Rationalisierung (1975)
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I. Allgemeine Merkmale
Maßnahmen in den Wirtschaftsbetrieben und -einrichtungen sowie in der Verwaltung zur Erzielung eines höheren Nutzeffektes. Im engeren Sinne wird unter R. die Verbesserung der vorhandenen Fertigungseinrichtungen und -Organisation verstanden. Mit relativ geringem finanziellen Aufwand (R.-Investition) soll ein möglichst hoher wirtschaftlicher Nutzen erreicht werden. Der Begriff Rf wurde in der DDR zunächst gemieden; ab 1963 setzte sich dann die Bezeichnung „sozialistische R.“ durch. Auf der gemeinsamen Konferenz des ZK der SED und des Ministerrats „Sozialistische Rationalisierung und Standardisierung“ im Juni 1966 wurde die R. erstmals als wichtiges Instrument zur Intensivierung der Wirtschaftsabläufe herausgestellt. Ausgehend von den vorhandenen Arbeitskräften, den Fertigungseinrichtungen und Rohstoffen sowie den Aufgaben des Volkswirtschaftsplanes soll R. bewirken, „den Reproduktionsprozeß als ganzes intensiver zu gestalten und dadurch den ökonomischen Nutzeffekt zu erhöhen“ (Thesen, in: Konferenzprotokoll, Berlin [Ost] 1966, S. 155). Anstelle breit durchgeführter R.-Investitionen und „massenhafter“ kleinerer Einsparungen in den Betrieben dominierten jedoch in den Jahren 1967–1971, zwischen dem VII. und VIII. Parteitag der SED, im Rahmen einer forcierten Struktur- und Wachstumspolitik erneut extensive, auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze gerichtete Investitionen.
Die gegenwärtige wirtschaftspolitische Linie bezeichnet die Intensivierung als den Hauptweg zur quantitativen und qualitativen Leistungssteigerung der Wirtschaft. Der VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 bestimmte R. zur erstrangigen politischen Aufgabe von „gesamtgesellschaftlicher Bedeutung“, die für den Zeitraum des Fünfjahrplans 1971–1975 bestimmt, „die Erzeugung zu steigern, indem wir die [S. 699] vorhandenen Produktionsanlagen und Gebäude besser nutzen und modernisieren, indem wir mit der gleichen Zahl von Arbeitskräften mehr produzieren“ (Protokoll des VIII. Parteitages der SED, Berlin [Ost] 1971, Bd. 1, S. 68).
Inzwischen wird R. zunehmend auch als wirtschaftspolitisches Instrument zur Einsparung von Arbeitskräften gesehen.
Gegenstand der R. sind die Arbeitsabläufe in der Industrie und Verwaltung, ferner im Dienstleistungsbereich und in der Landwirtschaft. In der Vergangenheit bezog sich die R. vornehmlich auf isolierte Arbeitsprozesse. Daneben wurden Betriebsteile und vereinzelt auch Gesamtbetriebe als ganzes modernisiert. Für die Reorganisation und technische Erneuerung ganzer Produktions- und Verwaltungskomplexe wurden auch die Bezeichnungen Rekonstruktion und Komplexe sozialistischer R. verwendet. Aufgrund der eingetretenen Differenzierung der Sortimente und Fertigungsverfahren, der Transport- und Organisationsmittel ist die übergreifende, ganze Produktions- und Distributionslinien erfassende R. von besonderer Bedeutung.
II. Formen der Rationalisierung
Zu den Formen der R. werden alle Möglichkeiten der rationelleren Gestaltung der Wirtschaftsabläufe gezählt. Zu ihnen gehört insbesondere eine Vielzahl kleinerer Verbesserungsvorschläge von Beschäftigten, die ohne größere Investitionen verwirklicht werden können.
