DDR von A-Z, Band 1975

Rechnungswesen (1975)

 

 

Siehe auch die Jahre 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1979 1985


 

Aus der Sicht der sozialistischen Betriebswirtschaftslehre soll das R. ein nach einheitlichen Grundsätzen aufgebautes, mit der Methodik der Volkswirtschaftsplanung abgestimmtes System zur Erfassung und Verarbeitung rechnerisch verwertbarer Informationen über den Ablauf des Reproduktionsprozesses in Betrieben, Kombinaten, VVB und sonstigen Institutionen einerseits und der Volkswirtschaft im ganzen andererseits sein. Danach steht das R. seit Errichtung der SBZ/DDR im Zeichen wiederholter Reformen und vielfältiger, sich oft widersprechender bzw. aufhebender Experimente. Dies wird mit der These begründet, daß sich die Veränderung der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse auch auf Gegenstand und Aufgaben des R. revolutionierend auswirken und in ihm widerspiegeln müssen. Dementsprechend gibt es ein umfangreiches Bündel von gesetzlichen Vorschriften, die oft lehrbuchartig das R. in materieller wie formeller Hinsicht bis in letzte Details regeln.

 

Die bisher letzte Rahmenregelung für diesen vielschichtigen Komplex ergibt sich aus der VO über das einheitliche System von Rechnungsführung und Statistik vom 12. 5. 1966 (GBl. II, S. 445–451). Ihrem Vollzug dient eine lange Reihe von Branchenanordnungen und Spezialrichtlinien (so z. B. AO über das einheitliche System von Rechnungsführung und Statistik in der volkseigenen Industrie; GBl. II, 1966, S. 495–524, oder die ab 1973 gültige AO über die zentrale staatliche Kalkulationsrichtlinie, GBl. II, 1972, Seite 741–778). Als Grundsätze und Merkmale der einschlägigen Bestimmungen werden in neuerer Version (vgl. u. a. das Lehrbuch „Sozialistische Betriebswirtschaft“, 2. Auflage, Berlin [Ost] 1974) genannt: Einheitliche Klassifizierung der ökonomischen Vorgänge auf Volks- wie betriebswirtschaftlicher Ebene; Wahrung der Einheit von Men[S. 702]gen-, Wert- und Zeitrechnung; Verknüpfung der betriebs-, erzeugnis- und territorialbezogenen Abrechnung; Ausnutzung der elektronischen ➝Datenverarbeitung; durchgehende Erfassung und Widerspiegelung aller ökonomischen Vorgänge auf der Basis von Primärbelegen; Analyse der auf das Betriebsergebnis einwirkenden Faktoren durch Orientierung der betrieblichen Wirtschaftsrechnung auf Erzeugnisse, Leistungen, Aufgaben und Kostenstellen; Erarbeitung von Grundlagen für die Planung.

 

In diesem Sinn soll in erster Linie das einheitliche System von Rechnungsführung und Statistik den wechselseitigen Informationsfluß zwischen den Betrieben und den ihnen übergeordneten Organen zum Zwecke der Planaufstellung, Plandurchführung und Plankontrolle garantieren. Es soll den Lenkungsinstanzen des Staates, den Betriebsleitungen sowie den Belegschaften dokumentieren, ob und wie die in den Einzelplänen gestellten Aufgaben mit den den Wirtschaftseinheiten zur Verfügung stehenden materiellen und finanziellen Mitteln, die oft nur nach Maßgabe staatlicher Normative (z. B. aufgrund von Materialverbrauchsnormen) gewährt werden, erreicht worden sind. Mit Hilfe der Analysenergebnisse des R. wird ferner der sozialistische Wettbewerb unterstützt, insbesondere soweit es sich um die Messung bestimmter überdurchschnittlicher Leistungen einzelner Arbeitnehmer und von Arbeitnehmergruppen handelt, die prämiiert werden sollen.

 

Das derart strukturierte R. bildet damit einen wesentlichen Bestandteil des Systems der wirtschaftlichen Rechnungsführung, mit dem es allerdings nicht verwechselt oder gleichgesetzt werden darf. Während das R. in Gestalt des einheitlichen Systems von Rechnungsführung und Statistik als ein umfassendes Informationsinstrumentarium im Dienste der Leitung und Planung fungiert, gilt das System der wirtschaftlichen Rechnungsführung im Selbstverständnis der DDR — weit über die genannte Funktionsbestimmung des R. hinausgehend — als zentrale objektive Kategorie der sozialistischen Produktionsverhältnisse und als Maxime operativer Betriebsführung auf den verschiedensten Ebenen. Die wichtigsten Elemente des betrieblichen R. sind a) die „Fondsrechnung“, b) die normative Kosten- und Ergebnisrechnung, c) die einheitliche Anwendung staatlich vorgeschriebener Bewertungsverfahren für Wirtschaftsgüter, d) zentral festgesetzte Abschreibungssätze und Abschreibungsverfahren und e) die staatlich fixierte Ertragsverteilung (Gewinnverwendung) (Fonds; Grundmittel; Abschreibungen; Amortisationen; Gewinn).

