DDR von A-Z, Band 1969

 

SED (1969)

 

 

Siehe auch: SED: 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1975 1979 Sozialistische Einheitspartei: 1965 1966 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED): 1975 1979 1985

 

1. Die Vereinigung von KPD und SPD zur SED

 

 

Abweichend von ihrer bis dahin befolgten Taktik der Aktionseinheit, begannen die Kommunisten im Herbst 1945 die Verschmelzung von KPD und SPD zu einer einheitlichen Arbeiterpartei zu propagieren. Bestimmend für diesen Sinneswandel dürfte gewesen sein, daß die Hoffnung der KPD, eine breite Basis in der Bevölkerung zu gewinnen, sich nicht erfüllt hatte; die KPD wurde von weiten Kreisen der Bevölkerung als Erfüllungsgehilfin der Besatzungsmacht betrachtet, die ihre Existenz allein der Anwesenheit der sowjetischen Truppen verdankte.

 

Hinweise auf die Stimmung der Bevölkerung lieferten außer den für die Kommunisten ungünstigen Ergebnissen der Wahlen in Ungarn und Österreich im Herbst 1945 vor allem der Ausgang der Gemeindewahlen in der amerikanischen Zone im Jan. 1946. Die KPD erhielt damals insgesamt nur 3,5 v. H. der abgegebenen Stimmen. Unter diesen Umständen sahen sich die Kommunisten gezwungen, die Ver[S. 550]einigung mit den Sozialdemokraten so bald wie möglich, und zwar nach ihrem Zeitplan und ihren Bedingungen, herbeizuführen:

 

a) Der Zusammenschluß war nicht auf Reichsbasis zu vollziehen, wie es den anfänglichen Vorstellungen sozialdemokratischer Funktionäre, soweit sie für die Parteieinheit eintraten, entsprach, sondern mußte auf Zonenbasis durchgeführt werden.

 

b) Der Zusammenschluß durfte nicht im Wege der Urabstimmung, also auf demokratischem Wege, erfolgen, sondern mußte unter Ausschluß der Willensäußerung der Mitglieder als Aktion der Führungsorgane geschehen.

 

Um den Widerstand vieler Sozialdemokraten gegen diese Art der Vereinigung zu brechen, inszenierten die Kommunisten eine „breite Massenbewegung“, die von der sowjetischen Besatzungsmacht unterstützt wurde: Opponierende Gruppen wurden daran gehindert, sich zu organisieren und ihre Meinung zu publizieren; die profiliertesten Gegner der Zwangsvereinigung aber fielen dem Terror der sowjetischen Geheimpolizei zum Opfer. Im April 1961 erinnerte der Vorsitzende der SPD, Ollenhauer, daran, daß „nach vorsichtigen Schätzungen in der Zeit vom Dez. 1945 bis zum April 1946 mindestens 20.000 Sozialdemokraten gemaßregelt, für kürzere oder auch sehr lange Zeit inhaftiert, ja sogar getötet wurden“. Auf diese Weise unter Druck gesetzt, stimmte die SPD-Führung in der Sowjetzone schließlich der Abhaltung des Vereinigungsparteitages am 21. und 22. April 1946 zu.

 

Für Berlin wurde eine Sonderregelung getroffen. Unter dem Schutz der Westmächte erzwangen hier die gegen die Zwangsvereinigung opponierenden Kräfte eine Urabstimmung unter den Mitgliedern der SPD. Bei einer Wahlbeteiligung in den Westsektoren von 73 v. H. stimmten 82 v. H. der Abstimmungsberechtigten gegen und 12 v. H. für die Vereinigung der beiden Parteien. Der Stadtkommandant des Sowjetsektors hatte anfänglich zugesichert, die Urabstimmung auch im sowjetischen Sektor zuzulassen. Trotzdem verhinderte dort die Polizei ihre Durchführung.

 

2. Die Entwicklung der SED von 1946 bis 1967

 

 

In der auf dem Vereinigungsparteitag angenommenen Grundsatzerklärung hieß es, das Endziel der SED sei ein sozialistisches Deutschland, ihr Nahziel der Aufbau einer gesamtdeutschen antifaschistischen, parlamentarisch-demokratischen Republik (Antifaschistisch-demokratische Ordnung, Bodenreform, Enteignung „der Kriegsverbrecher und Naziaktivisten“).

