DDR von A-Z, Band 1975

Agitation und Propaganda (1975)

 

 

Siehe auch:

 

I. Funktion

 

 

AuP. — im Selbstverständnis der SED „untrennbar miteinander verbunden“ — spielen in der Theorie und Praxis kommunistisch-sozialistischer Parteien sowjetischen Typs eine besondere Rolle. Sie sind „unlöslicher“ Bestandteil der Partei- und Staatspolitik zur permanenten, systematischen Beeinflussung und Lenkung des Denkens (Bewußtseins) und Handelns (Verhaltens) der Bevölkerung im Sinne der Ideologie des Marxismus-Leninismus: „Das Grundanliegen von Agitation und Propaganda der Partei ist es, die Arbeiterklasse und alle Werktätigen mit den revolutionären Ideen des Marxismus-Leninismus auszurüsten, ihnen die erfolgreiche Verwirklichung unserer Ideen in der Welt vor Augen zu führen, sie im Geiste der kommunistischen Ideale zu standhaften und streitbaren Kämpfern zu erziehen, sie zur Erfüllung der Parteibeschlüsse zu mobilisieren und sie noch besser zum Kampf gegen die Politik und Ideologie des Imperialismus zu befähigen“ (Beschluß des Politbüros des ZK der SED vom 7. 11. 1972 über die Aufgaben der Agitation und Propaganda bei der weiteren Verwirklichung der Beschlüsse des VIII. Parteitages). Zur Indoktrinierungsfunktion tritt die Abschirmungsfunktion: „Agitation und Propaganda haben die Aufgabe, den Antikommunismus, dieses politisch-ideologische Hauptinstrument der imperialistischen Bourgeoisie, den bürgerlichen Nationalismus, den Sozialdemokratismus, den Revisionismus und den „linken“ Opportunismus mit unseren überlegenen geistigen Waffen aus dem Felde zu schlagen. Die Einheit und Reinheit des Marxismus-Leninismus ist gegen alle Angriffe konsequent zu verteidigen“ (a. a. O.). Die „überragende Bedeutung“, die der AuP. im gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß beigemessen wird, ergibt sich aus der leninistischen Theorie von der Rolle der kommunistischen Partei („Partei neuen Typus“) als der politisch-ideologischen und organisatorischen Kraft, die die Ideen des Klassenkampfes und seine politische Zielsetzung in die Arbeitermassen trägt. Aus Lenins Analyse der russischen Situation und seinen Schlußfolgerungen für die Rolle der Partei wurde — von Stalin in der Lehre von der „aktiven revolutionären Rolle des Überbaus“ weiterentwickelt und in der politischen Praxis ausgebaut — die heute (1974) noch geltende dogmatisierte These abgeleitet, „daß sozialistisches Bewußtsein nicht spontan, außerhalb der lenkenden politisch-ideologischen Arbeit der Partei entstehen kann“ (dagegen Marx: „Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Bewußtsein“). Diese Erkenntnis verlange „die sozialistische Erziehung der Massen, eine breite mündliche und schriftliche Massenpropaganda und -Agitation“, die in unserer Zeit „einer nie dagewesenen Verschärfung des ideologischen Kampfes im internationalen Maßstab“ besonders aktuell sei.

 

II. Inhalt

 

 

Die jeweils zu vermittelnden Inhalte setzt die Partei fest (Ausschließlichkeitsanspruch): „Die allgemeinen Einsichten in den Gang der gesellschaftlichen Entwicklung werden für den einzelnen durch die Programme, Beschlüsse und Dokumente der marxistisch-leninistischen Partei und des sozialistischen [S. 7]Staates konkretisiert. Sie setzen sich über diesen Weg in Normen und Handlungsappelle um“ (G. Heyden, Direktor des Instituts für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED). Erst in der Art und Weise der Vermittlung wird zwischen Agitation (A.) und Propaganda (P.) unterschieden: P. vermittelt die „allgemeinen Einsichten“, die Theorie („wissenschaftliche Weltanschauung“) des Marxismus-Leninismus sowie die Strategie und Taktik der kommunistischen Parteien und Staaten auf der Grundlage der Werke der „Klassiker“ (Marx, Engels, Lenin, früher auch Stalin) in der jeweiligen Interpretation der „Dokumente und Beschlüsse“ der KPdSU und der SED. Sie erläutert systematisch die marxistisch-leninistischen „Grundwahrheiten“; von zentraler Bedeutung ist hierbei die Schulung der Parteimitglieder und speziell der Propagandisten und Agitatoren der Partei (in Parteischulen sowie im Parteilehrjahr). A. soll dagegen die darauf abgeleiteten konkreten, tagesaktuellen „Normen und Handlungsappelle“ auf der Grundlage der jüngsten Beschlüsse von Partei und Regierung verbreiten: „Im Mittelpunkt der Agitation steht die weitere Herausbildung der marxistisch-leninistischen Weltanschauung bei den Werktätigen, ihre Erziehung zum sozialistischen Patriotismus und proletarischen Internationalismus, zur sozialistischen Einstellung zur Arbeit und zum Haß gegen die Feinde des Friedens und des Sozialismus.“ Begriffliche und inhaltliche Überschneidungen ergeben sich zwangsläufig, z. B. gibt es den Begriff der „Produktionspropaganda“.