 

Im Rahmen dieser Rechnungsvorgänge ist die betriebliche „Fondsrechnung“ ein Grundelement des R. in einem sozialistischen Wirtschaftssystem sowjetischer Prägung. Als „Fonds“ bezeichnet man einmal Bestände, also Vorräte an materiellen und finanziellen Mitteln. Zum anderen versteht man darunter die Gesamtheit der den Betrieben während eines bestimmten Zeitraums (z. B. eines Jahres) zur Verfügung stehenden Mittel zur Finanzierung ökonomischer und sozialer Aufgaben. Die „Fondsrechnung“ als spezifische Form der Rechnungslegung im Wirtschaftssystem der DDR ist ideologisch begründet, weil das dortige R. den im Rahmen der buchhalterischen Bilanz sonst rechnerisch zwangsläufig erscheinenden Posten „Kapital“ nicht kennt. Als Äquivalent dient die Kategorie der „Fonds“. Hierbei wird unterschieden zwischen „eigenen Fonds“ und „fremden Fonds“. Die „eigenen und ihnen gleichgestellten Fonds“ entsprechen als Bilanzposten auf der Passiv-Seite dem Grund-, Stamm- oder Eigenkapital eines Unternehmens, während die „fremden Fonds“ das aufgenommene oder zugewiesene Fremdkapital (Kredite) ausweisen.

 

Die „Fonds“ der Betriebe, Kombinate und VVB sind also praktisch deren zweckgebundenes Betriebskapital, dessen Verwertung durch Plananweisungen gelenkt wird. Sowohl bei den „eigenen“ als auch bei den „fremden Fonds“ handelt es sich um staatliche Mittel (Staatskapital). Der Unterschied zwischen den beiden Kategorien besteht darin, daß die selbständig bilanzierenden Wirtschaftseinheiten die ihnen überlassenen „fremden Fonds“ verzinsen und an die staatlichen Banken zurückzahlen müssen, während sie über die ihnen bei der Betriebsgründung zur Verfügung gestellten oder über die erwirtschafteten „eigenen Fonds“ im Rahmen ihrer operativen Befugnisse selbständig bestimmen können. Alle nicht durch Haushaltszuführungen (z. B. bei Betriebsgründung) finanzierten „eigenen Fonds“ werden aus den Gewinnen der VEB, Kombinate und VVB gebildet.

 

Zu den „eigenen Fonds“ des Betriebes gehören der Grundmittelfonds (Anlagevermögen), Teil des Umlaufmittelfonds (Umlaufvermögen) und bestimmte Sonderfonds. Sonderfonds sind solche Finanz- oder Geldfonds, die aus Gewinnen und Amortisationen akkumuliert werden und im Rahmen der geltenden, eng umgrenzten Bestimmungen über „Eigenfinanzierung“ zur Verbesserung des Betriebsablaufs, zur Erweiterung der Produktionskapazität oder für materielle Anreize eingesetzt werden. Beispiele für solche Fonds sind der Amortisationsfonds, Investitionsfonds, Reparaturfonds, Rationalisierungsfonds, der Fonds für Forschung und Entwicklung (Fonds Wissenschaft und Technik), der Prämienfonds sowie der Kultur- und Sozialfonds. Zu den „fremden Fonds“ rechnen der Kreditfonds und sonstige Verbindlichkeiten.

 

