DDR von A-Z, Band 1975

Industrie (1975)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1979 1985

 

Das Gebiet der DDR war bereits vor der Spaltung Deutschlands in etwa gleichem Umfang industrialisiert wie das jetzige Bundesgebiet. Im letzten Jahr mit normaler Friedensproduktion vor dem Zweiten Weltkrieg, d. h. 1936, entfielen ca. 30 v. H. der I.-Produktion der heutigen Gebiete von Bundesrepublik Deutschland und DDR auf den DDR-Raum. (Zum Vergleich: Das Gebiet der heutigen DDR ist um weniger als halb so groß wie das der Bundesrepublik - 108.000 zu 248.000 qkm 1939 lebten auf dem Territorium der heutigen DDR 16,7 Mill. Einwohner, auf dem der Bundesrepublik 43,0 Mill.). Während jedoch in der Bundesrepublik Deutschland die Grundstoffindustrie und der Schwermaschinenbau konzentriert waren, hatten in Mitteldeutschland vor allem der Textilmaschinenbau, das Druckgewerbe, die Feinmechanische und Optische Industrie, die Leichtindustrie und die Lebensmittel-I. ihre Hauptstandorte. Die Grundstoff-I. und der materialintensive Schwermaschinenbau waren gering entwickelt, weil hier die erforderlichen Bodenschätze fehlten.

 

Der Anteil des jetzigen DDR-Raumes an der Förderung des Reichsgebietes betrug 1936 bei Eisenerz 5,0 v. H. und bei Steinkohle 2,3 v. H., so daß die Ausgangsstoffe zur Herstellung schwerer I.-Ausrüstungen fehlten. Dementsprechend war die Produktion von Kokereikoks, Roheisen, Rohstahl und Walzwerkserzeugnissen auf die Westgebiete konzentriert. Allein die Kali- und Braunkohlenförderung war auf dem heutigen Gebiet der DDR sehr stark entwickelt. Der sehr schmalen metallurgischen Basis stand eine stark spezialisierte arbeitsintensive metallverarbeitende I. gegenüber. Mit einem Bevölkerungsanteil von ca. 25 v. H. hatte das Gebiet der heutigen DDR innerhalb des Reichsgebietes z. B. folgende Anteile an der I.-Produktion:

 

 

Die I. der jetzigen DDR war 1936 mit ca. 27 v. H. am Bruttosozialprodukt des Reichsgebietes beteiligt. Durch Kriegs- und Kriegsfolgeschäden verlor sie mehr als die Hälfte ihrer Produktionskapazitäten von 1936, wobei die Kriegsfolgebilanz nur geschätzt werden kann.

 

 

Wegen des Fehlens von Nachkriegsstatistiken kann die genaue Höhe der Demontageschäden nicht exakt ermittelt werden. Verschiedene Schätzungen beziffern die Kapazitätsverluste der I. der SBZ/DDR mit bis zu 200 v. H. der westdeutschen I.

 

[S. 408]Der Auf- und Ausbau der I. nach 1945 geschah nach dem von der Sowjetunion bestimmten und von der SED-Führung durchgeführten Programm, in dem politische Gesichtspunkte den Vorrang hatten. Die Spaltung Deutschlands schnitt die Verarbeitungs-I. Mitteldeutschlands von ihren traditionellen Bezugsquellen für Rohstoffe und Halbfabrikate in Westdeutschland ab. Die dadurch verursachten Schwierigkeiten waren um so größer, als die einzelnen I.-Zweige durch den Krieg und die sowjetische Reparationspolitik unterschiedliche Kapazitätsverluste erlitten hatten. Die I. bedurfte daher — wie die I. der Bundesrepublik unter anderen Bedingungen — der Hilfe von außen. Die SED-Führung stützte sich dabei auf die Sowjetunion und übernahm weitgehend das sowjetische Wirtschaftssystem. Zu den wichtigsten Maßnahmen gehörten die Verstärkung der Grundstoffindustriebereiche (Braunkohlen-I., Energiewirtschaft, eisenschaffende I., chemische Grundstoff-I.) und die Inangriffnahme des Aufbaus einer bis dahin in Mitteldeutschland nicht beheimateten Schwermaschinenbau-I. Die Komplettierung der mitteldeutschen I.-Struktur verschlang erhebliche Investitionsmittel, die die Bevölkerung teilweise durch erzwungenen Konsumverzicht aufzubringen hatte.

 

Die I. ist der weitaus bedeutendste Wirtschaftsbereich der DDR. Ihr Anteil an der Bildung des Sozialprodukts beträgt mehr als die Hälfte; der Beschäftigtenanteil (einschließlich Lehrlinge) der I. liegt mit ca. 38 v. H. weit über dem aller anderen Wirtschaftsbereiche. Die Bedeutung der I. wird auch dadurch unterstrichen, daß sie ca. 54 v. H. der Bruttoanlageinvestitionen der gesamten Wirtschaft auf sich vereinigt (1973).

 

Die nachfolgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Branchenstruktur der DDR-I. Während 1950 die Leichtindustrie einschließlich der Textilindustrie mit knapp 25 v. H. an der Produktion der gesamten I. sehr stark vertreten war, zeigen die Metallurgie mit 6 v. H. sowie der Maschinen- und Fahrzeugbau mit 17 v. H. relativ geringe Anteile. Die Branchenstruktur der I. hat sich aber im Zuge des Aufbaus eines eigenen Schwermaschinenbaus, der Ausweitung der Metallurgie und der Chemie verbessert.

