
Todesstrafe (1969)
Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1975 1979 1985
Mit der Notwendigkeit der weiteren Beibehaltung der T. haben sich in der Vergangenheit immer wieder Spitzenfunktionäre der Zonenjustiz und Rechtswissenschaftler beschäftigen müssen. Stets lautete die Antwort so, wie sie der verstorbene Generalstaatsanwalt Melsheimer zum Erlaß des Strafrechtsergänzungsgesetzes gegeben hatte: „Die T. ist im Interesse der gesamten friedliebenden Menschheit in der augenblicklichen Entwicklungsphase nicht zu entbehren und beweist unsere Entschlossenheit, wenn es sein muß, auch mit den schärfsten Mitteln gegen die vorzugehen, die sich zu Handlangern der Unmenschlichkeit und der Kriegspolitik herab würdigen“ („Neue Justiz“ 1958, S. 48).
Das neue Strafgesetzbuch sieht die Möglichkeit, die T. zu verhängen in 21 Fällen vor, droht sie aber nirgends mehr obligatorisch an. Gegen Jugendliche ist sie nicht zulässig. Nach § 60 StGB wird T., soweit sie gesetzlich zulässig ist, gegen Personen ausgesprochen, die besonders schwere Verbrechen begangen haben. Das StGB droht T. an bei Mord, Aggressionsverbrechen (zwei Fälle), Verbrechen gegen die ➝Menschlichkeit, Kriegsverbrechen, Hochverrat, Spionage, landesverräterischer ➝Treubruch, Terror (zwei Fälle), Diversion, Sabotage sowie bei neun Tatbeständen des Militärstrafrechts. Bei den erwähnten Staatsverbrechen kann T. nach § 110 StGB verhängt werden, „wenn das Verbrechen 1. den Frieden, die sozialistische Staats- oder Gesellschaftsordnung, die Volkswirtschaft oder die Verteidigungskraft der DDR in hohem Maße gefährdet; 2. im Verteidigungszustand begangen wird; 3. den Tod eines Menschen verursacht oder das Leben einer größeren Anzahl von Menschen gefährdet oder 4. unter Anwendung von Waffen oder unter Androhung des Gebrauchs von Waffen begangen wurde“. Dabei wird betont, daß diese Kriterien nicht vollständig sind: „Es können darüber hinaus durchaus andere Gesichtspunkte auftreten, die einen Fall als einen besonders schweren im Sinne dieser Bestimmung qualifizieren“ („Neue Justiz“ 1967, S. 274). T. ist bei diesen Staatsverbrechen auch dann möglich, wenn sich die Tat gegen ein anderes sozialistisches Land richtet (§ 108 StGB).
Vor Inkrafttreten der neuen Strafprozeßordnung mußten Todesurteile nach Eintritt der Rechtskraft dem Vorsitzenden des Staatsrates zur Entschließung vorgelegt werden, ob er von seinem Gnadenrecht Gebrauch machen wollte. In diesen Fällen wurde in der Regel eine Stellungnahme des Politbüros der SED herbeigeführt. In der Mehrzahl der Fälle erfolgte keine Begnadigung; die Todesurteile wurden durch Enthauptung vollstreckt. Nunmehr bestimmt § 348 StPO, daß die Vollstreckung eines Todesurteils nicht zulässig ist, solange über ein Gnadengesuch für den Verurteilten nicht entschieden ist. Daraus geht nicht einwandfrei hervor, ob es auch in Zukunft — unabhängig von einem gestellten Gnadengesuch — bei der Vorlage an den Vorsitzenden des Staatsrates in jedem Einzelfall verbleibt oder nicht. An Frauen, die zur Zeit der Tat, der Verurteilung oder des für die Vollstreckung bestimmten Zeitpunktes schwanger sind, wird die T. auch nach der Entbindung nicht vollstreckt, und auch an Geisteskranken darf T. nicht vollstreckt werden. Der Vollzug der T. erfolgt seit dem 1. 7. 1968 durch Erschießen (§ 60 StGB).
Nach westlichen Beobachtungen, die nicht vollständig sein können, wurden durch die Gerichte der „DDR“ von 1949 bis Ende 1967 194 Todesurteile verhängt, davon 75 Todesurteile wegen Handlungen in der NS-Zeit (Kriegsverbrecherprozesse) und 69 Todesurteile wegen Staatsverbrechen. Die Sowjetischen Militärtribunale (SMT) verhängten die T. nach dem in der SU geltenden Strafrecht. Vom 26. 5. 1947 bis 12. 1. 1946 war die T. in der SU abgeschafft. In dieser Zeit durften auch die SMT die T. nicht verhängen. Die Zonengerichte waren dadurch an der Verhängung der T. jedoch nicht gehindert. Nach ebenfalls nicht vollständigen westlichen Zählungen wurden in der Zeit von 1945 bis 1954 536 T. durch die SMT gefällt, von denen aber der größte Teil nicht vollstreckt wurde.
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 653