 

Hauptinhalt der politischen AuP. ist seit dem VIII. Parteitag der SED 1971 die „allseitige Stärkung der DDR für ihre immer festere Verankerung in die sozialistische Staatengemeinschaft“ unter besonderer Berücksichtigung der „führenden Kraft der KPdSU“, der Führungs-, Vorbild- und Pionierrolle der Sowjetunion; die politische, sozialökonomische, kulturelle und geistige Abgrenzung gegenüber der Bundesrepublik und die „unversöhnliche Auseinandersetzung“, der Kampf gegen alle Erscheinungsformen der bürgerlichen Ideologie, gegen Nationalismus, Sozialdemokratismus und kommunistischen Revisionismus und Opportunismus“ gegen das „anti-leninistische, anti-sowjetische, feindliche Wesen des Maoismus“. Zu diesem Zweck ist auch eine verstärkte Koordinierung der AuP. der von Moskau geführten kommunistischen Staaten eingeleitet worden.

 

III. Organisation

 

 

Da AuP. alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringen und alle Bevölkerungsschichten erreichen soll, ist ein umfangreiches Organisationssystem aufgebaut worden. Neben der SED, den anderen Parteien und Massenorganisationen (FDJ; FDGB; DFD; DSF; DTSB; GST; Kulturbund) betreiben AuP. die Nationale Front, die Urania, Kammer der Technik, Künstlerverbände, staatliche Einrichtungen, gesellschaftswissenschaftliche Fachbereiche an den Hochschulen (Grundlagenstudium), besonders aber Presse, Rundfunk und Fernsehen, da auch die Information, z. B. die Nachricht, als „Agitation durch Tatsachen“ definiert wird.

 

Oberstes Lenkungs- und Leitungsorgan ist das Politbüro der SED („die politisch-ideologische Arbeit ist wichtigster Bestandteil der Führungstätigkeit der Partei“). Direkt verantwortlich sind drei Politbüromitglieder, die gleichzeitig hauptamtlich Sekretäre des ZK sind:

 

Kurt Hager für Ideologie, „wissenschaftliche Weltanschauung“, Wissenschaft, Kultur, Volksbildung. Werner Lamberz für Massen-AuP., FDJ, Presse, Rundfunk, Fernsehen. Lamberz untersteht die Agitationskommission beim Politbüro des ZK der SED. Leiter dieser Kommission ist E. Heinrich.

 

Albert Norden für West- (Bundesrepublik) und Auslands-AuP., auch Auslandsinformation (auch für bürgerliche Parteien und Nationale Front in der DDR, kommunistische Weltfriedensbewegung und anderes).

 

ZK-Abteilungen und deren Leiter sind u. a.: Propaganda: Kurt Tiedke; Agitation: Heinz Geggel; Wissenschaft: Hannes Hörnig; Kultur: Peter Heidt; West-Abteilung des ZK: Herbert Häber.

 

Auf der Bezirks- und Kreisebene sind AuP. organisatorisch wieder zusammengefaßt:

 

In den SED-Bezirksleitungen gibt es unter dem zuständigen Sekretär eine Abteilung AuP., in den Kreisleitungen den Sekretär für AuP. Sogenannte Agit-Prop-Lehrgänge für Abteilungsleiter der SED-Bezirksleitungen und Kreissekretäre finden in der Sonderschule des ZK der SED in Kleinmachnow, Lehrgänge für Propagandisten und Agitatoren an den Kreisschulen für Marxismus-Leninismus statt.

 

Zentrale Institute:

 

Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Leiter: Prof. Dr. Günter Heyden;

 

Institut für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED, Leiter: Prof. Dr. Otto Reinhold;

 

Parteihochschule „Karl Marx“ beim ZK der SED, Leiter: Hanna Wolf;

 

Institut für Internationale Politik und Wirtschaft (IPW), Leiter: Dr. Max Schmidt. Das IPW wurde als Spezialinstitut zur „Imperialismus“-Forschung 1971 auf Beschluß des Präsidiums des Ministerrates durch Zusammenlegung des Deutschen Instituts für Zeitgeschichte (DIZ), des Deutschen Wirtschaftsinstituts (DWI) und des Apparates des früheren Staatssekretariates für gesamtdeutsche (später: westdeutsche) Fragen gegründet, das sich vor allem mit bundesrepublikanischen Themen befaßt. Es gibt seit April 1972 die Monatszeitschrift „IPW-Berichte“ heraus.

