DDR von A-Z, Band 1975

Religionsgemeinschaften und Kirchenpolitik (1975)

 

 

Siehe auch:

 

Von den 17 Mill. DDR-Bürgern gehörten nach kirchlichen Schätzungen 1973 etwa 9.869.000 einer christlichen Kirche an. 8,48 Mill. zählen zu einer der 8 evangelischen Landeskirchen, 1,3 Mill. zur römisch-katholischen Kirche, 89.000 zu einer der 7 Freikirchen. Alle arbeiten in der „Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in der DDR“ zusammen (die römisch-katholische Kirche mit Beobachter-Status). Nennenswerte religiöse Gruppen sind außerdem die Siebenten-Tages-Adventisten, die 330 kleine Gemeinden registrieren, und die Jüdischen Gemeinden mit 800 Mitgliedern. Die Mitgliederzahl der evangelischen Landeskirchen und der römisch-katholischen Kirche geht seit den 50er Jahren ständig zurück. Hauptursache dafür sind weniger Kirchenaustritte als die Tatsache, daß die Mehrzahl der Eltern, auch wenn sie selbst noch der Kirche angehören, ihre Kinder nicht mehr taufen bzw. an kirchlichem Unterricht und Konfirmation teilnehmen läßt. Eine amtliche Religionsstatistik wird in der DDR seit dem 31. 12. 1964 nicht mehr geführt.

 

I. Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR

 

 

Die 8 evangelischen Landeskirchen sind seit 1969 im „Bund der Evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik“ zusammengeschlossen. Mit Sonderstatus angeschlossen ist dem Kirchenbund die traditionsreiche Freikirche Evangelische [S. 714]Brüderunität (Distrikt Herrnhut) mit 3.200 Mitgliedern, 10 Gemeinden und 20 Pfarrern. Leitender Geistlicher ist Unitätsdirektor Helmut Hickel. Organe des Kirchenbundes sind die aus den Mitgliedskirchen beschickte Synode und die zu einem Drittel von der Synode gewählte, zu zwei Dritteln von den Landeskirchenleitungen beschickte 24köpfige Konferenz der Kirchenleitungen. Vorsitzender ist seit der Gründung Bischof D. Albrecht Schönherr (Ost-Berlin).

 

Mitglieder des Kirchenbundes sind: die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg (ohne die West-Berliner Region, siehe unten) mit ca. 1,5 Mill. Mitgliedern und 860 Pfarrern, Bischof: D. Albrecht Schönherr;

 

die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen mit ca. 1,6 Mill. Mitgliedern und 930 Pfarrern, Bischof: Dr. Werner Krusche;

 

die Evangelische Landeskirche Greifswald mit ca. 400.000 Mitgliedern und 190 Pfarrern, Bischof: Horst Gienke;

 

die Evangelische Landeskirche Anhalt mit ca. 270.000 Mitgliedern und 100 Pfarrern, Kirchenpräsident: Eberhard Natho;

 

die Evangelische Kirche des Görlitzer Kirchengebietes mit ca. 150.000 Mitgliedern und 80 Pfarrern, Bischof: D. Hans-Joachim Fränkel;

 

die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen mit ca. 2,65 Mill. Mitgliedern und 1100 Pfarrern, Landesbischof: Dr. Johannes Hempel; die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen mit ca. 1,1 Mill. Mitgliedern und 620 Pfarrern, Landesbischof: D. Ingo Braecklein;

 

die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburg mit ca. 800.000 Mitgliedern und 340 Pfarrern, Landesbischof: Dr. Heinrich Rathke.

 

Die 5 erstgenannten Landeskirchen gehören gleichzeitig der Evangelischen Kirche der Union (EKU) an, deren Bereich DDR sie bilden, die 3 letztgenannten sind gleichzeitig in der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche (VELK) in der DDR zusammengeschlossen. Der Kirchenbund versteht sich laut Ordnung als ein Zusammenschluß von bekenntnisbestimmten und rechtlich selbständigen Gliedkirchen, die anstreben, stärker zusammenzuwachsen. Theologische Gespräche mit diesem Ziel sind im Gange. Starke Kräfte streben die Bildung einer Evangelischen Kirche in der DDR an, in die die konfessionell bestimmten Sonderzusammenschlüsse EKU und VELK integriert werden sollen. Die gegenwärtigen Zuständigkeiten des Kirchenbundes sind begrenzt. Er vertritt seine Mitgliedskirchen im ökumenischen Rat der Kirchen und in der Konferenz Europäischer Kirchen und nimmt die sich daraus ergebenden ökumenischen Aufgaben und Kontakte wahr. Der Kirchenbund vertritt seine Mitgliedskirchen gegenüber Staat und Gesellschaft. Er will sie zu „Zeugnis und Dienst in der sozialistischen Gesellschaft der DDR“ zusammenführen. Auf zahlreichen Sachgebieten ist der Kirchenbund durch Kommissions- und Ausschußarbeit bemüht, die kirchliche Arbeit zu koordinieren und auf gemeinsame Grundlagen zu stellen. Genannt seien das Ausbildungswesen, das Pfarrerdienstrecht, liturgische Angelegenheiten, Konfirmation und Christenlehre und vieles andere.

 

Die Mitgliedskirchen des Kirchenbundes gehörten bis 1969 zusammen mit den Landeskirchen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) zur Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sie lösten ihre Mitgliedschaft zugunsten des eigenen neuen Zusammenschlusses (siehe weiter unten), legten jedoch gleichzeitig in Artikel 4 (4) der Bundesordnung fest: „Der Bund bekennt sich zu der besonderen Gemeinschaft der ganzen evangelischen Christenheit in Deutschland. In der Mitverantwortung für diese Gemeinschaft nimmt der Bund Aufgaben, die alle evangelischen Kirchen in der Deutschen Demokratischen Republik und in der Bundesrepublik Deutschland gemeinsam betreffen, in partnerschaftlicher Freiheit durch seine Organe wahr.“

 

Einen anderen Weg zur Verselbständigung wählte der lutherische Zusammenschluß. Ende 1968 bildete sich die VELK in der DDR durch Abtrennung von der bis dahin Ost und West umfassenden Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), indem auf der Basis der bestehenden Verfassung der VELKD eigene DDR-Leitungsorgane gebildet wurden. Demgegenüber zögerte die Evangelische Kirche der Union (EKU), zu der im Westen neben Berlin (West) die rheinische und die westfälische Landeskirche gehören, ihre Aufgliederung bis 1972 hinaus. Sie besteht auf der Basis der Ordnung der EKU als eine Kirche weiter, die jedoch in Leitung und Verwaltung in zwei vollkommen selbständig handlungsfähige Bereiche aufgegliedert wurde. Dabei wurde festgelegt, daß die EKU-Räte (Leitungen) für die Bereiche DDR einerseits und Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) andererseits regelmäßig zu gemeinsamen Beratungen zusammentreten, was auch geschieht.

