DDR von A-Z, Band 1975

FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) (1975)

 

 

Siehe auch:

 

Der FDGB ist die einheitliche gewerkschaftliche Organisation für alle Arbeiter, Angestellte und Angehörige der Intelligenz in der DDR. Seine ausschließliche Erwähnung in der Verfassung der DDR vom 6. 4. 1968 (Art. 44,1) und im Gesetzbuch der Arbeit geben seiner Monopolstellung die rechtliche Grundlage. Als der „umfassenden Klassenorganisation der Arbeiterklasse“ und als der zahlenmäßig stärksten Massenorganisation kommt dem FDGB im Herrschafts- und Gesellschaftssystem der DDR zentrale Bedeutung zu. Der von der SED erhobene politische und gesellschaftliche Führungsanspruch und der Marxismus-Leninismus als ideologisch-programmatische Grundlage gewerkschaftlichen Handelns werden in der Satzung des FDGB ausdrücklich anerkannt; die in der Verfassung (Art. 44,2) betonte Unabhängigkeit der Gewerkschaften kann demnach nur als Ausfüllung der auf diese Weise grundsätzlich vorgeformten Handlungsspielräume und Aufgabenstellungen verstanden werden.

 

I. Zum Selbstverständnis des FDGB

 

 

Die Funktion des FDGB als Interessenvertretung wird von der Auffassung bestimmt, daß mit der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln der Klassenkonflikt beseitigt und im Grundsätzlichen die Interessenidentität zwischen den Gesellschaftsmitgliedern hergestellt worden sei. Der FDGB ist seinem Selbstverständnis nach nicht ein Interessenverband abhängig Beschäftigter, der Arbeitgebern gegenübertritt, sondern eine Organisation von Werktätigen, die zugleich als Miteigentümer der als im Volkseigentum befindlich verstandenen Produktionsmittel aufgefaßt werden. Auf dem Hintergrund dieser Interpretation werden im gesamtgesellschaftlichen Interesse, wie es die SED und die Staatsorgane aktualisieren und konkretisieren, die Einzelinteressen von Individuen, Gruppen, Schichten und Klassen immer als in ihm aufgehoben gesehen.

 

Interessenvertretung hat so wesentlich die Propagierung dieser parteilichen und staatlichen Zielsetzungen bzw. die Mobilisierung der Mitgliedschaft für ihre Erfüllung zum Inhalt. Doch ist bereits in der auch heute noch für den FDGB verbindlichen leninschen Gewerkschaftskonzeption die Perspektive enthalten, daß die postulierte Interessenidentität [S. 276]sich erst in einem längeren historischen Prozeß realisieren läßt und nicht als etwas Gegebenes, sondern als etwas jeweils erneut Herzustellendes begriffen werden muß. Ferner können danach Verselbständigungstendenzen staatlicher und wirtschaftlicher Verwaltungseinheiten (Bürokratisierung usw.) und die selbstherrliche Verletzung gesetzlicher Bestimmungen durch einzelne Funktionäre nicht ausgeschlossen werden. So sei es notwendig, den Gewerkschaften eine gewisse Eigenständigkeit zuzubilligen, damit sie die unmittelbaren Interessen der in ihren Reihen Organisierten artikulieren und vertreten, eine gewisse Kontrollfunktion gegenüber staatlichen, vor allem wirtschaftlichen Teilstrukturen ausüben und für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen des Arbeits-, Arbeitsschutz-, Sozial- und Bildungsrechts Sorge tragen können.

 

Während diese Seite der Arbeit des FDGB bis weit in die 50er Jahre hinein im Hintergrund stand und seine Tätigkeit von der einseitigen Unterstützung der gesamtgesellschaftlichen politischen und ökonomischen Zielsetzungen, wie sie in den Parteibeschlüssen zum Ausdruck kamen, geprägt war, ist seitdem eine gewisse Korrektur erfolgt. Zu diesen Veränderungen haben neben aktuellen politischen und sozialen Konflikten, die den Verlust der integrativen Funktion der Gewerkschaften drastisch demonstrierten (Ungarnaufstand, Polnischer Oktober, Dezemberstreiks in Polen, Fluktuation der Arbeitskräfte, ungenügende Steigerung der Arbeitsproduktivität usw.) auch die neueren theoretisch-ideologischen Diskussionen beigetragen. In ihnen wurde das Vorhandensein sozialer Konflikte (nichtantagonistischer Widersprüche) auch in den sich herausbildenden neuen gesellschaftlichen Strukturen nicht nur zugegeben, sondern als unvermeidlich und den Entwicklungsprozeß letztlich befördernd anerkannt. In diesem Zusammenhang sind allerdings Fragen nach der tatsächlichen Machtverteilung, nach der realen Verfügungsgewalt über den Wirtschaftsapparat nicht gestellt, das Postulat von der grundsätzlichen Interessenidentität nicht bezweifelt worden. Ebenso blieb der Anspruch der Partei, mit ihrer Politik das Entstehen ausgedehnterer Konfliktfelder durch vorausschauende (wissenschaftliche), planmäßige „Leitung der gesellschaftlichen Prozesse“ zu verhindern, unangetastet. Trotzdem wich im Ergebnis dieser Diskussionen die Vorstellung von einer weitgehend „harmonistischen“ Gesellschaft, in der jedes dieses Konzept störende Sonderinteresse bzw. jeder Konflikt als vom „Klassenfeind“ inspiriert und potentiell „feindlich“ erscheinen mußte, einer nüchterneren Einsicht in die Interessenvielfalt und Konflikthaltigkeit der Gesellschaft. Damit erhielt der Teil der Gewerkschaftsarbeit, der im herkömmlichen Sinn als unmittelbare Vertretung der Interessen der Mitglieder verstanden werden kann, auch von der theoretisch-ideologischen Seite her ein größeres Gewicht.

 

Dabei werden im Selbstverständnis des FDGB gesamtgesellschaftliche und partikulare Interessen nicht voneinander getrennt gesehen oder gar einander gegenübergestellt. Vielmehr werden sie als eine konfliktreiche (dialektische) Einheit gedeutet, in der im Ergebnis die Lösung von Zielkonflikten immer zugunsten des Gesamtinteresses gesucht wird. So bedeutet z. B. die gewerkschaftliche Kontrolle bei der Einhaltung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen einerseits Schutz des Beschäftigten vor Gesetzesverletzungen durch die Werkleitungen, andererseits den Einsatz gewerkschaftlicher Mittel, um bei den Betriebsbelegschaften gleichfalls die Befolgung der rechtlichen Vorschriften zu sichern (Arbeitsrecht; Gesellschaftliche Gerichte).

 

Auf diesem Hintergrund sind die Funktionen und die Einbeziehung des FDGB in die Herrschaftsstrukturen zu sehen und zu beurteilen. Der FDGB versteht sich als „Schule des Sozialismus“, d. h. er beteiligt sich an der Erziehung seiner Mitglieder zum sozialistischen Bewußtsein, vermittelt Kenntnisse über politische, gesamtgesellschaftliche und insbesondere volkswirtschaftliche Zusammenhänge und strebt die Herausbildung neuer sozialer Verhaltensweisen (Arbeitsdisziplin, Eigentümerbewußtsein, sozialistische Hilfe am Arbeitsplatz, Kritik und Selbstkritik usw.) an. Als Teil der „Sozialistischen Demokratie“ setzt er sich für die Durchführung der Beschlüsse der SED und der staatlichen Organe ein, aktiviert seine Mitglieder für die Erfüllung bzw. Übererfüllung der ökonomischen Aufgaben und bietet zugleich in seiner Organisationsstruktur vorgegebene und abgestufte Möglichkeiten für die Mitwirkung an den staatlichen und ökonomischen Entscheidungsprozessen, insbesondere auf betrieblicher Ebene. Von besonderer Bedeutung sind die Mitwirkungsrechte des FDGB im Arbeitsrecht sowie in der Sozial- und Kulturpolitik.

