Republikflucht (1969)
Siehe auch die Jahre 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1975 1979 1985
Bezeichnung für das fluchtartige Verlassen der „DDR“, zunächst nur Ausdruck des Pj., seit 11. 6. 1953 amtlicher Ausdruck in Gesetzen und VO, später kam noch der Begriff Abwerbung hinzu. Etwa seit Juni 1961 verschwand der Begriff R. mehr und mehr. In Vorbereitung der Maßnahmen des 13. August wurde von „Kopfjägern“ und „Menschenhändlern“ gesprochen, und im neuen Strafgesetzbuch wurden schließlich die Straftatbestände des staatsfeindlichen Menschenhandels und des ungesetzlichen ➝Grenzübertritts geschafft.
Nach der „VO über die Rückgabe deutscher Personalausweise bei Übersiedlung nach Westdeutschland oder West-Berlin“ vom 25. 1. 1951 (GBl. S. 53) mußte jeder, der nach Westdeutschland oder West-Berlin übersiedelte, seinen Personalausweis an die Volkspolizei zurückgeben. Nichtbeachtung dieser Vorschrift war mit Gefängnis bis zu 3 Monaten oder mit Geldstrafe bedroht. Nach der „VO über die Personalausweise“ vom 23. 9. 1963 (GBl. II, S. 700) haben „Personen, die in der Deutschen Demokratischen Republik ihren Wohnsitz haben und das Gebiet der DDR für ständig verlassen, ihren Personalausweis vor der Abreise bei der zuständigen Dienststelle der Deutschen Volkspolizei abzugeben. Die Deutsche Volkspolizei und die Grenzkontrollorgane haben das Recht, Personalausweise von Personen, die zeitweilig die DDR verlassen, einzuziehen“. Nichtabgabe des Personalausweises war nach § 13 der VO mit Gefängnisstrafe bis zu 3 Jahren, Geldstrafe oder öffentlichem Tadel bedroht. Mit dieser Regelung bestand der gesetzliche Zustand fort, der bereits durch VO vom 29. 10. 1953 (GBl. S. 1090) geschafft worden war.
Daneben hatte die Volkskammer am 11. 12. 1957 mit dem „Gesetz zur Änderung des Paßgesetzes“ (GBl. S. 650) einen selbständigen Tatbestand zur Bestrafung der R. geschaffen: „Wer ohne erforderliche Genehmigung das Gebiet der DDR verläßt …, wird mit Gefängnis bis zu 3 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Vorbereitung und Versuch sind strafbar.“ Mit dieser gesetzlichen Regelung wurden das in der alten Verfassung garantierte Grundrecht der Freizügigkeit und das Recht auf Auswanderung endgültig beseitigt. Der „Republikflüchtige“ verliert sein zurückgelassenes Vermögen (Flüchtlingsvermögen). Personen, die Bürgern der „DDR“ bei der R. behilflich sind, werden wegen Abwerbung als Menschenhändler zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt.
Nach Errichtung der Mauer in Berlin war in der Rechtsprechung von R. kaum noch die Rede. Versuchte R. wurde seitdem häufig als Terrorismus oder versuchter „Grenzdurchbruch“ bezeichnet und unter Anwendung des § 17 StEG mit langjähriger Zuchthausstrafe geahndet. Das neue Strafgesetzbuch enthält in § 213 eine Strafbestimmung gegen den „ungesetzlichen Grenzübertritt“, der in Auswertung der Erfahrungen der Rechtsprechung zur R. „die differenzierte Gefährlichkeit der verschiedenen Begehungsformen berücksichtigt. Der gewaltsame Grenzdurchbruch, der mit dem Ziel erfolgt, Widerstand gegen die Ordnung an der Staatsgrenze zu leisten oder hervorzurufen, ist dagegen als Terror zu beurteilen“ („Neue Justiz“ 1967, S. 157). Die Strafandrohung lautet nunmehr auf Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren, während für den — neu eingeführten — schweren Fall Freiheitsstrafe von 1 bis zu 5 Jahren verhängt werden kann. Ein schwerer Fall liegt u.a. schon dann vor, wenn die R. „durch Beschädigung von Grenzsicherungsanlagen oder durch Mitführen dazu geeigneter Werkzeuge“ durchgeführt wird oder „unter Ausnutzung eines Versteckes erfolgt“. Durch § 2 des Staatsratserlasses vom 21. 8. 1963 (GBl. I, S. 128) (Rückkehrer) wird „Bürgern der DDR, die vor dem 13. 8. 1961 unter Verletzung der gesetzlichen Bestimmungen außerhalb der DDR Aufenthalt genommen haben, für diese Gesetzesverletzung Straffreiheit gewährt“ (Staatsbürgerschaft). Zu beachten für alle Flüchtlinge ist, daß sich der Strafverzicht ausschließlich auf das Delikt der R. beschränkt. Strafbare Handlungen, die vor, während [S. 532]oder nach der Flucht („Hetze“) begangen sind, werden von diesem Strafverzicht nicht betroffen.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 531–532
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