 

Zentrale Publikationen: „Einheit“ — Zeitschrift für „Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialis[S. 8]mus“, Organ des ZK der SED; „Neuer Weg“, Organ des Zentralkomitees für Fragen des Parteilebens; „Informationen“, interne A.-Anleitungen des ZK für Parteifunktionäre; „IPW-Berichte“. Schriftenreihen: „ABC des Marxismus-Leninismus“ (Inst. f. Gesellschaftswissenschaften), „Zur Kritik der bürgerlichen Ideologie“ (Akademie der Wissenschaften) und Schriftenreihe „Der Parteiarbeiter“ (ZK).

 

Lehrbuch für Propagandisten: „Methodik der politischen Bildung“, aus dem Russischen, Dietz, 1974.

 

IV. Massenagitation und Massenpropaganda

 

 

Die wichtigsten Formen und Mittel der P. sind: Vortrag, Lektion, Parteilehrjahr, Bücher und Broschüren; der A. und Massen-P.: Presse, Rundfunk, Fernsehen, Film; Broschüren, Flugblätter; Ausstellungen, Transparente, Plakate, Fotos (Sicht-A.). Nach Meinung der Partei ist jedoch die mündliche A. „Hunderttausender Agitatoren und Propagandisten, die täglich mit Leidenschaft und Können die Politik der SED im ganzen Volk verbreiten … durch nichts zu ersetzen“. Als Schwerpunkte gelten der Betrieb, das angestrebte „tägliche politische Gespräch im Arbeitskollektiv“, in der Abteilung, in der Brigade mit Tages-A. und Produktions-P, zum Sozialistischen Wettbewerb, unterstützt durch Betriebsfunk, Betriebszeitung, Wandzeitung, Kommentatorengruppen und den Einsatz zeitweilig besonderer A.-Gruppen zu spezifischen Problemen des Betriebes. Ferner soll nach den Vorstellungen der SED in den Arbeitskollektiven das „Massenstudium des Marxismus-Leninismus“ organisiert werden. In den Wohngebieten sollen vor allem die Ausschüsse der Nationalen Front eine „offensive politische Massenarbeit bis in die Hausgemeinschaften und Familien hinein“ leisten. Verantwortlich für die gesamte A. und Massen-P, sind die Parteileitungen der SED. Auch staatliche und wirtschaftsleitende Organe sind angehalten, in Beschlüssen festzulegen, „durch wen, in welcher Weise und mit welchen Argumenten“ die Bürger zur Unterstützung bereits beschlossener Maßnahmen gewonnen werden können. Zur Erhöhung der Wirksamkeit der gesamten AuP.-Arbeit wird gefordert, die Erkenntnisse bzw. Ergebnisse der wissenschaftlichen Meinungsforschung, der Soziologie, der Psychologie, der Pädagogik und der Informationstheorie systematisch auszuwerten.

 

Kritisches zur Wirkung von AuP. hat aus systemimmanenter Sicht der Philosoph Georg Klaus in seiner Monographie „Sprache der Politik“, Berlin (Ost) 1971, geäußert. Zur grundsätzlichen Auseinandersetzung über die Politik der SED im ideologisch-propagandistischen Bereich ist es zwischen Robert Havemann, („Dialektik ohne Dogma?“ Rowohlt, Hamburg 1964 f., u. a. S. 109 ff. und 153 ff.) und der Parteiführung gekommen. Die Rolle von AuP. in Presse, Rundfunk und Fernsehen wird im wesentlichen von der Medienpolitik der SED bestimmt. AuP. haben trotz eines stets hohen personellen, finanziellen und materiellen Aufwandes die Kluft zwischen Ideologie und Wirklichkeit in der DDR weder überwinden noch verdecken können (Mauerbau). Die zur Rechtfertigung des absoluten Machtanspruches der Partei in dogmatischer Form vertretene These, daß sozialistisches Bewußtsein nicht spontan entstehen, sondern nur durch die leninistische Partei den „werktätigen Massen“ vermittelt werden kann, teilt von vornherein die Gesellschaft in Wissende und Unwissende, schließlich in Gläubige und Ungläubige. Letztere sind von der marxistisch-leninistischen Partei, die sich allein im Besitz der Kenntnis vom „richtigen“ gesellschaftspolitischen Entwicklungsprozeß glaubt, zu bekehren. P. wird damit oft zur Verkündung von Glaubenssätzen, A. zur Zwangsbekehrung (Agitationskampagne zur Vollkollektivierung der Landwirtschaft 1960). Andersdenkende werden zu Ketzern, zu „Feinden“ gestempelt. Obwohl der AuP.-Stil in den letzten Jahren im Werben um die Loyalität der Bevölkerung differenzierter wurde, sind die Grundwidersprüche dieselben geblieben. Eine größere Anpassungsmotivation der Bevölkerung nach dem Mauerbau 1961 einerseits, mehr Berücksichtigung der Realitäten durch die SED und Zugeständnisse (z. B. im kulturellen Bereich nach dem VIII. Parteitag 1971) andererseits, lassen aber noch nicht auf größere Glaubwürdigkeit von AuP. schließen.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 6–8


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.