DDR von A-Z, Band 1969

 

Verfassung (1969)

 

 

Siehe auch:

 

1. Verfassungsentwicklung

 

 

Zur Konstituierung der „DDR“ setzte der aus dem Dritten Deutschen Volkskongreß hervorgegangene „Deutsche Volksrat“, der sich zur „Provisorischen Volkskammer“ erklärt hatte, am 7. 10. 1949 eine V. für den Bereich der sowjetisch besetzten Zone in Kraft. Der Dritte Deutsche Volkskongreß war zusammengesetzt worden, indem am 15./16. Mai 1949 den wahlberechtigten Bürgern eine Einheitsliste vorgelegt worden ist, zu der mit „Ja“ oder „Nein“ Stellung genommen werden konnte. Auf der Liste waren nur Kandidaten verzeichnet, die von der SED gebilligt waren. Bei der Auszählung wurden Wahlfälschungen begangen. Das Ergebnis lautete: Wahlbeteiligung 92,5 v. H., Ja-Stimmen 66,1 v. H.

 

Die V. von 1949 ging auf einen Entwurf der SED aus dem Jahre 1947 zurück, der bis zu seiner Annahme auf Anregung der anderen Blockparteien modifiziert worden war, so daß sie Kompromißcharakter erhielt.

 

Aus dem Text der V. von 1949 ergeben sich die Strukturelemente und -prinzipien eines parlamentarisch-demokratischen Systems mit föderalistischen und rechtsstaatlichen Zügen. Sie enthielt den Grundsatz der Volkssouveränität und einen Grundrechtskatalog, innerhalb dessen freilich die Grundrechte vielfach mit Grundpflichten gekoppelt waren. Die V. kannte einen Zentralstaat und Länder. Zum [S. 668]höchsten Organ war die Volkskammer erklärt. An der Gesetzgebung war auch die Länderkammer als Vertretung der Länder schwach beteiligt. Die Regierung, deren Ministerpräsident von der stärksten Fraktion zu benennen war, mußte unter Beteiligung aller Fraktionen der Volkskammer gebildet werden, jedoch konnte sich eine Fraktion, wenn sie es wollte, dem Wortlaut der V. nach von der Regierungsbildung ausschließen. Die Regierung insgesamt und jedes Regierungsmitglied war vom Vertrauen der Volkskammer abhängig. Staatsoberhaupt war der Präsident der Republik. Die Unabhängigkeit der Richter wurde ebenso garantiert, wie die Selbstverwaltung der Gemeinden gewährleistet wurde.

 

Freilich bekannte sich die V. zum Prinzip der Gewaltenkonzentration und kannte keine V.-Gerichtsbarkeit. Die sozialen Grundrechte waren ausgebaut, die Wirtschaftsordnung war verfassungsrechtlich auf eine Wirtschaftsplanung ausgerichtet. Das Privateigentum war zwar garantiert, und die Privatinitiative sollte gefördert werden. Indessen wurden durch die V. die Ergebnisse der Bodenreform und der Industriereform von 1945 bis 1948 ausdrücklich bestätigt und das Volkseigentum besonders geschützt.

 

Die V. von 1949 wurde als Ausdruck der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung angesehen, der bald die „sozialistische Umwälzung“ folgen sollte (Präambel der V. von 1968).

 

Die „sozialistische Umwälzung“ vollzog sich außerhalb und zum Teil gegen die V. Mit der Bodenreform und der Industriereform war sie schon während der antifaschistischen Etappe eingeleitet worden. Gefördert wurde diese Entwicklung durch die sowjetische Besatzungsmacht und dadurch, daß die SED unter deren Schutz ihre „führende Rolle“ immer stärker ausbauen konnte.

 

Nur dreimal wurde die V. von 1949 ergänzt oder geändert. 1955 wurde sie um Vorschriften über den Wehrdienst erweitert, 1958 wurde die Länderkammer abgeschafft, 1960 wurde der Staatsrat geschaffen, während gleichzeitig das Amt des Präsidenten der Republik beseitigt wurde. Im übrigen vollzog sich die Entwicklung zunächst außerhalb der Gesetze. Mit der Verwaltungsneugliederung durch das Demokratisierungsgesetz von 1952 wurde indessen eine Entwicklung eingeleitet, durch die die V.-Urkunde mehr und mehr durch andere gesetzliche Bestimmungen verdrängt wurde und so eine neue materielle Rechts-V. entstand, die bereits die Strukturelemente und -prinzipien des sozialistischen Staates aufwies.