 

Im Frühjahr 1948 wurde das Konzept der antifaschistisch-demokratischen Ordnung aufgegeben. Für die Sowjets waren hierfür zwei Gründe bestimmend: der Konflikt mit Jugoslawien und die Reaktion der Westmächte, insbesondere der USA, mit Hilfe von Truman-Doktrin und Marshall-Plan dem weiteren Vordringen des Sowjetkommunismus einen Riegel vorzuschieben. Für Ulbricht bestanden die Schlußfolgerungen daraus in der Umwandlung der SED in eine „Partei neuen Typus“. Die dahingehenden Beschlüsse der Parteiführung wurden im Herbst 1948 gefaßt und auf der 1. Parteikonferenz im Jan. 1949 bestätigt:

 

a) Die These vom Besonderen Weg zum Sozialismus wurde verworfen und statt dessen die führende Rolle der KPdSU unter der Führung Stalins anerkannt.

 

b) Die paritätische Besetzung der Funktionärsstellen wurde abgeschafft. Nur in der Parteispitze blieb die Parität durch Pieck und Grotewohl vorerst noch gewahrt.

 

c) Für die Aufnahme neuer Mitglieder wurde eine Bewährungszeit als Kandidat eingeführt.

 

d) Zur „operativen Führung“ der Partei wurden das Politbüro und das kleine Sekretariat des Politbüros geschaffen.

 

e) Zur permanenten Säuberung der Partei wurde ein Partei-Kontroll-Apparat mit der Zentralen Parteikontroll-Kommission (ZPKK) an der Spitze geschaffen (Parteikontrollkommissionen der SED).

 

f) Die KPD wurde von der SED organisatorisch getrennt, wahrscheinlich, um die separatstaatliche Entwicklung deutlich zu machen.

 

Auf die Sowjetisierung der SED folgte die Sowjetisierung Mitteldeutschlands. Auf der 2. SED-Parteikonferenz (9.–12. 7. 1952) verkündete Ulbricht den Beginn des „sozialistischen Aufbaus“. Der Generalangriff der SED auf das noch bestehende Privateigentum begann (Kollektivierung), wobei die Partei gleichzeitig systematisch ihren Einfluß und ihre Kontrolle auf alle anderen Parteien, die Massen[S. 551]organisationen, den Staats- und Wirtschaftsapparat sowie auf weitere Lebensbereiche (Familie, Rechtswesen, Kulturpolitik usw.) ausdehnte. Im Juni 1953 mußte die SED-Führung zwar den Aufbau des Sozialismus vorübergehend stoppen (Juni-Aufstand, Neuer Kurs), doch ab 1954/55 wurde er, wenn auch mit etwas gemilderten Methoden, fortgesetzt. Gleichzeitig lehnte die SED eine Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen ab (Teilung Deutschlands und Wiedervereinigungspolitik).

 

Ab Sommer 1955 wurden die Versuche Chruschtschows erkennbar, die Beziehungen zu den übrigen kommunistischen Parteien und Staaten zu verbessern und die ideologische Basis des Sowjetkommunismus zu erneuern. Hauptetappen dieses Prozesses waren der Besuch Chruschtschows und Bulganins in Belgrad Ende Mai 1955, der XX. Parteitag der KPdSU im Febr. 1956 mit der berühmt gewordenen Anti-Stalin-Rede Chruschtschows, die Auflösung des Kominform am 17. April 1956, der Sturz der Gruppe Kaganowitsch-Malenkow-Molotow-Schepilow im Sommer 1957 und die Konferenz der kommunistischen und Arbeiter-Parteien im Nov. 1957 in Moskau. Diese Versuche führten zunächst zu einer politischen und ideologischen Krise, die im Okt. 1956 in den Ereignissen in Polen und der ungarischen Revolution kulminierte.