a) Konzentration, Spezialisierung und Standardisierung der Produktion und der Verteilung. Durch den Zusammenschluß mehrerer Betriebe zu Kombinaten, durch überbetriebliche Produktionsverlagerungen innerhalb von Kooperationsverbänden und Erzeugnisgruppen konnten die für die DDR ursprünglich typische Zersplitterung der Produktion auf mittlere und kleinere Betriebe verringert und kostengünstigere Serienfertigungen ermöglicht werden. So sank in der Industrie die Zahl der Betriebe zwischen 1963 und 1973 von 14.861 auf 10.200, während die Beschäftigtenzahl im gleichen Zeitraum von 2.752.000 auf 3.005.000 stieg. Auch in der Landwirtschaft stieg die Konzentration von Beschäftigten und Betrieben. In der industriellen Forschung und Entwicklung wurden größere Forschungszentren mit rationelleren Formen der Arbeitsorganisation geschaffen. Eine besondere Rolle spielte und spielt der inner- und überbetriebliche Aufbau zentraler Fertigungen, in denen die spezialisierte Produktion von gleichartigen Einzelteilen und Baugruppen konzentriert wird. So haben die in der metallverarbeitenden Industrie seit 1960 eingerichteten 185 zentralen Fertigungen gegenwärtig ein jährliches Produktionsvolumen von ca. 1,2 Mrd. Mark.
b) Anwendung moderner Fertigungsarten und -Prinzipien. Die Effizienz und Rentabilität der Fertigung wird maßgeblich durch das Niveau der Fertigungsorganisation, d. h. der Kombination von Fertigungsarten und Fertigungsprinzipien bestimmt. Von den drei herkömmlichen Fertigungsarten, der Einzel-, Serien- und Massenfertigung, sind in der DDR nach wie vor die Einzel- und die Serienfertigung stark vertreten (s. Tabelle auf Seite 700).
Bei den Fertigungsprinzipien wird die auf bestimmte Verfahren spezialisierte Fertigung von der erzeugnisspezialisierten Fertigung unterschieden. Während die betrieblichen Arbeitsbereiche bei der ersteren auf Verfahren spezialisiert sind (Werkstattprinzip), sind sie bei der letzteren auf die Herstellung bestimmter Teile gerichtet (Erzeugnisprinzip bzw. Gegenstandsprinzip). Das Niveau der Fertigungsorganisation in der DDR nach Fertigungsprinzipien wird durch die weite Verbreitung des Werkstattprinzips, vor allem in den Betrieben mit Serien- und Einzelfertigung, gekennzeichnet.
In Betrieben mit Großserien- und Massenfertigung ist dagegen auch die moderne Reihen- und Fließfertigung zu finden. Der Anteil der erzeugnisspezialisierten Fließfertigung an der Gesamtfertigungszeit in der metallverarbeitenden Industrie betrug 1971 allerdings nur 6 v. H. Die Verbreitung fortschrittlicher Fertigungsarten und -prinzipien schwankt zudem erheblich zwischen den einzelnen Bereichen der metallverarbeitenden Industrie. Während in der wichtigen Investitionsgüterindustrie bei einem hohen Anteil an Einzel- und Kleinserienfertigung die verfahrensspezialisierte Fertigung vorherrscht, ist die Zulieferindustrie durch Serien- und Massenproduktion in erzeugnisspezialisierter Fertigung gekennzeichnet. Die Massenfließfertigung dominiert bisher lediglich in der Konsumgüterindustrie.
Die kontinuierliche Anhebung des wirtschaftlichen Leistungsniveaus der Betriebe und Industriezweige, insbesondere die Steigerung der Arbeitsproduktivität, durch den verstärkten Übergang zur Serien- und Massenproduktion mit kontinuierlichem Fertigungsfluß gehört seit 1971 zu den vorrangigen wirtschaftspolitischen Zielen. Ihre Verwirklichung setzt die erheblich stärkere Spezialisierung der Produktion, ihre Standardisierung sowie die Anwendung moderner Fertigungsverfahren (Technologie) voraus. Dabei erweist sich der Wirtschaftsraum der DDR für eine rein binnenwirtschaftlich ausgerichtete Spezialisierung zunehmend als zu klein, so daß die internationale Produktionsabsprache und Arbeitsteilung innerhalb des RGW starke Impulse erhalten.
Zu den Methoden, die zu einer Erhöhung der Arbeitsproduktivität führen, ist das Verfahren der Mehrmaschinenbedienung zu zählen. Nach dieser, in den letzten Jahren verschiedentlich eingeführten, Methode bedient ein Beschäftigter mehrere Maschinen, indem die während des selbständigen Laufs einer Maschine auftretenden Wartezeiten zur Bedie[S. 700]nung weiterer Maschinen genutzt werden. (Die Anwendung derartiger Verfahren in westlichen Unternehmen wird von der SED als Potenzierung der Ausbeutung bezeichnet.)

