VVB (1969)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1975
VVB ist die Abkürzung für Vereinigungen Volkseigener Betriebe, die den volkseigenen Betrieben übergeordneten wirtschaftlichen Leitungsorgane, deren Funktion und Organisationsstruktur sich mehrfach geändert haben.
1. Entwicklung der VVB
Von 1948 bis 1951 waren Leitung und Kontrolle der verstaatlichten Betriebe Aufgabe der VVB. Es gab damals ca. 75 VVB unterschiedlicher Fachbereiche, denen jeweils eine größere Anzahl von juristisch und finanziell abhängigen Betrieben unterstellt war. Die VVB stellte aus den Teilbilanzen der einzelnen VEB eine Gesamtbilanz zusammen, in der Gewinne bzw. Verluste gegeneinander aufgerechnet werden konnten.
Anfang 1952 wurden im Rahmen der ersten größeren Reorganisation die VEB selbständig wirtschaftende Einheiten. Die VVB wurden in „Verwaltungen Volkseigener Betriebe“ umbenannt. Sie verloren ihre direkten Leitungs- und Kontrollbefugnisse und galten nur noch als Anleitungs- und Aufsichtsorgane der zugeordneten, fachlich übereinstimmenden Betriebe; die Weisungen der Hauptverwaltungen der zuständigen Industrieministerien waren für ihre Tätigkeit bindend.
Mit der Reform des Jahres 1958, deren Hauptmerkmal die Konzentration der [S. 691]Planungs- und Leitungsbefugnisse bei der Staatlichen Plankommission war, wurden die Verwaltungen Volkseigener Betriebe wieder in Vereinigungen Volkseigener Betriebe umbenannt und den Fachabteilungen der Staatlichen Plankommission unterstellt. Im Unterschied zu den VVB vom Jahr 1948 waren sie nun keine direkt wirtschaftenden Organe mehr, sondern wurden zu zentralen Staatsorganen. Sie übernahmen die Aufgaben der aufgelösten Industrieministerien, d.h. die operative und produktionsnahe Anleitung der unterstellten „volkseigenen“ Industriebetriebe.
1959 wurden die VVB dem neugebildeten Volkswirtschaftsrat unterstellt; sie leiteten die zentralgeleitete Industrie an, doch waren bereits Ansätze zur Zusammenarbeit mit der örtlichen Industrie vorhanden. An dieser Form der VVB wurde kritisiert, sie arbeiteten zu sehr „administrativ“ und zu wenig „ökonomisch“, und ihre bürokratische Struktur stehe einer Anpassung an die wachsenden Bedürfnisse der Volkswirtschaft häufig entgegen.
Im Zuge der Einführung des Neuen ökonomischen Systems (1963) wurden die VVB in „ökonomische Führungsorgane“ ihres Industriezweiges umgewandelt. Neben den ihnen unterstellten zentralgeleiteten volkseigenen und gleichgestellten Betrieben wurden auch private und halbstaatliche Betriebe durch Zuordnung in den Leitungsbereich der VVB einbezogen.
2. Gegenwärtige Funktionen der VVB
Die neue Rolle der VVB soll darin bestehen, eine engere Verbindung der gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen mit den realen Produktionsmöglichkeiten herzustellen. Im einzelnen bedeutet dies: a) Planung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung des Industriezweiges unter Berücksichtigung des Standes der Technik in den fortgeschrittensten Industrieländern der Welt; b) Einordnung der eigenen zweigspezifischen Prognose in die gesamtvolkswirtschaftliche Konzeption von den „führenden Wirtschaftszweigen“ und der vorrangigen Förderung der wissenschaftlich-technischen Entwicklung wichtiger Erzeugnisgruppen und der Haupterzeugnisse; c) Planung und Koordinierung des Einsatzes der technischen und ökonomischen Intelligenz im Industriezweig, Organisation der Aus- und Weiterbildung der technisch-ökonomischen Kader; d) Planung und Leitung der Fertigungstechnik; e) Kontrolle der Tätigkeit der zugeordneten Betriebe, wobei sie u.a. von der Industrie- und Handelsbank der DDR und der staatlichen Finanzrevision unterstützt wird; f) Erarbeitung bilanzierter und abgestimmter Planvorschläge entsprechend dem innen- und außenwirtschaftlichen Bedarf bei gleichzeitiger Sicherung der gemeinsamen Richtlinien für den Absatz der Produkte sowohl auf dem inländischen als auch auf dem Weltmarkt; g) Sicherung der allseitigen Planerfüllung des Industriezweiges; h) Erarbeitung von Konzeptionen auf der Grundlage der Rationalisierungsprogramme für die Wettbewerbe, die sozialistische Gemeinschaftsarbeit, das Neuererwesen; i) einheitliche Behandlung der Probleme der Berufslenkung und -qualifizierung, Entlohnung und sozialen Betreuung innerhalb des Zweiges.