 

Ebenfalls in Leitung, Verwaltung und Rechtsetzung in zwei Regionen geteilt, ohne daß das Prinzip der Einheit der Landeskirche aufgegeben wurde, ist auch die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg. Ihre Ostregion gehört zum DDR-Kirchenbund, ihre Westregion (West-Berlin) zur EKD. Die Grundordnung (Verfassung) gilt in beiden Regionen weiter, darf jedoch unterschiedlich abgeändert werden, soweit davon die beiden Präambeln der Grundordnung nicht berührt werden. Der 1966 von beiden Regionalsynoden zum Bischof der gesamten Landeskirche gewählte D. Kurt Scharf übt sein Amt seit 1973 auch de jure nur in Berlin (West) aus. Mit dem Bischof im Ostteil, Schönherr, hält er laut kirchlicher Festlegung „brüderliche Verbindung“.[S. 715]

 

II. Die römisch-katholische Kirche

 

 

Der katholischen Kirche gehören 1,283 Mill. der 17 Mill. Bewohner der DDR an. In den 7 Jurisdiktionsbezirken sind Bischöfe tätig, von denen 4 den Titel Apostolische Administratoren tragen. Insgesamt gibt es 9 katholische Bischöfe, die in der seit 1954 existierenden „Berliner Ordinarienkonferenz“ zusammengeschlossen sind. Den Vorsitz in diesem Gremium, dem bislang nicht der Rang einer selbständigen nationalen Bischofskonferenz zukommt, hat seit 1961 der in Berlin (Ost) residierende Bischof von Berlin, Erzbischof Alfred Kardinal Bengsch, inne. Das einzige Bistum, das geschlossen innerhalb des Territoriums der DDR liegt, ist das Bistum Meißen mit ca. 308.000 Katholiken (Bischof Gerhard Schaffran). Das Bistum Berlin (ca. 480.000 Katholiken) erstreckt sich zwischen Rügen und Jüterbog, Frankfurt/Oder und Brandenburg. Der West-Berliner Teil (ca. 260.000 Katholiken) wird selbständig verwaltet. Die kirchenrechtliche Einheit des Bistums ist in der Person des Bischofs garantiert, dem von den DDR-Behörden zugestanden wird, den West-Berliner Teil seiner Diözese an 30 Tagen im Vierteljahr zu besuchen.

 

Die Jurisdiktionsbezirke Schwerin, Magdeburg, Erfurt und Meiningen gehören kirchenrechtlich nach wie vor zu Diözesen in der Bundesrepublik Deutschland, und zwar Schwerin (105.000 Katholiken) zu Osnabrück, Magdeburg (316.000 Katholiken) zur Erzdiözese Paderborn, Erfurt (256.000 Katholiken) und der diesem Jurisdiktionsbezirk enger angegliederte kleine Verwaltungsbezirk Meiningen (ca. 24.000 Katholiken) zu den Diözesen Fulda bzw. Würzburg. 6 zum Bistum Hildesheim gehörende, aber auf DDR-Gebiet liegende Gemeinden wurden schon vor Jahren Schwerin, Erfurt und Magdeburg zugeordnet. Die Leiter der Bischöflichen Ämter Magdeburg, Erfurt und Schwerin, die Titularbischöfe Johannes Braun, Hugo Aufderbeck und Heinrich Thessing, wurden im Juli 1973 von Papst Paul VI. zu Apostolischen Administratoren ernannt und damit unabhängig von den bis dahin für sie zuständigen Ordinarien der westdeutschen Diözesen. Das ehemalige Erzbischöfliche Amt Görlitz (ca. 75.000 Katholiken), ein Restteil der durch die Festlegung der Oder-Neiße-Grenze an Polen gefallenen Erzdiözese Breslau, war bereits 1972 Apostolische Administratur unter Leitung von Bischof Bernhard Huhn geworden. Die Bischöfe von Berlin und Meißen haben je einen Weihbischof zur Seite; in Meiningen ist der Bischofsvikar Dieter Homer tätig.

 

Auf 1038 Seelsorgestellen sind 1 342 Welt- und Ordensgeistliche tätig. In 282 Klöstern und klösterlichen Niederlassungen (Stand März 1975) leben 2.577 Ordensschwestern, die vorwiegend in den von der katholischen Kirche unterhaltenen 34 Krankenhäusern, 107 Altersheimen, 44 Kinderheimen und 310 Schwesternstationen tätig sind. In 18 weiteren Ordensniederlassungen leben noch 129 männliche Ordensangehörige.

 

Die Politik der SED gegenüber der katholischen Kirche hat sich in Ausdruck und Intensität stets von derjenigen unterschieden, die sie gegenüber der evangelischen Kirche anwandte. Die Katholiken in der DDR bilden eine Minderheit; sie sind eng mit der Weltkirche, besonders mit dem Heiligen Stuhl, verbunden; sie haben sich von Anfang an unter Verzicht auf gesellschaftliche Aktivität auf Kultus und Caritas beschränkt. An der Begegnung vom 9. 2. 1961 zwischen Ulbricht und Kirchenvertretern hat nur ein später nicht mehr im Amt befindlicher katholischer Geistlicher teilgenommen. Diese politische Abstinenz ist — von wenigen Ausnahmen in jüngster Zeit abgesehen — bis heute durchgehalten worden. Seit Anfang der 60er Jahre durften die mitteldeutschen Bischöfe nicht mehr an kirchlichen Veranstaltungen in der Bundesrepublik Deutschland teilnehmen. während es den westdeutschen Bischöfen versagt war, die zu ihren Diözesen gehörenden in der DDR liegenden Jurisdiktionsbezirke zu besuchen. Eine gewisse Auflockerung des strikten Ausreiseverbots ergab sich nach dem Besuch des Chruschtschow-Schwiegersohns Adshubej im Vatikan. Zum Beginn des II. Vatikanischen Konzils im Oktober 1963 erhielten 7 Bischöfe eine Ausreise-Genehmigung. Zu einer heftigen Kontroverse mit dem SED-Regime kam es, nachdem die Bischöfe der DDR zusammen mit den westdeutschen Bischöfen im Dezember 1965 eine Antwort auf die Versöhnungsbotschaft des polnischen Episkopats unterzeichnet hatten. Mit ihrem Schritt hätten sie „gegen die Friedenspolitik unserer Regierung verstoßen“, schrieb „Neues Deutschland“. Wenige Tage später warf das SED-Zentralorgan den Bischöfen vor, bei der Konzilsdiskussion über die Ächtung des totalen Krieges geschwiegen zu haben.