c) Mechanisierung und Automatisierung. Da knapp die Hälfte der Produktionsarbeiter der Industrie der DDR nicht an Maschinen arbeitet, könnten durch die Mechanisierung dieser Arbeiten erhebliche Produktivitätsreserven erschlossen werden. Ein weiterer Schritt stellt der Übergang von der Mechanisierung zur Automatisierung der Maschinen und Anlagen sowie der Produktionsvorbereitung (Entwicklung und Konstruktion) dar.
d) Technische Erneuerung. Sie umfaßt die rationellere Gestaltung der Arbeitsabläufe und/oder die technische Neuausstattung der Betriebe und Einrichtungen. Auf die Vervollkommnung und Leistungssteigerung der Fertigungsverfahren und der Fertigungsorganisation richtet sich vor allem das stark ausgebaute innerbetriebliche Vorschlagswesen (Neuererbewegung).
e) Schichtarbeit. Um die häufig nicht voll ausgelasteten Produktionsanlagen länger zu nutzen, wird seit 1967 (Einführung der 5-Tage-Arbeitswoche) die Umstellung der betrieblichen Arbeitszeitregelungen auf das Zweischicht- und Dreischichtsystem propagiert (s. Tabelle).
Im Jahre 1972 arbeiteten 59 v. H. der Produktionsarbeiter 1schichtig, 15 v. H. 2schichtig und 26 v. H. 3schichtig.

Durch die mehrschichtige Nutzung der Anlagen erhöht sich der Produktionsausstoß, ohne daß die Beschäftigtenzahl proportional ansteigt. Vor allem hochproduktive Anlagen, wie z. B. automatisierte und mittels der elektronischen Datenverarbeitung gesteuerte Maschinen und Fertigungsanlagen, sollen zukünftig grundsätzlich im Dreischichtsystem betrieben werden.
f) Anwendung moderner Planungs- und Leitungsmethoden. Mathematische Verfahren der Netzplantechnik dienen der R. der Planung, Leitung und Verwaltung; erreicht werden soll damit Kostenminimierung, höhere Kapazitätsauslastung und bessere Abstimmung von Terminen und Kooperationen. Auf die rationellere Gestaltung der Entscheidungssysteme in den Ministerien, Großbetrieben und territorialen wirtschaftsleitenden Organen richtet sich [S. 701]vor allem der seit 1962 betriebene Aufbau von Informations- und Dokumentationssystemen. Vorgesehen ist die Verknüpfung der Informations- und Dokumentationssysteme der Wirtschaftsbereiche mit den entsprechenden Einrichtungen der Planungsinstitutionen, dem einheitlichen System von Rechnungsführung und Statistik sowie dem naturwissenschaftlich und gesellschaftswissenschaftlichen und technischen Informations- und Dokumentationssystem (Information; Dokumentation), g) Territoriale Rationalisierung. Da der Übergang zur vollen Mehrschichtarbeit zusätzliche Arbeitskräfte erfordern würde - die Einführung der zweiten Schicht bei hochproduktiven Anlagen in den industriellen Ballungsgebieten würde allein mehrere hunderttausend Arbeitskräfte fordern wird gegenwärtig der koordinierten R. der Hilfs- und Nebenprozesse innerhalb territorialer Einheiten (Städte, Gemeinden, Bezirke) besonderes Gewicht zugemessen. Darunter fallen u. a. die Konzentration der Fuhrparks, Lager- und Reparaturwerkstätten mehrerer Betriebe, die gemeinsame Nutzung sozialer, technischer und administrativer Einrichtungen sowie die Abstimmung der Investitionen.
III. Rationalisierungsmittel
Materielle und finanzielle Mittel zur Analyse und rationelleren Gestaltung der Fertigungs- und Arbeitsabläufe. In erster Linie fallen darunter die zur Mechanisierung und Automatisierung notwendigen Maschinen, Datenverarbeitungsanlagen, automatischen Regler, Meß- und Kontrollgeräte. Die unzureichende Bereitstellung eines vielfältigen Sortiments an R.-Mitteln gehörte bisher zu den hemmenden Faktoren der Wirtschaftsentwicklung in der DDR. Gegenwärtig wird versucht, diesen Engpaß durch Eigenproduktion in den Betrieben und Kombinaten sowie durch den Aufbau spezialisierter Betriebe für R.-Mittel zu überwinden.
Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 698–701
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