
Sozialversicherungs- und Versorgungswesen (1975)
I. Grundlagen
Art. 35 Abs. 3 der Verfassung der DDR legt fest: „Auf der Grundlage eines sozialen Versicherungswesens werden bei Krankheit und Unfällen materielle Sicherheit, unentgeltliche ärztliche Hilfe, Arzneimittel und andere medizinische Sachleistungen gewährt.“
Die Art. 36 und 38 garantieren die Fürsorge der Gesellschaft im Alter und bei Invalidität sowie die spezielle medizinische Betreuung, materielle und finanzielle Unterstützung bei Geburten und die Gewährung von Kindergeld.
Infolge der in der DDR umfassenden Versicherungspflicht werden diese Postulate im Rahmen der Sozialversicherung (S.), die heute praktisch je zu einem Drittel von den Versicherten, den Betrieben und aus dem Staatshaushalt finanziert wird, zu verwirklichen versucht.
Ihre Leistungen, die auch Arbeitslosenunterstützung (Arbeitslosenversicherung) einschließen, werden durch Zusatz- und Sonderleistungen — vor allem Renten (Altersversorgung) sowie Beihilfen und Unterstützungen aus allgemeinen Haushaltsmitteln (Sozialfürsorge; Geburtenbeihilfen; Kinderbeihilfen) — oder aus Betriebsmitteln (Lohnausgleich) ergänzt. Die S. erfüllt eine Reihe von Aufgaben im Auftrag des Staates; so hat sie u. a. die Betreuung der früheren Beamten, der Kriegsopfer, der Verfolgten und ihrer Hinterbliebenen übernommen (Beamtenversorgung; Kriegsopferversorgung; Wiedergutmachung).
II. Entwicklung
Beim Wiederaufbau eines Sozialleistungssystems spielte der FDGB vom Beginn an eine wichtige Rolle. Schon auf seinem Gründungskongreß (Februar 1946) wurde beschlossen, eine Einheitsversicherung anzustreben, die alle Versicherungszweige grundsätzlich in einem Versicherungsträger verei[S. 791]nen und einen einheitlichen und alle Risiken abdeckenden Beitrag erheben sollte. Noch im gleichen Jahr wurden nach diesen Grundsätzen in den 5 Ländern der SBZ S.-Anstalten errichtet. Am 28. 1. 1947 erließ die SMAD den Befehl Nr. 28 über die „Einführung eines einheitlichen Systems und von Maßnahmen zur Verbesserung der S. in der SBZ“ (Arbeit und Sozialfürsorge, 1947, S. 92), der als Anlage u. a. die grundlegende Versorgung über S. (VSV) enthielt; die Aufgaben der Träger waren nunmehr ebenso vereinheitlicht wie das Leistungsrecht.
Durch die VO über S. vom 26. 4. 1951 (GBL, S. 325) wurde die Verantwortung für die Leitung und die Kontrolle der S. dem FDGB übergeben. Die 5 S.-Anstalten der Länder wurden zu einer einheitlichen „Sozialversicherung, Anstalt des öffentlichen Rechts“ (mit einer Zentralverwaltung, Landes- und Kreisgeschäftsstellen) vereinigt, die vom Zentralrat der S. geleitet wurde; er wurde gesetzlicher Vertreter der S. und ihr oberstes Organ. Räte der S. entstanden in den Ländern bzw. später in den Bezirken und den Kreisen. Sie waren nun ausschließliche Organe des FDGB, deren Mitglieder von der Gewerkschaft eingesetzt wurden, die ihrerseits bei ihren Vorständen „Abteilungen für S.“ einrichtete.