 

Erstmals deutete Ulbricht während einer Kundgebung im Ost-Berliner Friedrichstadtpalast am 15. 2. 1968 auf dem Höhepunkt der Verfassungsdiskussion seine Bereitschaft zu Vereinbarungen mit dem Vatikan an. Es folgte jedoch keine erkennbare entsprechende kirchenpolitische Aktivität. Schon in der zweiten Hälfte der 60er Jahre hatte sich zwischen Partei und Staat einerseits und katholischer Kirche andererseits eine leichte Entspannung abgezeichnet. Zwar verurteilten die Bischöfe im November 1965 in einem Hirtenwort die weitgehende Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs und im September 1967 in einem weiteren Hirtenbrief den Zwang zur Jugendweihe, aber es folgte auf beide Äußerungen keinerlei öffentliche staatliche Reaktion.

 

Zugleich wuchs das Selbstvertrauen auch der katholischen Laien, wie besonders deutlich auf dem ersten Erfurter Laienkongreß im Juni 1970 zu erkennen war. Zum ersten Mal hörte man auf einem von der Kirche offiziell genehmigten Kongreß positive Be[S. 716]wertungen des zweiten deutschen Staates und vereinzelt auch Bekenntnisse zu ihm. Anläßlich des 20. Jahrestages der Gründung der DDR erklärte Kardinal Bengsch vor Teilnehmern an der traditionellen Wallfahrt nach Bernau, die katholische Kirche erkenne an, was in diesem Staat „zum wirklichen Wohl des Menschen“ getan werde. Sie habe in den vergangenen Jahren seelsorgerlich arbeiten können und „mehr Chancen (gehabt), als sie oft ausgenutzt hat“. Bengsch und andere Bischöfe und Prälaten zeigten sich nun erstmals bei offiziellen Empfängen zum DDR-Jubiläum.

 

Bei der Weihe der neuerbauten Rostocker Christus-Kirche im Juni 1971 äußerte sich der Kardinal ähnlich positiv über die politischen Behörden. Sie hätten „in dieser Sache bei aller Verschiedenheit der Auffassung einen Weg des friedlichen Auskommens gefunden“.

 

Schon am 25. 9. 1969 hatte SED-Politbüro-Mitglied Hermann Matern eine Rede in Berlin (Ost) vor führenden Funktionären der Ost-CDU gehalten, in der er u. a. das Interesse der SED hinsichtlich einer Annäherung an den Vatikan signalisierte. Die von Papst Paul VI. weiterentwickelte katholische Soziallehre, der aktuelle Standpunkt des Vatikans im Vietnam-Konflikt und die vermeintliche langsame Überwindung des traditionellen kirchlichen Antikommunismus wurde bei dieser Gelegenheit ebenfalls positiv bewertet.

 

Mit der Diskussion der Ost-Verträge, und erst recht nach ihrer Unterzeichnung, verstärkte sich der politische Druck auf die Bischöfe, die Lösung der Jurisdiktionsbezirke von den westdeutschen Diözesen zu betreiben und die Kirche damit an den sozialistischen Staat heranzuführen. Die von einer kleinen, politisch der Ost-CDU nahestehenden Personengruppe um die Herausgeber der Zeitschrift „Begegnung“ betriebene Kampagne erreichte im August 1972 mit der Veröffentlichung eines „Offenen Wortes“ ihren Höhepunkt. Das Papier, in dem u. a. vom Vatikan verlangt wurde, daß „die Kirchengrenzen den staatlichen Grenzen angeglichen werden“, ist von mehreren tausend Katholiken unterzeichnet worden. Die Kirchenführung distanzierte sich jedoch nachdrücklich von der Publikation und ihren Verfassern.

 

Am 24. 8. 1972 drängte Ministerpräsident Stoph Kardinal Bengsch, in Rom darauf hinzuwirken, daß es zur Errichtung selbständiger Bistümer in der DDR kommt. Ende September 1972 verfügte dann Rom in einem Dekret die jurisdiktionelle Ausgliederung des Bistums Berlin aus dem Metropolitanverband Breslaus, nachdem Schlesien schon vorher auch kirchenrechtlich als Teil Polens anerkannt worden war. Die Berliner Diözese wurde dem Heiligen Stuhl unmittelbar unterstellt. Bereits mit Dekret vom 28. 6. 1972 war die Apostolische Administratur Görlitz errichtet worden. Am 24. 1. 1973 fand dann schließlich in Rom eine Begegnung zwischen SED-Politbüro-Mitglied W. Lamberz und dem „Außenminister“ des Vatikans, Erzbischof Casaroli, statt. Vorausgegangen waren Ende 1972 Gerüchte über Kontakte zwischen Vatikan-Vertretern und DDR-Abgesandten in Belgrad. Dort soll auch die Frage nach Entsendung eines Nuntius für die DDR erörtert worden sein. Anfang März 1973 warnten die westdeutschen Bischöfe den Vatikan vor einer Neuordnung der kirchlichen Verwaltung in der DDR, die das Reichskonkordat tangieren würde. Während Bengsch sich in Rom aufhielt, empfingen die Vorsitzenden der Räte der Bezirke die jeweils in ihrem Bereich tätigen Bischöfe, um ihnen den Standpunkt der SED-Regierung in der Frage der Bistumsgrenzen zu erläutern und sie zu drängen, sich diesen Standpunkt zu eigen zu machen.

 

Am 27. 7. 1973 ernannte Papst Paul VI. die Bischöflichen Kommissare in Erfurt, Schwerin und Magdeburg zu Apostolischen Administratoren und den damaligen Bischöflichen Kommissar in Meiningen zum Weihbischof des Erfurter Apostolischen Administrators. Im Mai 1974 wurde Kardinal Bengsch erneut vom Papst empfangen. Eines der besprochenen Themen mag die weitere Verselbständigung der „Berliner Ordinarienkonferenz“ gewesen sein, die vor allem auf weitere Lösung von der „deutschen Bischofskonferenz“ der Bundesrepublik Deutschland unter Vorsitz von Kardinal Döpfner abzielte.

 

Seit März 1973 tagt zweimal jährlich in der Dresdener Hofkirche die Synode der Jurisdiktionsbezirke in der DDR unter dem Aspekt der vom II. Vatikanischen Konzil geforderten Reformen. An dieser Veranstaltung, die noch bis Ende 1975 dauerte, nahmen ca. 150 Priester und Laien, darunter die Bischöfe, teil.