 

Die im Selbstverständnis und in den grundsätzlichen Aufgabenstellungen des FDGB angelegten Gegensätze und Konflikte führen in der täglichen Gewerkschaftsarbeit zu mannigfachen Schwierigkeiten. Die Vorrangigkeit der wirtschaftlichen Zielsetzungen, die Abhängigkeit des FDGB von der SED und die Einbindung der Gewerkschaften in die staatliche und ökonomische Entscheidungs- und Leitungspyramide begünstigen nach wie vor Tendenzen zur Vernachlässigung der unmittelbaren Interessenvertretung der Werktätigen am Arbeitsplatz. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß, beginnend mit der Einführung des NÖS 1963 und verstärkt nach dem VIII. Parteitag der SED 1971, die gewerkschaftlichen Kontrollrechte gegenüber den Wirtschaftsleitungen und die Mitgestaltungsrechte im sozialpolitischen Bereich gestärkt worden sind.

 

II. Zur Geschichte

 

 

Als der SMAD-Befehl Nr. 2 vom 10. 6. 1945 die [S. 277]Gründung von Gewerkschaften erlaubte und am 15. 6. 1945 der vorbereitende Gewerkschaftsausschuß für Groß-Berlin zur Schaffung freier Gewerkschaften aufrief, hatten sich erstmals in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung unter dem Eindruck des Versagens der verschiedenen Gewerkschaftsrichtungen vor dem Nationalsozialismus und angesichts des totalen Zusammenbruchs von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft alle bedeutenden weltanschaulichen Richtungen (sozialdemokratisch, kommunistisch, christlich und liberal) zusammengefunden, um eine überparteiliche Einheitsgewerkschaft ins Leben zu rufen. Damit war es der KPD gelungen, aus der Außenseiterrolle, die sie in den freien Gewerkschaften und mit den Roten Gewerkschaftsorganisationen (RGO) in der Weimarer Republik gespielt hatte, herauszutreten und sich von Anbeginn maßgeblich an der Führung der neuen Gewerkschaftsbewegung zu beteiligen. Der Gründungsvorgang fand im Februar 1946 auf der I. Zentralen Delegiertenkonferenz des FDGB seinen Abschluß.

 

Die Konstituierung des FDGB bildete eine wichtige Voraussetzung für die Vereinigung von KPD und SPD, da letztere ihren traditionellen Rückhalt in den sozialdemokratisch orientierten freien Gewerkschaften verloren hatte. Der Zusammenschluß von KPD und SPD zur SED förderte seinerseits die Umgestaltung des FDGB in eine Gewerkschaft kommunistischen Typs; er drängte die Vertreter der früheren christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften von vornherein in eine aussichtslose Minderheitenposition. Die Ausschaltung ehemals sozialdemokratischer Gewerkschaftsfunktionäre, soweit sie an ihren Vorstellungen festhielten, wurde zu einem innerparteilichen Problem der SED, das diese im Zuge ihrer Entwicklung zu einer „bolschewistischen Partei neuen Typs“ lösen konnte. Die Auflösung der Betriebsräte und die Übertragung des Vertretungsrechts der Belegschaften gegenüber den Werkleitungen an die Betriebsgewerkschaftsorganisationen aufgrund der Bitterfelder Beschlüsse 1948 war ein weiterer entscheidender Schritt in der Formung des FDGB zu seiner heutigen Gestalt. Die Herausbildung des Planungssystems, die Konzentrierung der Gewerkschaftsarbeit auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität mit Hilfe der Aktivisten- und Wettbewerbsbewegung, das Fehlen des traditionellen Gegenspielers in Form der Arbeitgeberverbände, die verboten blieben, bestimmten sehr bald die Tätigkeit des FDGB. Auf dem 3. FDGB-Kongreß 1950 wurde in der Satzung der Führungsanspruch der SED auch öffentlich anerkannt, der traditionellen Gewerkschaftsarbeit als „Nur-Gewerkschaftertum“ der Kampf angesagt und der demokratische Zentralismus als Organisationsprinzip festgelegt.

 

In den folgenden Jahren, die gekennzeichnet waren durch die Einführung der Planwirtschaft sowjetischen Typs, durch die Überwindung der Kriegsfolgen und den Neuaufbau einer industriellen Produktionsbasis, durch die Umwandlung der überkommenen Sozialstrukturen und die Herausbildung einer neuen politisch-gesellschaftlichen Ordnung, steht der FDGB ganz im Dienst dieser ökonomischen und gesellschaftspolitischen Zielsetzungen; er vollendet seine Ausformung zu einer voll in das Herrschaftssystem integrierten marxistisch-leninistischen Gewerkschaft.

 

Die Erfahrungen aus den polnischen und ungarischen Unruhen 1956 im Zusammenhang mit den sich zur gleichen Zeit anbahnenden Diskussionen um neue Formen der ökonomischen und in begrenzterer Weise auch der politischen Organisation (Gesetz über die örtl. Organe der Staatsmacht 1957, erste Reorganisation der Planungs- und Leitungsinstanzen im ökonomischen Bereich usw.) führen zu Ansätzen einer Stärkung der Kontroll- und Mitwirkungsrechte des FDGB (z. B. gesetzl. Verankerung der ständigen Produktionsberatung 1959). Die Einführung des Neuen Ökonomischen Systems 1963 mit seinem Abgehen von der zentralen Detailplanung und der daraus resultierenden größeren Selbständigkeit der VEB, VVB und regionalen Staatsorgane vergrößerten die Möglichkeiten der Einwirkung und die Notwendigkeit der Kontrolle durch den FDGB. Seit dem 6. FDGB-Kongreß 1963 wird die Vertretung der unmittelbaren Interessen der Beschäftigten als gewerkschaftliche Aufgabe immer erneut unterstrichen und die Kontrollfunktion des FDGB betont. Herbert Warnke formulierte als Vorsitzender des FDGB dieses stärkere Absetzen von den wirtschaftlichen Leitungsorganen auf dem 7. FDGB-Kongreß 1968: „Die Gewerkschaftsfunktionäre sind die Vertrauensleute der Arbeiterklasse, sie sind nicht die Assistenten der Werkleiter.“

 

Die Teilrevision der Wirtschaftsreformen 1970/71 hat diese Entwicklung nur insoweit beeinträchtigt, als die stärkeren Planbindungen der Betriebe deren Entscheidungsspielraum und damit auch die Mitwirkungsmöglichkeiten einengten. Im Gegenteil haben die Ergebnisse des VIII. Parteitages der SED den FDGB aus den anderen Massenorganisationen deutlich herausgehoben. Die Akzentuierung der Sozialpolitik als zentralem Teil der gesellschaftspolitischen Linie der SED für die nächsten Jahre brachte einen Aufgabenzuwachs, die Auflösung von Mitwirkungsgremien (Produktionskomitees in den VEB, Gesellschaftliche Räte bei den VVB usw.) machte den FDGB zum alleinigen Träger von Mitwirkungsorganen. Die Betonung der Bedeutung der Gewerkschaften fand ihren Niederschlag u. a. in dem Gesetz über den Ministerrat der DDR vom 16. 10. 1972, in dem der FDGB als einzige Organisation genannt ist (§ 1,3). Der Ministerrat wird darin zur Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft „bei der Gestaltung [S. 278]der entwickelten sozialistischen Gesellschaft und allseitigen Stärkung der sozialistischen Staatsmacht“ verpflichtet; gemeinsame Beschlüsse sind zur Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen, des Gesundheits- und Arbeitsschutzes, der Arbeitskultur, des kulturellen und sportlichen Lebens und für die Ausarbeitung der Grundlinie der Sozial-, Lohn- und Einkommenspolitik vorgesehen. Seitdem sind eine Reihe solcher gemeinsamer Beschlüsse vom Politbüro des ZK der SED, Ministerrat und Bundesvorstand des FDGB vor allem auf sozialpolitischem Gebiet und über neue Formen des sozialistischen Wettbewerbs veröffentlicht worden, allerdings ohne daß dabei der inhaltliche Anteil des FDGB an ihrer Formulierung zu ersehen gewesen wäre.

 

III. Organisationsaufbau

 

 

Der Organisationsaufbau des FDGB beruht auf dem Industriegewerkschaftsprinzip: ein Betrieb — eine Gewerkschaft. Gegenwärtig bestehen 15 Industriegewerkschaften (IG) bzw. Gewerkschaften (Gew.): IG Bau — Holz; IG Berbau — Energie; IG Chemie — Glas — Keramik; IG Druck und Papier; IG Metall; IG Textil — Bekleidung - Leder; IG Transport- und Nachrichtenwesen; IG Wismut; Gew. Gesundheitswesen; Gew. Handel, Nahrung und Genuß; Gew. Kunst; Gew. Land-, Nahrungsgüter- und Forstwirtschaft; Gew. d. Mitarbeiter der Staatsorgane u. d. Kommunalwirtschaft; Gew. Unterricht und Erziehung; Gew. Wissenschaft.

