DDR von A-Z, Band 1969

Sperrgebiet (1969)

 

 

Siehe auch die Jahre 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1975 1979


 

Durch die „VO über Maßnahmen an der Demarkationslinie zwischen der DDR und den westlichen Besatzungszonen Deutschlands“ vom 26. 5. 1952 (GBl. S. 405) und die „VO über weitere Maßnahmen zum Schutze der DDR“ vom 9. 6. 1952 (GBl. S. 451) wurde der Staatssicherheitsdienst zu Maßnahmen ermächtigt, um ein Eindringen von „Spionen, Terroristen und Diversanten“ zu verhindern. Politischer Vorwand für diese Verordnungen war die Unterzeichnung des Deutschlandvertrages am 26. 5. 1952. Die praktische Folge war die Schaffung eines S., das den 10-m-Kontrollstreifen, den 500-m-Schutzstreifen und die 5-km-Sperrzone umfaßt. Aus dem S. erfolgten im Sommer 1952 umfangreiche Zwangsevakuierungen, die eine Fluchtwelle auslösten. Ein S. entstand auch an der Ostseeküste. Nach der Errichtung der Berliner Mauer wurde ein S. ebenfalls um West-Berlin geschaffen. Der Schutzstreifen zwischen West-Berlin und dem Sowjetsektor ist nur 100 m tief. In weiterer Durchführung der Absperrungsmaßnahmen vom 13. 8. 1961 wurden entlang der Demarkationslinie doppelte und z. T. sogar dreifache Drahtverhaue errichtet und an vielen Stellen Minenfelder gelegt. Die Drahtverhaue werden durch Doppelstreifen in Begleitung von auf den Mann dressierten Hunden gesichert. Bunker, Laufgräben, Infrarotgeräte, optische und akustische Signalanlagen vervollständigen das Absperrungssystem. In verschiedenen Grenzgemeinden an der Demarkationslinie wurden wie in Berlin Mauern und Sichtblenden errichtet. So entstand z. B. eine 3–3,50 m hohe Betonmauer vor der Ortschaft Zwinge gegenüber dem niedersächsischen Kreis Duderstadt in einer Länge von etwa 500 m, eine 1 km lange und 3 m hohe Mauer in Hirschberg/Thür. gegenüber der bayerischen Gemeinde Tiefengrün (Landkreis Hof) und eine ebensolche Mauer durch die geteilte Ortschaft Mödlareuth im Landkreis Schleiz. Nach übereinstimmenden Aussagen von geflüchteten Grenzsoldaten sollen die Stacheldrahtsperren und anderen Befestigungsanlagen an der Berliner Sektorengrenze und an der Demarkationslinie bis 1970 nach und nach durch neue Anlagen ersetzt werden, für die die SED selbst den Ausdruck Moderne Grenze geprägt hat. Das Warn- und Überwachungssystem wird immer raffinierter und lückenloser ausgebaut.

 

In der Regel bietet das S. heute — von West nach Ost gesehen — folgendes Bild:

 

1. Demarkationslinie, von westlichen Behörden durch Grenzpfähle markiert; von zonaler Seite ist ein einfacher, älterer Stacheldrahtzaun errichtet.

 

2. 10-m-Kontrollstreifen ohne Bewuchs.

 

3. Etwa 30 m umgepflügtes Brachland.

 

4. 2–3 m hoher Stacheldrahtzaun zwischen Betonpfählen.

 

5. Etwa 25 m breiter Minengürtel oder, falls keine Minen ausgelegt sind, ebenso breite Sperre aus Stacheldrahtrollen.

 

6. 2–3 m hoher Stacheldrahtzaun zwischen Betonpfählen.

 

[S. 586]7. 6–10 m breiter Spurensicherungs- und Kontrollstreifen für Posten und Streifen.

 

8. Bunker mit Schießscharten.

 

9. Kolonnenweg für motorisierte Einsatzkommandos.

 

10. 1½–2 m tiefer Sperrgraben, der einen „Grenzdurchbruch“ mit Kraftfahrzeugen verhindern soll.