Die Dreiteilung (Räte, FDGB-Abteilungen, Verwaltungen) erwies sich bald als hinderlich. Um sie abzuschaffen und den FDGB zum alleinigen Träger der S. zu erheben, mußten die nicht dem FDGB unterstehenden Versichertengruppen (Selbständige, Handwerker etc.) ausgegliedert werden. Dies geschah durch VO vom 2. 3. 1956. Ihre Versicherung ging — bei Beitragserhöhung — auf die Deutsche Versicherungs-Anstalt (DVA) über. Unmittelbar darauf wurde die Zentralverwaltung der S. mit der Abt. S. des FDGB-Vorstandes zur „Verwaltung der Sozialversicherung des Bundesvorstandes des FDGB“ vereinigt. Die S.-Verwaltungsstellen wurden FDGB-Abteilungen, die Räte für S. beibehalten. Die Entwicklung zu einer auf zwei Trägern ruhenden Einheitsversicherung fand ihren vorläufigen Abschluß 1959: Die Mitglieder der Produktionsgenossenschaften wurden der DVA zugeordnet.
Das Leistungsrecht der Arbeiter und Angestellten wurde nach den Grundsätzen des Gesetzbuches der Arbeit vom 12. 4. 1961 (GBl. I, S. 27) weiter entwickelt.
Am 21. 12. 1961 faßte die VO über die S. der Arbeiter und Angestellten u. a. das bis dahin geltende komplizierte Beitrags- und Leistungsrecht (mit Ausnahme des Rentenrechts) in übersichtlicher Form zusammen. Dagegen galten die rechtlichen Grundlagen für die Versicherten der DVA, die zum 1. 1. 1969 in Staatliche Versicherung der DDR umbenannt wurde, grundsätzlich weiter. Durch VO vom 15. 3. 1968 wurde schließlich das Rentenrecht umgestaltet und durch die Rentenverordnung vom 4. 4. 1974 (Renten) (GBl. I, S. 201) erneut novelliert. Auch die 1968 eingeführte Freiwillige ➝Zusatzrentenversicherung bei der S. wurde zum 1. 3. 1971 erneut umgestellt und ergänzt heute wesentlich das System der Altersversorgung.
III. Organisation
Die S. in der DDR besteht aus den Trägern (juristische Personen): Verwaltung der S. beim Bundesvorstand des FDGB und S. bei der Staatlichen Versicherung der DDR.
Die S. der Arbeiter und Angestellten ist nach Art. 45 Abs. 3 der Verfassung durch die Gewerkschaften „auf der Grundlage der Selbstverwaltung der Versicherten“ zu leiten. Die Gewerkschaften „nehmen an der umfassenden materiellen und finanziellen Versorgung und Betreuung der Bürger bei Krankheit, Arbeitsunfall, Invalidität und im Alter teil“.
Die S. der Arbeiter und Angestellten gliedert sich in Verwaltungen der S. beim Bundesvorstand des FDGB, den Bezirksvorständen und Kreisvorständen. Ihnen obliegt die Durchführung der Planung, Bewirtschaftung und Verwaltung der S. Die unmittelbare Betreuung der Versicherten und die Leistungsgewährung (Ausnahme: [Zusatz-]Renten) erfolgt grundsätzlich (auch für die Familienangehörigen) durch die Betriebe.
Von den Gewerkschaftsleitungen werden als Leitungsorgane der S. auf der jeweiligen Ebene (Zentrale, Bezirk, Kreis, Betrieb bzw. Verwaltung) ein Rat für S. gebildet, der im Betrieb von einem BGL-Mitglied geleitet wird. Der Rat, der von Kommissionen (Arbeitsgruppen) für Kuren-, Renten-, Rehabilitations- und Finanzfragen unterstützt wird, leitet und kontrolliert die Bevollmächtigten für S., die auf Vorschlag der BGL in den einzelnen betrieblichen Gewerkschaftsgruppen gewählt werden: In Zusammenarbeit mit den Bevollmächtigten und ihrer Hilfe wird die Einhaltung der Krankenordnung überwacht, dem Mißbrauch sozialer Leistungen entgegengetreten und die unmittelbare „soziale Betreuung (im ständigen Kontakt mit den Ärzteberatungskommissionen, den betrieblichen Gesundheitseinrichtungen, der Kommission für Gesundheits- und Arbeitsschutz) der in den VEB und Verwaltungen Beschäftigten und ihren Familienangehörigen“ organisiert und durchgeführt. So werden die kurzfristigen Barleistungen (Kranken- und Hausgeld, Schwangerschafts- und Wochenhilfe, Sterbegeld) zumeist durch die Lohnbüros der Betriebe ausgezahlt.