 

Auch in der SED wurden jetzt Kräfte wirksam, die eine Erneuerung des Kommunismus in einzelnen Teilbereichen anstrebten. Es bildeten sich Gruppierungen, die auf den Sturz Ulbrichts als des Haupthindernisses einer solchen inneren Wandlung hinarbeiteten. Drei Kategorien oppositioneller Gruppierungen traten dabei hervor: die Intellektuellen (W. Harich, E. Bloch u.a.m.), die Wirtschaftstheoretiker (Dr. F. Behrens, Kurt Vieweg u.a.m.) und die Funktionäre im Führungskern der Partei (Gerhart Ziller, Fred Oelßner, Karl Schirdewan, Ernst Wollweber). (Dritter Weg, Entstalinisierung, Nationalkommunismus, Revisionismus, Rehabilitierungen)

 

Mit der Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn endete im Herrschaftsbereich der SED die Tauwetter-Periode. Nunmehr war auch für Ulbricht die Zeit gekommen, mit der Opposition im Führungskern der SED abzurechnen: Die Gruppe Schirdewan-Wollweber-Oelßner wurde am 8. Febr. 1958 ausgeschaltet; der ZK-Sekretär Ziller hatte bereits im Dez. 1957 Selbstmord verübt. Auf dem anschließenden V. Parteitag (10.–16. Juli 1958) verkündete die SED die „Vollendung des sozialistischen Aufbaus“.

 

Die Politik der „Vollendung des sozialistischen Aufbaus“ führte eine Situation herauf, die derjenigen im Frühjahr 1953 ähnlich sah. In der Wirtschaftspolitik kündigte sich das Scheitern des Siebenjahrplanes und der ökonomischen Hauptaufgabe an, die Versorgung der Bevölkerung erreichte einen neuen Tiefstand, und der Massenterror wurde wieder verstärkt. Große Teile der Bevölkerung suchten ihren Ausweg in der Flucht (Flüchtlinge), die Krise drohte sich zur Katastrophe auszuweiten. Der Bau der Berliner Mauer und die Abriegelung der Zonengrenzen in der Nacht zum 13. Aug. 1961 dienten den Machthabern als letzter Ausweg, die Katastrophe zu verhindern. Nach der Vollkollektivierung der Landwirtschaft (1960) und dem Bau der Mauer (1961) trat im Jan. 1963 der VI. Parteitag der SED zusammen, um die Politik der Partei nach der Vollsozialisierung und völligen Abriegelung der Zonengrenzen zu verkünden. Der Parteitag beschloß ein Programm sowie ein neues Statut.

 

Unmittelbar nach dem VI. Parteitag wurde die Umorganisation der Partei nach dem Produktionsprinzip auf Grund des sowjetischen Vorbildes in Angriff genommen und als Ziel jetzt die Versachlichung der Parteiarbeit verkündet (Jarowinsky auf der 5. ZK-Tagung im Febr. 1964). Zur Verwirklichung dieses Zieles wurden ein Büro für Industrie- und Bauwesen, ein Büro für Landwirtschaft, eine ideologische Kommission und eine Agitationskommission sowie eine Kommission für Partei- und Organisationsfragen beim Politbüro gebildet. Entsprechende Umorganisationen wurden in den Bezirks-, Stadt- und Kreisleitungen vorgenommen (Büros der SED, Sekretariate der Bezirks- und Kreisleitungen). Auf kaderpolitischem Gebiet wurde damit begonnen, die fachliche Qualifizierung (wirtschaftliche und technische Fachausbildung) der Führungskräfte zu heben (Kader). Mit [S. 552]dem Sturz Chruschtschows wurden diese organisatorischen Veränderungen zum Teil wieder rückgängig gemacht. Im Ergebnis lief die Versachlichung auf stärkere Bewertung der ökonomischen, produktionsmäßigen und wissenschaftlich-technischen Leistungen hinaus, die nunmehr ideologischen Gesichtspunkten gleich- oder sogar vorangestellt wurden. Um gewisse Fehlentwicklungen im Zuge der Wirtschaftsreform zu korrigieren, wurde von Ende 1964 an die Ideologie wieder stärker betont (7. ZK-Tagung Nov. 1964,11. ZK-Tagung Dez. 1965).

 

Eine noch stärkere Betonung der Ideologie und Intensivierung der Indoktrination setzte nach dem XXIII. Parteitag der KPdSU im April 1966 ein. Im Laufe des Jahres 1966 hatte sich mit der Verschärfung des Gegensatzes zu Peking in der Führungsspitze der KPdSU offenbar die Erkenntnis verdichtet, daß man sich in einem ideologischen Zwei-Fronten-Krieg gegen die „ideologische subversive Aktivität der Imperialisten“ und gegen die „perfide verleumderische Aktivität der chinesischen Opportunisten“ befinde.

