DDR von A-Z, Band 1975

Parteischulung der SED (1975)

 

 

Siehe auch:


 

1. Funktion und Geschichte. Die P. ist als System der Qualifizierung und Bewußtseinsbildung gleichermaßen Element der Propaganda wie auch der Kaderpolitik der Partei (Kader). Sie schließt Indoktrination (Herrschaftslegitimierung, ideologische Abgrenzung, Abwehr von reform-kommunistischen, maoistischen und westlich-sozialistischen Ideen), Herrschaftswissen, Training von Denk- und Verhaltensweisen durch ständige Wiederholungen, Kontrolle der Meinungen und Emotionen der Betroffenen (Meldung durch das System der Parteiinformationen an übergeordnete Parteidienststellen), fachliche Informationen und Vermittlung exakt anwendbarer Kenntnisse ein. Je höher die Ebene der Parteischulung (an der Spitze steht die Parteihochschule „Karl Marx“ beim ZK der SED) ist, um so wichtiger wird sie für die berufliche Laufbahn des Betroffenen und um so differenzierter ist das Lehrangebot.

 

Auf den unteren Stufen der P. (Kreis- und Betriebsschulen des Marxismus-Leninismus, Parteilehrjahr und in Anlehnung daran FDJ-Lehrjahr) überwiegt ihre Propaganda- und Agitationsfunktion sowohl quantitativ wie qualitativ.

 

Die höchste Form der Kaderschulung der SED erfolgt außerhalb der DDR durch sowjetische Schulen und Institute. Die wichtigsten, gegenwärtig geltenden Beschlüsse zum System der P. sind: „Die Hauptaufgaben des Parteilehrjahres der SED und seine weitere Entwicklung in den Jahren 1971–1975“ (14. 9. 1971); „Die Aufgaben der Agitation und Propaganda bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages“ (7. 11. 1972); „Die Aufgaben der Bildungsstätten im System der marxistisch-leninistischen Schulungsarbeit der Partei“ (24. 4. 1968); „Über den Literaturvertrieb in den Grundorganisationen und die Aufgaben des Literaturobmanns“ (7. 7. 1965); „Maßnahmen zur Erhöhung der Wirksamkeit der politisch-ideologischen Arbeit der Partei durch die Anwendung moderner Anschauungsmittel“.

 

Die wichtigsten Schulungseinrichtungen der SED sind die Parteischulen, das Parteilehrjahr und die Bildungsstätten.

 

Bereits die 2. Tagung des PV (14./15. 5. 1946) beschloß Maßnahmen, um ein einheitliches Schulungssystem aufzubauen, das jedoch erst seit Herbst 1946 auf allen Ebenen durchgesetzt werden konnte. Das Schulungssystem umfaßte laut Beschluß vom Mai 1946 politische Bildungsabende, Wochenendkurse sowie den Bereich von Kreisschulen, Landes-(Provinzial-)schulen und der Parteihochschule „Karl Marx“. Die unterste Stufe der Schulungspyramide stellten die Bildungsabende dar. Sie fanden 14täglich in allen Betriebs- und Wohnbezirksgruppen sowie den ländlichen Ortsgruppen statt. Von der Abteilung Werbung und Schulung des Zentralsekretariats wurden zu diesem Zweck die „Sozialistischen Bildungshefte“ herausgegeben.

 

In dieser Phase umfaßte die P. neben den politischen Bildungsabenden die Internatsschulen in den Kreisen, Ländern und auf zentraler Ebene. Hier wurden Kader für den Partei-, Verwaltungs- und Wirtschaftsapparat ausgebildet. Vom Oktober 1946 bis Mai 1947 wurden 105 Kreisschulen der SED eröffnet, die in Zweiwochenkursen fast 20.000 SED-Mitglieder ausbildeten. Auf 6 Landesparteischulen und 2 Landesparteispezialschulen wurden Funktionäre in 3monatigen Kursen ausgebildet, in denen das Selbststudium bereits eine große Rolle spielte. Insgesamt wurden auf den Landesparteischulen bis zum Juni 1947 ca. 2.200 Parteifunktionäre ausgebildet.