 

Die Katholische Kirche unterhält an Instituten und Einrichtungen neben den oben erwähnten Krankenhäusern, Kinder- und Altenheimen Priesterseminare in Erfurt („Albertus-Magnus-Akademie“ für „Philosophisch-theologisches Studium“) und Neuzelle („Bernadinum“ bei Frankfurt/Oder), das Pastoralseminar Huysburg bei Halberstadt, sowie als Vorbildungsanstalten, das bischöfliche Vorseminar in Schöneiche bei Berlin, das Norbertuswerk Magdeburg und den Sprachenkurs Halle, ferner Fürsorgerinnen-, Katecheten- und Kindergärtnerinnenseminare sowie ein Seminar für die Ausbildung von Kirchenmusikern. (An der Erfurter Akademie studierten 1973 ca. 160 Studenten.)

 

Herausragende Ereignisse im Leben der Kirche der DDR waren in jüngster Zeit die Fertigstellung und Wiederindienstnahme der im Krieg zerstörten St.-Hedwigs-Kathedrale in Berlin (Ost) im November 1963 sowie das 200jährige Jubiläum der Kathedrale im November 1973, an dem zahlreiche Bischöfe aus dem Ausland teilnahmen. Im Dezember 1972 wurde [S. 717]außerdem das der Kathedrale benachbarte Bernhard-Lichtenberg-Haus, in dem der Bischof residiert und die kirchliche Verwaltung ihren Sitz hat, seiner Bestimmung übergeben.

 

III. Freikirchen und andere Gemeinschaften

 

 

Die beiden größten sogenannten Freikirchen sind die Evangelisch-Methodistische Kirche in der DDR (37.000 Mitglieder, 143 Pastoren, Bischof: Armin Härtel, Dresden) und der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (Baptisten) in der DDR (30.000 Mitglieder, 125 Pastoren, Präsident: Herbert Moret, Ost-Berlin). Der Größe nach folgen die altlutherische Kirche (11000 Mitglieder), der Bund evangelisch-reformierter Gemeinden (8.100 Mitglieder), der Bund Freier Evangelischer Gemeinden (1350 Mitglieder), der Verband der Altkatholischen Kirche in der DDR (1200 Mitglieder), die Mennoniten und die Quäker. Über die Zahl der Adventisten ist Genaueres nicht bekannt. Alle diese Kirchen und R. sind staatlich anerkannt. Sie haben sämtlich ihre früher zum Teil gesamtdeutsche Organisation aufgegeben.

 

Anders ist das bei der Russisch-Orthodoxen Kirche. Sie zählt relativ wenige Mitglieder in der DDR, spielt öffentlich jedoch eine größere Rolle. 1960 errichtete das Moskauer Patriarchat der ROK in Berlin (Ost) ein Exarchat für „Berlin und Mitteleuropa“. Der jeweilige Exarch ist Erzbischof der entsprechenden Diözese, die auch Berlin (West) und die Bundesrepublik Deutschland umfaßt. Seit 1973 amtiert Erzbischof Philaret als Exarch.

 

Staatlich nicht anerkannte Sekten spielen in der DDR kaum eine Rolle, mit gewisser Ausnahme der Zeugen Jehovas, die bemüht sind, ihre Missionstätigkeit auch hier in beschränktem Umfang fortzuführen. Aus ihren Reihen kommen immer wieder Wehrdienstverweigerer.

 

IV. Staat und Kirchen

 

 

Die staatliche K. der DDR ist vornehmlich an der evangelischen Kirche ausgerichtet. Zum Protestantismus zählten sich noch 1950 laut Volkszählung 14,8 Mill. DDR-Bürger. Das gesamte DDR-Gebiet war ursprünglich fast durchweg evangelisch. Die SED hat es stets vermieden, eine auf Abschaffung oder vollständige Privatisierung der Kirchen gerichtete Politik zu betreiben. Stattdessen bemühte sie sich, ohne die Kirchen grundsätzlich in Frage zu stellen, deren öffentlichen Einfluß zurückzudrängen bzw. auf den Status quo zu beschränken, das gesellschaftliche Leben vollständig zu säkularisieren sowie christliche Sitte durch Lebensäußerungen der sozialistischen Gesellschaft zu ersetzen. Das führte, zumal in den 50er Jahren, zu zahlreichen Konflikten, die den Beteiligten zuweilen als „Kirchenkampf“ erschienen, ohne daß jedoch wirksame Versuche unternommen wurden, die Kirchen von innen her, entsprechend dem nationalsozialistischen Versuch mit den „Deutschen Christen“, aufzurollen und gleichzuschalten. Wenn man von der katholischen Kirche Polens absieht, genießen im Ostblock die großen Kirchen in der DDR die vergleichsweise größte Freiheit und innere Autonomie. Die Kirchen sind die einzigen großen Organisationen in der DDR, die Personal- und Organisationsentscheidungen unabhängig von staatlichen oder gesellschaftlichen Organen treffen können, de jure wie de facto. Nach langen Kämpfen setzte die DDR-Führung jedoch eine Einschränkung dieses Prinzips für die kirchlichen Außenbeziehungen durch: Der 1967 von Bischof Mitzenheim gesprochene Satz: „Die Grenzen der DDR bilden auch die Grenzen der kirchlichen Organisationsmöglichkeiten“ wurde Bestandteil des offiziellen Kommentars der DDR-Verfassung. Die DDR läßt die Mitgliedschaft der Kirchen in ökumenischen Organisationen, insbesondere im Weltkirchenrat, der Konferenz Europäischer Kirchen, dem Lutherischen und dem Reformierten Weltbund sowie die Beziehung der römisch-katholischen Kirche zum Vatikan zu und fördert sie teilweise aus außenpolitischen Gründen; sie hat jedoch erreicht, daß die besonderen kirchlichen Bindungen innerhalb ganz Deutschlands aufgegeben oder eingefroren werden mußten. Während der staatliche Einfluß auf kirchliche Entscheidungen in den Außenbeziehungen (wie auch z. T. bezüglich der kirchlichen Aktivität innerhalb der DDR) negativ effektiv ist, wirkt er sich positiv nur selten aus. So sind die evangelischen Kirchen in der DDR, anders als die im übrigen Ostblock, nicht korporative Mitglieder der in den sozialistischen Staaten geförderten Christlichen Friedenskonferenz (CFK).

 

Seit Gründung der DDR lassen sich 3 Hauptphasen der staatlichen K. unterscheiden:

 

1. Von 1949 bis 1958 stand im Vordergrund das Ziel, die Position der Kirchen in der Gesellschaft, wo immer möglich, zu beschneiden;

 

2. daran schloß sich bis 1969/71 ein politischer Kampf gegen die gesamtdeutsche Kirchenorganisation, insbesondere der evangelischen Kirchen, an;

 

3. gegenwärtig ist eine formale Anpassung der Kirchen an die sozialistische Gesellschaft der DDR zu beobachten.