 

Das Hauptproblem wurde jetzt darin gesehen, Fehlentwicklungen im Zuge der Wirtschaftsreform zu korrigieren, die Ideologie als Machtbasis der Partei zu festigen und damit den Führungsanspruch der Parteiapparatschiks zu behaupten. Es galt den Nachweis zü liefern, daß der gesellschaftliche Fortschritt nicht allein von der Ökonomie her bestimmt wird, sondern daß es vor allem der Partei und ihrer Ideologie bedarf, um den Sozialismus-Kommunismus aufzubauen.

 

3. Der VII. Parteitag und die nachfolgende Entwicklung

 

 

Die Vorbereitung des VII. Parteitages war gekennzeichnet durch Koordinierung der ideologischen Arbeit zwischen der KPdSU und der SED, die weitere Intensivierung der Zusammenarbeit auf politischem, wirtschaftlichem, militärischem und anderen Gebieten zwischen der SU und der „DDR“ sowie den fortschreitenden Abbau der noch bestehenden Kontakte zwischen den beiden getrennten Teilen Deutschlands und Negierung alles dessen, was gesamtdeutschen Charakter trägt (Außenpolitik, Deutschlandpolitik, Redneraustausch).

 

Vom 17. bis 22. April 1967 veranstaltete die SED ihren VII. Parteitag. Referate und Beschlüsse brachten im Grunde nichts Neues, sondern nur eine Bestätigung der bereits eingenommenen Positionen und der gültigen Parteilinie. Für die weitere politische und gesellschaftliche Entwicklung in Mitteldeutschland stellte die SED die Aufgabe der „Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus“. Auf wirtschaftlichem Gebiet sollte die neue Phase der Entwicklung in der Umbenennung des Neuen ökonomischen Systems in Ökonomisches System des Sozialismus zum Ausdruck kommen.

 

Von einem neuen Abschnitt der Parteiarbeit und der innerparteilichen Entwicklung läßt sich, bedingt durch den Demokratisierungsprozeß in der KPC, ab Jan. 1968 sprechen. Hauptziel der SED ist es jetzt, den um sich greifenden Prozeß der ideologischen Erosion abzuwehren und einer weiteren Auflockerung des sowjetisch kontrollierten Bündnissystems entgegenzutreten. Die politische und ideologische Gegenoffensive wird von Moskau, Warschau und Ost-Berlin gemeinsam geführt. Sie fand in der SED ihren Ausdruck in einer Serie von Großveranstaltungen im ersten Halbjahr 1968 (Volksaussprache und Volksentscheid über die neue Verfassung der „DDR“, 7. FDGB-Kongreß, Veranstaltungsserie zum 150. Geburtstag von Karl Marx). Es war das Ziel der Partei, mit diesen Veranstaltungen von den eigentlichen Problemen und ernsthaften Diskussionen über theoretische Fragen des Marxismus-Leninismus sowie den Grundcharakter des Herrschaftssystems der SED abzulenken und die von ihr eingenommenen Positionen als absolut richtig und unveränderlich hinzustellen. Auf der 6. Tagung des Zentralkomitees im Juni 1968 wurde diese Politik von Ulbricht und Honecker als Hauptreferenten bekräftigt.

 

4. Programm und ideologische Grundlagen

 

 

Das vom VI. Parteitag angenommene Programm beschränkt sich in bezug auf die ideologischen Grundlagen auf die z. T. wörtliche Wiederholung von Texten des Programms der KPdSU oder seiner Interpretation für die spezifischen Bedürfnisse der SED. Als Substanz der SED-Ideologie sind die folgenden Thesen und Doktrinen hervorzuheben:

 

a) Gesetzmäßiger Übergang zum Sozialismus/Kommunismus — Neuverkündung der [S. 553]weltlichen Heilsbotschaft. Das Programm stellt die von den Klassikern des Marxismus entwickelte Weltanschauung des Dialektischen und Historischen Materialismus als obersten Leitgedanken heraus.

