DDR von A-Z, Band 1975

Handwerk (1975)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1979 1985


 

Das H. umfaßt H.- und Kleinindustriebetriebe mit grundsätzlich nicht mehr als 10 Beschäftigten sowie die Produktionsgenossenschaften des H. (PGH). Das H. ist der einzige „Wirtschaftsbereich“, in dem nicht nur das Eigentum an Produktionsmitteln, sondern auch die Verfügungsgewalt in erheblichem Umfang in privater Hand ist. Um zu vermeiden, daß das H. aufgrund dieser Eigenart ein zu großes Eigenleben entwickelte, und damit die Rolle eines Fremdkörpers in einem sozialistischen Wirtschaftssystem übernehmen konnte, war seit 1946 die H.-Politik darauf ausgerichtet, eine größtmögliche Anpassung zu erreichen. Dabei mußten Reibungsschwierigkeiten bei der Versorgung der Bevölkerung mit so differenzierten Leistungen, wie Reparaturen, Dienstleistungen und individueller Produktion, soweit wie möglich vermieden werden. Die seit 1958 in Angriff genommene Vollkollektivierung nach dem Vorbild der Landwirtschaft wurde aufgrund dieses Versorgungsaspektes im Frühsommer 1960 plötzlich abgebrochen, und die ausführenden Organe getadelt und bestraft. Seit 1972 ist eine vollständige Umstrukturierung und einseitige Ausrichtung des H. auf Reparatur- und Dienstleistungen (Rückführung auf die ureigene Aufgabe des H.) im Gange. Mit Ausnahme des Bau-H. und des Kfz.-H. ist das H. Bestandteil des Bereiches örtliche Versorgungswirtschaft. Ende 1973 erbrachte das H. 84 v. H. aller Reparaturen und 58 v. H. aller Dienstleistungen in diesem Bereich.

 

Die bisherige H.-Politik der DDR teilt sich in 3 Phasen:

 

1. Von 1946 bis 1960 wurde das H. den Bedingungen der zentralen Planwirtschaft angepaßt. Die Grundlage dafür bildet das Gesetz zur Förderung des H. vom August 1950 (GBl., Nr. 91). Danach dürfen private H.- und Kleinindustriebetriebe grundsätzlich nur noch 10 Beschäftigte haben. Der Inhaber eines H.-Betriebes muß, wie in der Bundesrepublik Deutschland, die Meisterprüfung abgelegt haben und in die H.-Rolle eingetragen sein. Inhaber von Kleinindustriebetrieben werden in die Gewerberolle eingetragen. Bereits 1946 waren mit Befehl 161 vom 27. 5. der SMAD die fachlichen Selbstverwaltungsorgane (Innungen) aufgelöst worden, die regionalen Selbstverwaltungsorgane, die Handwerkskammern, hatten bis zur Neuschaffung von Landeshandwerkskammern weiterzuarbeiten. Bestehen blieben die Einkaufs- und Liefergenossenschaften (ELG), die als Wegbereiter für die sozialistische Kooperation gefördert wurden, obwohl sie nicht als sozialistische Genossenschaften galten. Die ELG fungierten als zentrale Auftrags- und Materialverteiler, weshalb die meisten H.-Betriebe sich ihnen anzuschließen hatten. 1957 wurde das Verzeichnis der H.-Berufe (Positivliste) auf 157 Berufe verkürzt und damit weitere Betriebe ausgegliedert (GBl. I, 1957, Nr. 78). 1958 wurden alle diejenigen Betriebe, deren Handelsumsätze [S. 399]mehr als 50 v. H. des Gesamtumsatzes betrugen, aus der H.-Rolle ausgegliedert und an die Industrie- und Handelskammern überwiesen (GBl. I, 1958, Nr. 20). Diese Maßnahmen, verbunden mit steuerlichen Eingriffen (Handwerkssteuer), dienten der Vorbereitung zur Sozialisierung des H. Bereits auf der II. Parteikonferenz der SED von 1952 hatte Ulbricht die Bildung von Produktionsgenossenschaften des H. (PGH) propagiert. Zu Beginn der intensiven Kollektivierungskampagne 1957 hatten die PGH jedoch erst einen Anteil von knapp 3 v. H. vom Umsatz erreichen können. Nach Abbruch der Kollektivierungskampagne 1960 war der Anteil auf 28 v. H. gestiegen. Die rechtliche Grundlage für die PGH bildete bis zur Novellierung 1973 das verbindliche Musterstatut von 1955 (GBl. I, 1955, Nr. 72). Danach sind die PGH wie die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften sozialistische Genossenschaften, die durch Zusammenschluß ehemals Selbständiger aus H. und Kleinindustrie und deren Beschäftigten entstehen. Sie bilden ein Kollektiv nach dem Muster der sowjetischen Gewerbegenossenschaften, die ihren Betriebsplan seit 1966 an der Jahres- und Perspektivplanung zu orientieren haben. In der PGH haben alle Mitglieder unabhängig von ihrer ehemaligen Stellung als Selbständige, Gesellen, Angestellte und Arbeiter den gleichen sozialen Status.

 

Ähnlich den Typen der LPG werden die PGH entsprechend ihrem Vergesellschaftungsgrad nach Stufen unterschieden. In der Stufe I wird noch mit Produktionsmitteln in privaten Werkstätten produziert, genossenschaftliches Eigentum entsteht erst durch Investitionen, die aus dem genossenschaftlichen Fonds finanziert werden. In Stufe II geht das Eigentum an Maschinen, Werkzeugen, Produktions- und Lagerraum durch Verkauf an die PGH über. 1971 gehörten 70 v. H. aller PGH der Stufe II an. Als besonderer Anreiz zum Eintritt in die PGH diente bis 1967 die fast völlige Steuerfreiheit der Genossenschaft und ihrer Mitglieder und die bevorzugte Materialversorgung durch die zuständigen Organe.

