DDR von A-Z, Band 1975

CDU (1975)

 

 

Siehe auch:


 

Die Christlich-Demokratische Union (CDU) trägt als einzige Partei in der DDR den gleichen Namen wie eine Partei in der Bundesrepublik Deutschland. Beide haben dieselbe Wurzel. Auf den Gründungsaufruf vom 26. 6. 1945 (1. Vors. Hermes, Stellv. Schreiber) folgte am 10. 7. 1945 die Genehmigung zur Gründung durch die SMAD. Bereits im August erreichte die Partei einen Mitgliederstand von über 100.000. Nach dem von der SMAD erzwungenen Rücktritt von Hermes und Schreiber wegen eines Konfliktes vor allem über die Bodenreform, übernahm Jakob Kaiser die Führung der Partei, die sich in den folgenden Monaten heftig gegen die Volkskongreßpolitik der im April 1946 durch Zusammenschluß von KPD und SPD entstandenen SED wehrte. Als auch Kaiser durch die Sowjets aus seinem Amt gedrängt wurde, ging die Führung an Otto Nuschke über, der die Partei gegen den Willen der meisten ihrer Mitglieder vollständig in die Bündnispolitik der SED einordnete. Zunächst übernahm er interimistisch mit Wilhelm Wolff die Leitung der CDU. Auf dem 3. Parteitag, 19. 9. 1948, wurde Nuschke Vorsitzender. Die CDU fand damals ihre Anhänger vornehmlich in den Reihen der Bauern, Handwerker und kleinen Gewerbetreibenden. Viele engagierte Christen, darunter auch Pfarrer und Theologen beider Konfessionen, gehörten ihr an. Den höchsten Mitgliederstand verzeichnete sie im Dezember 1947: 218.000. Danach sank die Zahl ständig bis auf etwa 70.000 ab. Erst in jüngster Zeit wird wieder steigende Tendenz verzeichnet (Juni 1975: 100.000). Bei den Landtagswahlen 1946 erhielt die CDU 2.378.346 von insgesamt 9.490.907 Stimmen. Den entscheidenden Einbruch in ihre Mitgliederzahl erlitt die Partei, als sie sich im Frühjahr 1960 hinter die von der SED verfügte Zwangskollektivierung der Landwirtschaft stellte und ihre Mitglieder zur „aktiven Mitarbeit“ bei der Liquidierung des selbständigen Bauerntums aufforderte.

 

Unter Nuschkes Führung und der totalen Unterordnung unter die SED, die der 6. Parteitag der CDU im Oktober 1952 offiziell bestätigte, wandelte sich die ideologische Konzeption der Partei zum „christlichen Realismus“. Generalsekretär Gerald Götting definierte auf der Meissener Arbeitstagung Oktober 1951: „Echte Christen sind Friedensfreunde.“ Daraus ergab sich, daß sie im „Friedenslager“ der UdSSR stehen müssen, wie auch Christus „im Lager des Fortschritts“ gestanden habe („Neue Zeit“ Nr. 244/1951). Nach der vom 6. Parteitag angenommenen neuen Satzung werden ein „Politischer Ausschuß“ und ein „Hauptvorstand“ — entsprechend dem Politbüro und dem ZK der SED — als oberste Organe gebildet. Nuschke: „Wir sind eine einschränkungslos sozialistische Partei.“

 

Nach Nuschkes Tod im Dezember 1957 übernahm auf dem 9. Parteitag der CDU im Oktober 1958 August Bach den Vorsitz. Gerald Götting wurde zum Generalsekretär gewählt. Die CDU folgte dem verschärften kirchenpolitischen Kurs der SED und forderte ihrerseits die Kirchen in Ost und West auf, den in der Bundesrepublik unterzeichneten Militärseelsorgevertrag rückgängig zu machen. Sie unterstützte fortan auch die verstärkten Bemühungen der SED-Regierung, die EKD zu spalten. Als Ulbricht am 9. 2. 1961 in seinem Amtssitz eine größere Anzahl evangelischer Theologen und kirchlicher Amtsträger unter Führung von Prof. Emil Fuchs empfing, rechnete sich die CDU diese Begegnung, die einen gewissen Wendepunkt der Beziehungen zwischen Staat und Kirche darstellte, als ihr Verdienst an.