 

b) Die SED als Vollstreckerin der Ideen und Ziele der deutschen Arbeiterbewegung. Die SED nimmt die Tradition der deutschen Arbeiterbewegung mit Karl Marx, Friedrich Engels, August Bebel, Wilhelm Liebknecht und Rosa Luxemburg für sich in Anspruch. Ulbricht sieht sich selbst als Nachfolger, als den Vollender ihrer Ideen und versucht zu beweisen, daß die traditionellen Programme der deutschen Arbeiterbewegung durch die KPD/SED verwirklicht worden seien. Entsprechend wird die Entwicklung in Mitteldeutschland seit 1945 in folgende Perioden unterteilt:

1945–1949/50„Antifaschistisch-demokratische Ordnung“,
1951–1958„Schaffung der Grundlagen des Sozialismus“,
1958–1962„Festigung und Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse“,

ab 1963 „Vollständiger und umfassender Aufbau des Sozialismus“.

 

c) Friedliche Koexistenz von Staaten mit verschiedener Gesellschaftsordnung. Die von Chruschtschow entwickelte Koexistenz-Theorie ist nicht der Versuch eines politischen Interessenausgleichs und eines geistigen Nebeneinanders mit dem Westen. Die Doktrin von der Koexistenz im Sinne der sowjetkommunistischen Ideologie schließt vielmehr die Behauptung ein, daß der Sozialismus/Kommunismus zur „geschichtlich bestimmenden Kraft unserer Epoche“ geworden ist.

 

d) Die SED als Partei des ganzen Volkes — Absage an Stalins These von der ständigen Verschärfung des Klassenkampfes. In jenem Prozeß, den man im Westen, wenn auch unkorrekt, als Entstalinisierung zu bezeichnen pflegt, hat die kommunistische Führung eine Reihe von Theorien und Doktrinen aus der Stalin-Ära über Bord geworfen. Eine dieser Theorien war die von Stalin aufgestellte These von der Verschärfung des Klassenkampfes beim Aufbau des Sozialismus.

 

Zu den programmatischen und ideologischen Grundlagen der SED müssen des weiteren eine Reihe maßgeblicher Texte gerechnet werden, so vor allem:

 

a) Die Erklärungen der Moskauer Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien vom Nov. 1960;

 

b) das Nationale Dokument;

 

c) die Materialien des XXIII. Parteitages der KPdSU;

 

d) die vom Institut für Marxismus-Leninismus herausgegebene „Geschichte der Deutschen Arbeiterbewegung“;

 

e) die Materialien zum 150. Geburtstag von Karl Marx.

 

Besonders die letztgenannten Materialien erscheinen für die gegenwärtige Parteiarbeit und ihre ideologische Basis von besonderer Wichtigkeit. Die SED bekräftigt darin den absoluten Herrschaftsanspruch der Partei, anerkennt die führende Rolle der KPdSU und lehnt alle Bestrebungen, das eigene System nach dem Vorbild anderer Ostblockstaaten zu liberalisieren, zu demokratisieren oder zu dezentralisieren, ab.

 

5. Entwicklung des Statuts, Rechte und Pflichten der Parteimitglieder

 

 

Auf dem Wege zu ihrem derzeitigen organisatorischen Gefüge hat die SED ihr Statut mehrfach ändern müssen. Das erste, auf dem Vereinigungsparteitag 1946 angenommene Statut verkörperte noch weitgehend die Organisationsprinzipien und Funktionen einer Partei in einer demokratischen Gesellschaftsordnung. Der Prozeß der Angleichung an die KPdSU („Partei neuen Typus“) machte auch die Neufassung des Statuts erforderlich, die vom III. Parteitag 1950 beschlossen wurde.

 

Ein drittes Statut wurde auf dem IV. Parteitag 1954 angenommen. Die wichtigste Neuerung war die Abschaffung der paritätisch durch Sozialdemokraten und Kommunisten besetzten Parteispitze (Grotewohl und Pieck). An die Spitze der Partei trat nunmehr Ulbricht als Erster Sekretär.

 

Das heute gültige vierte Statut wurde vom VI. Parteitag 1963 beschlossen und auf dem VII. Parteitag in einigen Punkten abgeändert.

 

Während viele Gesetze und Verordnungen der „DDR“ die Allgewalt der SED bzw. ihres Zentralkomitees ausdrücken und die Exekutive an die Beschlüsse von Parteiinstanzen binden, legt andererseits das Parteistatut die Pflichten der Parteimit[S. 554]glieder dem sozialistischen Staat gegenüber fest. Das Parteistatut ist also nicht nur als innerverbandliche Satzung zivilrechtlichen Charakters zu betrachten; da die Partei beansprucht, oberstes Machtorgan zu sein, und es auch tatsächlich ist, muß das von ihr gesetzte Parteirecht zum Verfassungsrecht im weiteren Sinne gerechnet werden.