 

Auf dem VII. Parteitag der SED im April 1967 erklärte Ulbricht, seit einiger Zeit sei sichtbar, daß „die gegenwärtige V. der DDR offenbar nicht mehr den Verhältnissen der sozialistischen Ordnung und dem gegenwärtigen Stand der historischen Entwicklung“ entspreche („Neues Deutschland“ v. 18. 4. 1967).

 

Am 1. 12. 1967 beschloß die Volkskammer unter dem Vorsitz von Ulbricht, eine V.-Kommission einzusetzen. Diese legte der Volkskammer am 31. 1. 1968 den Entwurf einer „sozialistischen V. der Deutschen Demokratischen Republik“ vor. Dieser Entwurf wurde einer „Volksaussprache“ unterbreitet, innerhalb derer Großveranstaltungen, Bürgervertreterkonferenzen und andere Aussprachen stattfanden. Die V.-Kommission überarbeitete den Entwurf der V. und nahm 118 Änderungen, die die Präambel und 55 Artikel betrafen, vor.

 

Am 26. 3. 1968 wurde der überarbeitete Entwurf der Volkskammer vorgelegt, die ihn bestätigte und ihn einem Volksentscheid aufgrund eines am gleichen Tage erlassenen Gesetzes zur Durchführung eines Volksentscheides über die V. der Deutschen Demokratischen Republik (GBl. I, S. 192) unterbreitete.

 

Der Volksentscheid fand bereits 11 Tage später, am 6. April 1968, statt. Die Vorbereitungen wurden unter Einsatz aller Macht- und Propagandamittel des Herrschaftssystems geführt. Am 8. April wurde das Gesamtergebnis bekanntgegeben. Danach stimmten von 12.208.986 Stimmberechtigten mit „Ja“ 11.536.803, das sind 94,49 v. H., und 409.733 mit „Nein“. Die Zahl der ungültigen Stimmen betrug 24.535. Die Voraussetzungen des Art. 83 der V. von 1949 und des § 10 des Gesetzes zur Durchführung eines Volksentscheides vom 26. 3. 1968, wonach der vorgelegte Entwurf angenommen ist, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten zustimmt, waren damit formal erfüllt. Am 8. 4. 1968 verkündete der Vorsitzende des Staatsrates gemäß § 10 des Gesetzes vom 26. 3. 1968 die neue V. (GBl. I, S. 199). Sie trat gemäß § 10 a.a.O. nach Ablauf des Tages ihrer Verkündung, also am 9. 4. 1968, in Kraft.

 

[S. 669]

 

2. Die Grundlagen der sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung

 

 

a) Das Selbstverständnis der „DDR“

 

 

Das Selbstverständnis der „DDR“ wird in Art. 1, Abs. 1, Satz 1 der V. erläutert. Darin wird die „DDR“ als sozialistischer Staat deutscher Nation bezeichnet. Damit soll die Eigenstaatlichkeit der „DDR“ hervorgehoben werden, ohne daß jedoch die Existenz einer deutschen Nation, die nicht nur die „DDR“ umfaßt, geleugnet wird.

 

b) Die Strukturelemente und -prinzipien der Verfassung

 

 

Die V. von 1968 transformiert im Abschnitt I das im Zuge der V.-Entwicklung entstandene materielle V.-Recht in formelles V.-Recht. Die politischen Grundlagen sind die Strukturelemente und -prinzipien des sozialistischen Staates (Staatslehre). Die „führende Rolle“ der marxistisch-leninistischen Partei als Vortrupp der Arbeiterklasse (Suprematie der SED) kommt in Art. 1, Abs. 1, Satz 2 zum Ausdruck, wonach die „DDR“ die politische Organisation der Werktätigen in Stadt und Land sei, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirkliche (Volksstaat). Das Prinzip der Volkssouveränität wird infolgedessen in Art. 2, Abs. 1, Satz 1 so formuliert, daß alle politische Macht in der „DDR“ von den Werktätigen ausgeübt werde.