3. Finanzen der VVB
Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben sollen die VVB nach den Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung arbeiten. Als neuartige Produktionsverbände, auch zeitweilig „sozialistische Konzerne“ genannt, führen die VVB die materielle Produktion nicht unmittelbar durch. Finanziell sind sie das Zwischenglied zwischen dem Staatshaushalt und den einzelnen unterstellten Betrieben. In der ersten Etappe des NÖS mußten die VEB ihre Nettogewinne an die VVB abführen, die sie ihrerseits an den Volkswirtschaftsrat Weitergaben, der über die Umverteilung dieser Mittel entschied.
Das Inkrafttreten der „VO über die Vorbereitung und Durchführung der Investitionen“ am 1. 1. 1965 leitete eine neue Phase ein. Die Akzente wurden auf das Prinzip der „Eigenerwirtschaftung“ verlagert, was eine weitere Verselbständigung der VVB gegenüber dem zentralen Leitungsapparat zur Folge hatte. Die von der VVB erwirtschafteten Gewinnanteile wurden nicht mehr von den Industrieabteilungen des Volkswirtschaftsrates bzw. seit 1966 von den Industrieministerien auf die einzelnen VVB umverteilt, sondern verblieben bei der VVB, die sie auf die ihr unterstellten [S. 692]VEB aufschlüsselte. Dies brachte eine stärkere Abhängigkeit der VEB gegenüber der VVB mit sich. Die VVB entschied über die auf die VEB entfallenden Anteile an den erwirtschafteten Gewinnen und Amortisationen, über die obere Grenze bei der Inanspruchnahme eines Investitionskredits durch den Einzelbetrieb. Mit der weiteren Anwendung des Prinzips der Eigenerwirtschaftung wurde die finanzielle Selbständigkeit der VEB gegenüber der VVB wieder erweitert. Die Möglichkeiten der VVB wurden eingeschränkt, mit dem Gewinn eines VEB den Verlust eines anderen Betriebes zu decken. Bereits 1968 konnten die VEB über einen bestimmten Teil der eigenerwirtschafteten Überplangewinne frei verfügen. Ganz im Zeichen der Verlagerung der Verantwortung bei der Reproduktion an Einzelbetriebe stehen die für das Jahr 1969 getroffenen neuen ökonomischen Regelungen. Eine Differenzierung der Abgabennormative sowie deren Festlegung auf längere Perioden sollen u.a. den gut wirtschaftenden, VEB eine Vermehrung ihrer eigenen finanziellen Mittel ermöglichen.
4. Instrumente der VVB
Um ihrer Verantwortung für die Führung ihres Industriezweiges gerecht werden zu können, wurden die VVB mit einer Reihe finanzieller Fonds ausgestattet. Obwohl die Bedeutung dieser VVB-Fonds geringer geworden ist, sind sie weiterhin vor allem deshalb von volkswirtschaftlicher Relevanz, weil sie die Finanzierungsgrundlage für die Entwicklungs- und zugleich Schwerpunktprojekte des Industriezweiges bilden. Die sachlichen und personellen Verwaltungskosten der VVB-Zentrale werden aus der VVB-Umlage gedeckt, die die einzelnen unterstellten VEB an die VVB monatlich abführen müssen. Neben den Amortisationsverwendungsfonds, Umlaufmittelverwendungsfonds, Kreditreservefonds und Außenwirtschaftsfonds verfügt die VVB über folgende Fonds:
a) Gewinnverwendungsfonds, der aus der Gewinnabführung der einzelnen Betriebe und aus den Zuschüssen des Staatshaushaltes besteht. Der Gewinnverwendungsfonds wurde als Preis- und Verluststützung für die VEB gedacht, er dient der Deckung von Investitionen (auch Projektierung) der Betriebe und der VVB-Zentrale, notfalls wird er zur Aufstockung der eigenen Umlaufmittel der Betriebe verwendet und zum Teil an den Staatshaushalt abgeführt. Bei Überplangewinn erweitert sich der Verwendungszweck.
b) Fonds Technik bringt die neuartigen innerzweiglichen ökonomischen Beziehungen zwischen der VVB und ihren Betrieben zum Ausdruck. Unabhängig vom Staatshaushalt wird der Fonds Technik aus Beiträgen gebildet, die nach vorherigem, planmäßig berechnetem Finanzbedarf als Selbstkostenanteile aus den eigenerwirtschafteten Mitteln durch die Zweigbetriebe an die VVB abgeführt werden müssen. Zweck dieses Fonds ist die Hebung des Produktionsniveaus unter Berücksichtigung der Eigenverantwortung der Betriebe, wie sie im Plan Neue Technik festgelegt ist. Aus dem Fonds Technik werden in dem gesamten Industriezweig die Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen (wirtschaftlich-technische Forschung, Investitionen), Ausgaben für Standardisierungsarbeiten, Anlaufkosten und die Ausgaben für Lizenzen gedeckt.
c) Der Verfügungsfonds ist ein Geld-Sonderfonds der VVB, über den der Generaldirektor verfügt. Dieser Fonds geht „in bestätigter Höhe“ und unverbunden mit der Planerfüllung zu Lasten der betrieblichen Selbstkosten. Obwohl die Größenordnung nicht belegt werden kann, liegt eine unterschiedliche Handhabung in der Bildung des Verfügungsfonds sehr nahe. Es steht jedoch fest, daß er Bestandteil der VVB-Umlage ist und in erster Linie dazu dient, die Werkleiter, Leiter von sozialistischen Arbeitskollektiven, die Kollektive selbst und auch Einzelpersonen für hervorragende Leistungen bei der Ausführung volkswirtschaftlich wichtiger Plan- und Forschungsvorhaben im Zweigbereich materiell zu belohnen.
