
Investitionsrechnung (1975)
Siehe auch die Jahre 1979 1985
In der DDR kann man von einer I. im westlichen Verständnis nicht sprechen. „Nutzeffektsberechnungen“ unter den Bedingungen politisch vorgeprägter und planwirtschaftlich durchgeführter Investitionsentscheidungen haben eine viel geringere Bedeutung als Rentabilitätskalküle unter marktwirtschaftlichen Bedingungen; denn in der DDR-Wirtschaft werden Knappheiten nicht durch Marktpreise, sondern durch Ungleichgewichte in Mengenbilanzen ausgewiesen, stehen nicht einzelwirtschaftliche, sondern volkswirtschaftliche Wirtschaftlichkeitsüberlegungen im Vordergrund und entscheiden nicht gewinnorientierte Betriebe, sondern in erster Linie politisch motivierte Zentralinstanzen.
Häufig wird bei Investitionsüberlegungen versucht, Kennziffern wie Arbeitsproduktivität und Grundfondsquote (Kapitalproduktivität) heranzuziehen. Solche Verfahren können jedoch nicht als I. bezeichnet werden, denn die Veränderung dieser gesamtwirtschaftlich durchaus sinnvollen Kennziffern läßt sich nur in den wenigsten Fällen einzelnen Investitionen zurechnen. Tatsächlich werden investitionsrechnerische Methoden in der DDR-Wirtschaft praktisch nur bei der Entscheidung zwischen mehreren Investitionsvarianten angewendet.
Die Grundformel der sogenannten Rückflußfristenrechnung lautet:
I = Investitionsaufwendungen der Varianten 1 und 2; S = die (laufenden) Selbstkosten der Produktion nach Variante 1 und 2 und RN = die normative Rückflußdauer, die in der DDR für alle Wirtschaftszweige 5 Jahre beträgt. Diese Formel besagt folglich, daß — gleiche Erträge vorausgesetzt — die höheren Investitionskosten einer Variante durch die niedrigeren laufenden Kosten dieser Variante innerhalb von 5 Jahren amortisiert sein müßten, wenn diese Variante mit den höheren Investitions[S. 436]kosten als vorteilhaft gelten soll. Anderenfalls ist die Variante mit den geringeren Investitionskosten vorzuziehen. Diese Grundformel läßt sich so abwandeln, daß mit unterschiedlichen Erträgen gerechnet wird und daß der Nutzkoeffizient aus dem Kehrwert von
gebildet und zur Gewichtung der Investitionskosten benutzt wird. Diese formalen Umwandlungen und anderen Anwendungen der Formel verändern die genannte Frage nach der Einhaltung einer zentral gesetzten Amortisationsdauer oder Rückflußfrist nicht.
Solche „Amortisationsrechnungen“ („Pay off“-Methoden), die auch in der I.-Praxis von marktwirtschaftlichen Betrieben angewendet werden, können bei der Abschätzung des Investitionsrisikos Hilfsdienste leisten.
Zur Messung der Rentabilität (Wirtschaftlichkeit) einer Investition sind sie nach einhelliger wirtschaftswissenschaftlicher Meinung im Westen nicht geeignet. Nach dieser Methode wird nämlich nicht über die gesamte Lebensdauer einer Investition gerechnet. Außer der Mißachtung dieser grundlegenden Anforderung an jedes Investitionskalkül sind jedoch bei der normativen Rückflußrechnung in der DDR noch andere wesentliche methodische Mängel nachzuweisen (z. B. Zinssatz von 20 v. H. zu hoch; Restbuchwerte fälschlich eingerechnet; Abschreibung nicht verzinst). Dennoch sind die Hauptmängel der Investitionspolitik der DDR kaum auf diese unzureichende I.-Methode zurückzuführen, denn die grundlegenden Investitionsentscheidungen sind politisch, strukturell und mengenwirtschaftlich bestimmt. Investitionen; Planung.
Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 435–436