Die übrigen Versicherten der S. beim FDGB (z. B. alle Ärzte, Studierende) und die Rentner u. ä. werden von den Verwaltungen bei den FDGB-Kreisvorständen betreut, die auch zur Prüfung der betrieblichen S.-Einrichtungen berechtigt sind. Die Beschäftigten von Reichsbahn und Post erhalten ebenfalls grundsätzlich Leistungen durch die S. beim FDGB, [S. 792]doch wird ihre Altersversorgung durch eigene Versorgungskassen durchgeführt.
Die Verwaltung der S. bei der Staatlichen Versicherung, deren Versichertenkreis aus den Genossenschaftsmitgliedern, Selbständigen etc. besteht, gliedert sich in die Hauptverwaltung und in die Verwaltungen bei den Bezirks- und Kreisdirektionen. Analog zu den Räten der S. wird hier durch Beiräte für S., die auf zentraler, Bezirks- und Kreisebene getrennt für die einzelnen Versichertengruppen geschaffen wurden, Einfluß auf Gestaltung und Durchführung der Aufgaben genommen. Die Leistungsgewährung erfolgt zumeist durch die Kreisstellen; die Auszahlung kurzfristiger Barleistungen unmittelbar durch die Betriebe ist bisher nur einer größeren Anzahl landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften ermöglicht worden.
Eine der in der Bundesrepublik Deutschland ähnliche Form der Selbstverwaltung existiert nicht. Die S.-Organe werden in den Betrieben nur von den FDGB-Mitgliedern bestimmt, während die Beiräte bei der Staatlichen Versicherung zwar auch aus Versicherten bestehen, aber nicht gewählt werden. Bei Streitfällen werden die betrieblichen Konfliktkommissionen bzw. sonstige S.-Kommissionen tätig; gegebenenfalls entscheiden die bei den Versicherungsträgern gebildeten Beschwerdekommissionen.
IV. Finanzierung
Soweit die sozialen Leistungen nicht unmittelbar aus dem Staatshaushalt finanziert werden, gehen sie auf Mittel der S. zurück. Zwar ist auch der Haushalt der S. Bestandteil des Staatshaushalts, doch bilden die beiden S.-Träger S.-Fonds, die nur zweckgebunden verwendet werden dürfen. Allerdings hat dies lediglich fiskalische Bedeutung, weil auch die S. zunehmend aus allgemeinen Haushaltsmitteln mitfinanziert werden muß. Ursache hierfür ist u. a., daß die einer Versicherung entsprechende Orientierung der Beiträge am Ausgabevolumen in der S. fehlt: Sie hat von Beginn an Beiträge erhoben, deren Berechnungsmodus und Höhe trotz zunehmender Ausgaben nie geändert wurden.
So beträgt noch immer der einheitliche Beitrag von Arbeitern und Angestellten für alle S.-Leistungen — mit Ausnahme der auf Betriebsunfällen und Berufskrankheiten beruhenden — 20 v. H. (Bergleute 30 v. H.) des lohnsteuerpflichtigen Arbeitsverdienstes bis zu 600 Mark monatlich, wovon die Hälfte — bei Bergleuten zwei Drittel — von den Betrieben getragen wird. Ärzte zahlen seit 1971 ebenfalls 20 v. H. (bis Ende 1970 14 v. H.) ihres beitragspflichtigen Einkommens.
