1965. 296 S.
- Uschakow, Alexander: Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (Comecon) (Dokumente zum Ostrecht, Bd. 2). Köln 1962, Verlag Wissenschaft und Politik. 206 S.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 506–507
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