 

Ranghöchste Bildungseinrichtung der SED ist die Parteihochschule „Karl Marx“. Der erste Lehrgang an dieser Institution begann am 15. 6. 1946 und dauerte 6 Monate. Daneben fanden ein 3monatiger Lehrgang zur Schulung von Journalisten und kürzere Kurse für Lehrer der Kreis-Parteischulen, für Wirtschaftsfunktionäre, Mitarbeiter der Personalpolitischen Abteilung (im Zentralsekretariat) und Kommunalpolitiker statt.

 

Bis Juli 1947 wurden vom parteieigenen Dietz-Verlag in Ost-Berlin bereits 46 Titel der Klassiker des Marxismus-Leninismus und andere Schriften in einer Gesamtauflage von 6.055.000 Exemplaren herausgegeben. Zu tagespolitischen Themen erschienen Broschüren in einer Auflage von knapp 9 Mill. Exemplaren.

 

Die Umwandlung der SED in eine „Partei neuen Typus“ führte auf der 11. PV-Tagung (Juni 1948) zum Beschluß über die „Verstärkung und Verbesserung der P.-Arbeit“, der eine grundlegende Veränderung im gesamten Schulungssystem der SED zur Folge hatte. Bis Ende 1948 wurden in allen Großbetrieben Betriebsparteischulen eingerichtet, die in erster Linie den Betriebsplan des betreffenden Werkes propagierten. Für die übrigen Parteischulen wurde der Lehrplan völlig umgearbeitet und die Kurse verlängert. Ein weiterer Schritt zur Anpassung der P. an die P. in der UdSSR war der Beschluß des Zentralsekretariats „Über die Verstärkung des Studiums der Geschichte der KPdSU (Bolschewiki) - kurzer Lehrgang“ (20. 9. 1948). Im Mittelpunkt der P. stand bis nach Stalins Tod (1953) dessen Partei- und Staatstheorie. Dabei ging es u. a. um die Überwindung der Auffassung vom „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ und um die Begründung der Einbeziehung der DDR in den östlichen Block im Rahmen der „Zwei-Lager-Theorie“.

 

2. Das Parteilehrjahr. Seit Juni 1950 wurde statt der bisherigen Bildungsabende das Parteilehrjahr als Haupt[S. 618]form der externen P. eingeführt. Ursprünglich fand es wie die Bildungsabende 14täglich, später 4wöchentlich in den Monaten Oktober bis Juni statt.

 

In den nächsten Jahren haben sich Inhalt und Form der P. nicht geändert. Seit 1955 und nach dem XX. Parteitag der KPdSU gewannen die inneren Probleme der DDR, militärische und wirtschaftliche Fragen und die Schulung in „Politischer Ökonomie des Sozialismus (Lehrbuch)“ zunehmend an Bedeutung. In den 60er Jahren standen Fragen eines neuen Selbstverständnisses der SED und Bemühungen um größere Praxisnähe der P. im Vordergrund. Mit dem Beschluß vom 24. 4. 1968 wurde das Schulungsprogramm des Parteilehrjahres für mehrere Jahre konzipiert. Hauptthemen waren: a) die DDR - der „sozialistische Staat deutscher Nation“, b) die Gestaltung des „entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus“ und c) die Vermittlung einer wissenschaftlichen Denkweise durch die Behandlung von Themen aus dem Bereich der Kybernetik, Organisationswissenschaften sowie der Planungs- und Wirtschaftstheorie.

 

Der Beschluß des Politbüros vom 14. 9. 1971 „Die Hauptaufgaben des Parteilehrjahres der SED und seine weitere Entwicklung in den Jahren 1971–1975“ nennt als Hauptaufgabe des Parteilehrjahres „ … den Teilnehmern auf hohem theoretischem Niveau immer umfassendere Kenntnisse der marxistisch-leninistischen Theorie zu vermitteln, ihnen zu helfen, die vom VIII. Parteitag der SED beschlossene Strategie und Taktik unseres Kampfes für die weitere Stärkung der DDR gründlich zu verstehen“.

