
Abrüstung (1975)
Siehe auch die Jahre 1962 1963 1965 1966 1969 1979 1985
Von der DDR wird A. als Prinzip des Völkerrechts (Art. 1, 11, 26 und 47 der UNO-Charta) und der Politik der Friedlichen Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung verstanden, das die Einschränkung (Teil-A.) bzw. Abschaffung der Rüstungen und Streitkräfte (allgemeine oder vollständige A.) fordert. Die A. gilt als Mittel der Begrenzung bzw. Beseitigung der Kriegsgefahr und der Befreiung der Völker von den Rüstungslasten. Die DDR betreibt ihre Abrüstungspolitik im Rahmen des Warschauer Vertrages. Dessen Politischer Beratender Ausschuß und die seit 1970 jährlich stattfindenden Krim-Konferenzen der führenden Partei- und Staatsfunktionäre der sozialistischen Staaten fungieren als wichtige Gremien zur Koordinierung der Außenpolitik und zur Formulierung von Abrüstungsinitiativen. Für die Warschauer-Vertrags-Staaten ist das Bemühen um A., als deren zentrales Anliegen das Verbot der Massenvernichtungsmittel, vor allem der Kernwaffen, gilt, Bestandteil ihrer umfassenderen Sicherheitspolitik. Von 1950 bis 1955 hat sich die DDR mit zahlreichen Vorschlägen an die Bundesregierung gewandt, sich über Schritte, Maßnahmen und Verpflichtungen hinsichtlich des militärisch neutralen Status eines wiedervereinigten Deutschlands und bezüglich der Beschränkung der zahlenmäßigen Stärke und der Bewaffnung der Streitkräfte zu verständigen. Um die befürchtete atomare Aufrüstung der Bundesrepublik zu verhindern, trat die DDR seit 1956/57 mit der Forderung und entsprechenden Vorschlägen zur Gewährleistung eines umfassenden Verzichts beider deutscher Staaten auf Kernwaffen, deren Produktion, Stationierung und Anwendung hervor. Besondere Bedeutung erlangte der von ihr unterstützte Rapacki-Plan für eine atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa. Im September 1960 unterbreitete die DDR der XV. UNO-Vollversammlung Vorschläge zur etappenweisen allgemeinen und vollständigen A. der beiden deutschen Staaten. Die Abrüstungspolitik der DDR hatte bis zum Abschluß des Grundlagenvertrages mit der Bundesrepublik Deutschland neben dem primären Anliegen äußerer Sicherheit auch eine wichtige Funktion in ihrer Deutschlandpolitik und dem Bemühen um internationale Anerkennung. Dies gilt auch für ihren Beitritt zum Vertrag über das Verbot der Kernwaffenversuche (8. 8. 1963), den Entwurf eines Vertrages zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland über den „umfassenden Verzicht auf Kernwaffen“ (6. 1. 1964) und die Erklärung an die UNO zur Nichtweiterverbreitung und zum Verbot der Anwendung von Kernwaffen (27. 10. 1966). Die DDR unterschrieb und ratifizierte bisher alle Verträge über A. und Rüstungsbegrenzung, die interessierten Staaten zum Beitritt offenstehen, soweit sie für sie politisch bedeutsam sind. Eine besondere Rolle spielte der Kernwaffensperrvertrag, zu dessen ersten Unterzeichnerstaaten die DDR am 1. 7. 1968 mit gehörte. Die Tatsache, daß die Unterzeichnung des Vertrages durch die Bundesrepublik Deutschland erst im November 1969 und die Ratifizierung im März 1974 erfolgten, lieferte der DDR lange Zeit den propagandistischen Vorwand, ihr „Bemühen um Frieden und Sicherheit“ einerseits und die „friedensgefährdende Politik“ der Bundesrepublik andererseits herauszustellen.
Am 7. 3. 1972 hat die DDR mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ein Abkommen über die Anwendung von Sicherheitskontrollen geschlossen, das im Kernwaffensperrvertrag gefordert wird. In Art. 5 des Grundlagenvertrages haben sich DDR und Bundesrepublik zur Unterstützung der Bemühungen um Rüstungsbegrenzung und A. sowie deren wirksame Kontrolle verpflichtet. Die DDR — in ihrer Verfassung von 1968 hat sie das Eintreten für allgemeine A. zur Norm erhoben (Art. 6 Abs. 4) — sieht in der seit Ende der 60er Jahre eingetretenen politischen Entspannung die Chance, die politische durch die militärische Entspannung, die A., zu ergänzen. Auf der Grundlage des außenpolitischen Programms des XXIV. KPdSU-Parteitages und der Prager Deklaration der Warschauer Vertragspartner vom 26. 1. 1972 geht sie gemeinsam mit ihren Verbündeten auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) sowie in den Verhandlungen über die Beschränkung der Rüstungen und Streitkräfte in Mitteleuropa von der A. als einem „Grundprinzip“ für die Sicherheit aus, das unter strikter Beachtung des Grundsatzes beiderseitiger Sicherheit realisiert werden soll.
Als neues Mitglied der UNO unterstützte sie auf der XXVIII. Vollversammlung den sowjetischen Vorschlag einer Weltabrüstungskonferenz sowie den zur „Reduzierung der Militärbudgets der Ständigen Mitglieder des UNO-Sicherheitsrates um 10 Prozent und die Verwendung eines Teils der eingesparten Mittel zur Hilfe für die Entwicklungsländer“. Auf der Warschauer Tagung des Politischen Beratenden Ausschußes des Warschauer Pakts (17./18. 4. 1974) bekundeten die DDR und ihre Verbündeten ihre Bereitschaft zur gleichzeitigen Auflösung von NATO und Warschauer Pakt und der Schaffung eines kollektiven Sicherheitssystems, erklären aber die Stärkung der Verteidigungskraft für unerläßlich, solange keine wirksamen Abrüstungsmaßnahmen erfolgen.
Die Abrüstungspolitik der DDR war in keiner Phase originell; sie paßte sich vielmehr stets sowjetischen Abrüstungsinitiativen an und modifizierte diese lediglich [S. 3]hin und wieder für den innerdeutschen propagandistischen Gebrauch. Europapolitik der SED.
Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 2–3