 

Art. 2, Abs. 2 bezeichnet das feste Bündnis der Arbeiterklasse mit der Klasse der Genossenschaftsbauern, den Angehörigen der Intelligenz und den anderen Schichten des Volkes als eine der unantastbaren Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsordnung.

 

Nach Art. 3 findet das Bündnis aller Kräfte des Volkes in der Nationalen Front des demokratischen Deutschland, in der die Parteien und Massenorganisationen alle Kräfte des Volkes zum gemeinsamen Handeln für die sozialistische Gesellschaft vereinigten, seinen organisierten Ausdruck. Wie die SED ihre „führende Rolle“ gegenüber den Staatsorganen und den Organen der Gesellschaft ausübt, schreibt ihr Parteistatut vor. Dieses ergänzt somit die V. von 1968 und ist insoweit ein Bestandteil des materiellen V.-Rechts der „DDR“. Die Führungsrolle der SED hat die Ausübung politischer Macht, also von Herrschaft, zum Inhalt. Ihre verfassungsrechtliche Verankerung bedeutet, daß dieser Partei die Ausübung der Herrschaft in Monopolstellung aufgrund der V. übertragen ist.

 

Als weitere unantastbare Grundlage der sozialistischen Gesellschaftsordnung bezeichnet Art. 2, Abs. 2 das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln. Auf diesem beruht nach Art. 9, Abs. 1 die Volkswirtschaft der „DDR“ (Wirtschaft). Diese entwickle sich „gemäß den ökonomischen Gesetzen des Sozialismus auf der Grundlage der sozialistischen Produktionsverhältnisse“ und habe der Stärkung der sozialistischen Ordnung, der ständig besseren Befriedigung der materiellen und kulturellen Bedürfnisse der Bürger, der Entfaltung ihrer Persönlichkeit und ihrer sozialistischen Beziehungen zu dienen. Die V. definiert in den Art. 10 bis 16 den Begriff des sozialistischen Eigentums und des persönlichen Eigentums der Bürger, beschreibt, was zum sozialistischen Eigentum gehört, ordnet die Nutzung und den Betrieb privater Wirtschaftsunternehmen und Einrichtungen zu Erwerbszwecken in das ökonomische System des Sozialismus ein, erklärt den Boden zu einem der kostbarsten Naturreichtümer und verfügt, daß Enteignungen nur für gemeinnützige Zwecke auf gesetzlicher Grundlage und gegen angemessene Entschädigung erfolgen dürften.

 

Als dritte unantastbare Grundlage bezeichnet Art. 2, Abs. 2 die Planung und Leitung der gesellschaftlichen Entwicklung nach den fortgeschrittensten Erkenntnissen der Wissenschaft. Sie steht unter der Führung der marxistisch-leninistischen Partei (der SED) (Art. 1) und gründet sich auf die sozialistischen Produktionsverhältnisse, insbesondere also auf das sozialistische Eigentum an den Produktionsmitteln (Art. 9, Abs. 1).

 

Art. 9, Abs. 3 legt fest, daß in der „DDR“ die Grundsätze der Planung und Leitung der Volkswirtschaft sowie aller anderen gesellschaftlichen Bereiche gelten. Die Planung und Leitung bezieht sich also nicht nur auf den wirtschaftlichen Bereich, sondern auf alle Lebensbereiche. Die Volkswirtschaft soll sozialistische Planwirtschaft sein (Planung).

 

Die Festlegung des Währungs- und Finanzsystems (Finanzsystem, Währung) wird zur Sache des sozialistischen Staates erklärt. Abgaben und Steuern dürfen [S. 670]nur auf der Grundlage von Gesetzen erhoben werden (Art. 9, Abs. 4). Die Außenwirtschaft einschließlich des Außenhandels und der Valutawirtschaft werden zum staatlichen Monopol erklärt (Art. 9, Abs. 5).