Für die bei der Staatlichen Versicherung Versicherten gelten seit 1971 Beiträge in grundsätzlich gleicher Höhe. So zahlen freiberuflich Tätige, selbständige Land- und Forstwirte, selbständige Handwerker und sonstige Selbständige, die tätigen Gesellschafter noch bestehender Betriebe mit staatlicher Beteiligung (BSB) und die Mitglieder der Produktionsgenossenschaften des Handwerks ebenso 20 v. H. des beitragspflichtigen Einkommens wie die Mitglieder der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und der übrigen Produktionsgenossenschaften (z. B. Fischer, Gärtner), bei denen allerdings grundsätzlich die Hälfte des Beitrages von der Genossenschaft übernommen wird; die Mitgliederversammlungen der LPG können allerdings beschließen, daß der Gesamtbeitrag voll von den Mitgliedern zu zahlen ist.
Die Feststellung der Beiträge und ihr Einzug erfolgen über die Räte der Kreise (Abt. Finanzen) für alle Versicherten der SV; für Studenten der Hoch- und Fachschulen, Empfänger von Sozialunterstützung und Insassen von Alters- und Pflegeheimen werden Pauschalbeiträge aus dem Staatshaushalt entrichtet. Neben den eigentlichen S.-Beiträgen wird von den Betrieben eine besondere Unfallumlage erhoben, deren Höhe sich nach der Lohnsumme und nach den Unfallgefahren des jeweiligen Betriebes richtet. Schließlich gehen in die S.-Fonds zunehmend Beiträge aus der Freiwilligen ➝Zusatzrentenversicherung (FZR) ein: Ende 1973 waren bereits vier Fünftel aller pflichtversicherten Arbeiter und Angestellten gleichzeitig Mitglieder der FZR. 7 v. H. der Beitragseinnahmen der S. beim FDGB beruhten 1973 auf freiwilligen Beiträgen (1970: 0,5 v. H.) — vgl. Ziff. VIII.
Dennoch müssen die Ausgaben der S. 1974 zu 45 v. H. aus dem Staatszuschuß finanziert werden. Er wird vor Beginn des Planjahres festgelegt und den Kreisverwaltungen als Normativ vorgegeben. Nichtverbrauchte Haushaltsmittel werden dem Reservefonds zugeführt, aus dessen Mitteln die innerhalb eines Fünfjahrplans eintretenden Schwankungen ausgeglichen werden sollen.
V. Umfang der Versicherungspflicht
Die dominierende Rolle der S. im System der sozialen Sicherung der DDR erklärt sich aus der umfassenden Versicherungspflicht. Von ihr sind — im wesentlichen — lediglich befreit 1. gelegentlich Tätige und solche (ausschl. Lehrlinge) mit geringfügigem Einkommen (unter 75 Mark monatlich), mitarbeitende Ehefrauen von Handwerksmeistern, Geistliche und Mitglieder religiöser Orden sowie Ausländer, die zur Aus- und Weiterbildung beschäftigt sind und nur eine Beihilfe zum Lebensunterhalt beziehen. Seit 1971 sind auch die Selbständigen, die mehr als 5 Personen beschäftigen, pflichtversichert.
VI. Leistungen
Die Leistungen der S. bestehen a) im Krankheitsfälle aus freier ärztlicher und zahnärztlicher — auch stationärer — Behandlung, Krankengeld, Hausgeld für die Zeit der Behandlung in einem Krankenhaus [S. 793]oder Sanatorium; b) aus Schwangerschafts- und Wochenhilfe; c) aus Bestattungsbeihilfe (Sterbegeld); d) aus Renten bei Invalidität, im Alter, für die Folgen von Arbeitsunfällen und anerkannten Berufskrankheiten und für Hinterbliebene und Pflegegeld; e) aus Unterstützung für alleinstehende Werktätige mit kranken Kindern; f) aus kostenloser Versorgung mit Arzneien, Heil- und Hilfsmitteln (einschließlich Zahnersatz); g) aus der Gewährung von Kuren und h) — bei unverschuldeter Arbeitslosigkeit — aus einer geringen Arbeitslosenunterstützung (Arbeitslosenversicherung).