 

Hauptkomplexe des 1972 neuorganisierten Parteilehrjahres sind gegenwärtig: a) Integration der DDR in die Gemeinschaft sozialistischer Staaten; b) die ideologische Absicherung der führenden Rolle der SED; c) die Propaganda für die Hauptaufgabe und die Ziele der Wirtschaftspolitik bis 1975; d) Grundfragen der Staatstheorie; e) die Abgrenzungspolitik der SED und ihre Haltung zu den Fragen der europäischen Sicherheitspolitik.

 

Gegenwärtig existieren folgende Formen der P.:

 

1. Die marxistisch-leninistische Schulung der Kandidaten (durchgeführt seit 1965 in Großbetrieben oder bei den Kreisleitungen — ca. 50.000 Teilnehmer im Jahr);

 

2. Zirkel für die Aneignung marxistisch-leninistischen Grundwissens (seit 1965 — ca. 500.000 Teilnehmer);

 

3. Seminare a) zum Studium der Geschichte der KPdSU nach 1971 (wieder neu aufgenommen), b) zum Studium der Politischen Ökonomie des Sozialismus und der Wirtschaftspolitik der SED (Dauer 2 Jahre), c) zum Studium der Geschichte der SED (Dauer 2 Jahre);

 

4. Vortragszyklen für die Weiterbildung der Nomenklaturkader der Bezirks- und Kreisleitungen, der Propagandisten der SED und FDJ (jährlich ca. 22.000 Teilnehmer) sowie der Kader aus Wissenschaft, Volksbildung und Kultur. Für diese Kader werden 2jährige Vortragszyklen von den Bezirks- und Kreisleitungen durchgeführt.

 

Ein weiterer Vortragszyklus für leitende Kader der Zentralen Staatsorgane und Leitungen von Massenorganisationen sowie anderen Institutionen findet an der Parteihochschule „Karl Marx“ statt. Hier referieren im Rahmen des Themenplans der Abteilung Propaganda des ZK führende Parteimitglieder zu Grundfragen der kommunistischen Weltbewegung.

 

5. Schulungsabende der Wohnparteiorganisationen. Zur systematischen Aus- und Weiterbildung der Lehrgangsleiter (Propagandisten) werden bei den Bildungsstätten 3- bzw. 1jährige Kurse entsprechend dem Lehrplan der Bezirksleitungen und dem Rahmenplan der Abteilung Propaganda durchgeführt.

 

Die Inhalte der Bildungsarbeit der SED wurden durch die Agitationskonferenz vom 7. 11. 1972 und den Beschluß über „die Aufgaben der Agitation und Propaganda bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED“ weiter konkretisiert. Zu zentralen Themen der P. wurden erneut die Abgrenzungspolitik, der „Sozialdemokratismus“ und Maoismus erklärt.

 

Im Parteilehrjahr 1973/74 studierten in 85.000 verschiedenen Kursen 1,3 Mill. Parteimitglieder und Kandidaten sowie 226.000 parteilose Hörer.

 

3. Parteischulen. Zu Hauptaufgaben der Parteischulen zählt die SED: „Ausrüstung der Kader der Partei mit einer gründlichen marxistisch-leninistischen Bildung; Festigung ihres Klassenstandpunktes und ihrer sozialistischen Denk- und Verhaltensweise; Befähigung der Kader der Partei, gesellschaftliche Prozesse zu leiten und sich auf das Neue zu orientieren“ (Kleines Politisches Wörterbuch, Berlin [Ost] 1973, Stichwort Parteischulung, S. 641).

 

a) Die Parteischulen entsprechen in ihrem Aufbau der hierarchischen Struktur der SED. Im System der Parteischulen und Forschungsinstitute kommt dem am 21. 12. 1951 gegründeten Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED (IfG) besondere Bedeutung zu. (Dir. O. Reinhold).

 

b) An der Spitze der Parteischulen, deren vorwiegende Aufgabe die Ausbildung von Kadern der Partei ist, steht die Parteihochschule (PHS) „Karl Marx“ in Berlin (Ost) (Dir. H. Wolf).

 

c) Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung (ZSW) in Berlin-Rahnsdorf (Dir. H. Koziolek). Spezialschulen im Rahmen der P.

