DDR von A-Z, Band 1975

Entwicklungshilfe (1975)

 

 

Siehe auch:


 

Der Begriff E. wird in der DDR offiziell nicht verwendet. Statt dessen spricht man von „einer besonderen Form der Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern“, die langfristig auch der DDR „ökonomischen Nutzen“ bringen muß.

 

Bis zum Zeitpunkt der weltweiten völkerrechtlichen Anerkennung der DDR nach Abschluß des Grundlagenvertrages 1972 bestand die Funktion ihrer E. vor allem darin, die Empfängerländer zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der DDR zu bewegen. Erfolge konnte die SED auf diesem Wege jedoch nicht erzielen. Darüber hinaus verfolgt sie mit ihrer E.-Politik aber auch das Ziel, einzelne Entwicklungsländer für das „sozialistische Lager“ zu gewinnen, um auf diese Weise — entsprechend ihrer ideologisch bestimmten außenpolitischen Doktrin — die „Basis des Imperialismus“ in den Ländern der Dritten Welt zu schwächen. Sofern schließlich einzelnen Formen des Außenhandels der DDR mit unterentwickelten Ländern von der SED die Bedeutung von E. zugemessen wird, ging es der DDR auch darum, sowohl Zugang zu den Rohstoffmärkten der Dritten Welt zu bekommen, als auch auf dem Wege langfristiger handelspolitischer Vereinbarungen auch jene auf dem („kapitalistischen“) Weltmarkt oder dem RGW-Markt schwer verkaufbaren Erzeugnisse der Industrie der DDR günstig abzusetzen.

 

Potentielle Empfänger von E. der DDR sind:

 

Staaten, die den „nichtkapitalistischen Entwicklungsweg“ eingeschlagen haben und sich auch politisch an das „sozialistische Lager“ anlehnen;

 

Staaten, die sich (noch) auf dem kapitalistischen Entwicklungsweg befinden, aber eine „antiimperialistische“ Außenpolitik betreiben;

 

die nationalen Befreiungsbewegungen in einigen Ländern, die noch „halbkolonialen Status“ besitzen.

 

Der materielle Umfang der E. ist aufgrund der vergleichsweise (zur Bundesrepublik) geringen Liefer- und Leistungs-Kapazität der Wirtschaft der DDR entsprechend gering.

 

Der Anteil des Außenhandelsumsatzes mit den Entwicklungsländern am gesamten Außenhandel der DDR ist von 1969 bis 1973 von 4,2 v. H. auf 3,4 v. H. gesunken. Dieser Warenaustausch, der vielfach von der SED selbst unter entwicklungspolitischen Gesichtspunkten aufgebaut wurde, ist damit der geringste im Vergleich zu den übrigen RGW-Ländern.

 

Der Umfang der E. im engeren Sinne, also Kapital- bzw. technische Hilfe, läßt sich nicht genau angeben, da zwischen angebotener und tatsächlich erfolgter Leistung nicht unterschieden werden kann. Westliche Schätzungen schwanken zwischen 1–3 Mrd. DM insgesamt bis zum Jahr 1970.

 

Diese E. erfolgt im Rahmen von langfristigen Abkommen über „wirtschaftliche und technische“, bzw. „wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit“ (bisher ca. 50 derartiger Abkommen) und wird zu Konditionen gewährt, die z. T. ungünstiger als die der Bundesrepublik Deutschland sind: 10–15jährige Laufzeit, 2–4jährige Karenzzeit, 2,5 v. H. Jahreszinsen (Bundesrepublik: 20–25jährige Laufzeit, 7–8 Jahre Karenzzeit, allerdings 3–4 v. H. Zinsen).

 

In der Regel offeriert die DDR keine Kredite in konvertibler Währung, sondern bietet Waren- bzw. Lieferkredite an.

 

Ferner sind hier E.-Maßnahmen der DDR zu nennen, die sich nicht genau beziffern lassen, vermutlich aber hohe Kosten verursachen:

 

Regelmäßige Aus- und Fortbildungskurse für Gewerkschaftsfunktionäre aus Entwicklungsländern an der Hochschule des FDGB „Fritz Heckert“ in Bernau; Kurse für Kommunalpolitiker aus Entwicklungsländern an der Fachschule für Staatswissenschaften „Erwin Hoernle“ in Weimar;

 

Kurse für angehende Journalisten, insbesondere aus [S. 263]afrikanischen und asiatischen Ländern, an der „Schule der Solidarität“, die dem Verband der Journalisten der DDR untersteht, in Ost-Berlin;

 

Einrichtung von ca. 17 sogenannten technisch-wissenschaftlichen (nichtkommerziellen) Informationsbüros in den arabischen Staaten;

 

Abwicklung eines meist auf Einladung der DDR stattfindenden umfangreichen Besucherverkehrs, der Vertreter staatlicher und gesellschaftlicher Organisationen aus den Entwicklungsländern in die DDR führt; die Vergabe von Stipendien an Studenten aus den Entwicklungsländern ;

 

die Ausbildung von ungelernten Arbeitern aus den Entwicklungsländern zu Facharbeitern an Fachschulen der DDR;

 

die Ausbildung von Leistungssportlern an der Deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport in Leipzig;

 

die Entsendung von sogenannten FDJ-„Brigaden der Freundschaft“ (bisher mindestens 6 mit ca. 250 Mitgliedern) nach Tansania, Mali und Algerien, deren Mitglieder aufgrund ihrer Fachausbildung (Agronomen, Landmaschinentechniker etc.) am Aufbau infrastruktureller Projekte anleitend und ausbildend beteiligt sind; Unterhaltung und Betrieb eines veterinärmedizinischen Forschungs- und Pflegezentrums in Tansania und einer Landwirtschaftsschule in Guinea.

 

Regionale Schwerpunkte der E. der DDR waren bisher in Mittel- und Südamerika: Kuba, Chile, Kolumbien (im Handel: Brasilien),

 

Asien: Indien, Burma. Ceylon,

 

Afrika: die arabischen Staaten, Tansania, Mali, Guinea, Somalia, VR Kongo.

 

Die außenpolitische Dimension der E. der DDR hat mit ihrer weltweiten diplomatischen Anerkennung seit 1972/1973 zunehmend an Bedeutung verloren. Im „Wettbewerb der Systeme“ muß sie jedoch beachtet werden, da sich ihre Methoden — vor allem der ständige Versuch ideologischer Beeinflussung und die zum Teil geschickte Anpassung an die Bedürfnisse der Entwicklungsländer — von denen westlicher E.-Politik unterscheiden und sich möglicherweise langfristig auswirken werden. Nationale Demokratie; Außenpolitik.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 262–263


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.