
Übersiedler (1975)
Siehe auch:
- Übersiedler: 1969
Nach einer 1965 in der Bundesrepublik Deutschland veröffentlichten amtlichen Statistik sollen von 1950 bis 1964 505 361 Personen in die DDR übergesiedelt sein. Diese sowie andere vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Statistiken der Fortzüge aus dem Bundesgebiet in die DDR und nach Ost-Berlin erfassen jedoch nur solche Übersiedler, die sich unter Angabe ihres Zieles an ihrem bisherigen Wohnort im Bundesgebiet polizeilich abgemeldet haben. Trotzdem lassen diese Statistiken erkennen, daß die Zahl der Ü. seit 1962 stark zurückgegangen ist. Mit 36.676 Abwanderungen aus dem Bundesgebiet ist 1957 die größte Zahl von U. gezählt worden. 1961 waren es nur 14.564. In der folgenden Statistik der Jahre 1964–1972 sind die Fortzüge aus dem gesamten Bundesgebiet einschließlich West-Berlins in die DDR einschließlich Ost-Berlins enthalten:
In dieser Aufstellung fehlen die U., die ohne Abmeldung ihren Wohnsitz in die DDR verlegt haben. Deren Anteil ist relativ hoch, da nach den inzwischen auch von den DDR-Behörden gemachten Erfahrungen die meisten Ü. Anlaß haben, ihre Übersiedlung in die DDR geheimzuhalten, sei es, weil sie erhebliche Schulden zurückließen oder weil sie sich der Strafverfolgung in der Bundesrepublik Deutschland entziehen wollen.
Ü., die derartige Motive für das Verlassen ihres westdeutschen Wohnsitzes haben, müssen allerdings seit einigen Jahren damit rechnen, von den Behörden der DDR unverzüglich in die Bundesrepublik zurückgeschickt zu werden. Die Zahl derartiger mißglückter Versuche, in die DDR zu gelangen, ist daher recht groß. So sind z. B. nach den Feststellungen des Bundesgrenzschutz-Kommandos Nord allein im Jahre 1967 1430 Ü. als unerwünschte Personen von den DDR-Behörden nach Niedersachsen abgeschoben worden.
Seitens der DDR werden seit 1966 überhaupt keine Angaben über Ü. mehr gemacht. Bis dahin hatten Meldungen mit hohen Zahlen von Ü. aus Westdeutschland und in die DDR zurückgekehrten Flüchtlingen sowie eingehende Schilderungen von Einzelfällen den Anschein einer großen politisch bedingten Fluchtbewegung aus der Bundesrepublik Deutschland in die DDR erwecken sollen - als propagandistisches Gegengewicht zu der das Ansehen der DDR mindernden Massenflucht aus der DDR (Flüchtlinge). Die schlechten Erfahrungen mit Ü. aus Westdeutschland — nach DDR-Veröffentlichungen soll die Kriminalität von U. um ein Vierfaches über dem DDR-Durchschnitt gelegen haben — haben die DDR offenbar zur Einstellung dieser Propaganda und zu einer schärferen Auslese bei der Aufnahme der Ü. in die DDR veranlaßt.
Die Ü. werden nach ihrer Ankunft zunächst in eines der „Aufnahmeheime für Ü. und Rückkehrer“ in Berlin-Blankenfelde, Barby, Eisenach, Pritzier ü/Hagenow (Mecklbg.) oder Saasa Kr. Eisenberg/Thür. eingewiesen (für desertierte Bundeswehr-Angehörige gibt es besondere Aufnahmestellen), wo sie eingehend durch den Staatssicherheitsdienst geprüft und über die Verhältnisse in ihrer Heimat ausgefragt werden. Wenn die Ü. nach Abschluß dieser einige Wochen dauernden Überprüfung einen Personalausweis der DDR erhalten, sind sie damit Bürger der DDR geworden und können dann wie alle übrigen Bewohner der DDR nicht mehr ohne Genehmigung der DDR-Behörden in die Bundesrepublik Deutschland zurückkehren. Soweit sie nicht bei Verwandten Wohnsitz nehmen können, werden sie in einem der Bezirksaufnahmeheime untergebracht. Dort wird ihnen der Aufenthaltsort und Arbeit zugewiesen.
Dies gilt auch für zurückkehrende Flüchtlinge, die die DDR vor dem 1. 1. 1972 verlassen haben. Ihnen ist durch Gesetz zur Regelung der Staatsbürgerschaft vom 16. 10. 1972 (GBl. I, S. 265) die Staatsbürgerschaft der DDR entzogen und zugleich Straffreiheit wegen des ungenehmigten Verlassens der DDR zugesi[S. 868]chert worden. Flüchtlinge, die seit dem 1. 1. 1972 aus der DDR geflüchtet sind, müssen dagegen bei ihrer Rückkehr grundsätzlich mit Bestrafung wegen ungesetzlichen Grenzübertritts (Republikflucht) rechnen. Sofortige Festnahme haben vor allem auch geflüchtete Partei- und Staatsfunktionäre und Angehörige der bewaffneten Organe zu erwarten, selbst wenn sie vor dem 1. 1. 1972 die DDR verlassen haben. Ihnen droht ein Strafverfahren wegen Spionage, landesverräterischen Treubruchs bzw. Fahnenflucht. Diese Rückkehrer werden im allgemeinen bei ihrer Entlassung aus der Strafhaft wieder in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben.
Ü. können bei Bedürftigkeit vom Rat der Gemeinde ein Überbrückungsgeld bis zu 50 Mark und je 40 bzw. 25 Mark für jeden unterhaltsberechtigten Angehörigen sowie ein Darlehen von 1000 Mark, bei Zuzug mit Angehörigen bis zu 4.000 Mark erhalten. Rückkehrer müssen alle diese Leistungen grundsätzlich zurückerstatten.
Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 867–868
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