
Strafvollzug (1975)
Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1979 1985
Seit dem 1. 7. 1968 regelt sich der St. nach dem „Gesetz über den Vollzug von Strafen mit Freiheitsentzug und über die Wiedereingliederung Strafentlassener in das gesellschaftliche Leben (Strafvollzugs- und Wiedereingliederungsgesetz — SVWG)“ vom 12. 1. 1968 (GBl. I, S. 109). Danach sollen die Strafgefangenen durch eine den Besonderheiten der einzelnen Straftaten und deren Strafzweck entsprechende, nach ihrer Tat, Persönlichkeit und Strafdauer differenzierte Ordnung, kollektive gesellschaftlich nützliche Arbeit, staatsbürgerliche Erziehung und Bildung sowie durch berufliche und allgemeinbildende Förderungsmaßnahmen zu gewissenhafter Beachtung der sozialistischen Gesetzlichkeit und gesellschaftlich verantwortungsbewußter Gestaltung ihres Lebens erzogen werden. Alle arbeitsfähigen Strafgefangenen sind zur Arbeitsleistung verpflichtet. Besondere Erziehungs- und Bildungsmaßnahmen sind für jugendliche Strafgefangene vorgesehen. Die Aufsicht über den St. wird, wie dies bereits das Staatsanwaltschaftsgesetz vorsieht, der Staatsanwaltschaft übertragen.
Oberstes Vollzugsorgan ist die im Ministerium des Innern bestehende „Verwaltung St“. Ihr unterstehen die verschiedenen St.-Einrichtungen: St.-Anstalten, St.-Kommandos, Jugendstrafanstalten, Arbeitserziehungskommandos, Jugendhäuser, Haftkrankenhäuser, St.-, Strafhaft-, Jugendhaft-, Arbeitserziehungsabteilungen und Militärstrafarrestabteilungen.
Neben den großen St.-Anstalten für Männer (Bautzen, Berlin-Rummelsburg, Brandenburg, Bützow-Dreibergen, Cottbus, Leipzig, Naumburg, Torgau, Waldheim) und Frauen (Berlin, Görlitz, Halle, Stollberg-Hoheneck) gibt es z. Z. ca. 30 St.-Kommandos, früher Haftarbeitslager genannt, und etwa 10 Arbeitserziehungskommandos, die für den Vollzug der wegen asozialen [S. 853]Verhaltens ausgesprochenen Strafe der Arbeitserziehung bestimmt sind, sowie die Jugendstrafanstalten Dessau, Gräfentonna, Ichtershausen und Luckau, in der die zu Freiheitsstrafen verurteilten Jugendlichen untergebracht werden.
Haftstrafen, Verurteilungen zu Jugendhaus oder zu Jugendhaft sind in jeweils gesonderten Vollzugsarten zu vollziehen, ebenso der Vollzug des Strafarrests gegen Militärpersonen (Strafensystem). Die bereits mit dem Rechtspflegeerlaß des Staatsrates vom 4. 4. 1963 eingeführte Differenzierung des St. in drei Kategorien wird im SVWG beibehalten. Es gibt die „strenge“, „allgemeine“ und „erleichterte Vollzugsart“. Die Einweisung erfolgt durch die Vollzugsorgane. Dabei sieht § 14 vor, daß „zur Bestimmung eines individuellen Erziehungsprogramms“ ein nicht näher beschriebenes „Aufnahmeverfahren“ durchgeführt werden kann. Die Vollzugsarten unterscheiden sich nach der Art der Unterbringung der Strafgefangenen, ihrer Beaufsichtigung und Bewegungsfreiheit, den Ordnungs- und Disziplinarbestimmungen, unterschiedlichen Vergütungen für Arbeitsleistungen und unterschiedlicher Behandlung beim Umfang der persönlichen Verbindung mit der Außenwelt. Es sind einzuweisen:
in die allgemeine Vollzugsart: wegen Verbrechens mit einer Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder wegen eines vorsätzlichen Vergehens mit Freiheitsstrafe bestrafte Verurteilte;
in die strenge Vollzugsart: wegen eines Verbrechens mit mehr als 2 Jahren Verurteilte, wegen eines Verbrechens bis zu 2 Jahren Verurteilte, die wegen einer vorsätzlichen Straftat mit Freiheitsstrafe von mehr als 1 Jahr oder mit Arbeitserziehung vorbestraft sind, und wegen eines vorsätzlichen Vergehens mit Freiheitsstrafe Verurteilte, die mindestens zweimal mit Freiheitsstrafe oder Arbeitserziehung vorbestraft sind;
in die erleichterte Vollzugsart: wegen eines fahrlässigen Vergehens mit Freiheitsstrafe Verurteilte und alle Verurteilten mit Freiheitsstrafe von 3 bis 6 Monaten, die nicht wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat vorbestraft sind.