Die ehemaligen Beamten und Berufsoldaten sowie deren Witwen und Hinterbliebene werden von der S. und nach deren Grundsätzen versorgt (Kriegsopferversorgung), Bergleute erhalten entsprechend den höheren Beiträgen erhöhte Leistungen (Bergmannsrenten), desgleichen Eisenbahner und Angehörige der Post, soweit sie sich bei Inkrafttreten der entsprechenden Bestimmungen (1. 1. 1956 und 1. 7. 1956) im Dienst befanden, ohne daß sie höhere Beiträge zu zahlen haben. Streitfälle über S.-Leistungen werden von den Beschwerdekommissionen der S. behandelt und entschieden.
Neben den Leistungen der S. besteht im Falle einer Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Lohnausgleich durch die Betriebe. Aus betrieblichen oder Staatshaushaltsmitteln werden weitere Leistungen finanziert. So ist für die technische Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben eine zusätzliche Altersversorgung geschaffen worden; eine entsprechende Regelung gilt für die Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen.
Für Verfolgte (Kämpfer gegen den Faschismus, Verfolgte des F.) werden Ehrenpensionen (Wiedergutmachung) gezahlt. Schließlich gibt es eine Anzahl besonderer Familienleistungen (Ehegattenzuschläge, Kinderbeihilfen, Geburtenbeihilfen sowie Leistungen der Sozialfürsorge für Bedürftige.
Unter den Leistungen dominieren somit die Sach- und Barleistungen der S. Sachleistungen werden gewährt zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit sowie bei Mutterschaft, Geldleistungen bei vorübergehender, verminderter oder fehlender Arbeits- bzw. Erwerbsfähigkeit und fehlender Erwerbsmöglichkeit, sei es durch Krankheit (auch der Kinder), bei Quarantäne, wegen Unfalls, bei Mutterschaft oder bei Erreichen der Altersgrenze sowie infolge unverschuldeter Arbeitslosigkeit.
Die Gestaltung der S.-Leistungen läßt deutliche Grundzüge erkennen: Voraussetzungen und Umfang der Leistungen sind so geformt, daß sie der (Wieder-)Aufnahme einer Arbeit förderlich und ihrer Aufgabe hinderlich sind. Ihr Ausmaß erstreckt sich bei den Sachleistungen — die grundsätzlich auch den Familienangehörigen der Versicherten zustehen — auf alles Notwendige, bei der Gewährung von Renten auf das — angesichts der hohen Rentnerzahl — verteilungspolitisch für vertretbar Gehaltene.
Die sonstigen Sozialleistungen begünstigen entweder besonders qualifizierte oder privilegierte Gruppen oder folgen bevölkerungs- und gesundheitspolitischen Intentionen, wie die Familienleistungen. Hinzu treten die minimalen Fürsorgeleistungen. Unübersehbar ist jedoch, daß mit der wirtschaftlichen Konsolidierung seit 1971 die ehedem vorwiegend „produktionsorientierte“ Sozialpolitik der DDR neue Züge anzunehmen beginnt. So sind in den letzten Jahren neben die bisher im wesentlichen vom Leistungsprinzip bestimmten Leistungen allmählich solche getreten, die leistungsunabhängigen, d. h. eher sozialen und humanitären Charakter tragen, vor allem im Gefolge der Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED über neue sozialpolitische Maßnahmen. Damit ist auch eine spürbare Verbesserung der Lage der bisher im Schatten der Wohlstandsmehrung stehenden Rentenempfänger einhergegangen, mag auch ihr Lebensniveau, gemessen an dem der Berufstätigen, noch deutlich — und künftig wegen fehlender Rentendynamisierung wieder stärker — zurückbleiben.
VII. Freiwillige Zusatzrentenversicherung
Die gegenwärtig erreichbare höchste Altersrente der Sozialversicherung von 370 Mark monatlich erklärt sich u. a. aus der in der DDR niedrigen Beitragsbemessungsgrenze von 600 Mark. Mit zunehmendem Einkommen mußte eine Kluft zu den Geldleistungen der S. bei den Beschäftigten entstehen, deren Verdienst 600 Mark überstieg.