 

Die Tendenzen der 1. Phase sind, z. T. in abgemilderter Form, auch in den folgenden Phasen wirksam geblieben. In der 1. Phase vor allem dominierte die atheistische und antiklerikale Propaganda. Die Kirchenaustrittsbewegung wurde massiv gefördert, insbesondere die gesellschaftlichen Führungs- und Schlüsselberufe wurden, mit wenigen Ausnahmen, nur Nichtchristen zugänglich gemacht. Mit der Jugendweihe begann man, die Konfirmationssitte zu entwerten (Sozialistische ➝Feiern). Der kirchlich erteilte Religionsunterricht (Christenlehre) wurde [S. 718]entgegen der DDR-Verfassung von 1949 aus den Schulräumen und aus dem zeitlichen Zusammenhang mit dem Schulunterricht verbannt. Die Kirchensteuer wurde zu einem privaten, rechtlich nicht einklagbaren freiwilligen Kirchenbeitrag. Alle kirchlichen Aktivitäten außerhalb kircheneigener Räume wurden erschwert und z. T. unmöglich gemacht. Junge Gemeinde, die nach dem Krieg gefundene Form evangelischer Jugendarbeit, und Studentengemeinden wurden bekämpft. Es kam auch zu Verhaftungen und Schauprozessen.

 

Gleichzeitig jedoch behielten die Kirchen in vieler Hinsicht ihren aus der Vergangenheit überkommenen Sonderstatus. Ihr Grund- und Waldbesitz wurde z. B. nicht der Bodenreform unterworfen und blieb z. T. später auch von der Kollektivierung ausgenommen. Das eigene kirchliche Arbeitsrecht (Beamte!) blieb bestehen.

 

In der 2. Phase wurde der Zusammenhang der staatlichen K. mit der Deutschlandpolitik der SED besonders deutlich. Die Regierung der DDR nahm den Abschluß des Militärseelsorgevertrages der EKD mit der Bundesregierung zum Anlaß, ihre Beziehungen zur EKD abzubrechen und propagandistisch sowie durch administrative Maßnahmen (jedoch nicht durch gesetzliche oder sonst rechtswirksame Maßnahmen!) für die Verselbständigung der Kirchen in der DDR einzutreten. Die DDR-Regierung lehnte es 1957/58 ab, über verschiedene Konflikte, insbesondere im Erziehungsbereich, mit der EKD zu verhandeln. Stattdessen kam es zu Verhandlungen mit „Vertretern der evangelischen Kirchen in der DDR“, an deren Ende ein sogenanntes Kommuniqué vom 21. 7. 1958 stand, dem zufolge die Kirchenvertreter u. a. erklärten: „Ihrem Glauben entsprechend erfüllen die Christen ihre staatsbürgerlichen Pflichten auf der Grundlage der Gesetzlichkeit. Sie respektieren die Entwicklung zum Sozialismus und tragen zum friedlichen Aufbau des Volkslebens bei.“ Zur gleichen Zeit förderte die SED die Gründung eines „Bundes evangelischer Pfarrer in der DDR“ (der sich Ende 1974 überraschend selbst aufgelöst hat), der sich programmatisch verpflichtete, an der „inneren und äußeren Stärkung der sozialistischen Gesellschaft der DDR“ mitzuwirken (Satzung von 1967). Dieser Pfarrerbund, dessen Mitgliederzahl stets unbedeutend blieb (Schätzung einschließlich Pensionären und Pfarrfrauen 250), wurde, ähnlich wie die Arbeitsgruppen „Christliche Kreise“ der Nationalen Front, die DDR-Regionalkonferenz der Christlichen Friedenskonferenz und die CDU, in der Presse zum eigentlichen Repräsentanten des politischen und kirchlichen Willens der evangelischen Kirchen in der DDR gemacht; er gewann jedoch innerkirchlich ebenso wie die anderen Gruppen nicht einmal die Bedeutung einer Minderheitenfraktion. Am 4. 10. 1960 griff W. Ulbricht in einer Erklärung vor der Volkskammer das Kommuniqué von 1958 auf und beendete die Phase der atheistischen und antiklerikalen Propaganda in der DDR mit der Feststellung: „Das Christentum und die humanistischen Ziele des Sozialismus sind keine Gegensätze.“ Ulbricht warb damit um kirchliche Zustimmung (nicht nur Respektierung) zur sozialistischen Entwicklung in der DDR, die mit einer Absage an die „westdeutschen NATO-Kirchen“ verbunden sein sollte. Die evangelischen Landeskirchen, die — nun ohne zentralen Kontakt zu staatlichen Stellen — eine lose, offiziell nicht anerkannte „Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen in der DDR“ unter Vorsitz von Bischof D. Friedrich-Wilhelm Krummacher (Greifswald) gebildet hatten, stellten sich dagegen auf den Rechtsstandpunkt, daß der Staat nicht über kirchliche Organisationsformen zu entscheiden habe, und hielten an der EKD-Zugehörigkeit fest. Ulbricht fand infolgedessen keine legitimierten Partner für seine K. Lediglich aus den Reihen der CDU, des Pfarrerbundes usw. konnte er damals mit Zustimmung zur K. der SED rechnen. Dennoch wurde die antikirchliche Polemik in der Presse fast vollständig auf westdeutsche Adressaten umgestellt. Nur im Ausnahmefall kam es noch zu öffentlichen Angriffen auf die Kirchen oder einzelne prominente Kirchenvertreter in der DDR. Ein Ende 1963 unternommener Versuch, die eingeschlafene atheistische Agitation auf wissenschaftlichem Atheismus an der Universität Jena zu begründen (Inhaber Prof. Olof Klohr) führte zwar zur zeitweisen Belebung der marxistischen Religionssoziologie, wurde einige Jahre später jedoch wieder aufgegeben. Erst nach dem VIII. Parteitag der SED 1971 erschienen in der DDR-Presse wieder häufiger atheistische Beiträge, jedoch ohne ausgesprochen kirchenpolitische Stoßrichtung.