 

Als eine ihrer wichtigsten Aufgaben nannte die CDU in den 60er Jahren die Verwirklichung einer immer engeren Zusammenarbeit von Christen und Marxisten („Bündnispolitik“). Die Partei bezeichnet die DDR als die politische und geistige Heimat der Christen in Deutschland. Sie wirbt heute im Einklang mit den gesellschaftspolitischen Zielen der SED unter Einzelhändlern, Handwerkern und Unternehmern für die vollständige Überführung noch vorhandener privater Betriebe in Staatseigentum. Daneben betrachtet sie es als ihre Aufgabe, die „parteilosen Christen“ zur gesellschaftspolitischen Mitarbeit zu gewinnen. Dazu werden vornehmlich die in vielen Orten und Kreisen innerhalb der „Nationalen Front“ gebildeten „Arbeitsgemeinschaften Christliche Kreise“ benutzt. Ebenso, wie sich die CDU bei der Niederschlagung der Unruhen im Juni 1953 und bei der Errichtung der Berliner Mauer im August 1961 hinter die SED stellte, begrüßte sie die Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die ČSSR im August 1968.

 

Zu einer Modifikation ihres Kurses sah sich die Partei 1971 nach der Ablösung Ulbrichts durch Honecker gezwungen. Der von Ulbricht geschaffene und jahrelang von der CDU als politische Maxime erachtete Begriff der „sozialistischen Menschengemeinschaft“, in der Christen und Marxisten gemeinsam an der Verwirklichung des Sozialismus arbeiteten, wurde von Honecker [S. 182]zugunsten einer Wiederbelebung des Klassenkampfkonzeptes und Rückbesinnung auf die Grundlagen des Marxismus-Leninismus fallen gelassen. Zugleich stufte Honecker die CDU in der Rangliste der Blockparteien deutlich zurück, indem der DBD (Demokratischen Bauernpartei Deutschlands) seit dem VIII. Parteitag der SED im Herbst 1971 bei zahlreichen Gelegenheiten eindeutig der Vorrang eingeräumt wurde. Die CDU legte fortan das Schwergewicht ihrer Aktivität auf außenpolitische Fragen, die mit Problemen von „Frieden und Sicherheit in Europa“ Zusammenhängen. Sie drängt heute zugleich die Kirchen, sich stärker im Sinne der von der UdSSR und der Regierung der DDR verfolgten europäischen Politik zu engagieren.

 

Auf dem 13. Parteitag im Oktober 1972 in Erfurt tauchte erstmals in einer Rede von SED-Politbüro-Mitglied Albert Norden der Begriff „sozialistische Staatsbürger christlichen Glaubens“ auf, der künftig in der Propaganda der CDU eine Vorrangstellung einnahm und den Christen die Möglichkeit einräumen sollte, sich als vollwertige Bürger des sozialistischen Staates unter Verzicht auf ein ausdrückliches Bekenntnis zur materialistisch-atheistischen Staatsideologie zu fühlen. Der Begriff „sozialistische Staatsbürger christlichen Glaubens“ verschwand jedoch im Juli 1974 aus Publizistik und Agitation. Offenbar konnten in jüngster Zeit die Kirchen die SED davon überzeugen, daß die Partei für das Gespräch mit ihnen weniger als in der Vergangenheit der CDU bedarf.

 

In enger, z. T. auch personaler Verbindung steht die CDU zur Christlichen Friedenskonferenz und zur Berliner Konferenz katholischer Christen aus europäischen Staaten. Über beide Organisationen pflegt sie zahlreiche internationale Verbindungen nach Ost und West. Enge Kontakte bestehen zur polnischen PAX-Bewegung und zur Christlichen Volkspartei in der ČSSR, bzw. zur dortigen Friedenspriesterbewegung „Pacem in terris“. Ähnliche Kontakte unterhält die Partei nach Ungarn.

 

In den bisherigen Regierungen der DDR war die CDU meistens mit 1 bis 2 Ministern vertreten. Seit 1963 bekleidet das CDU-Vorstandsmitglied Rudolph Schulze das Amt des Ministers für Post und Fernmeldewesen. In den 60er Jahren war Max Sefrin Gesundheitsminister. Gegenwärtig ist Gerd Mönkemeyer stellv. Minister für Außenhandel. Heinrich Toeplitz, einer der stellv. Parteivorsitzenden, steht an der Spitze des Obersten Gerichts. Fritz Flint ist stellv. Staatssekretär für Kirchenfragen, Gerald Götting ist Volkskammerpräsident. Presse: Zentralorgan „Neue Zeit“ und 5 Provinzzeitungen mit einer Gesamtauflage von ca. 150.000. Als Funktionärsorgan fungiert „Union teilt mit“. Der Ost-Berliner Union-Verlag druckt neben politischer Literatur vornehmlich Bücher mit historischer und kirchlich-relevanter Thematik.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 181–182


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.