 

Parallel mit der Veränderung der Produktionsstruktur vollzog sich ein bedeutender Prozeß der Konzentration der Produktion. In den vergangenen zwanzig Jahren verringerte sich die Anzahl der I.-Betriebe von etwa 20.000 auf 10.000. Vor allem in der Grundstoff-I. ist - wie in anderen I.-Ländern auch - die Produktion in wenigen Großbetrieben konzentriert. Ca. ein Drittel aller Arbeiter und Angestellten (über 800.000 Beschäftigte) arbeiten gegenwärtig in den Betrieben von 40 I.-Kombinaten. Diese Kombinate sind den Industrieministerien direkt unterstellt.

 

 

Der Konzentrationsgrad der Produktion zeigt sich im Anteil der Produktion der Betriebe mit mehr als 1 000 Beschäftigten an der industriellen Produktion der jeweiligen Branche. Auf Betriebe mit mehr als 1 000 Beschäftigten entfallen bei der Energie- und [S. 409]Brennstoff-I. 98 v. H. der Produktion, bei der chemischen I. 80, der Metallurgie 95, dem Maschinen- und Fahrzeugbau 64, dem Bereich Elektrotechnik, Elektronik und Gerätebau 80 und bei der Textil-I. 65 v. H.

 

 

Zu den größten I.-Betrieben gehören der VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, Leuna, mit ca. 30.000 Beschäftigten, und der VEB Carl Zeiss, Jena, der VEB Filmfabrik Wolfen, Wolfen, der VEB Chemiekombinat Bitterfeld, Bitterfeld, der VEB Schwermaschinenbau-Kombinat „Ernst Thälmann“, Magdeburg, mit Beschäftigungszahlen zwischen 13.000 und 18.000. Ein Vergleich der Struktur der I. nach der Zahl der Betriebe und dem Anteil an der I.-Produktion zeigt, daß gegenwärtig — wie in allen industrialisierten Ländern — zwischen den I.-Bereichen große Unterschiede im Konzentrationsgrad der Produktion bestehen.

 

 

Die Hauptstandorte der I. liegen in den südlichen Bezirken der DDR und im Berliner Raum, vor allem bedingt durch die Konzentration der Bodenschätze im Süden und die traditionell im Norden vorherrschende Landwirtschaft. Durch Ausbau der Fischerei- und Werft-I. im Bezirk Rostock und die Ansiedlung von Produktionsstätten der Nahrungsgüter-I. sowie des Maschinen- und Fahrzeugbaus in allen drei nördlichen Bezirken erhöhte sich ihre industrielle Bedeutung bei weiterhin dominierender Stellung des traditionellen I.-Zentrums Ost-Berlin und der Bezirke Dresden, Halle, Karl-Marx-Stadt und Leipzig. In den vier Ballungszentren der I. Karl-Marx-Stadt/Zwickau, Dresden, Halle/Leipzig und Ost-Berlin ist auf 15 v. H. der Fläche der DDR die Hälfte der I.-Produktion konzentriert.

 

 

Die I.-Produktion wurde seit 1950 bei einer Erhöhung der Beschäftigtenzahl um ca. 25 v. H. um das sechsfache gesteigert. In den 50er Jahren betrug das Wachstum der I.-Produktion jährlich ca. 14 v. H.; nach der Phase der extensiven Erweiterung der Produktionsquellen und dem Übergang zum intensiven Wachstum Mitte der 60er Jahre hat sich die durchschnittliche jährliche Zuwachsrate der I.-Produktion bis 1973 auf 6,0 v. H. verringert. Der Rückstand der industriellen Arbeitsproduktivität in der DDR gegenüber der Bundesrepublik Deutschland betrug nach Berechnungen westdeutscher Sachverständiger im Jahre 1968 31,6 v. H. Entsprechend besteht im mengenmäßigen Produktionsniveau je Kopf der Bevölkerung ein beträchtlicher Abstand zur I. der Bundesrepublik.

 

 

[S. 410]

 

 

Durch die Überführung halbstaatlicher und privater Betriebe in Volkseigentum (auch Produktionsgenossenschaften des Handwerks mit industrieller Produktion wurden in volkseigene I.-Betriebe umgewandelt) änderte sich die „sozialökonomische“ Struktur der I. im Jahre 1972. Basis für die 1972 erfolgte Umwandlung der letzten noch bestehenden Privatbetriebe oder der privaten Anteile an Betrieben in Volkseigentum waren die auf der 4. Tagung des ZK der SED (16./17. 12. 1971) beschlossenen Aufgaben zur „Weiterentwicklung der sozialistischen Produktionsverhältnisse und zur Beseitigung von gewissen Erscheinungen der Rekapitalisierung“.

 

 

Mit der eigentlichen Lenkung und Kontrolle der Entwicklung in den einzelnen I.-Bereichen sind folgende I.-Ministerien betraut:

 

die Ministerien für

 

- Kohle und Energie,

 

- Erzbergbau, Metallurgie und Kali,

 

- Chemische Industrie,

 

- Elektrotechnik und Elektronik,

 

- Schwermaschinen- und Anlagenbau

 

- Werkzeug- und Verarbeitungsmaschinenbau,

 

- Allgemeinen Maschinen-, Landmaschinen- und Fahrzeugbau,

 

- Glas- und Keramikindustrie,

 

- Leichtindustrie,

 

- Bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 407–410


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.