 

Bereits im Jahre 1949 beschloß die 1. Parteikonferenz die Einführung einer Kandidatenzeit, die der Aufnahme als Parteimitglied vorausgeht. Im Anfang war die Dauer der Kandidatenzeit nach der sozialen Herkunft der Antragsteller gestaffelt. Im vierten, heute gültigen Statut wurde die Kandidatenzeit einheitlich auf 1 Jahr festgesetzt. Das wird mit den Thesen von der „politischen und moralischen Geschlossenheit des ganzen Volkes“ und der „allmählichen Entwicklung zum sozialistischen Volksstaat“ begründet.

 

Mit fortschreitender Sowjetisierung der SED wurden die Pflichten der Mitglieder immer zahlreicher; diesen Pflichten stehen jedoch nur knapp bemessene Rechte gegenüber. Die Pflichten der Mitglieder lassen sich in vier Kategorien aufteilen:

 

a) Pflichten, die die Entwicklung der Partei zu einer Kampforganisation im leninistisch-stalinistischen Sinne betreffen.

 

b) Innerverbandliche Pflichten, wie z. B. der Besuch der Mitgliederversammlungen, die „Teilnahme am Parteileben“, die Werbung neuer Mitglieder, die Zahlung der Mitgliedsbeiträge.

 

c) Pflichten innen- und wirtschaftspolitischen Charakters, wie z. B. die Verpflichtung, für eine „Steigerung der Arbeitsproduktivität zu kämpfen“,

 

d) Außenpolitisch motivierte Pflichten, zu denen u.a. der „Kampf um die friedliche Lösung der nationalen Frage“, das „Eintreten für die unverbrüchliche Freundschaft zur Sowjetunion“, der „Kampf gegen Nationalismus und Chauvinismus“, die „Förderung des Geistes des proletarischen Internationalismus“ sowie die „Unterstützung der um nationale und soziale Befreiung kämpfenden Völker“ gehören.

 

Über ein Parteimitglied, das seine Pflichten verletzt, können Parteistrafen (Parteidisziplin) verhängt werden. Als Verletzung der Parteidisziplin gilt auch der Verlust des Parteimitgliedsbuches: „Das Parteimitgliedsbuch ist für jedes Mitglied und jeden Kandidaten unserer Partei das höchste und wichtigste Dokument, das er in seinem Leben erhalten kann …“ („Neues Deutschland“ v. 29. 4. 1951).

 

Die im Statut von 1950 noch vorgesehene Möglichkeit des Austritts aus der Partei wurde bereits durch das Statut von 1954 abgeschafft.

 

6. Parteiaufbau und Organisationsprinzipien

 

 

Die von Lenin entwickelten Organisationsprinzipien für eine bolschewistische Partei des zaristischen Rußlands wurden von der SED im Jahre 1948 unter der Losung von der Entwicklung zu der „Partei neuen Typus“ übernommen und sind in ihren Wesensbestandteilen bis heute gültig. Die wesentlichen Organisationsprinzipien sind:

 

a) Demokratischer Zentralismus und „innerparteiliche Demokratie“;

 

b) Verzicht auf das „Rotationsprinzip“. Nach dem Statut der KPdSU von 1961 sollte der Personalbestand des Zentralkomitees und des Präsidiums dieser Partei nach jeder ordentlichen Wahl zu einem Viertel, der der nachgeordneten Parteileitungen zu einem Drittel bzw. zur Hälfte erneuert werden. Dieses „Rotationsprinzip“ hat die SED im Hinblick auf den herrschenden Kadermangel nicht übernommen (Kader). Inzwischen hat auch die KPdSU durch eine Statutenänderung von 1966 das Rotationsprinzip wieder abgeschafft.