 

11. 500-m-Schutzstreifen mit Beobachtungstürmen, Bunkern und technischen Alarmvorrichtungen.

 

12. 5-km-Sperrzone, zu deren Betreten ein Sonderausweis erforderlich ist.

 

Beim weiteren Ausbau dieser „Modernen Grenze“ wird kaum noch verschleiert, daß alle diese Maßnahmen nicht in erster Linie zum Schutz vor westlichen „Aggressoren, Spionen und Diversanten“, sondern vielmehr gegen die eigene Bevölkerung zur Verhinderung der Republikflucht getroffen werden. Der Minister des Innern widerrief im Befehl Nr. 39/61 vom 14. 9. 1961 alle bisher erteilten Registriervermerke, die zum Betreten und Bewohnen des Schutzstreifens und der Sperrzone berechtigten. Die Genehmigung wird seitdem nur noch Personen erteilt, „die durch ihr bisheriges Verhalten die Gewähr dafür bieten, daß die Sicherheit im S. nicht gefährdet wird“. Erneute Zwangsevakuierungen aus dem S. folgten diesem Befehl.

 

Mit der „VO zum Schutze der Staatsgrenze der DDR“ vom 19. 3. 1964 (GBl. II, S. 255) und der „AO über die Ordnung in den Grenzgebieten und den Territorialgewässern der DDR (Grenzordnung)“ vom gleichen Tage (GBl. II, S. 257) wurden alle bisher geltenden Sperr- und Kontrollvorschriften zusammengefaßt. Die „Schutz- und Sicherheitsorgane“ werden verpflichtet, alle Maßnahmen zu treffen, um die „Staatsgrenze“ zu sichern und eine feste Ordnung in den bestehenden Grenzgebieten und Territorialgewässern zu gewährleisten. Nach § 5 der VO sind alle Bürger verpflichtet, „Personen, die sich unberechtigt im Grenzgebiet aufhalten oder gegen die Grenzordnung verstoßen, sofort den zuständigen Dienststellen der Grenztruppen der Nationalen Volksarmee oder der Deutschen Volkspolizei zu melden“. Eine Strafbestimmung für Nichtbeachtung dieser gesetzlich vorgeschriebenen Denunziation gibt es jedoch nicht.

 

Das Leben im S. unterliegt zahlreichen Beschränkungen. Personen, die im S. wohnen, benötigen in ihrem Personalausweis einen Registriervermerk. Wer im S. arbeitet, braucht einen Genehmigungsvermerk. Wer dorthin lediglich zu Besuch einreisen will, muß auch als Bewohner der „DDR“ einen Passierschein haben. Er hat die vorgeschriebenen Reisewege einzuhalten und unterliegt besonderen Anmeldebestimmungen. Im Schutzstreifen ist der Aufenthalt von Personen im Freien innerhalb geschlossener Ortschaften nur von 5.00 bis 23.00 Uhr, außerhalb geschlossener Ortschaften nur von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang erlaubt. Im Schutzstreifen dürfen nur die von den zuständigen Kommandeuren der Grenztruppen festgelegten Wege benutzt werden. Der unberechtigte Austausch von Nachrichten oder Gegenständen über die „Staatsgrenze“ oder die Aufnahme von Verbindungen sind verboten. Gaststätten, Kinos, Erholungsheime u.a., die sich im 500-m-Schutzstreifen befanden, wurden geschlossen. Verstöße gegen diese Bestimmungen werden mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren, Verurteilung auf ➝Bewährung, Geldstrafe oder öffentlichem Tadel bestraft. Der abgeholzte und umgepflügte Kontrollstreifen darf nicht betreten werden; es wird ohne Warnung geschossen. Nach Feststellungen der Zentralen Erfassungsstelle Salzgitter fanden vom 13. 8. 1961 bis zum 30. 4. 1968 163 Menschen bei Fluchtversuchen aus Mitteldeutschland den Tod. (Schießbefehl)

 

Literaturangaben

  • *: Die Sperrmaßnahmen der Sowjetzonenregierung an der Zonengrenze und um West-Berlin. (BMG) 1953. 147 S.

 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 585–586


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.