
Politbüro des ZK der SED (1975)
Siehe auch:
- Politbüro der SED: 1953
Das geltende 4. Statut der SED von 1963 erwähnt das höchste Entscheidungsgremium der SED nur mit wenigen Worten. „Das Zentralkomitee wählt zur politischen Leitung der Arbeit des Zentralkomitees zwischen den Plenartagungen das Politbüro, zur Leitung der laufenden Arbeit, hauptsächlich zur Organisierung der Kontrolle der Parteibeschlüsse und zur Auswahl der Parteiarbeiter, das Sekretariat und bestätigt die Leiter der Abteilungen des Zentralkomitees.“ Aus diesen Bestimmungen allein ist jedoch die tatsächliche Macht- und Aufgabenfülle des P. nicht abzulesen.
Die 16. (30.) Sitzung des Parteivorstandes vom 24. 1. 1949, auf der die Einführung des Kandidatenstatus, die [S. 650]Wahl der Zentralen Parteikontrollkommission und eines Kleinen Sekretariats beschlossen wurde, glich durch Wahl eines P. die Führungsstruktur der SED jener der KPdSU weiter an.
Dem ersten P. gehörten an: Pieck, Grotewohl, Ulbricht, Dahlem, Lehmann, Merker, Ebert (als Mitglieder) sowie Ackermann und Steinhoff (als Kandidaten). Eine größere Bedeutung als dem P. kam wahrscheinlich damals dem Kleinen Sekretariat (Ulbricht, Dahlem, Oelßner, E. Baumann, Wessel) zu. Heute liegt die letzte Entscheidungskompetenz in allen Personal-, Organisations-, politisch-ideologischen wie Grundsatzfragen bei den Mitgliedern des P.
Das P. des VII. Parteitages von 1967 bestand aus 15 Mitgliedern und 6 Kandidaten. Zwischen dem VII. und VIII. Parteitag 1971 verstarben die Mitglieder P. Fröhlich (Leipzig) und H. Matern (ZPKK). Die Position des ZPKK-Vorsitzenden blieb zunächst unbesetzt (Besetzung erst auf dem VIII. Parteitag: E. Mückenberger). Für Fröhlich wurde Axen vom Kandidaten zum Mitglied befördert. W. Lamberz, der zur Zeit des VII. Parteitages nur einer der 10 Sekretäre war, rückte 1970 zum Kandidaten des P. auf. Damit bestand dieses Gremium vor dem letzten Parteikongreß aus 14 Mitgliedern und 6 Kandidaten. Auf seiner 1. Tagung nach dem VIII. Parteitag wählte das ZK ein neues P. Alle bisherigen Mitglieder wurden wiedergewählt. Lamberz wurde zum Vollmitglied des P. gewählt. Krolikowski (Dresden) wurde Mitglied, ohne zuvor Kandidat des P. gewesen zu sein. Zu neuen Kandidaten wurden H. Tisch (Rostock) und der Staatssischerheitsminister E. Mielke gewählt. Mit Ausnahme von H. Dohlus waren alle Sekretäre auch im P. vertreten. Durch Tod verlor das P. am 1. 8. 1973 den langjährigen Ersten Sekretär, W. Ulbricht. Seine Parteifunktionen waren bereits im Mai 1971 an E. Honecker übergegangen.
Die einschneidendsten Veränderungen nahm das 10. Plenum (Oktober 1973) vor. W. Halbritter (Mitschöpfer des NÖSPL) gab seinen Kandidatensitz auf. Zum neuen Vollmitglied wurde Verteidigungsminister H. Hoffmann, zu neuen Kandidaten wurden mit Honecker seit langem verbundene Funktionäre gewählt: W. Felfe (SED-Bezirksleitung Halle), J. Herrmann (Neues Deutschland), I. Lange (neue Sekretärin für Frauenfragen), K. Naumann (SED-Bezirksleitung Berlin [Ost] sowie G. Schürer (Staatl. Plankommission). P.-Mitglied Stoph trat an die Stelle Ulbrichts als Vorsitzender des Staatsrates. Dafür wurde der 1. Stellvertreter des bisherigen Ministerratsvorsitzenden, P.-Mitglied Sindermann, Vorsitzender des Ministerrates. Der bisherige Wirtschaftssekretär des ZK. G. Mittag wurde I. Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates. Sein Amt als Sekretär des ZK übernahm nach dem 10. Plenum W. Krolikowski. I. Lange wurde Sekretär des ZK, Dohlus stieg vom Sekretariatsmitglied zum Sekretär auf.