 

c) Erfassung der Mitglieder am Arbeitsplatz; Leitung der Parteiarbeit nach dem Produktionsprinzip. Bereits auf dem II. Parteitag im Sept. 1947 war zu erkennen, daß die SED darauf hinarbeitete, die Mitglieder am Arbeitsplatz zu erfassen. Der Parteiaufbau stellt heute eine Kombination des Produktions- mit dem Territorialprinzip dar. Die nachgeordneten Parteileitungen, also die Bezirks-, Stadt- und Kreisleitungen, haben regionalen Charakter, während die Grundeinheiten — von den weniger bedeutenden Wohngruppen abgesehen — nach Betrieben, also produktionsmäßig, organisiert sind.

 

Formell oberstes Organ ist der alle vier Jahre tagende Parteitag, der aus seiner Mitte das Zentralkomitee (ZK) wählt. Die eigentliche Führung liegt jedoch bei [S. 555]dem vom ZK formal gewählten Politbüro und beim Sekretariat des ZK. Beiden Gremien steht Ulbricht als Erster Sekretär des ZK der SED vor.

 

Nach Artikel 56 des Statuts bilden die Grundorganisationen das Fundament der Partei. Sie werden in Betrieben, staatlichen und wirtschaftlichen Verwaltungen, Institutionen und in den Apparaten der SED und der Massenorganisationen (Betriebsparteiorganisationen), an Universitäten und Hochschulen (Universitäts- bzw. Hochschulparteiorganisationen), in Dörfern und Wohngebieten (Dorf- bzw. Wohnparteiorganisationen) sowie in den Einheiten der Deutschen Volkspolizei, der Nationalen Volksarmee und in den Dienststellen der Deutschen Reichsbahn gebildet, sofern mindestens 3 Mitglieder vorhanden sind. Laut SED-Statut haben die Grundorganisationen in den VEB, MTS, VEG und LPG „das Recht der Kontrolle über die Tätigkeit der Betriebsleitungen“.

 

Als wichtigste Aufgaben der Grundorganisationen werden im Statut der SED „die politische Aufklärung und Organisationsarbeit unter den Arbeitern und werktätigen Schichten in Stadt und Land, die politische Schulung der Mitglieder und Kandidaten, der Kampf gegen alle Einflüsse der bürgerlichen Ideologie, die Mobilisierung der Massen zur Erfüllung der staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufgaben, die Anleitung der in den Massenorganisationen tätigen Genossen sowie die Mobilisierung der Werktätigen für die Erfüllung der Volkswirtschaftspläne und für die Entfaltung des sozialistischen ➝Wettbewerbs“ bezeichnet.

 

An der Spitze der Grundorganisationen steht ein 1. Sekretär, der in allen größeren Betrieben und Institutionen ein hauptamtlicher Funktionär ist. Alle größeren Grundorganisationen sind in Abteilungsparteiorganisationen (APO) und in Parteigruppen untergliedert. Die Leitung einer Grundorganisation wird für die Dauer eines Jahres gewählt. Grundorganisationen, die in APO unterteilt sind, wählen ihre Leitung für die Dauer von 2 Jahren. Im April 1967 bestanden 52.508 Grundorganisationen. Vorformen der Grundorganisationen sind die LPG-Aktivs. Sie sollen von „fortschrittlichen Genossenschaftsbauern“ in LPG gebildet werden, in denen es noch keine Mitglieder und Kandidaten der SED gibt.

 

7. Mitgliederbewegung, soziale Zusammensetzung

 

 

Mitgliederstand nach offiziellen Angaben: April 1946: 1.298.000 (davon 47 v. H. Kommunisten und 53 v. H. Sozialdemokraten); April 1950: 1.750.000; April 1954: 1.413.000; Juli 1958: 1.492.932; Dez. 1961: 1.610.679; Jan. 1963: 1.652.085. Für Dez. 1964 wird die Zahl der in der SED Organisierten mit 1.769.912 angegeben.

 

Nach den Ergebnissen der Volks- und Berufszählung von Ende 1964 war die Bevölkerungszahl auf 17,01 Mill. zurückgegangen; der Mitgliederbestand der SED hatte sich auf 1,76 Mill., sein Anteil an der Gesamtbevölkerung also auf rund 10 v. H. erhöht.

 

Der Bericht des ZK an den VI. Parteitag (1963) gibt den Anteil der Jugendlichen bis zu 25 Jahren unter den Mitgliedern und Kandidaten mit 9,8 v. H., der Bericht an den VII. Parteitag jedoch nur noch mit 8,2 v. H. an. Der Anteil der Frauen wird mit 26,5 v. H. angegeben.