Ein besonderes Kennzeichen dieser Fonds ist eine in den verschiedenen Entwicklungsphasen des R. in der DDR teils strenger, teils flexibler gehandhabte Aufteilung in eine Vielzahl zweckgebundener und gegenseitig nicht übertragbarer Titel. Diese Zersplitterung des „Betriebskapitals“ in zweckgebundene Fonds ohne gegenseitige Deckungsmöglichkeit entspringt dem Bestreben, durch Überwachung des Einsatzes der Fonds eine totale Kontrolle über die Betriebe zu erreichen, um so möglichst schnell planwidrige Vorgänge bei den Planträgern aufdecken zu können. Dies erschwert allerdings andererseits die notwendige Messung des Gesamtnutzens beim kombinierten Einsatz der verschiedenen betrieblichen Fonds (Erfolgsermittlung). Abgesehen vom Problem verzerrter Planpreise kommt zu dieser [S. 703]Form der Fondsrechnung noch die Einengung der betrieblichen Erfassungs- und Aufbereitungsmöglichkeiten auf allen einschlägigen Gebieten (Belegwesen, Rechnungsausstellung, Kontierung, Bewertung, Gliederung der Kostenrechnung, inner- und überbetriebliche Berichterstattung usw.) hinzu. Von bestimmendem Einfluß auf das praktizierte R. und Ursache vieler Undurchsichtigkeiten ist ferner eine in ihrer Anlage zwar bedachte, in der Praxis jedoch häufig übertriebene normative Kostenrechnung und Abschreibungstechnik, durch die der tatsächliche Werteverzehr an Gütern und Dienstleistungen (Input, Einsatzfaktoren) und der sonstige Aufwand nur sehr ungenau ermittelt und die Überalterung der Produktionsmittel in der Kostenrechnung nicht ausreichend berücksichtigt werden können. Dazu kommt, daß staatlicherseits bis heute nur bestimmte Selbstkosten als verrechnungsfähig anerkannt werden (Aspekt des „gesellschaftlich notwendigen Aufwands“).

 

Im ganzen umfaßt das einheitliche System von Rechnungsführung und Statistik 10 sog. Grundrechnungen (stellenweise auch Struktureinheiten genannt): Grundmittelrechnung (mengen- und wertmäßige Erfassung, Abschreibung und Nachweis des Bestandes der Anlagen), Investitionsrechnung (Nachweis und Analyse der Vorbereitung und Durchführung von Neuinvestitionen), Materialrechnung, Arbeitskräfterechnung, Leistungsrechnung, Warenrechnung, Kostenrechnung, Finanzrechnung (Zahlungsverkehr, Kontokorrent und Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung), Nutzensabrechnung (planbezogener Nachweis der Effektivität der Betriebsprozesse unter besonderer Berücksichtigung der Erfüllung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts) sowie Gesamtübersichten und -analysen.

 

Die im Dienste des einheitlichen Systems von Rechnungsführung und Statistik vorgeschriebenen Verfahrenstechniken für die rechnerische Darstellung der Betriebsprozesse decken sich auf Teilgebieten weitgehend mit den bekannten Vollzugspraktiken des R. westlicher Prägung.

 

Dies gilt, angefangen vom allgemein praktizierten System der doppelten Buchführung, über die Dezimal-Klassifikation (in der DDR verbindlich), Kontenpläne, die Trennung von Betriebs- und Finanzbuchhaltung, die (früher verworfene) Gliederung der Kostenrechnung in Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung, bis hin zur intensiven Förderung der EDV und (bedingten) Anwendung kybernetischer Modelle. Dieser Sachverhalt schließt allerdings nicht aus, daß gegenüber dem marktwirtschaftlichen Verständnis der betrieblichen Wirtschaftsrechnung beträchtliche Abweichungen in der Gestaltung der rechnerischen Formelemente bestehen.

 

Verglichen mit früheren Stadien ist die Entwicklung des R. in der DDR nach der dort gegenwärtig geltenden Einschätzung durch 2 gegenläufige Tatbestände gekennzeichnet: Während auf dem Gebiet der Verfahrenstechnik eine weitgehende Angleichung an moderne, allgemein übliche Formen zu beobachten ist, wird die inhaltliche und funktionelle Bestimmung der rechnerischen Elemente in zunehmendem Maß von für die DDR spezifischen Vorstellungen geprägt. Unverändertes Hauptziel des R. ist es, die „organische Verbindung der zentralen Planung und Leitung der Grundfragen des gesellschaftlichen Gesamtprozesses mit der eigenverantwortlichen Planungs- und Leitungstätigkeit der sozialistischen Warenproduzenten“ sichtbar zu machen und zu gewährleisten. Bisher konnte allerdings eine befriedigende Lösung dieses Problems nicht gefunden werden. Die in der DDR besonders seit Anfang des Jahres 1974 geführten Diskussionen über die Neuordnung der volkswirtschaftlichen und betrieblichen Planung haben zu Veränderungen im System des R. für den Fünfjahrplanzeitraum 1976–1980 geführt.

 

Eine umfassende und modernisierte VO über Rechnungsführung und Statistik (u. a. Einbeziehung des Berichtswesens, Anpassung an EDV-Einsatz) löst mit Wirkung vom 1. 1. 1976 (GBl. I, 1975, S. 585–592) die VO von 1966 und eine Reihe weiterer gesetzlicher Bestimmungen ab.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 701–703


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.