Innerhalb der strengen Vollzugsart sind bereits zweimal wegen Verbrechens gegen die Persönlichkeit, Jugend und Familie, das Eigentum, die Sicherheit und die staatliche Ordnung Vorbestrafte sowie die nach den speziellen Rückfallbestimmungen Verurteilten getrennt von den übrigen Gefangenen unterzubringen.
Alle arbeitsfähigen Strafgefangenen müssen in volkseigenen Betrieben, die in den großen St.-Anstalten Zweigbetriebe unterhalten, produktive Arbeit leisten. Die meisten der in den St.-Kommandos und Arbeitserziehungskommandos untergebrachten Strafgefangenen arbeiten im Bergbau, in Hütten- und Stahlwerken und Ziegeleien.
Die zur Arbeit eingesetzten Strafgefangenen werden „differenziert nach Vollzugsarten“ und entsprechend der „Erfüllung von Leistungskennziffern“ für ihre Arbeitsleistung durch die St.-Einrichtung vergütet (AO über die Vergütung der Arbeitsleistung und die Programmierung Strafgefangener sowie die Zahlung von Unterhalt an Unterhaltsberechtigte der Strafgefangenen vom 6. 4. 1972 — GBl. II, S. 340).
Nach § 2 dieser Anordnung wird die Vergütung „von dem Betrag abgeleitet, den Werktätige als Nettolohn für die gleiche Arbeit erhalten würden“. Sie erfolgt monatlich nach Abrechnung der Arbeitsleistung der Strafgefangenen. Außerdem können als Anerkennung für hohe Arbeitsleistungen Prämien gezahlt werden. Vergütung und Prämien stehen den Gefangenen zur Ansammlung einer Rücklage zum Einkauf von Lebensmitteln, die die Häftlinge wegen der schlechten und unzureichenden Verpflegung dringend benötigen, und sonstigen Gegenständen des persönlichen Bedarfs sowie zum Bezug von Tageszeitungen und zur Abzahlung finanzieller Verpflichtungen zur Verfügung.
Neben vorgesehenen Maßnahmen zur fachlichen Aus- und Weiterbildung sind gesellschaftliche Kräfte in den St. einzubeziehen; dadurch sollen vor allem die staatsbürgerliche Erziehung und Bildung, die kulturelle Arbeit, die allgemeine und berufliche Qualifizierung unterstützt werden. Außer dieser politischen Schulung werden Kurse zur Weiterbildung besonders für diejenigen Gefangenen durchgeführt, die den Abschluß der 8. Schulklasse nicht erreicht haben.