Die mit Wirkung vom 1. 3. 1971 eingeführte freiwillige Zusatzrentenversicherung (FZR) trägt dazu bei, die Relation zwischen dem Arbeitseinkommen und bestimmten Geldleistungen der S. (Renten, Krankengeld) günstiger zu gestalten. Seitdem sind etwa vier Fünftel aller pflichtversicherten Arbeiter und Angestellten der FZR beigetreten, zu der ein Beitrag von jeweils 10 v. H. von den Versicherten und Betrieben — bezogen auf die zwischen 600 und 1200 Mark liegenden Arbeitseinkünfte — abzuführen ist. Freiberuflich Tätige, Selbständige und Genossenschaftsmitglieder zahlen einen Beitrag von 20 v. H. ihrer zwischen 7.200 und 14.400 Mark liegenden Jahreseinkünfte zur FZR.
Gleichartige Beitragsregelung und hohe Mitgliederzahl unterstreichen die Charakterisierung der FZR als einer quasi-Pflichtversicherung ebenso wie die Abhängigkeit der Gewährung bestimmter Krankengeldzahlungen von einer Mitgliedschaft zur FZR. Deshalb werden Pflichtversicherung zur S. und FZR auch offiziell als Einheit betrachtet. Die Wahl einer derartigen Form der verstärkten Beteiligung — anstelle einer Anhebung der Beitragsbemessungsgren[S. 794]ze — erklärt sich u. a. aus der sich erst allmählich bildenden Belastung durch steigende Ansprüche, denen zunächst Beitragsmehreinnahmen von mehr als 500 Mill. Mark gegenüberstehen.
Die Leistungen aus der FZR an Zusatzrente werden nach der Beitragshöhe bemessen. Die monatliche Zusatzrente beträgt für jedes Jahr der Versicherung ein Viertel des vom Versicherten gezahlten Monatsbeitrages. Bei einem Monatseinkommen von z. B. 800 Mark, für das 20 Jahre Beiträge gezahlt wurden (Beitrag: 10 v. H. von 200 Mark = 20 Mark), errechnet sich somit eine Zusatzrente von 5 Mark x 20 Jahre = 100 Mark monatlich. Die abgeleitete Witwenrente liegt bei 60 v. H., die Vollwaisenrente bei 40 v. H. und die Halbwaisenrente bei 30 v. H. Zweifellos wird die FZR langfristig zu einer verbesserten Altersversorgung in der DDR führen. Dennoch wird ein Berufstätiger in der DDR, der bei vollem Arbeitsleben seit 1960 einen Arbeitsverdienst von 1200 Mark hatte und Mitglied der FZR war, nach offiziösen Angaben aus der DDR (Handbuch des Bevollmächtigten für Sozialversicherung, Berlin [Ost] 1973, S. 247) 1980 nur eine Altersversorgung aus S.-Rente und FZR von maximal 566 Mark erreichen können. An weitergehende Regelungen ist nicht gedacht, wie der Leiter der Abt. Sozialpolitik im Staatssekretariat für Arbeit und Löhne, Dr. Hans Rühl, erklärte (vgl. Arbeit und Arbeitsrecht, S. 167 ff.): „In den nächsten Jahrzehnten wird die Rentenversorgung für Verdienste über 600 Mark monatlich (und damit über den Rahmen der Versorgung aus der Pflichtversicherung) nur noch über die freiwillige Zusatzrentenversicherung erfolgen.“ Dieser Weg sei „ … eine prinzipielle Entscheidung von Partei, Regierung und Gewerkschaften. Sie gibt für die Entwicklung der Renten der Werktätigen mit einem Einkommen von mehr als 600 Mark in den nächsten Jahrzehnten eine klare Orientierung.“
Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 790–794
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