 

Das Prinzip der Gewaltenkonzentration drückt sich in Art. 5 aus, wonach die Bürger der „DDR“, die in Art. 2 als „Werktätige“ bezeichnet werden, ihre politische Macht durch demokratisch gewählte Volksvertretungen (Wahlen) ausüben. Die Volksvertretungen werden als die Grundlage des Systems der Staatsorgane bezeichnet. Der politischen Macht werden Grenzen nicht gesetzt. Art. 4 erklärt indessen, welchem Zweck sie dienen soll: dem Wohle des Volkes, der Sicherung seines friedlichen Lebens, dem Schutz der sozialistischen Gesellschaft, der Gewährleistung der planmäßigen Steigerung des Lebensstandards, der freien Entwicklung des Menschen, der Wahrung seiner Würde und der Garantie der in der V. verbürgten Rechte (sozialistische ➝Grundrechte).

 

Das Prinzip des demokratischen Zentralismus wird in Art. 47, Abs. 2 als die Grundlage bezeichnet, auf der sich die „Souveränität des werktätigen Volkes“ verwirkliche. Es wird als tragendes Prinzip des Staatsaufbaus bezeichnet.

 

Art. 17 bezeichnet Wissenschaft und Forschung sowie die Anwendung ihrer Erkenntnisse als wesentliche Grundlagen der sozialistischen Gesellschaft und verspricht ihre Förderung durch den Staat. Er befaßt sich weiter mit dem einheitlichen sozialistischen Bildungssystem (Erziehungs- und Bildungswesen). Jeder gegen den Frieden, die Völkerverständigung, gegen das Leben und die Würde des Menschen gerichtete Mißbrauch der Wissenschaft wird verboten (Art. 17, Abs. 4), wobei entsprechend der Struktur der V. die Inhaber der politischen Macht darüber zu entscheiden haben, was Mißbrauch der Wissenschaft ist.

 

c) Außenpolitische Maximen

 

 

Art. 6, Abs. 1 enthält außenpolitische Maximen. Ihm zufolge hat die „DDR getreu den Interessen des deutschen Volkes und der internationalen Verpflichtung aller Deutschen auf ihrem Gebiet den deutschen Militarismus und Nazismus ausgerottet und betreibt eine dem Frieden und dem Sozialismus, der Völkerverständigung und der Sicherheit dienende Außenpolitik“.

 

Das Verhältnis zur SU und den anderen sozialistischen Staaten legt Art. 6, Abs. 2 fest. Die „DDR“ pflegt und entwickelt danach „entsprechend den Prinzipien des sozialistischen Internationalismus die allseitige Zusammenarbeit und Freundschaft mit der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken und den anderen sozialistischen Staaten“.

 

Dazu legt ergänzend Art. 7, Abs. 2, Satz 3 fest, daß die Nationale Volksarmee im Interesse der Wahrung des Friedens und der Sicherung des sozialistischen Staates enge Waffenbrüderschaft mit den Armeen der SU und anderer sozialistischer Staaten pflegt. Waffenbrüderschaft ist also nicht mit allen anderen sozialistischen Staaten zu pflegen, was sich aus der Weglassung des Artikels „den“ an dieser Stelle ergibt. Die Verfassung der „DDR“ betont die enge Verbindung mit der Sowjetunion und anderen sozialistischen Staaten stärker als die Verfassung anderer sozialistischer Staaten und spiegelt so die starke Abhängigkeit der „DDR“ von der UdSSR wider.

 

Art. 6 legt weiter fest, daß die „DDR“ die Bestrebungen der Völker nach Freiheit und Unabhängigkeit zu unterstützen und auf der Grundlage der Gleichberechtigung und gegenseitigen Achtung, die Zusammenarbeit mit allen Staaten zu pflegen habe. Sie soll ein System der kollektiven Sicherung in Europa und eine stabile Friedensordnung in der Welt erstreben sowie sich für die allgemeine Abrüstung einsetzen.

 

In diesem Zusammenhang wird in Art. 6, Abs. 5 bestimmt, daß militärische und revanchistische Propaganda in jeder Form, Kriegshetze und Bekundung von Glaubens-, Rassen- und Völkerhaß als Verbrechen geahndet werden,

 

d) Staatsgebiet und Landesverteidigung

 

 

Nach Art. 7, Abs. 1, Satz 2 haben die Staatsorgane die Unantastbarkeit des Staatsgebietes einschließlich des Luftraumes und der Territorialgewässer sowie den Schutz des Festlandsockels zu gewährleisten.