 

Der FDGB ist jedoch kein „Bund“ unabhängiger Einzelgewerkschaften, sondern eine Einheitsorganisation. Die IG/Gew. haben den Charakter ausgegliederter Fachabteilungen, die die bindenden Beschlüsse der zentralen Organe des FDGB entsprechend den spezifischen Bedingungen ihres jeweiligen Organisationsbereichs durchführen. Ihre organisatorische Abhängigkeit zeigt sich u. a. in dem Recht des Bundesvorstandes (BV) des FDGB, über Veränderungen im Organisationsaufbau verbindlich zu beschließen (z. B. Auflösung oder Neugründung von IG/Gew.), und in der Unterstellung der regionalen Vorstände der IG/Gew. unter die jeweiligen FDGB-Vorstände der gleichen Ebene.

 

Unterste Organisationseinheiten des FDGB sind die gewerkschaftlichen Grundorganisationen: Betriebsgewerkschaftsorganisationen (BGO) bestehen in allen Betrieben, in denen mehr als 10 Mitglieder beschäftigt sind; die bis 1974 gültige Untergrenze von 20 Mitgliedern wurde gesenkt, um die in Volkseigentum überführten, vielfach sehr kleinen und verhältnismäßig schlecht erfaßten früheren privaten, halbstaatlichen und genossenschaftlichen Betriebe voll in die Gewerkschaftsorganisation einzubeziehen) und Orts- bzw. Dorfgewerkschaftsorganisationen (OGO fassen die FDGB-Mitglieder in Kleinbetrieben ohne BGO sowie Hausangestellte, Heimarbeiter, Rentner usw. zusammen). Leitungsorgan der BGO ist die Betriebsgewerkschaftsleitung (BGL). Die BGO untergliedert sich in Gewerkschaftsgruppen (10–30 Mitglieder), die von den Vertrauensleuten geleitet werden. In größeren Betrieben werden für die einzelnen Betriebsabschnitte Abteilungsgewerkschaftsleitungen (AGL) gebildet. Die Größe der AGL (3–13 Mitglieder) und der BGL bzw. OGL (5–25 Mitglieder) richtet sich nach der Zahl der in ihrem Organisationsbereich erfaßten Mitglieder. Die AGL und BGL bilden zur Unterstützung ihrer Arbeit je nach Größe und spezieller Aufgabenstellung des Betriebes eine Reihe von Kommissionen, deren Vorsitz jeweils ein Leitungsmitglied inne hat, deren Mitglieder jedoch überwiegend nicht den gewählten Gewerkschaftsleitungen angehören. Die differenzierte und ausgedehnte Organisationsstruktur des FDGB insbesondere im Betrieb dient sowohl der Erfüllung der mannigfachen gewerkschaftlichen Aufgaben als auch der aktiven Integration möglichst vieler Mitglieder durch die Übernahme ehrenamtlicher Funktionen.

 

Sind mehrere VEB zu Kombinaten zusammengefaßt, werden Kombinatsgewerkschaftsleitungen (KGL: 11–19 Mitglieder) gewählt; allerdings sollen diese sich wesentlich um eine abgestimmte und einheitliche Gewerkschaftsarbeit im Kombinat bemühen, während das Schwergewicht der FDGB-Arbeit bei den BGL bleibt.

 

Mit ähnlicher Aufgabenstellung werden auf Großbaustellen ebenfalls Gesamtleitungen (15–25 Mitglieder) gebildet. In Großkombinaten, die den Ministerien direkt unterstehen, wie z. B. Leuna, Buna, Carl Zeiss Jena, haben die betrieblichen Gewerkschaftsleitungen den Status einer IG-Kreisleitung, unterstehen also unmittelbar ihrem zuständigen Bezirksvorstand.

 

Die BGL werden von den Kreisvorständen (25–55 Mitglieder) der zuständigen IG/Gew. angeleitet. Diese wählen für die laufenden Arbeiten Sekretariate (hauptamtliche, geschäftsführende Vorstände) und bilden Kommissionen: Agitation und Propaganda; Arbeit, Lohn und Arbeitsrecht; Sozialpolitik; Arbeits- und Gesundheitsschutz; Kultur und Bildung. In ihren zweigspezifischen Aufgaben unterstehen sie den Bezirksvorständen der IG/Gew. (20–35 Mitglieder), die in gleicher Weise wie die Kreisvorstände gegliedert sind. In Kreisen, in denen die Mitgliederzahl einer Einzelgewerkschaft so gering ist, daß der umfangreiche Apparat eines regulären Kreisvorstandes nicht gerechtfertigt ist, können die Bezirksvorstände des FDGB in Abstimmung mit dem zuständigen Bezirksvorstand der betroffenen Gewerkschaft einen ehrenamtlichen Kreisvorstand als Koordinierungsstelle wählen lassen.

 

Die Kreis- und Bezirksvorstände der IG/Gew. unterstehen den jeweiligen regionalen FDGB-Vorständen der gleichen Ebene (Kreisvorstand: 40–80, [S. 279]Bezirksvorstand: 80–120 Mitglieder). Die FDGB-Kreis- bzw. Bezirksvorstände tragen für ihren Bereich jeweils die ausschließliche gewerkschaftspolitische Verantwortung, koordinieren die Arbeit der IG/Gew. und vertreten die Gewerkschaften gegenüber den regionalen Staatsorganen. Außer in ihrem satzungsmäßigen Weisungsrecht gegenüber den Leitungen der IG/Gew. zeigt sich ihre umfassendere Aufgabenstellung in der großen Zahl der bei ihnen bestehenden Kommissionen: Agitation und Propaganda; Arbeit und Löhne; Sozialpolitik; Feriendienst; Kurenkommission; Arbeits- und Gesundheitsschutz; Kultur und Bildung; Finanzkommission; Frauenkommission; Jugendausschuß; Neuereraktiv; Rat für Sozialversicherung; Beschwerdekommission der Sozialversicherung. Die eigentliche Führungstätigkeit obliegt auch bei den Kreis- bzw. Bezirksvorständen des FDGB den Sekretariaten. Die Vorsitzenden der FDGB-Vorstände gehören den Sekretariaten der SED-Leitungen auf der gleichen Ebene, die BGL-Vorsitzenden den Betriebsparteileitungen an.

 

Besondere Probleme ergeben sich für die IG Transport- und Nachrichtenwesen durch die von der territorialen Gliederung des Staatsapparats abweichenden Organisationsstrukturen im Transportwesen, bei der Post und der Reichsbahn. Entsprechend gibt es getrennte Bezirksgewerkschaftsleitungen für Transport- bzw. Post- und Fernmeldewesen. Bei der Reichsbahn bestehen in den Reichsbahnamtsbezirken Gewerkschaftsleitungen, bei den Reichsbahndirektionen Bezirksgewerkschaftsleitungen.

 

Die in der Zeit von 1963 bis 1970 zu beobachtenden mannigfachen Versuche, die Zuständigkeiten zwischen FDGB- und IG/Gew.-Leitungen zugunsten der letzteren neu zu ordnen — Ausdruck der größeren Selbständigkeit der Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) und der daraus resultierenden Bemühungen, die industriezweigspezifischen Bedingungen stärker zur Grundlage der Gewerkschaftsarbeit zu machen — sind im Ergebnis des VIII. Parteitages der SED 1971 (teilweise Revision der Wirtschaftsreformen) aufgegeben worden. Auch die bei den VVB eingerichteten Gewerkschaftskomitees, die als gewählte Organe die Arbeit der einzelnen BGL in den Betrieben der VVB besonders bei den Wettbewerbskampagnen, den Rationalisierungsvorhaben, der Neuererbewegung und Normenarbeit koordinieren sollten, wurden aufgelöst und durch Instrukteure der Zentralvorstände (ZV) der IG/Gew. ersetzt. Ziele dieser Maßnahmen sind der Abbau eines Teils der Kompetenzüberschneidungen und eine Straffung der Leitungsstränge.