 

Im Zuge der erwähnten K. mit selbstgewählten Partnern führte Ulbricht am 9. 2. 1961 ein in der gesamten DDR-Presse abgedrucktes Gespräch mit einer „Delegation christlicher Persönlichkeiten“ unter Leitung des Leipziger Theologieprofessors Emil Fuchs, in dessen Verlauf Ulbricht für Zusammenarbeit von Marxisten und Christen warb. Er erklärte, die humanistischen und sozialen Ziele des ursprünglichen Christentums und die humanistischen und sozialen Ziele des Sozialismus stimmten so weitgehend überein, „daß sich ein Zusammengehen geradezu aufdrängt“. Im sogenannten Wartburg-Gespräch vom 18. 8. 1964 mit dem thüringischen Landesbischof D. Moritz Mitzenheim, der als einziger der evangelischen Kirchenführer auf diese Linie eingeschwenkt war, ergänzte Ulbricht seine kirchenpolitischen Ausführungen mit der Feststellung einer „gemeinsamen humanistischen Verantwortung“, die Marxisten und Christen verbinde. Er räumte dem Verhältnis von Marxisten und Christen, immer unter der Voraussetzung der selbstverständlichen Anerkennung der Führungsrolle der marxistisch-lenini[S. 719]stischen Partei, einen wichtigen Platz in seiner Konzeption einer „sozialistischen Menschengemeinschaft“ ein.

 

Vor allem wegen der EKD-Frage gingen die Kirchen jedoch praktisch nicht auf das kirchenpolitische Werben Ulbrichts ein. Obgleich die EKD-Mitgliedschaft der DDR-Kirchen fast nur noch formal praktiziert werden konnte, erklärten die EKD-Synodalen in der sogenannten Fürstenwalder Erklärung vom 5. 4. 1967, sie wollten an der Gemeinschaft in der EKD festhalten. Erst als die neue DDR-Verfassung im April 1968 in Kraft trat, änderten die evangelischen Landeskirchen ihre Haltung in dieser Frage. Bisher sahen sie die gesamtdeutsche Kirchengemeinschaft nur politisch in Frage gestellt. Mit der neuen Verfassung war zu befürchten, daß sie auch staatsrechtlich unmöglich gemacht würde. Die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR machten nun in dieser neuen Situation nach kirchlicher Auffassung ein gemeinsames Handeln aus seelsorgerlichen Gründen immer zwingender notwendig; die EKD-Struktur konnte, wenn sie offiziell für illegal erklärt wurde, die Voraussetzungen dafür nicht mehr bieten. In der Verfassung wurde die staatliche Absicht deutlich, keinen Zusammenhalt der evangelischen Landeskirchen in Deutschland mehr zuzulassen und stattdessen Einzelverträge mit den Landeskirchen abzuschließen. Daraufhin leitete man die Gründung des Kirchenbundes ein, dessen Ordnung am 10. 6. 1969 in Kraft trat.

 

Damit hat die 3. Phase der staatlichen K. begonnen. An ihrem Anfang steht der Art. 39 der DDR-Verfassung von 1968: „Jeder Bürger der DDR hat das Recht, sich zu einem religiösen Glauben zu bekennen und religiöse Handlungen auszuüben. Die Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften ordnen ihre Angelegenheiten und üben ihre Tätigkeit aus in Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Bestimmungen der DDR. Näheres kann durch Vereinbarungen geregelt werden.“ In Art. 20 wird außerdem Gewissens- und Glaubensfreiheit verkündet. Alle übrigen Festlegungen der Verfassung von 1949 entfielen.

 

Ziel der DDR-K. war es, den Protestantismus als gesamtdeutschen Faktor auszuschalten. Praktisch wirkte sich die Gründung des Kirchenbundes als organisatorische und sachliche Stärkung aus, obwohl die SED keine Stärkung des evangelischen Kirchentums in der DDR herbeiführen wollte. Die SED reagierte erst nach 20 Monaten positiv auf diese neue Situation. Am 24. 2. 1971 kam es zu einem offiziellen Besuch des Kirchenbundsvorstandes bei Staatssekretär Seigewasser mit Austausch von Erklärungen und damit zur staatlichen Anerkennung des Kirchenbundes als Repräsentation der 8 evangelischen Landeskirchen in der DDR. Voraufgegangen war eine kirchenpolitische Grundsatzrede des Politbüro-Mitgliedes Paul Verner vom 11. Februar. Damit war die K. mit falschen Partnern beendet. Die CDU verlor — auch im Zusammenhang mit der auf dem VIII. SED-Parteitag vom Juni gleichen Jahres vollzogenen Preisgabe des Leitbildes von der „sozialistischen Menschengemeinschaft“ zugunsten einer neuen Aufwertung der Arbeiterklasse - zunächst an Bedeutung, ebenso Pfarrerbund, CFK usw.

 

Mit der Rede Verners, die seither nicht durch eine neue kirchenpolitische Grundsatzäußerung der SED ersetzt worden ist, stellte sich die SED-Führung auch in bezug auf den Protestantismus auf die real vorhandene Kirche und die von ihr herausgestellten Repräsentanten ein. Gleichzeitig damit wurde jedoch nun an den Kirchenbund die Erwartung gerichtet, ein „eigenständiges Profil“ in der sozialistischen Gesellschaft der DDR zu entwickeln. Verner legte die Zielsetzung des Kirchenbundes, sich als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft von Kirchen in der sozialistischen Gesellschaft der DDR zu bewähren, so aus: „Wir verstehen das so, daß kirchliche Amtsträger und Laien aufgerufen sind, in Dienst und Zeugnis die Deutsche Demokratische Republik allseitig weiter zu stärken, den Frieden zu erhalten und zum Nutzen aller und jedes einzelnen Menschen zu wirken.“ Es gehe damit um eine Neuorientierung in inhaltlichen Fragen der gesellschaftlichen Existenz der Kirchen, um eine „positive Standortbestimmung der Kirche in unserer sozialistischen Gesellschaftsordnung“.

 

Der Kirchenbund sah in diesen Feststellungen eine Bestätigung der evangelischen Auffassung, daß die Kirche sich nicht auf religiöse Angelegenheiten im engeren Sinn beschränken und sich nicht privatisieren oder in ein kultisches Getto drängen lassen darf. Bischof Schönherr formulierte das in seiner namens des Kirchenbundes gegenüber Seigewasser abgegebenen Erklärung: „Der einzelne Christ und die christliche Gemeinde können ihren Gottesdienst nur als Gottesdienst des ganzen Lebens … verstehen.“ Eine der grundlegenden, oft wiederholten Feststellungen des Kirchenbundes bei dem in der Folgezeit unternommenen Versuch, die gesellschaftliche Standort- und Aufgabenbestimmung der evangelischen Kirche in der sozialistischen Gesellschaft der DDR vorzunehmen, umreißt der Satz: „Wir wollen nicht Kirche gegen, nicht Kirche neben, sondern Kirche im Sozialismus sein.“ Das führte zunächst zu der Konsequenz, daß die in der EKD-Periode, vor allem seit dem Mauerbau von 1961, von der offiziellen Kirche gewahrte politische Abstinenz aufgegeben wurde. Man bekannte sich zur politischen und gesellschaftlichen Mitarbeit auf der Basis der sozialistischen Gegebenheit in der DDR, jedoch, wie z. B. Bischof Krusche es formulierte, in „kritischer Solidarität“. Diese Haltung führte bald zu neuen Konflikten. Der VIII. SED-Parteitag brachte zwar keine Rücknahme der Verner-Rede vom Februar 1971, jedoch mit der erneuten Aufwertung der Arbeiterklasse auch eine veränderte Einschätzung der Be[S. 720]deutung der eigenen K., deren politischer Stellenwert nun geringer geworden war. Zu beobachten war nun die Tendenz, die Kirchen inhaltlich auf den engeren religiösen Bereich zu beschränken und die gesellschaftliche Positionsbestimmung vor allem in nicht weiter reflektierter Hinnahme der sozialistischen Entwicklung und in kirchlichen Zustimmungen zur Außen- und Friedenspolitik der DDR zu sehen.