 

Art. 7, Abs. 2, Satz 1 bestimmt, daß die „DDR“ die Landesverteidigung sowie den Schutz der sozialistischen Ordnung und des friedlichen Lebens der Bürger organisiert. Der nächste Satz legt als Aufgabe der Nationalen Volksarmee und der anderen Organe der Landesverteidigung den Schutz der „sozialistischen Errungenschaften [S. 671]des Volkes“ gegen alle Angriffe von außen fest. Es folgt der bereits erwähnte Satz über die Waffenbrüderschaft mit der SU und anderen sozialistischen Staaten.

 

e) Völkerrecht

 

 

Nach Art. 8 sind die allgemein anerkannten, dem Frieden und der friedlichen Zusammenarbeit der Völker dienenden Regeln des Völkerrechts für die Staatsmacht und jeden Bürger verbindlich. In diesem Zusammenhang wird versprochen: „Die Deutsche Demokratische Republik wird niemals einen Eroberungskrieg unternehmen oder ihre Streitkräfte gegen die Freiheit eines anderen Volkes einsetzen.“

 

f) Einheit Deutschlands

 

 

Das Verhältnis zur BRD wird in Art. 8, Abs. 2 festgelegt. Danach sollen die Herstellung und Pflege normaler Beziehungen und die Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten auf der Grundlage der Gleichberechtigung ein nationales Anliegen der „DDR“ sein. Ferner wird gesagt, daß die „DDR“ und ihre Bürger die „Überwindung der vom Imperialismus der deutschen Nation aufgezwungenen Spaltung Deutschlands, die schrittweise Annäherung der beiden deutschen Staaten bis zu ihrer Vereinigung auf der Grundlage der Demokratie und des Sozialismus“ erstreben. Auf der Grundlage der Zweistaatentheorie wird also eine Vereinigung der „beiden deutschen Staaten“ erstrebt, jedoch nur auf der Grundlage von Demokratie und Sozialismus, d.h. unter der Voraussetzung, daß die BRD ihr politisches, gesellschaftliches und ökonomisches System ändert (Teilung Deutschlands und Wiedervereinigungspolitik).

 

g) Hauptstadt, Staatsflagge, Staatswappen

 

 

Art. 1, Abs. 2 legt als Hauptstadt der „DDR“ Berlin fest und wiederholt damit dem Sinne nach Art. 2, Abs. 2 der V. von 1949 (Berlin). Ferner legt Art. 1, Abs. 3 und 4 die Staatsflagge (Flagge) und das Staatswappen (Wappen) fest.

 

3. Bürger und Gemeinschaften in der sozialistischen Gesellschaft

 

 

Im Abschnitt II der V. werden die Grundrechte und Grundpflichten der Bürger (sozialistische ➝Grundrechte) sowie die Stellung der Betriebe (Betriebsverfassung), Städte und Gemeinden, des FDGB und der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) festgelegt.

 

4. Aufbau und System der staatlichen Leitung

 

 

Abschnitt III der V. beschreibt Aufbau und System der staatlichen Leitung, dessen tragendes Prinzip die „Souveränität des werktätigen Volkes“ auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus ist. Er legt die Stellung, die Aufgaben und Kompetenzen von Volkskammer, Staatsrat, Ministerrat sowie der örtlichen Volksvertretungen und ihrer Organe (Bezirk, Gemeinde, Kreis) fest (Gesetzgebung).