 

An der Spitze der IG/Gew. stehen die ZV (50–90 Mitglieder), die ihrerseits Präsidien wählen, deren hauptamtlichen Führungskern die Sekretariate bilden, ihre Aufgabe ist es, die allgemeinen, die IG/Gew. bindenden Beschlüsse des BV des FDGB bzw. seines Präsidiums auf die Problematik des eigenen Wirtschaftsbereichs anzuwenden, die sich daraus oder aus gesetzlichen Bestimmungen ergebenden Verhandlungen mit den zuständigen Ministerien und VVB zu führen sowie die eigenen nachgeordneten Leitungen anzuleiten.

 

Zwischen den Kongressen ist der BV des FDGB (200 Mitglieder, 40 Kandidaten) das höchste Organ. Für die laufenden Arbeiten wählt der BV ein 32köpfiges Präsidium und das diesem Gremium angehörende Sekretariat (9 Mitglieder; Leiter des Sekretariats: Wolfgang Beyreuther; als Stellvertretender Vorsitzender des BV des FDGB: Johanna Töpfer; Sekretäre: Harald Bühl, Werner Heilemann; Horst Heintze, Margarete Müller, Heinz Neukrantz, Fritz Rösel, Helmut Thiele). Vorsitzender des BV des FDGB war bis März 1975 Herbert Warnke; nach dessen Tod wurde Harry Tisch, bis dahin 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Rostock und Kandidat des Politbüros der SED, zum Nachfolger gewählt. Seine Stellvertreter sind wie bisher Wolfgang Beyreuther und Johanna Töpfer.

 

Bei allen Leitungen des FDGB und der IG/Gew. werden Revisionskommissionen gewählt, die deren Finanzgebaren, die Einhaltung der Satzung und die Durchführung der Beschlüsse der jeweils übergeordneten Organe kontrollieren sollen. Sie erstatten laufend Bericht an die übergeordnete Revisionskommission, nehmen, soweit sich kritische Anhaltspunkte aus ihrer Revisionstätigkeit ergeben, Einfluß auf die Arbeit der gewählten Leitungen und berichten anläßlich der Gewerkschaftswahlen über die Ergebnisse ihrer Tätigkeit.

 

Der FDGB erkennt in seiner Satzung den demokratischen Zentralismus als verbindliches Organisationsprinzip an; d. h. daß alle Leitungen von unten nach oben gewählt werden, diese ihren Wahlgremien gegenüber rechenschaftspflichtig sind, abgewählt werden können und alle Leitungen an die Beschlüsse und Richtlinien der übergeordneten Gremien gebunden sind. Die Wahlen finden bis zur Bezirksebene alle 2½ Jahre, für die zentrale Ebene (Zentrale Delegiertenkonferenzen der IG/Gew. und Bundeskongreß des FDGB) alle 5 Jahre statt. (Der früher gültige Rhythmus von 2 bzw. 4 Jahren wurde auf dem 8. FDGB-Kongreß 1972 an die Satzungsregelung der SED und die Laufzeit der 5-Jahrespläne angeglichen.) Die Funktionäre der Gewerkschaftsgruppen, die Mitglieder der Frauen- und Jugendausschüsse, der Ständigen Produktionsberatungen und Neuereraktivs sowie die Arbeiterkontrolleure werden in offener Abstimmung auf Mitgliedervollversammlungen bzw. Vertrauensleutevollversammlungen bestimmt. Die Wahlen der AGL, BGL, OGL und der Delegierten für die Kreisdelegiertenkonferenzen erfolgen in den Betrieben direkt und geheim auf der Grundlage einer einheitlichen Kandidatenliste mit verbindlicher Reihenfolge. Nach dem glei[S. 280]chen Verfahren wählt die Delegiertenkonferenz einer Organisationsstufe den entsprechenden Vorstand und die Delegierten für die nächsthöhere Stufe.

 

Zu den Wahlen erläßt der BV Wahldirektiven und Richtlinien; in ihnen werden die politischen Schwerpunkte für die Rechenschaftslegung durch die alten Vorstände, die Diskussionsthemen in den Mitgliederversammlungen und Delegiertenkonferenzen, das Wahlverfahren, die zahlenmäßige Größe der zu wählenden Körperschaften festgelegt und kaderpolitische Hinweise gegeben. Die amtierenden Leitungen arbeiten in Zusammenhang mit den übergeordneten Gewerkschaftsorganen und den zuständigen SED-Leitungen die Kandidatenlisten aus, die der Bestätigung durch die Wahlgremien bedürfen. Die Ablehnung von Kandidaten, die Streichung einzelner Namen und die Hinzufügung anderer ist prinzipiell möglich, das Bild der gesamten Liste wird damit jedoch kaum verändert. Konkurrierende, organisierte Gegenvorschläge können nicht gemacht werden. Die Bekleidung von Wahlfunktionen oberhalb der betrieblichen Ebene hat eine mehrjährige Mitgliedschaft im FDGB zur Voraussetzung (Kreis: 2 Jahre, Bezirk: 3 Jahre, BV: 6 Jahre).

 

Die gewählten Vorstände tagen in größeren Zeitabständen (Kreis und Bezirk: dreimonatlich; BV: viermonatlich; ZV: sechsmonatlich), so daß die eigentliche Führungstätigkeit bei den hauptamtlichen Sekretariaten liegt. Die Leitungen sind gehalten, den jeweiligen Wahlkörperschaften regelmäßig Rechenschaft zu legen.

 

Ein wichtiges Leitungsinstrument und Diskussionsforum sind Gewerkschaftsaktivtagungen. Die haupt- und ehrenamtlichen Gewerkschaftsfunktionäre werden auf der jeweiligen Leitungsebene zu einem Gewerkschaftsaktiv zusammengefaßt; dieses bildet gleichsam den aktiven Kern der Organisationseinheit. In der Regel einmal im Vierteljahr, aber auch aus besonderem Anlaß wird das Gewerkschaftsaktiv von der gewählten Leitung zu einer Tagung zusammengerufen. Je nach Themenstellung können an ihr auch Arbeiter, Angestellte und Angehörige der Intelligenz ohne Funktion, die sich durch besondere Produktionsleistungen hervorgetan haben, teilnehmen. Auf den Gewerkschaftsaktivtagungen werden unter kritischer Einschätzung der bisherigen Arbeit von der Gewerkschaftsleitung die aktuellen Schwerpunkte der Organisationsarbeit erläutert und die sich daraus ergebenden Aufgaben für die einzelnen Funktionäre an Beispielen verdeutlicht und festgelegt; sie dienen ferner dem Erfahrungsaustausch. Beschlüsse der Gewerkschaftsaktivtagungen bedürfen der Zustimmung durch die einberufende Leitung.

 

Die in der Satzung gegebene Möglichkeit der Abberufung von Leitungsmitgliedern durch die dazu befugten Gremien spielt in der Praxis keine Rolle. Die Ablösung bzw. Neuberufung von hauptamtlichen Funktionären erfolgt allgemein durch die übergeordnete Leitung und durch Kooptation; sie wird im nachhinein durch die gewählten Vorstände sanktioniert.

 

Die SED nimmt auf vielfache Weise Einfluß auf die Tätigkeit und die Zusammensetzung der Gewerkschaftsvorstände: 1. Entsprechend der Satzung des FDGB sind die Parteibeschlüsse verbindliche Grundlage der Gewerkschaftsarbeit; 2. die bei den jeweiligen Parteileitungen bestehenden Abteilungen Gewerkschaften und Sozialpolitik legen die gewerkschaftspolitische Linie für ihren Zuständigkeitsbereich fest und wirken bei der Auswahl der Kandidaten für die Gewerkschaftsleitungen, insbesondere für die hauptamtlichen Positionen, entsprechend den Kadernomenklaturen, mit; 3. die Vorsitzenden der FDGB-Vorstände sind Mitglieder der Sekretariate der SED-Leitungen, in den Betrieben gehören die BGL-Vorsitzenden der Betriebsparteileitung an; 4. die Parteimitglieder sind auch als Gewerkschaftsmitglieder der Parteidisziplin (Parteiaufträge) unterworfen.

 

Die im Prinzip des demokratischen Zentralismus enthaltene strikte Bindung der nachgeordneten Leitungen an die Beschlüsse der übergeordneten vervollständigt das Instrumentarium, das den FDGB als eine autoritär geführte und voll in die Strukturen des Herrschaftssystems integrierte Massenorganisation erscheinen läßt. Es darf jedoch nicht verkannt werden, daß die vielfältigen Diskussionsprozesse, der sich in den Kommissionen und Arbeitsgruppen äußernde Sachverstand und die Möglichkeiten — wenn auch ohne organisatorische Verfestigung-, Kritik zu üben, die Entscheidungen der Leitungen beeinflußt. Besonders in den Betrieben wirken Kritik am Arbeitsplatz, Unzufriedenheiten, die zu Leistungsminderungen führen, Fluktuation von Betriebsangehörigen usw. korrigierend auf die Gewerkschaftsarbeit.