[S. 655]
Seit dem VIII. Parteitag und den folgenden personalpolitischen Veränderungen (10. und 14. Plenum) hat das P. gegenwärtig 16 Mitglieder (Mitte 1975): Honecker, Axen, Ebert, Grüneberg, Hager, Hoffmann, Krolikowski, Lamberz, Mittag, Mückenberger, Neumann, Norden, Sindermann, Stoph, Tisch, Verner. Nicht stimmberechtigt sind im P. 9 Kandidaten: Felfe, Herrmann, Jarowinsky, Kleiber, Lange, Mielke, Müller, Naumann, Schürer.
Das Durchschnittsalter aller ZK-Mitglieder lag 1974 bei 56 Jahren.
Vor dem 10. Plenum war eine einzige Frau, die LPG-Vorsitzende M. Müller, Kandidatin des ZK. Mit der einflußreicheren Abteilungsleiterin im ZK-Apparat Ingeborg Lange sind es nunmehr 2, die (allerdings als Kandidaten nicht stimmberechtigt) dem P. angehören.
Dem P. gehören sowohl Mitglieder mit umfassender Zuständigkeit als auch Spezialisten für verschiedene Fachgebiete und (als Kandidaten) Funktionäre an, deren Zuständigkeit nur schwer festzustellen ist. Die einzelnen P.-Mitglieder sind in der Regel für bestimmte Sachgebiete, d. h. z. B. für einzelne geographische Regionen (Westeuropa, Afrika etc.), für den Kontakt zu ausländischen kommunistischen Parteien oder für besondere außenpolitische Aktivitäten zuständig.
Von den Mitgliedern haben 3 eine Hochschulbildung (Dr. rer. oec. G. Mittag, der Verteidigungsminister, Diplom-Militärwissenschaftler H. Hoffmann und der Dipl. Ges. Wiss. Tisch). Alle Kandidaten (mit Ausnahme des Staatssicherheitsministers E. Mielke) haben eine Hoch- oder Fachschule besucht oder anderweitig einen Diplomabschluß erworben. Die einflußreichsten Parteifunktionäre und damit die obersten Machtträger sind jene, die sowohl stimmberechtigt im P. sitzen als auch als ZK-Sekretäre die tägliche Organisations- und Kaderarbeit der Partei leiten: Honecker, Axen, Hager, Lamberz, Verner, Norden, Krolikowski und Grüneberg. Zu dieser Gruppe wird man auch den Vorsitzenden des DDR-Ministerrates, Sindermann, rechnen müssen. Honecker nimmt zwar weder im Partei- und Staatsapparat die herausgehobene Stellung des früheren Ersten Sekretärs (W. Ulbricht) ein, noch besitzt er möglicherweise dessen Autorität und vor allem die in den letzten Jahren vor seiner Ablösung 1971 gewonnene Machtfülle, doch hat er durch behutsame Personalpolitik seine Position im P. konsequent ausgebaut.
Das P. der SED tagt in der Regel einmal in der Woche (Dienstag). Alle grundsätzlichen politischen und wichtige personelle Entscheidungen werden auf diesen Sitzungen getroffen, nachdem sie von den Apparaten vorbe[S. 656]reitet wurden. Die Leitung der Sitzung liegt bei E. Honecker. Die Tagesordnung ist stets umfangreich. Die Sitzungen des P. werden vom Büro des P. (Leiter: Gisela Glende) vorbereitet, das vor allem mit technischen Aufgaben betraut ist. Das Wort ergreifen können nur der Erste Sekretär, die Mitglieder und Kandidaten des P., die ZK-Sekretäre, der Vorsitzende des Ministerrates, die Leiter der vom P. eingesetzten Arbeitsgruppen sowie gelegentlich geladene Experten. Die Sitzungen sind nicht öffentlich.
Beim P. existieren mehrere Kommissionen, z. B.: Kommission für nationale Sicherheit, Ltr.: P. Verner; Kommission für Agitation, Ltr.: W. Lamberz, Sekr.: E. Heinrich.
Das P. informiert die Mitglieder und Kandidaten des ZK über wichtige Probleme seiner Leitungstätigkeit, wobei es Umfang und Zeitpunkt dieser Information, soweit erkennbar, selbst bestimmt. Auf den Tagungen des ZK, die mindestens einmal alle sechs Monate stattfinden sollen, erstattet ein Mitglied oder Kandidat des P. einen Rechenschaftsbericht über die geleistete Arbeit, die Auslandskontakte, über die verabschiedeten Beschlüsse, über die Haltung des P. zu Fragen der Innen- und Außenpolitik, zur Strategie und Taktik der Partei, zu theoretischen Fragen, zu Problemen von Agitation und Propaganda usw. Dieser Bericht wird diskutiert und vom ZK bestätigt.
Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 649–656
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