 

Art. 5, Abs. 3 bestimmt, daß zu keiner Zeit und unter keinen Umständen andere als die verfassungsmäßig vorgesehenen Organe staatliche Macht ausüben dürfen. Die Ausübung der staatlichen Macht liegt also allein bei den genannten Staatsorganen. Von der staatlichen Macht ist die politische Macht zu unterscheiden, als deren Träger im Abschnitt I das werktätige Volk unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei im Bündnis mit den anderen Klassen und Schichten des Volkes festgelegt ist. Träger der politischen Macht ist die SED. Als politische Führungskraft bestimmt sie, wie die staatliche Macht ausgeübt wird. Das geschieht auf einem doppelten Wege, wie das Schaubild auf S. 672 zeigt. Als führende Kraft der in der Nationalen Front organisierten Bevölkerung okkupiert die SED die Volkskammer und die örtlichen Volksvertretungen mittels der Wahlen, zwar nicht in dem Sinne, daß alle Mitglieder der Volksvertretungen auch Mitglieder der SED sind, jedoch so, daß diese, soweit sie nicht SED-Mitglieder sind, deren Parteigänger sind. So kann die SED auch den Staatsrat, den Ministerrat, die örtlichen Räte sowie die Rechtssprechungsorgane vom Obersten Gericht an abwärts (Gerichtsverfassung, Rechtswesen) in den Griff nehmen, indem sie diese Organe mit Parteimitgliedern oder ihr genehmen Personen besetzt. Alle Inhaber von Funktionen in den Staatsorganen sind der SED verpflichtet, die damit auch unmittelbar auf diese einwirken kann.

 

 

Den ersten Weg verdeutlichen im Schaubild die Pfeile, die von der SED über die organisierte Gesellschaft zu den Volksvertretungen und dann zu den anderen [S. 673]Staatsorganen verlaufen. Den zweiten Weg verdeutlichen die Pfeile, die von der SED zu den anderen Staatsorganen einschließlich der Gerichte unmittelbar führen. In der Wirklichkeit ist der zweite Weg wegen seiner Kürze der wichtigere.

 

5. Sozialistische Gesetzlichkeit und Rechtspflege

 

 

Abschnitt IV der V. gibt zunächst einige Grundsätze zur sozialistischen Gesetzlichkeit in Art. 86 und 87. Nach Art. 88 soll die Verantwortlichkeit aller leitenden Mitarbeiter in Staat und Wirtschaft gegenüber den Bürgern durch ein System der Rechenschaftspflicht gewährleistet sein (Rechenschaftslegung).

 

Art. 89 legt fest, daß die Gesetze und anderen allgemeinverbindlichen Rechtsvorschriften im Gesetzblatt und anderweitig veröffentlicht werden müssen. Rechtsvorschriften der örtlichen Volksvertretungen sollen in „geeigneter Form“ veröffentlicht werden.

 

Art. 90 bis 102 befassen sich mit dem Rechtswesen (Gerichtsverfassung, Richter, Staatsanwaltschaft).

 

Art. 103 bis 105 regeln das Eingaben- und Beschwerdewesen (Eingaben).

 

Art. 106 legt die Staatshaftung für Schäden, die einem Bürger oder seinem persönlichen Eigentum durch gesetzliche Maßnahmen von Mitarbeitern der Staatsorgane zugefügt werden, fest.

 

6. Schlußbestimmungen

 

 

Nach Art. 107 ist die V. unmittelbar geltendes Recht.

 

Nach Art. 108 kann die V. nur durch Gesetz der Volkskammer geändert werden, das den Wortlaut der V. ausdrücklich ändert oder ergänzt. Diese Bestimmung läßt erwarten, daß künftig das V.-Recht übersichtlicher ist, als es zur Zeit der Geltung der formellen V. von 1949 war.

 

Verfassungsändernde Gesetze bedürfen nach Art. 63, Abs. 2, Satz 2 einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der gewählten Abgeordneten.

 

Literaturangaben

  • Weber, Werner: Die Frage der gesamtdeutschen Verfassung. München 1950, C. H. Beck. 28 S.
  • Die Wahlen in der Sowjetzone, Dokumente und Materialien. 6., erw. Aufl. (BMG) 1964. 216 S.
  • Drath, Martin: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. 4., erw. Aufl. (BMG) 1956. 91 S.
  • Mampel, Siegfried: Die Verfassung der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Text u. Kommentar. 2., neubearb. u. erg. Aufl., Frankfurt a. M. 1966, Alfred Metzner. 516 S.

 

Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 667–673


 

Vereinigung Volkseigener Warenhäuser (VVW) „Centrum“ A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, Z Verfehlungen

 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.