 

Im Verlag des FDGB erscheint als Organ des BV die Tageszeitung „Tribüne“ und als Funktionärsorgan die Monatszeitschrift „Die Arbeit“. Daneben wird eine Reihe von speziellen Zeitschriften herausgegeben wie z. B. „Sozialversicherung und Arbeitsschutz“, „Kulturelles Leben“ u. a. Die IG/Gew. unterhalten eigene, auf die Spezialproblematik ihres Industriezweiges abgestellte Zeitschriften. Mit Broschüren, umfangreichen Handbüchern und Monographien unterstützt der Verlag Tribüne die Anleitung sowie die politische und fachliche Qualifizierung der Gewerkschaftskader. Der Vertrieb der Gewerkschaftsliteratur erfolgt weitgehend über die Kulturobleute in den Betrieben durch den Literatur- und Vordruckvertrieb des FDGB in Markranstädt. Die Mitgliedschaft im FDGB ist grundsätzlich freiwillig; sie ist jedoch Voraussetzung für beruflichen und sozialen Aufstieg. Ein Anreiz für den Beitritt [S. 281]sind auch die Vergünstigungen, die mit der Mitgliedschaft im FDGB verbunden sind (Ferienreisen, Fahrgeldermäßigungen, Unterstützungszahlungen usw.). Mitglied kann jeder Arbeiter, Angestellte oder Angehörige der Intelligenz werden, nicht jedoch freiberuflich Tätige sowie Mitglieder von LPG und PGH. Während des Direktstudiums und der Zugehörigkeit zur NVA ruht die Mitgliedschaft. Rentner und längerfristig Kranke können die Mitgliedschaft aufrechterhalten. Für 1972 wird eine Mitgliederzahl von 7.346 Mill., davon 3,5 Mill. Frauen, angegeben. Im Juni 1974 wurden 7,8 Mill. Mitglieder genannt; die Zunahme mag sich aus der besseren Durchorganisation der ehemals privaten, halbstaatlichen und genossenschaftlichen Betriebe erklären, die in Volkseigentum überführt wurden.

 

Die Finanzierung des FDGB erfolgt durch Mitgliedsbeiträge (1 bis 1,5 v. H. des Bruttoeinkommens) und den Verkauf von Spendenmarken. Bei den BGO verbleiben 40 bis 60 v. H. der Beitragseinnahmen. Ein Teil der gewerkschaftlichen Aufgaben wird aus Mitteln der Betriebe mitgetragen (Kulturarbeit aus den Kultur- und Sozialfonds, Lohnfortzahlung bei Lehrgangsbesuch etc.). 1974 hat der FDGB 785 Mill. Mark ausgegeben (darin sind an Staatszuschüssen 119 Mill. Mark für Feriendienst und 18,2 Mill. Mark für gewerkschaftlichen Arbeitsschutz enthalten). Die Ausgaben verteilen sich wie folgt: Verwaltungsausgaben 36,1 Mill. (4,8 v. H.), Vorstands- und Kommissionstätigkeit 137,6 Mill. (18,1 v. H.), Schulung 39 Mill. (5,1 v. H.), Kulturarbeit 75 Mill. (9,9 v. H.), Jugend und Sport 41,7 Mill. (5,5 v. H.), Arbeitsschutz 18,2 Mill. (entspricht dem Staatszuschuß: 2,4 v. H.), Feriendienst 234,3 Mill. (30,9 v. H.), gewerkschaftliche Unterstützungen und Ehrungen 176,3 Mill. (23,3 v. H.).

 

IV. Aufgaben

 

 

Die Aufgaben des FDGB ergeben sich aus dem gewerkschaftlichen Selbstverständnis (vgl. Abschnitt I) und werden als Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte der Werktätigen (Mitbestimmungs-, Mitgestaltungs- und Mitwirkungsrechte) gedeutet. Das Gesetzbuch der Arbeit sagt ausdrücklich, daß das „Recht auf Mitwirkung vor allem durch die betrieblichen Gewerkschaftsleitungen“ verwirklicht wird. Seit dem VIII. Parteitag der SED sind die überbetrieblichen Anhörungs- und Mitwirkungsrechte des FDGB u. a. im Gesetz über den Ministerrat der DDR vom 16. 10. 1972 (vgl. Abschnitt II) und im Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen und ihre Organe in der DDR vom 12. 6. 1973 erneut unterstrichen und teilweise erweitert worden.

 

Im Mittelpunkt der Gewerkschaftsarbeit steht der Arbeitsprozeß. Der zentrale Wert, der der ökonomischen Leistung allgemein zugemessen wird, erklärt sich einmal aus der philosophisch-anthropologischen Deutung der Arbeit als Konstituenz menschlicher Existenz, zum anderen aus dem leninistischen Axiom, daß die Höhe der Arbeitsproduktivität letztlich Ausweis der Überlegenheit eines Gesellschaftssystems sei. Allerdings wird der Arbeitsprozeß durchaus nicht ausschließlich im engen Sinn als Produktionsprozeß, sondern als ein komplexer sozialer Zusammenhang begriffen, zu dem soziologische und sozialpolitische Elemente ebenso wie Arbeits- und Gesundheitsschutz, leistungsgerechte Entlohnung, Versorgung mit Konsumgütern, Bildung etc. gehören. Die behauptete Einheit dieser Teilaspekte kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie sich keineswegs zu einem konfliktlosen Ganzen fügen. Für den FDGB, der die gesamtgesellschaftliche Zielsetzung zugleich mit den unmittelbaren Interessen seiner Mitglieder vertreten soll, ergeben sich daraus immer erneut Zielkonflikte. Seine Aufgabe wird wesentlich dadurch erschwert, daß die behauptete Position des Werktätigen als Miteigentümer sich in einer gleichberechtigten Stellung im Herrschaftssystem und in der Gewerkschaftsorganisation zeigen müßte; die tatsächliche Machtverteilung und das Funktionieren der Leitungs- und Entscheidungsstränge steht dazu jedoch in deutlichem Gegensatz. Notwendig muß die erzieherische und propagandistische Arbeit des FDGB Elemente der ideologischen Verhüllung der gegebenen Machtverhältnisse enthalten.

 

Immerhin hat die Anerkennung der Unvermeidlichkeit sozialer Konflikte dazu geführt, Sozialpolitik und Sozialplanung als ein zwar mit der ökonomischen Planung zusammenhängendes, aber doch eigenes Aufgabengebiet anzuerkennen und die Artikulation und Vertretung unmittelbarer Interessen zu rechtfertigen. Ausdruck einer sich wandelnden Beurteilung mag es sein, daß durch eine Satzungsänderung auf dem 8. FDGB-Kongreß 1972 in der Aufgabenstellung die „Erhöhung des materiellen und kulturellen Lebensniveaus“ vor dem Wachstum der Arbeitsproduktivität genannt wird.

 

Schwerpunkt gewerkschaftlicher Arbeit ist der Betrieb; Grundlage für die Tätigkeit der BGO bzw. der BGL bildet die ökonomische Aufgabenstellung, wie sie der Betriebsplan festlegt. Der Planentwurf, den die Werkleitung auf der Grundlage zentral vorgegebener Produktionsauflagen und Kennziffern (Planung) anfertigt, wird in einer von der BGL in Absprache mit der Betriebsparteileitung geleiteten Plandiskussion sowohl allen Belegschaftsmitgliedern bekanntgemacht als auch durch das Aufdecken von Reserven präzisiert und verbessert. In der Plandiskussion für den Plan 1975 sollen erstmals mit dem Produktionsplan auch bereits die Gegenpläne, die gegenwärtig im Vordergrund stehende Form des Sozialistischen Wettbewerbs, mitentworfen werden. Mit der inhaltlichen Aufschlüsselung des Betriebsplanes auf den einzelnen Arbeitsplatz wird angestrebt, daß der Werktätige sich besser mit seiner ihm unmittelbar vorgegebenen Arbeitsaufgabe [S. 282]identifizieren kann und er, anknüpfend an die einzelnen Kennziffern, zu weiteren berechenbaren Verbesserungen seiner Arbeitsleistungen, insbesondere aber auch zu Materialeinsparungen, veranlaßt wird (Haushaltsbuch). Der endgültige Planvorschlag wird von dem Werkleiter ausgearbeitet und den übergeordneten Wirtschaftsleitungen zur Bestätigung vorgelegt. An der Planverteidigung wird der Vorsitzende der jeweiligen Gewerkschaftsleitung persönlich beteiligt; die BGL fertigen zu diesem Zweck eigene Stellungnahmen an. Diese Beteiligung des FDGB findet sich auf allen Stufen der Planungspyramide; zu den Ein- und Mehrjahrplänen im DDR-Maßstab faßt der BV des FDGB einen entsprechenden Beschluß.