 

Sichtbar wurde das in der Anwendung der Veranstaltungsverordnung, die 1971 in Kraft getreten war. Sie sieht Anmeldefreiheit kirchlicher Veranstaltungen nur für kultische Zusammenkünfte vor, während die evangelische Kirche auch z. B. Konfirmandenfreizeiten und sogenannte Bibelrüstzeiten mit Jugendlichen, Gemeindeseminare, Kirchentage und verschiedenste Veranstaltungen gesellschaftlicher Thematik zur freien Religionsausübung rechnet, die polizeilicher Kontrolle oder Genehmigung nicht unterliegen dürfe. Erst im Sommer 1973 führten interne Verhandlungen zu einer liberalisierten Anwendung der Verordnung. Voraufgegangen war eine Synode des Kirchenbundes im Sommer 1972, in der die politische Mitarbeit der Christen in der Form kritischer Solidarität bejaht worden und der Wille zum Ausdruck gekommen war, den Sozialismus an seinen eigenen Maßstäben, insbesondere der Humanisierung, zu messen und zu diesem Ziel beizutragen. In diesem Zusammenhang benutzte der Hauptreferent der Synodaltagung, Heino Falcke, die Formulierung von einem „verbesserlichen Sozialismus“.

 

Diese kirchlichen Tendenzen haben dazu beigetragen, daß die SED vorübergehend der CDU und den ihr verbundenen Gruppen (Pfarrerbund, CFK) wieder ein stärkeres kirchenpolitisches Gewicht gab. Albert Norden bezeichnete in einem Grußwort vor dem Erfurter CDU-Parteitag die Versammelten als „sozialistische Staatsbürger christlichen Glaubens“. Diese Formel, deren Inhalt nie scharf definiert wurde, spielte 1973/74 eine große Rolle. Sie wurde, vor allem von CDU-Sprechern, so ausgelegt, daß sich die gesellschaftliche Aufgabe der Kirchen darauf zu beschränken hat, für die Christen die Motivation zum gesellschaftlichen Handeln als sozialistische Staatsbürger zu liefern, inhaltlich jedoch hätten sie keine eigenständige Funktion. Im Sommer 1974 wurde die Formel ersatzlos außer Kurs gesetzt. Tatsächlich ist die Linie, die Kirchen vollständig ins gesellschaftliche Abseits zu verweisen, nicht konsequent durchgehalten worden. Die DDR-Führung zeigte sich verschiedentlich daran interessiert, in gesellschaftlichen Angelegenheiten, in denen sie Christen repräsentiert wissen will, den Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR selber, und nicht christlich firmierende gesellschaftliche oder politische Organisationen zum Zuge kommen zu lassen. So wurden z. B. offizielle Delegierte des Kirchenbundes in die Nationale Delegation der DDR zum Moskauer Weltkongreß der Friedenskräfte im Oktober 1973 aufgenommen, und Erich Honecker bezog sie ausdrücklich in das der Delegation erteilte gesellschaftliche Mandat mit ein.

 

V. Kirchliche Wirksamkeit in der DDR-Gesellschaft

 

 

Die DDR-K. hat eine klare Definition der gesellschaftlichen Funktion der Kirchen im Sozialismus vermieden. Eine solche Funktion, welchen Inhalts im einzelnen auch immer, wird jedoch vorausgesetzt. Das ist u. a. daran zu erkennen, daß das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche nicht konsequent bis zum Ende durchgeführt ist. Auffälligster Hinweis darauf sind die evangelisch-theologischen Sektionen an allen 6 traditionellen Universitäten, wo künftige Pfarrer im Rahmen der sozialistischen Universität auf ihren Beruf wissenschaftlich vorbereitet werden. Auch in ihrem Rechtsstatus sind die Kirchen nicht privatisiert worden. Der Erwerb der Kirchenmitgliedschaft durch die Taufe wird nicht in Frage gestellt, der Kirchenaustritt wird nicht gegenüber der Kirche, sondern gegenüber dem staatlichen Notariat erklärt. Andererseits unterliegt die Wirksamkeit der Kirchen, auch da, wo sie garantiert ist, z. T. erheblichen Einschränkungen.

 

Eines dieser Gebiete ist der kirchliche Unterricht, die Christenlehre. Die Politik der DDR-Führung verfolgt das Ziel, neben der sozialistischen Schule und damit zusammenhängenden Einrichtungen möglichst keine erzieherische Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen zur Wirkung kommen zu lassen. Kirchlich erteilter Religionsunterricht (Christenlehre) ist erlaubt, jedoch gehen die Beteiligungszahlen ständig zurück.

 

Eine Ursache dafür ist, offiziellen Darstellungen von Kirchenleitungen zufolge, daß in den Schulen eine Atmosphäre gefördert wird, die es den Eltern nicht opportun erscheinen läßt, die Kinder kirchlich unterrichten zu lassen. In den letzten Jahren haben sich die Kirchen verschiedentlich öffentlich darüber beschwert, daß das verfassungsmäßig garantierte Recht auf gleichen Zugang zu Bildungseinrichtungen für Christen eingeschränkt werde. Ein Nachweis, daß durchgängig Kinder mit christlicher Bindung nicht zu Abitur und Studium zugelassen werden, konnte jedoch nicht geführt werden.

 

Andererseits haben die Kirchen in der DDR mehr als 100 eigene Ausbildungsstätten. Die evangelischen Kirchen verfügen über 3 wissenschaftlich-theologische Einrichtungen für das Vollstudium der Theologie, die die staatlichen Sektionen ergänzen. Es gibt auf das Studium vorbereitende Seminare, und die Ausbildung von Kindergärtnerinnen, Krankenschwestern und anderen, die im kirchlichen Rahmen berufstätig werden, ist in eigenen Einrichtungen möglich.