 

Die offiziellen Angaben über die Sozialstruktur der Partei sind kaum brauchbar; aus ihnen geht nicht einmal hervor, ob ihnen der erlernte Beruf, der tatsächlich ausgeübte Beruf bei Parteieintritt oder der ausgeübte Beruf im Zeitpunkt der statistischen Erhebung zugrunde liegt. Da die SED bestrebt ist, einen möglichst hohen Anteil von Arbeitern unter ihren Mitgliedern auszuweisen, wird besonders die Herkunft der „Kader“ im Partei-, Staats- und Wirtschaftsapparat aus dem Arbeiterstand betont; es darf unterstellt werden, daß die tatsächliche Sozialstruktur der Partei von den offiziellen Angaben erheblich abweicht.

 

Laut Bericht des ZK an den VII. Parteitag wies die Partei am 31. Dez. 1966 folgende soziale Zusammensetzung auf:

 

 

[S. 556]

 

8. SEW

 

 

Um die These von der „besonderen politischen Einheit West-Berlin“ (Berlin) zu unterstützen, versucht die SED ihre West-Berliner Parteiorganisation als politisch und organisatorisch selbständige Organisation hinzustellen. Die formale Trennung von der Ost-Berliner Parteiorganisation der SED vollzog sich in zwei Stufen. Im Febr. 1959 wurden die West-Berliner Kreisverbände aus der damaligen SED-Bezirksleitung Groß-Berlin herausgelöst und zu einem besonderen Bezirksverband zusammengefaßt. Im Nov. 1962, nach dem Bau der Mauer, folgte der zweite Akt, indem sich die West-Berliner SED ein eigenes vorläufiges Statut gab und sich nach außen als selbständige Partei konstituierte. Auf ihrem ersten Parteitag im Mai 1966 wurde ein neues Statut beschlossen, mit dem man sich den Gegebenheiten in West-Berlin und der Entwicklung anzupassen versuchte. In diesem Statut versichert die SED, auf dem Boden der Berliner Verfassung zu stehen. Sowohl die Forderung, West-Berlin in eine „Freie Stadt“ umzuwandeln, als auch der Begriff „NATO-Stützpunkt Westberlin“ fehlen.

 

Der Grad der organisatorischen Selbständigkeit der West-Berliner SED läßt sich insbesondere an den Personalien der leitenden Funktionäre ablesen. Als erster Sekretär fungiert seit 1959 der frühere Sekretär der SED-Kreisleitung Friedrichshain, Danelius, der zusammen mit anderen Funktionären nach dem 13. Aug. 1961 nach West-Berlin umziehen mußte. Auch der zweite Sekretär, Ziegler, gehörte bis 1962 als Kandidat der SED-Bezirksleitung Groß-Berlin an. Ähnliches gilt von dem Chefredakteur des Organs der SED Westberlin „Die Wahrheit“, Hans Mahle. Mahle (richtiger Name: Ludwig Mahlmann) gehörte zur Gruppe Ulbricht.

 

Seit 1962/63 hat die Aktivität der SED Westberlin ständig zugenommen. Außer der Beteiligung an den Wahlkämpfen organisiert die Partei, gestützt auf ihre Kreisbüros, besondere Maifeiern, Ausspracheabende, Rentnerversammlungen u. dgl.

 

Die Zahl der Mitglieder wird von der Parteiführung mit 6.200 angegeben, dürfte aber die Zahl von 5.400 kaum überschreiten. Die Auflagenhöhe der „Wahrheit“ liegt zwischen 12.000 und 15.000, die Zahl der Abonnenten bei 10.000. Bei den Wahlen zum West-Berliner Abgeordnetenhaus im Jahre 1963 erhielt die SED 1,4 v. H. der abgegebenen Stimmen, im Jahre 1967 2 v. H.

 

Am 15. 2. 1969 gab sich die SED West-Berlin auf einem außerordentlichen Parteitag den Namen „Sozialistische Einheitspartei Westberlin (SEW)“.

 

Literaturangaben

  • Stern, Carola: Porträt einer bolschewistischen Partei — Entwicklung, Funktion und Situation der SED. Köln 1957, Verlag für Politik und Wirtschaft. 372 S.

 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 549–556


 

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Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.