 

Auf der Grundlage des bestätigten Betriebsplanes wird in einem erneuten Diskussionsprozeß der Betriebskollektivvertrag (BKV) erarbeitet. Auch hier erfolgt die Vorlage des Entwurfs in aller Regel durch die Werkleitung. Neben einer erneuten Information über die Arbeitsaufgabe des Planjahres finden in ihm vor allem die sozialpolitischen Belange, die Qualifizierungs-, Kultur- und Bildungsvorhaben, die anzuwendenden Lohnformen und besondere Förderungsmaßnahmen für Frauen und Jugendliche (Jugend- bzw. Frauenförderungspläne, die als eigene Anlagen zum BKV unter maßgeblicher Beteiligung der Jugend- bzw. Frauenausschüsse erarbeitet werden) ihren Niederschlag. Die BKV, die, von den Werkleitern und den BGL unterschrieben, auf Mitglieder- bzw. Vertrauensleutevollversammlungen verabschiedet werden, sind eine gemeinsame Verpflichtung zur Erfüllung der betrieblichen Produktionsaufgaben und zugleich das soziale und kulturpolitische Programm für die jeweilige Planperiode. Die dafür benötigten Mittel sind in den Kultur- und Sozialfonds vorgegeben, werden jedoch bei Übererfüllung des Betriebsplans durch Sonderzuführungen verstärkt und sind insoweit durch die Leistungen der Betriebskollektive zu beeinflussen. Ein Teil der der BGL verbleibenden Beitragsanteile der Gewerkschaftsmitglieder wird ebenfalls für kulturelle und soziale Leistungen verwendet. (1974: Fast 50 v. H. der Beitragseinnahmen verblieben bei den BGO bzw. OGO = 277 Mill. Mark.)

 

Die Pflicht der Werkleiter, über den Stand der Erfüllung der BKV und der Produktionspläne regelmäßig Rechenschaft zu legen, die Arbeit der Ständigen ➝Produktionsberatungen und der anderen gewerkschaftlichen Kommissionen bieten der Gewerkschaftsorganisation die Möglichkeit, im Verlauf des Planjahres auf die Werkleitungen kritisch einzuwirken und zur Behebung betrieblicher Engpässe die Belegschaften zu mobilisieren. Sozialistischer Wettbewerb, Neuererbewegung, Rationalisierung, die Überleitung von Forschungs- und Entwicklungsergebnissen in die Produktion werden maßgeblich von den BGL und deren Organen propagandistisch-agitatorisch unter den Belegschaftsmitgliedern und durch Kontrolle und Kritik der Betriebsleitungen gefördert. Die Neuereraktivs sind an die Stelle der Neuererräte bei den Betriebsleitungen und der Kommission für Neuererwesen der BGL als unmittelbare Vertretung der Neuerer im Rahmen der BGO getreten; diese Neuregelung betont die gestärkte politische Verantwortung des FDGB für die Masseninitiativen und ist zugleich Ausdruck für das Bemühen der SED, Werkleitungen und Mitwirkungsorgane im Betrieb stärker voneinander abzusetzen. Trotzdem bleibt festzuhalten, daß die Kontroll-, Kritik- und Vorschlagsrechte, die als gewerkschaftliche Mitwirkung oder auch als sozialistische Demokratie im Betrieb bezeichnet werden, das Prinzip der Einzelleitung, den demokratischen Zentralismus und den politischen Primat der SED auf betrieblicher Ebene im Kern nicht antasten. Zwar wird durch Diskussion und Kritik Druck auf die Werkleitungen ausgeübt; wenn diese den Empfehlungen und Vorschlägen jedoch nicht Rechnung tragen, bleibt den BGL allenfalls der Weg der Beschwerde bei den jeweils übergeordneten Leitungsorganen. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß das große Informationsangebot die Chance zu einer bewußten Identifikation mit der Arbeitsaufgabe dann schafft, wenn die Pläne sich als real erweisen und wenn die ungeplanten Störungen im Produktionsablauf gering gehalten werden können.

 

Die Tätigkeit der Gewerkschaften im Bereich der Lohnpolitik und bei der Verteilung von Prämien dient der Durchsetzung des Prinzips der materiellen Interessiertheit. Im Lohn sollen die individuelle Leistung, die volkswirtschaftlich-politische Bewertung der spezifischen Arbeitsaufgabe, die Qualifikation der Werktätigen zum Ausdruck kommen. Mit dem durch die Anwendung dieser Grundsätze entstehenden, stark gestuften Entlohnungssystem wird das Ziel verfolgt, sowohl einen ständigen Anreiz zur Steigerung der individuellen Arbeitsleistung zu bieten als auch die Arbeitskräfte entsprechend den ökonomischen Zielsetzungen zu lenken. Lohnhöhe, Lohnformen, industriezweigspezifische Lohnzuschläge und die allgemeinen Arbeitsbedingungen werden in Tarifverträgen niedergelegt. Die Tarifverträge werden zwischen den jeweils zuständigen staatlichen Wirtschaftsleitungen, staatlichen Organen usw. und den Einzelgewerkschaften im Rahmen der in den Jahres- bzw. Mehrjahresplänen vorgegebenen Größen abgeschlossen und bei dem Staatssekretariat für Arbeit und Löhne geprüft und registriert. Den BGL obliegt es wesentlich, die korrekte Anwendung dieser Bestimmungen im Betrieb durch die Werkleitung und Betriebsangehörigen zu überwachen. Die sehr detaillierten Regelungen haben nicht verhindert, daß entgegen den Intentionen die erreichte Qualifikationsstufe nur ungenügend im Entgelt zum Ausdruck kommt und die gewollte Ab[S. 283]stufung zwischen den einzelnen Industrie- und Wirtschaftsbereichen nicht verwirklicht werden konnte. Auf dem 8. FDGB-Kongreß ist aus diesem Grund eine generelle Reform des Lohnsystems angekündigt worden, die, ohne daß es zu Lohnsenkungen kommt, den allgemeinen Zielen der Lohnpolitik besser gerecht werden soll. Die starke Betonung des individuellen materiellen Nutzens im Leistungslohnsystem hat sich zwar als produktivitätsfördernd bewährt, aber andererseits der Zielsetzung, ein Bewußtsein zu schaffen, das die persönliche Arbeitsleistung vor allem an der politisch-gesellschaftlichen Aufgabe mißt, vielfach entgegengewirkt. Durch immaterielle Anerkennung (Ehrentitel, lobende Erwähnung in den Betriebszeitungen und Massenmedien usw.) bei den Wettbewerben und verstärkte ideologische Schulung (Schulen der sozialistischen Arbeit) wird versucht, erzieherisch doch dem Ziel, ein „sozialistisches Eigentümerbewußtsein“ zu schaffen, näher zu kommen.