 

2. Von 1960–1970 erfolgte ein stetiges Wachstum der PGH, aber auch das private H. steigerte trotz eines Rückganges der Betriebe und Beschäftigten seine Leistungen.

 

Beide Betriebsformen steigerten allerdings die Produktion in weit stärkerem Maße als die Reparatur- und Dienstleistungen, da die behördlich festgelegten Regelpreise für Reparaturen erheblich unter denen für andere H.-Leistungen lagen.

 

Seit 1965 wurde im H. im verstärkten Maße die Kooperation eingeführt. Dabei spielten anfangs die Arbeitsgemeinschaften der Produktionsgenossenschaften (AGP) eine wesentliche Rolle. Sie sind organisatorische Zusammenschlüsse mehrerer PGH und dienten der Koordinierung der Planung der Materialbeschaffung und des Absatzes. Private Betriebe betreuen sie mit, wenn keine ELG vorhanden sind. Inzwischen haben die AGP an Bedeutung verloren, da in immer stärkerem Maße die Erzeugnis- und Versorgungsgruppenarbeit zwischen allen Eigentumsformen des H. und der Industrie ausgebaut wurden.

 

3. Ende 1970 wurde die dritte Phase, die Umstrukturierung bzw. Rückführung des H. auf seine „ursprünglichen Aufgaben“ sowie die fast völlige Einbeziehung in die staatliche Planung, eingeleitet. Trotz des Arbeitskräftemangels in der DDR hatte das H. seine Beschäftigtenzahl durch Abwerbung aus der volkseigenen Wirtschaft mit Hilfe höherer Vergütungen schneller steigern können. Die Einkommenssituation in PGH und privaten Betrieben war günstiger als in den VEB. Mit massiven steuerlichen Maßnahmen für beide Eigentumsformen und mit einem Einstellungsstopp für die PGH wurde 1971 dieser gesellschaftspolitisch unerwünschten Situation begegnet. Besonders die gegen die industriell produzierenden PGH gerichteten Maßnahmen ließen bereits eine Verstaatlichung entsprechend der 1956 eingeleiteten Verstaatlichung der sowjetischen produzierenden Gewerbegenossenschaften vermuten. Sie wurde im Frühjahr 1972 im Zuge der Umwandlung von privaten und halbstaatlichen Industriebetrieben in VEB (unveröffentlichter Politbüro- und Ministerratsbeschluß vom 8./9. 2. 1972) für ca. 1 600 industriell produzierende PGH überwiegend der Stufe II durchgeführt.

 

Die VO über die Förderung des H. bei Dienst- und Reparaturleistungen und die Regelung der privaten Gewerbetätigkeit vom Juli 1972 (GBl. II, Nr. 47) bildet nunmehr die rechtliche Grundlage für die Herauslösung der noch verbliebenen PGH und der privaten Betriebe aus der Produktion. Danach werden Dienst- und Reparaturleistungen steuerlich begünstigt. PGH und private Betriebe hatten die Auflage, ihre Mitarbeit in Erzeugnisgruppen bis Ende 1973 einzustellen und sich grundsätzlich auf die Mitarbeit in Versorgungsgruppen zu konzentrieren. Die Herauslösung aus den Erzeugnisgruppenbeziehungen führt zu einer Reihe von Schwierigkeiten mit Partnern in der Industrie, die von den Vertragsgerichten entschieden werden müssen. PGH erhalten nunmehr verbindliche Planaufgaben durch die örtlichen Organe; auch privaten Betrieben können diese Auflagen gemacht werden. Weiterhin mußten die PGH bis Ende 1973 alle Lohnarbeiter entlassen oder in Ausnahmefällen als Mitglieder aufnehmen. (Nach dem alten Statut durften sie noch mit behördlicher Genehmigung 10 v. H. der Mitglieder als Lohnarbeiter einstellen.) Weitere Präzisierungen finden sich im neuen Musterstatut der PGH vom Februar 1973 (GBl. I, 1973, Nr. 14). Dieses Statut dient dazu, die „Arbeits- und Lebensbedingungen“ in den PGH denjenigen in den VEB anzugleichen. Das betrifft sowohl die Planung, das Fondssystem, die Vergütung als auch die Ausarbeitungen von Betriebsordnungen entsprechend der Arbeitsordnungen in den VEB. Mitglieder dürfen nur noch aus dem H. und Kleingewerbe aufgenommen werden, Lohnarbeiter dürfen, abgesehen von Einzelfällen (Rentner, Schwerbeschädigte usw.), überhaupt nicht mehr beschäftigt werden.

 

Die Genossenschaftsbildung wird im H. weiter mit unverminderter Stärke propagiert. Nur H.-Berufe wie Bäcker, Klempner, Uhrmacher, Dachdecker, Tischler, Friseur und Schneider dürfen im privaten Bereich besonders gefördert werden. Verstärkte Erteilung von Ge[S. 400]werbegenehmigungen auf der Basis der Verordnung vom Juli 1972 sind hier bereits zu verzeichnen. Aufgrund der in den letzten Jahren intensivierten Bemühungen um die Rekonstruktion historischer Stadtbilder und Bauten genießt seit Ende 1973 das vernachlässigte Kunst-H. (GBl. I, Nr. 55) besondere Förderung. Ab 1. 9. 1975 gilt die neue Ausbildungsanordnung für „Meister des Handwerks“ (GBl. I, 1975, Nr. 9), nach der die Fachrichtungen auf 61 (in der Bundesrepublik Deutschland 125) verringert wurden.

 

 


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 398–400


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.