 

d) Sonderschule des ZK für die Ausbildung hauptamtlicher Kader der Partei in Brandenburg. Leiter: Elisabeth Meurer.

 

e) Sonderschule des ZK Kleinmachnow. Dieser Schule ist angeschlossen ein Seminar zur Weiterbildung von Lehrern der Bezirks-Parteischulen sowie Dozenten des gesellschaftswissenschaftlichen Studiums an Universitäten, Hoch- und Fachschulen. Leiter der Schule: A. Pietschmann (früher Sektorenleiter in der Propaganda-Abteilung des ZK). Diese Schule wurde Anfang 1973 eröffnet.

 

f) Sonderschule des ZK für Kulturkader in Woltersdorf. Leiter ist Gerd Rossow.

 

Die Sonderschulen unterstehen den fachlich zuständigen Abteilungen des ZK.

 

g) Drei Institute für sozialistische Wirtschaftsführung [S. 619]zur Ausbildung von Partei-Funktionären in der Landwirtschaft in Schwerin (Leiter: O. Kirchner), in Liebenwalde und in Pillnitz/Dresden (Leiter: H. Gratz). Hier werden in Zweijahres-Lehrgängen Kader für die VE Güter und die LPG ausgebildet. Nach Studienabschluß wird von diesen Schulen der Titel eines „Staatlich geprüften Landwirts“ verliehen. Der Einsatz erfolgt überwiegend in Parteifunktionen der Landwirtschaft.

 

h) Bezirkspartei- und Sonderschulen der Bezirksleitungen der SED. Die Bezirksparteischulen lösten nach der Verwaltungsreform von 1952 die Landesschulen der SED ab. Die Lehrgangsdauer betrug anfangs ein Jahr; seit 1965 gibt es zur Weiterbildung externe Klassen der normalen Internatslehrgänge. Das Pensum der Einjahreskurse kann auch in einem zwei Jahre dauernden Fernstudium erarbeitet werden.

 

Neben den Bezirksparteischulen bestehen Sonderschulen der Bezirksparteiorganisation zur Weiterbildung der Nomenklaturkader der Bezirks- und Kreisleitungen der SED. Die Weiterbildungskurse dauern in der Regel drei Monate; jedoch gibt es bei aktuellen Anlässen auch kurzfristige Lehrgänge.

 

An beiden Schulformen studieren: Mitglieder und Mitarbeiter der Bezirks- und Kreisleitungen, Sekretäre von Grundorganisationen, Leitungskader von Staats- und Wirtschaftsinstitutionen sowie Funktionäre der Massenorganisationen, der Bereiche Volksbildung und Kultur.

 

i) Die Kreis- und Betriebsschulen des Marxismus-Leninismus bilden die Hauptform der Aus- und Weiterbildung der Kader der Betriebsparteiorganisation (BPO). Ihre Einrichtung geht auf einen Politbüro-Beschluß des Jahres 1965 zurück. Das Themenprogramm wird vom ZK erarbeitet. Die Sekretariate der Kreisleitungen sind für die Auswahl des Lehrpersonals und der Teilnehmer verantwortlich. Die Hauptform der P. ist der Einjahreslehrgang, der neben der beruflichen Tätigkeit besucht wird.

 

k) Neben den Parteischulen gibt es Bildungsstätten der SED. Bildungsstätten sind Einrichtungen der Kreisleitungen der SED und der Großbetriebe zur Aus- und Weiterbildung der Propagandisten der Partei. Sie bilden vor allen Dingen Zirkel- und Seminarleiter des Partei- und FDJ-Lehrjahres aus, bzw. machen sie mit aktuellen ideologischen und politischen Entwicklungen vertraut. Den Bezirksleitungen obliegt es, mit Hilfe der Bildungsstätten die Aus- und Weiterbildung der Propagandisten in geeigneten Formen, darunter auch der Einrichtung von langfristigen Kursen, zu sichern.

 

Die Wirkung der P. ist umstritten. Nicht zu unterschätzen ist jedoch die Vermittlung einer gewissen Zukunftsgewißheit (auf der Seite der „Sieger der Geschichte“ zustehen) sowie einer vermeintlichen Denksicherheit (für nahezu alles eine Erklärung).


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 617–619


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.