 

Die Schutzfunktionen des FDGB im Bereich des Arbeitsrechts, der staatlichen und betrieblichen Sozialpolitik sind unter doppeltem Aspekt zu sehen: Die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen sowohl durch die Wirtschaftsleitungen als auch durch die Belegschaften soll gleichermaßen erreicht, bestehende Rechte sollen nicht verkürzt, aber auch nicht „mißbräuchlich“ zu Gunsten der Betroffenen ausgeweitet werden. Rechtsberatungsstellen bei den Rechtskommissionen der Kreisvorstände des FDGB gewähren unter Berücksichtigung dieser Aufgabenstellung den Gewerkschaftsmitgliedern Rechtsschutz bei den Gerichten. Ferner leitet der FDGB die Konfliktkommissionen (Gesellschaftliche Gerichte) an, schult deren Mitglieder, die auf Mitgliederversammlungen gewählt werden. Die BGL besitzt ein Mitwirkungsrecht bei der Begründung, Änderung und Kündigung von Arbeitsverhältnissen. Die betriebliche Sozialpolitik umfaßt das betriebliche Gesundheitswesen, Kindergärten und -horte, Betriebsferienlager, die Werkverpflegung, betriebliche Einkaufsmöglichkeiten usw. Im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten der Betriebe nimmt die BGL auf die Ausgestaltung dieser Einrichtungen über seine Kommissionen, die Jugend- und Frauenausschüsse Einfluß. In jüngster Zeit sind Bemühungen zu erkennen, die verschiedenen sozialpolitischen Anstrengungen zu einer einheitlichen betrieblichen Konzeption unter Einschluß des Arbeitsschutzes, der Qualifizierungsmaßnahmen, der Kulturarbeit usw. zusammenzufassen. Der Planteil: Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen im BKV ist Teil dieses Versuchs, der sich offensichtlich an dem Vorbild der in der Sowjetunion bereits üblichen Sozialpläne der Betriebe orientiert.

 

Eine starke Stellung hat der FDGB nach wie vor durch die Vermittlung verbilligter Ferienreisen im Rahmen seines Feriendienstes in organisationseigene oder Vertragsheime, wenn auch die zusätzlichen Reisemöglichkeiten im Rahmen des Ausbaus der Touristik stark erweitert worden sind. Bedeutsam sind in jüngster Zeit die vom FDGB geförderten Naherholungsmöglichkeiten geworden. FDGB-Mitglieder, die sich nicht am Feriendienst beteiligen können, kommen mit ihren Familienangehörigen ebenfalls einmal jährlich in den Genuß einer um ein Drittel ermäßigten Fahrt mit der Reichsbahn.

 

Im Zeichen der Wissenschaftlich-technischen Revolution, aus der sich ständig neue und erhöhte Anforderungen an die fachliche Ausbildung der Berufstätigen herleiten, wirbt die Gewerkschaft verstärkt für eine Beteiligung an der Qualifizierung (Betriebsakademie, Einheitliches sozialistisches Bildungssystem, XII.). Notwendige Umsetzungen von Arbeitskräften in oder zwischen Betrieben als Auswirkung von Rationalisierungsmaßnahmen oder bedingt durch den Ausbau bzw. die Einschränkung bestimmter Wirtschaftszweige unterstützt der FDGB durch aufklärende Propaganda und versucht, die sozialen Auswirkungen zu mildern. Die den langfristigen Arbeitskräftebedarf des Betriebes bzw. Wirtschaftszweiges berücksichtigenden Qualifizierungspläne werden unter Mitarbeit der zuständigen Gewerkschaftsleitungen ausgearbeitet, wobei die Jugend- und Frauenausschüsse die Interessen der von ihnen vertretenen Gruppen zu Gehör bringen.

 

Die Kulturarbeit des FDGB wirbt um die rezeptive und eigenschöpferische Teilnahme der Gewerkschaftsmitglieder am kulturellen Leben. Neben der fachlichen Qualifikation geht es ihr um die Heranbildung des „allseitig gebildeten sozialistischen Menschen“. Sie ist der Versuch, ausgehend vom Betrieb die Freizeitgestaltung (Freizeit) zu beeinflussen. Die gewerkschaftliche Kulturarbeit wirkt, besonders in territorial bestimmenden Großbetrieben, in erheblichem Maß auf die Ausgestaltung des kulturellen Lebens in den Wohngebieten ein.

 

Mit der Übergabe der Sozialversicherung in die Alleinverwaltung des FDGB auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen sind den Gewerkschaften staatliche Aufgaben zugewiesen worden, die sie ohne direkten Einsatz staatlicher Zwangsmittel lösen müssen (Sozialversicherungs- und Versorgungswesen). Mit der Übertragung der Kontrolle über den Arbeitsschutz und der Einrichtung der Arbeitsschutzinspektionen bei den Gewerkschaftsleitungen ist dieser Prozeß fortgesetzt worden. Die Verantwortung, die die Gewerkschaften für die Anleitung, Wahl und Schulung der Konfliktkommissionen haben, kann ebenfalls als eine Ablösung staatlichen Zwangs durch Organisationszwänge (gegenüber den eigenen Mitgliedern und den Wirtschaftsleitungen) verstanden werden. Gegenüber staatlichen Organen hat der FDGB auch außerhalb der [S. 284]Plandiskussionen, besonders in arbeitsrechtlichen, sozial- und kulturpolitischen Fragen ein Beratungs- und Mitwirkungsrecht, das durch die gewerkschaftliche Beteiligung an Beiräten, Arbeitsgruppen, durch schriftliche Stellungnahmen usw. ausgeübt wird. Das Prinzip der Einzelleitung wird jedoch auch hier durch die Gewerkschaften nicht eingeschränkt. Die Kreis- und Bezirksvorstände des FDGB wirken an der Vorbereitung und Festlegung der regionalen Pläne mit. Mit den in den Betrieben gewählten Arbeiterkontrolleuren (1 Arbeiterkontrolleur auf 30–50 Gewerkschaftsmitglieder) beteiligt sich der FDGB an den Aufgaben der Arbeiter-und-Bauern-Inspektion. Die Arbeiterkontrolleure werden vor allem für die innerbetriebliche Kontrolle und für die Inspektion in Handel, Versorgung und Wohnungswesen eingesetzt. (1973: 87.605 Arbeiterkontrolleure.)

 

Die Bedeutung, die dem FDGB im Herrschafts- und Gesellschaftssystem zugemessen wird, spiegelt sich u. a. darin, daß er die nach der SED größte Anzahl von Mitgliedern in die Volksvertretungen entsendet. So wurden 1972 entsandt in die Volkskammer: 68 von 500; in die Bezirkstage: 393 von 2.840; in die Kreistage und Stadtverordnetenversammlungen: 2.029 von 17.204; in die Gemeindevertretungen: 23.601 von 180.890; in die Stadtbezirksversammlungen: 445 von 3.000.

 

V. Schulung

 

 

Nachdem in den voraufgegangenen Jahren die Massenschulung des FDGB in den Hintergrund getreten war, ist seit 1972 in den „Schulen der sozialistischen Arbeit “ (SdsA.) eine neue Form der propagandistischen Breitenarbeit in Anlehnung an das sowjetische Vorbild der „Schulen der kommunistischen Arbeit“ in Verantwortung der Gewerkschaften entwickelt worden. Die SdsA. sind kleine Gruppen (15–25 Teilnehmer), die in den jeweiligen Betriebsabschnitten (Brigade-, Meisterbereiche, Abteilungen usw.) gebildet werden und unter Leitung eines Gesprächsleiters (in der Regel ein der SED angehörender Wirtschaftsfunktionär) einmal monatlich die vom BV des FDGB vorgeschlagenen Themen (1974 z. B.: Die Politik der SED zur weiteren Verwirklichung der Hauptaufgabe im Jahre 1974; die Steigerung der Arbeitsproduktivität - das Entscheidende usw.) in möglichst großer Nähe zu den aktuellen Arbeitsaufgaben diskutieren sollen. Durch die geforderte Praxisnähe hofft man, abstrakte ideologische Vorträge zu vermeiden und Anschaulichkeit zu erreichen, zum anderen einen erlebbaren Zusammenhang zwischen der ideologischen bzw. politisch-programmatischen Ebene und dem Geschehen im Betrieb herstellen zu können. Die Gefahren, daß sich die SdsA. entgegen diesen Vorstellungen entweder bei zu starker Betonung aktueller Betriebsprobleme zu einer anderen Form von Mitgliederversammlungen oder Produktionsberatungen entwickeln oder aber erneut in rasch ermüdende Schulungsvorträge münden bzw. ein unkontrolliertes Kritikpotential freisetzen könnten, werden gesehen; die ständige Anleitung der Gesprächsleiter wird genutzt, um eine optimale Ausgestaltung der SdsA. zu erreichen. Ende 1973 gab es 51.220 SdsA. mit 1.041.949 Teilnehmern, darunter 75 v. H. Parteilose. Ende 1974 bestanden 76.782 SdsA.