Das Gesetz sieht Anerkennung für Strafgefangene und Disziplinarmaßnahmen vor. Für vorbildliche Arbeitserfüllung und Arbeitsdisziplin und andere hervorragende Ergebnisse können Anerkennungen erfolgen: Ausspruch eines Lobes, Gewährung von Vergünstigungen, Streichung früher ausgesprochener Disziplinarmaßnahmen, Prämiierung, Überweisung in eine leichtere Vollzugsart. Disziplinarmaßnahmen, die bei schuldhaften Verstößen gegen die Pflichten und sonstigen Verhaltensregeln in der St.-Einrichtung angeordnet werden können, sind: Ausspruch einer Mißbilligung, Einschränkung oder Entzug von Vergünstigungen, Arrest, Überweisung in eine strengere Vollzugsart. Der Arrest kann Freizeit-, Einzel- oder strenger Einzelarrest sein. Er ist nur gegenüber erwachsenen Strafgefangenen zulässig und darf höchstens 21 Tage betragen. Gegen gefährliche Strafgefangene sind Sicherungsmaßnahmen zulässig: Absonderung in Einzelhaft, Entzug von Einrichtungs- oder sonstigen Gegenständen (mit Ausnahme des Entzuges der Beleuchtung), Anwendung körperlicher Gewalt mit oder ohne Hilfsmittel, Anwendung der Schußwaffe entsprechend den Schußwaffengebrauchsbestimmungen. Zahlreiche Berichte entlassener gefangener Häftlinge über oft aus geringfügigem Anlaß erfolgte erhebliche Mißhandlungen Strafgefangener durch Angehörige des Wachpersonals zeigen, daß körperliche Gewalt keineswegs nur in Ausnahmefällen gegegenüber „gefährlichen Strafgefangenen“ angewendet wird.
Das SVWG stellt einen Katalog der Pflichten und Rechte der Strafgefangenen auf. Sie sind u. a. verpflichtet, die ihnen zugewiesene Arbeit ordnungsgemäß zu verrichten und an den staatsbürgerlichen Erziehungs- und Bildungsmaßnahmen sowie am Unterricht zur Vervollkommnung der Allgemeinbildung teilzunehmen. Es werden ihnen u. a. angemessene Verpflegung, Unterbringung und Ausstattung und eine „nach den Grund[S. 854]sätzen des Leistungsprinzips und nach der Vollzugsart differenzierte Vergütung für die geleistete Arbeit“ gewährt. Bei Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft soll auf Wunsch religiöse Betätigung „in angemessener Form“ ermöglicht werden. Beschwerden von Strafgefangenen sind an den Leiter der St.-Einrichtung zu richten. Hilft dieser der Beschwerde nicht ab, ist sie dem obersten Vollzugsorgan zur Entscheidung vorzulegen. Der Staatsanwalt ist über die Beschwerden zu informieren, hat aber entgegen § 30 Abs. 2 Staatsanwaltsgesetz darüber nicht mehr zu entscheiden.
Besondere Bestimmungen gelten für den St. an Jugendlichen. In den Jugendstrafanstalten ist die Erfüllung der Berufsschulpflicht zu gewährleisten. Die Jugendlichen sind zur Teilnahme am Unterricht verpflichtet. Jugendliche, die während des St. das 18. Lebensjahr vollenden, verbleiben in der Jugendstrafanstalt, es sei denn, sie üben einen schädlichen Einfluß auf Mitgefangene aus. Vollzug in einer Jugendstrafanstalt ist auch bei einem Verurteilten möglich, der zur Tatzeit bereits 18, aber noch nicht 21 Jahre alt war, wenn seine Persönlichkeitsentwicklung erhebliche Erziehungs- oder Bildungsmängel aufweist. Jeweils besonders geregelt ist der St. in den Jugendhäusern und der Vollzug der Jugendhaft. Jugendliche Strafgefangene, die ihre Oberschulpflicht erfüllen, können Vergütung in Form eines monatlichen Taschengeldes erhalten (§ 2 der Anordnung vom 6. 4. 1972).
Unterhaltsberechtigte der arbeitenden Strafgefangenen erhalten monatlichen Unterhalt, der „im Interesse der weitgehenden Verhinderung von Folgen der Bestrafung für die Unterhaltsberechtigten“ unabhängig von der Höhe der Vergütung des unterhaltsverpflichteten Strafgefangenen gewährt wird (§ 5 der AO vom 6. 4. 1972). Die Höhe des Unterhalts ist abhängig von der monatlichen Arbeitsleistung des Strafgefangenen und der Anzahl der unterhaltsberechtigten Personen. Bemessungsgrundlage ist der Betrag, den ein unterhaltspflichtiger Werktätiger bei der gleichen Arbeit zahlen müßte.