d) Die Prämien-, Kultur- und Sozialfonds wurden zu dem Zweck der Erhöhung der materiellen Interessiertheit der Werktätigen an der optimalen Erfüllung des Produktionsplanes (Planmäßigkeit, Rentabilität, Qualität zusammen mit Quantität) gebildet. Die Prämiierungen erfolgen jährlich oder für einmalige, im Rahmen der sozialistischen Wettbewerbe gezeigte Höchstleistungen. Daneben werden aus diesem Fonds auch die sozialen und kulturellen Einrichtungen und Maßnahmen finanziert.
[S. 693]
5. Organisationsstruktur der VVB
Die VVB wird von einem Generaldirektor nach dem „Prinzip der Einzelleitung“ geleitet. Er wird auf diesen Posten von dem zuständigen Industrieminister berufen und ist nur diesem gegenüber weisungsgebunden und rechenschaftspflichtig. Weisungen und Auflagen von anderer Seite sind nur dann bindend für den GD, wenn diese auf gesetzlichen Bestimmungen beruhen. In seiner Arbeit soll er sich auf die grundsätzlichen Fragen des Zweiges konzentrieren.
Dem Generaldirektor stehen die stellvertretenden Direktoren als Berater und Führungshilfen zur Seite. Diese Direktoren sind meistens zugleich Leiter einer bestimmten Fachabteilung der VVB wie die der Technik, der Produktion, der Materialversorgung, der Absatz- und Bilanzierung und der Planung und Ökonomie. VVB-Organe sind weiterhin: a) die Perspektivplangruppe; b) das Leitbüro für das Neuererwesen; c) der Justitiar; d) der Hauptbuchhalter. — Die Arbeit der Perspektivplangruppen richtet sich unter der Führung des Generaldirektors auf die kontinuierliche, perspektivische Entwicklung des Zweiges, auf die Entwicklung der Erzeugnisgruppen, auf die Information und Koordinierung der Arbeit mit den territorial-bilanzierenden Organen sowie auf die methodische und wissenschaftliche Vervollkommnung des Perspektivplanes. Der Justitiar berät nicht nur den Generaldirektor juristisch, er betreut gegebenenfalls auch Betriebe ohne Justitiar bzw. leitet und koordiniert die Tätigkeit der Justitiare bei den VEB. Der Hauptbuchhalter faßt das Rechnungswesen des Industriezweiges zusammen und fungiert zugleich als staatlicher Kontrolleur über die Finanzwirtschaft der VVB.
Zur VVB gehören weitere spezielle Organe wie das „wissenschaftlich-technische Zentrum“, das „Ingenieurbüro für Betriebswirtschaft“, die Einkaufs- und Absatzorgane und die Leitbetriebe der Erzeugnisgruppen.
Als gesamtgesellschaftliches Kontroll- und Mitwirkungsorgan wurden 1966 die gesellschaftlichen Räte bei den VVB eingerichtet.
6. Übersicht
Im Bereich der Industrie (ohne Bauwesen) bestanden Anfang 1968 85 VVB, die den acht neugebildeten Industrieministerien unterstellt waren. Außerdem haben einige volkseigene Betriebe als Kombinate den Status einer VVB (wie die VEB Kombinat Kabelwerke Oberspree, Mansfeld-Kombinat „Wilhelm Pieck“, Vereinigte NE-Halbzeugwerke, Leuna-Werke „Walter Ulbricht“) und unterstehen direkt dem zuständigen Industrieministerium.
Bereich Ministerium für Grundstoffindustrie: 6 VVB; Bereich Ministerium für Erzbergbau, Metallurgie und Kali: 6 VVB; Bereich Ministerium für Chemische Industrie: 10 VVB; Bereich Ministerium für Schwermaschinen- und Anlagenbau: 13 VVB; Bereich Ministerium für Verarbeitungsmaschinen- und Fahrzeugbau: 11 VVB; Bereich Ministerium für Elektrotechnik und Elektronik: 11 VVB; Bereich Ministerium für Leichtindustrie: 22 VVB; Bereich Ministerium für Bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie: 6 VVB.
20 weitere VVB bestehen mit prinzipiell gleicher Aufgabenstellung in anderen Bereichen der Volkswirtschaft: Ministerium für Bauwesen: 7 VVB; Staatssekretariat für Geologie: 1 VVB; Landwirtschaftsrat beim Ministerrat: 10 VVB; Amt für Wasserwirtschaft beim Ministerrat: 1 VVB; Staatliche Zentralverwaltung für Statistik beim Ministerrat: 1 VVB. (Wirtschaft, Planung)
Fundstelle: A bis Z. Elfte, überarbeitete und erweiterte Auflage, Bonn 1969: S. 690–693