 

Noch geringer als die Beteiligung am kirchlichen [S. 721]Unterricht ist naturgemäß die Beteiligung von Jugendlichen an den Jungen Gemeinden. Jedoch ist die kirchliche Jugendarbeit nicht zum Erliegen gekommen, sondern übt auf bestimmte Kreise erhebliche Anziehungskraft aus. Sichtbar wird das bei größeren Wochenendzusammenkünften, zu denen meist mehrere tausend Teilnehmer kommen, und in zahlreichen Bibelrüstzeiten während der Ferien.

 

Für Erwachsene spielen u. a. die Kirchentage in der DDR eine Rolle, die in jedem Sommer für bestimmte Regionen veranstaltet werden und Fragen des christlichen Lebens in der sozialistischen Gesellschaft behandeln. Aufgaben kirchlicher Erwachsenenbildung übernehmen weiter die Evangelischen Akademien z. B. in Berlin (Ost) und Meißen und die vom Kirchenbund zentral vorbereiteten Gemeindeseminare.

 

Eine begrenzte Öffentlichkeit wird durch die konfessionelle Presse hergestellt. Es gibt neben einem Evangelischen Nachrichtendienst in der DDR 5 evangelische Wochenblätter. Im Bereich der katholischen Kirche erscheinen 2 solcher Blätter, mehrere Freikirchen haben Monatsblätter. Wichtigste evangelische Monatsschrift ist „Die Zeichen der Zeit“. Die der CDU nahestehende evangelische Monatsschrift „Standpunkt“, die die früheren Zeitschriften „Evangelisches Pfarrerblatt“ und „Glaube und Gewissen“ abgelöst hat, erscheint mit deutlich politischer Ausrichtung. Katholisches Pendant zum „Standpunkt“ ist die „Begegnung“. Die konfessionellen Buchverlage (vor allem die Evangelische Verlagsanstalt Berlin und der katholische St.-Benno-Verlag Leipzig) legen jährlich ein umfangreiches Titelangebot vor. Der staatliche Rundfunk der DDR sendet sonntäglich eine kirchliche Morgenfeier, der in der Regel ein kirchenpolitischer Kommentar folgt.

 

Hauptfeld gesellschaftlich sichtbarer Wirksamkeit der Kirchen sind die evangelische Diakonie und die katholische Caritas. Zum diakonischen Werk „Innere Mission und Hilfswerk der Evangelischen Kirchen in der DDR“ gehörten 1974 52 Krankenhäuser mit über 7.000 Betten, 87 Heime und Anstalten für geistig und körperlich Behinderte mit 6.000 Betten und 280 Alters- und Pflegeheime mit 11000 Plätzen sowie 112 Erholungsheime für Erwachsene und Kinder (ca. 3.600 Betten). Hinzu kommen 23 Kinderheime und 314 Kindertagesstätten mit ca. 17.200 Plätzen und eine umfangreiche Arbeit für Alte, Suchtgefährdete, psychisch Kranke und hirngeschädigte Kinder. Diese Arbeit geschieht größtenteils mit staatlicher Förderung.

 

Von bewußtseinsbildender Bedeutung ist auch die ökumenische Wirksamkeit der Kirchen in der DDR. Es bestehen zahlreiche evangelisch-katholische Arbeitskreise bis hin zu gemeinsamen Pfarrkonferenzen. Mit staatlicher Förderung konnte der evangelische Kirchenbund seine internationalen Beziehungen ausweiten. Er nimmt die Mitgliedschaftsrechte der Landeskirchen u. a. im ökumenischen Rat der Kirchen wahr und ist bemüht, die Themen der Weltchristenheit in das Bewußtsein der Gemeinden in der DDR zu tragen, und umgekehrt. Gleichzeitig konnten die bilateralen Beziehungen zu Kirchen im östlichen wie im westlichen Europa ausgebaut werden. Zu einer begrenzten Normalisierung ist es auch im Verhältnis zu den in der EKD zusammengeschlossenen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland gekommen, mit denen anläßlich von Synoden Besuche ausgetauscht werden. Die ökumenische Beteiligung ermöglicht es den DDR-Kirchen, sich zum Beispiel mit Fragen der Menschenrechte auf breiterer Grundlage zu beschäftigen, als es allein innerstaatlich möglich wäre. Weil er das Anti-Rassismus-Programm des Weltkirchenrates als beispielhaftes Eintreten für Menschenrechte ansieht, hat sich der DDR-Kirchenbund hinter diese Aktivität gestellt. Freiwillige Spenden von mehr als 1,5 Mill. Mark wurden dafür aufgebracht. Große Summen werden außerdem über die Sammlung „Brot für die Welt“ und die entsprechende katholische Sammlungsaktion „Not in der Welt“ für Hilfsmaßnahmen in der Dritten Welt aufgebracht. Solche Sammlungen werden, wo es irgend möglich ist, mit Informationsprogrammen und Gemeindeseminaren gekoppelt.

 

VI. Finanzierung der Kirchen

 

 

Die evangelischen Landeskirchen und die katholische Kirche in der DDR erheben von ihren Mitgliedern Kirchensteuern. Staatliche Unterlagen für die Besteuerung stehen nicht zur Verfügung, die Zahlung ist freiwillig. Die Steuern werden nach dem Einkommen berechnet. Veröffentlichte Statistiken über das Gesamtkaufkommen gibt es nicht. Das Kirchensteueraufkommen dürfte, bezogen auf die Mitgliederzahl, weniger als 10 v. H. des Aufkommens in der Bundesrepublik Deutschland erreichen. Weitere Einnahmequellen sind gottesdienstliche Kollekten sowie zweimal jährlich stattfindende Straßensammlungen, eine für den kirchlichen Wiederaufbau, die andere für die Diakonie. Die Leistungen der Krankenhäuser und Heime werden großenteils über die staatlich allgemein festgesetzten Pflegesätze finanziert. Die Investitionen müssen jedoch kirchlich aufgebracht werden. Den Kirchen in der DDR kommt dafür und für andere Aufgaben beträchtliche Hilfe aus den Kirchen in der Bundesrepublik zu, deren Höhe jedoch nie öffentlich beziffert worden ist. Die DDR zahlt den Kirchen in Fortsetzung früherer Staatsleistungen jährlich bestimmte Zuschüsse zur Pfarrerbesoldung, jedoch ohne Anerkennung eines Rechtsanspruches. Die Gehälter der Pfarrer. Katecheten und anderen kirchlichen Mitarbeiter in der DDR liegen erheblich unter denen in der Bundesrepublik Deutschland.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 713–721


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.