Der Resozialisierung straffällig gewordener und rechtskräftig zu Freiheitsstrafe verurteilter Personen sollen zunächst die Erziehung durch Arbeit, die staatsbürgerliche Erziehung und Bildung, die Erziehung zu Ordnung und Disziplin und die Anerkennungen und Disziplinarmaßnahmen im St. dienen. Darüber hinaus schreibt das SVWG „Maßnahmen zur Wiedereingliederung Strafentlassener in das gesellschaftliche Leben“ vor. Verantwortlich für die Vorbereitung und Durchführung der Wiedereingliederung, den Nachweis geeigneter Arbeits- und Ausbildungsplätze, die Bereitstellung von Wohnraum sowie für die Kontrolle dej; Durchführung der Wiedereingliederung sind die Räte der Kreise, Städte, Stadtbezirke und Gemeinden, in deren Bereich der Entlassene seinen Wohnsitz hat. Zur unmittelbaren Hilfe sind ehrenamtliche Mitarbeiter zu gewinnen, die den Strafentlassenen beratend und unterstützend zur Seite stehen. Die Ämter für Arbeit und Berufsausbildung haben Arbeitsplätze bereitzustellen. Die Arbeitsaufnahme soll möglichst in der früheren Arbeitsstelle oder in solchen Betrieben, Einrichtungen und Arbeitskollektiven erfolgen, in denen die günstigsten Bedingungen für die weitere gesellschaftliche Erziehung vorhanden sind (§ 63 Abs. 2 SVWG). Bei Strafentlassenen Jugendlichen ist die Weiterführung einer begonnenen Berufsausbildung zu sichern. Erforderlichenfalls soll schon vor der Entlassung der Lehrvertrag abgeschlossen werden. Der Staatsanwaltschaft obliegt die Aufsicht auch über die Wiedereingliederung.
Wenn sich bei Verurteilung eines bereits mit Freiheitsstrafe bestraften Täters herausstellt, „daß die erneute Straftat wesentlich durch seine Disziplinlosigkeit bei der Wiedereingliederung in das gesellschaftliche Leben begünstigt wurde“, kann das erkennende Gericht besondere Maßnahmen im Urteil festlegen (§§ 47,48 StGB). Es kann ein Kollektiv beauftragen, dem Verurteilten bei der Wiedereingliederung zu helfen und erzieherisch auf ihn einzuwirken; der Verurteilte kann verpflichtet werden, einen ihm zuzuweisenden Arbeitsplatz nicht zu wechseln oder sich in bestimmten Gebieten nicht aufzuhalten sowie den für seinen Aufenthalt von den staatlichen Organen erteilten Auflagen strikt nachzukommen. Alle diese Maßnahmen können für die Dauer von 1 bis zu 3 Jahren festgesetzt werden. Bei Verurteilung wegen eines Verbrechens kann auf die Zulässigkeit staatlicher Kontrollmaßnahmen durch die Organe der Deutschen Volkspolizei erkannt werden (Polizeiaufsicht). Wenn sich der unter diese Maßnahmen gestellte Strafentlassene böswillig den Verpflichtungen und Auflagen entzieht, kann er nach § 238 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren, Verurteilung auf Bewährung oder mit Geldstrafe bestraft werden.
Durch Gesetz vom 19. 12. 1974 zur Änderung des SVWG (GBl. I, S. 607) und die 1. DB zum SVWG vom 25. 3. 1975 (GBl. I, S. 313) sind mit Wirkung vom 1. 4. 1975 die Bedingungen des St. wesentlich geändert worden. Für Rückfalltäter ist eine weitere, die verschärfte Vollzugsart, eingeführt worden. Die Neufassung des SVWG ist im GBl. I, Nr. 5, S. 109 bekanntgemacht worden.
Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 852–854