 

Ein nicht minder wichtiger Bereich gewerkschaftlicher Schulungsarbeit ist die Aus- und Weiterbildung der eigenen Funktionäre. Die mannigfachen Funktionen des FDGB bieten die Möglichkeit, eine große Zahl von Mitgliedern tätig in die Gewerkschaftsarbeit einzubeziehen. 1974 wurden auf betrieblicher Ebene in die Leitungen, Kommissionen, Ausschüsse und Arbeitsgruppen über 2 Mill. Mitglieder in Funktionen gewählt. Bei der Beurteilung dieser Zahlen wird man an Doppelzählungen denken müssen; auch sagt die Tatsache der Übernahme einer Funktion noch nichts aus über die Intensität, mit der sie ausgeübt wird. Trotzdem demonstrieren diese Zahlenangaben die starke, integrierende Kraft einer Großorganisation. Die Funktionstüchtigkeit des FDGB, die Effektivität, mit der er seine Kontroll-, Mitwirkungs- und Beratungsrechte wahrnehmen kann, das Ansehen der Gewerkschaftsfunktionäre bei den Belegschaften und Werkleitungen und die darauf gegründete Chance, erzieherisch zu wirken und zu mobilisieren, hängt von den Fähigkeiten und Kenntnissen der Kader ab. Die Mathematisierung der Planung, die Einführung der Datenverarbeitung, Kybernetik, operations research usw. haben die Anforderungen an die Gewerkschaftsfunktionäre ständig ansteigen lassen. Während des NÖS und des ÖSS ist die Ausbildung der Funktionäre reformiert und durch die Vermittlung positiven Fachwissens, insbesondere aus dem Bereich der Leitungswissenschaft, der Volks- und Betriebswirtschaftslehre erweitert und verbessert worden. Die starke Differenzierung des Schulungssystems nach Aufgabengebieten (Arbeitsrecht, Arbeitsökonomie, Sozialversicherung, Arbeitsschutz, Kultur usw.) bietet gute Voraussetzungen zum Erwerb von Spezialkenntnissen. Zwar gehört es zu den Ergebnissen des VII. Parteitages der SED (1971), daß den ideologischen Inhalten stärkeres Gewicht beigemessen wird, doch die gleichfalls geforderte Praxisnähe und die Erweiterung des Aufgabenkatalogs der Gewerkschaften haben den aufgabenspezifischen Lehrinhalten ihre Bedeutung belassen.

 

Die Formen der gewerkschaftlichen Schulungsarbeit sind mannigfaltig: Einzelvorträge, Wochenendschulungen und 14tägige Kurzlehrgänge in den Betrieben und in den Kreisbildungsstätten der FDGB-Kreisleitungen, 4wöchige Kurse in (jahreszeitlich bedingt) nicht genutzten FDGB-Heimen, 3monatige Lehrgänge bei den Bezirksschulen des FDGB und [S. 285]in den industriezweigspezifischen Schulen der wichtigsten IG (1969: 6). Die Ausbildung hauptamtlicher Funktionäre und die Weiterbildung von Funktionären der mittleren Leitungsebene erfolgt in Einjahreslehrgängen an 2 Jahresschulen des FDGB, die zugleich auch auf ein langfristiges Studium vorbereiten.

 

Spezialschulen des FDGB (Lehrgangsdauer: 3 Monate bis 1 Jahr) vermitteln Spezialkenntnisse auf den Gebieten Kulturarbeit, Sozialversicherung, Arbeitsschutz, Arbeit und Löhne, Arbeitsrecht (z. B. Zentralschule für Kultur in Leipzig). Zentrale Bildungs- und Forschungseinrichtung des FDGB ist die Hochschule der Deutschen Gewerkschaften „Fritz Heckert“ in Bernau. Neben kürzeren Lehrgängen finden dort seit 1956 ein 3jähriges Direkt- bzw. ein 5jähriges Fernstudium statt, die mit der Prüfung zum Diplom-Gesellschaftswissenschaftler abgeschlossen werden. Von 1952 bis 1969 haben 2.633 Funktionäre an der Hochschule Ein- oder Mehrjahreslehrgänge absolviert. In immer stärkerem Maß dient die Hochschule der empirischen Erforschung der Ergebnisse bestimmter gewerkschaftlicher Tätigkeiten, der begleitenden Unterstützung bei Versuchen mit neuen Arbeitsmethoden und der Weiterentwicklung der Gewerkschaftstheorie. Daneben findet die ständige Weiterbildung leitender Gewerkschaftskader mit Hochschulabschluß in Bernau statt. Ergebnisse der verbesserten Kaderaus- und Weiterbildung zeigen sich in der Verjüngung der aktiven Funktionäre in Leitungspositionen und in der zunehmenden Zahl von hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktionären mit Hochschulabschluß. 1974 wurden 39 Mill. Mark für die Aus- und Weiterbildung von Gewerkschaftsfunktionären aufgewendet, davon 20,1 Mill. Mark von den BGO bzw. OGO.

 

VI. Gewerkschaftliche Unterstützungseinrichtungen

 

 

Der FDGB verfügt über eine Anzahl von Unterstützungseinrichtungen für seine Mitglieder. Die Höhe der Leistungen variiert je nach Dauer der Mitgliedschaft und z. T. der Höhe der entrichteten Mitgliedsbeiträge. Ein Anspruch entsteht in der Regel nach einjähriger Mitgliedschaft. In Höhe eines Wochenbeitrages wird bei Erkrankung nach Wegfall des Lohnausgleichs aus der Sozialversicherung für 6 bis 9 Wochen eine tägliche Krankengeldunterstützung gewährt. Ferner zahlt der FDGB Geburtsbeihilfen (30 Mark) und Sterbegelder (100–370 Mark). Rentner mit langjähriger Mitgliedschaft in den Gewerkschaften (mindestens 35 Jahre) erhalten eine vierteljährliche Unterstützung von 30–50 Mark. 1973 wurden 29,6 Mill. Mark an Krankenunterstützung, 9 Mill. für Krankenbetreuung, 4 Mill. für Geburtenbeihilfe und 8,8 Mill. für soziale Unterstützung aus Gewerkschaftsmitteln für fast 2 Mill. Mitglieder ausgegeben. Für Darlehen in Notfällen und für größere Anschaffungen bestehen Kassen der gegenseitigen Hilfe, die durch Sonderbeiträge finanziert werden. Im Verkehrswesen tätige Gewerkschaftsmitglieder erhalten durch die „Fakulta“ Rechtsschutz und Familienunterstützung bei Verkehrsunfällen.

 

VII. Politik gegenüber den Gewerkschaften der Bundesrepublik Deutschland und internationale Beziehungen

 

 

Der FDGB hat sich in seiner Politik gegenüber den Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland immer an die jeweilige Linie der Deutschlandpolitik der SED gehalten. Lange Jahre hat er dementsprechend mit einer Fülle von Aktivitäten versucht, unmittelbar auf die Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Einfluß zu nehmen (Deutsche Arbeiterkonferenz, Delegationen, Versenden von Propagandamaterial usw.), ohne daß er dabei größere Erfolge hätte erzielen können. Im Zuge der vom DGB unterstützten Vertragspolitik zwischen den beiden deutschen Staaten ist es zur Aufnahme offizieller Kontakte sowohl zwischen FDGB und DGB als auch zwischen den Einzelgewerkschaften gekommen. Der FDGB hat sich jedoch durch Satzungsänderung auf dem 8. FDGB-Kongreß von der Festlegung auf das Ziel der „Konföderation der beiden deutschen Staaten“ losgesagt und unterstützt nunmehr die Abgrenzungspolitik der SED. Es entspricht dieser politischen Konzeption, wenn der FDGB Begegnungen mit dem DGB als „internationale Kontakte“ einzustufen sucht. Der FDGB ist Mitglied des Weltgewerkschaftsbundes (WGB), die IG/Gew. gehören den jeweils zuständigen Berufsorganisationen des WGB, den „Internationalen Vereinigungen der Gewerkschaften“, an. Seine internationalen Verbindungen nutzt der FDGB zur Unterstützung der Außenpolitik. Die Kontakte zu den im Aufbau befindlichen Gewerkschaften in den Entwicklungsländern werden besonders gepflegt. Seit Mai 1959 werden an der Hochschule des FDGB laufend Gewerkschaftsfunktionäre aus afrikanischen und asiatischen Ländern in 18-Monats-Lehrgängen ausgebildet.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 275–285


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.