DDR von A-Z, Band 1975

 

Agrarpolitik (1975)

 

 

Siehe auch die Jahre 1962 1963 1965 1966 1969 1979 1985

 

I. Theoretische Grundlagen

 

 

Mit der Errichtung eines auf den Prinzipien des Marxismus-Leninismus beruhenden Wirtschaftssystems wurde nach 1945 in der SBZ bzw. nach 1949 in der DDR auch die marxistisch-leninistische Agrartheorie in ihrer sowjetischen Ausformung für die praktische Agrarpolitik verbindlich.

 

Karl Marx war in der Begründung seiner Agrartheorie von der Erwartung ausgegangen, daß die Agrarproduktion durch die Einführung des technischen und technologischen Fortschritts in ähnlicher Weise industrialisiert werden kann wie die gewerbliche Produktion. Folglich mußten in der Landwirtschaft die gleichen Konzentrationsprozesse (Großbetriebe) und der Spezialisierungsprozeß (Arbeitsteilung) eintreten. Unter privatwirtschaftlichen Bedingungen war infolgedessen mit dem Ausscheiden der Masse der Kleinproduzenten aus dem Produktionsprozeß und deren Verelendung zu rechnen. Diese von Marx am Beispiel Englands entwickelte These [S. 12]bestätigte sich in anderen Industriestaaten nicht. Eine Unterstützung der proletarischen Revolution durch die Mehrheit eines verelendeten Landproletariats konnte nicht als sicher vorausgesetzt werden. Marx riet deshalb, die Bauern durch materielle Anreize für die Sache der Arbeiterklasse zu gewinnen bzw. zu neutralisieren.

 

F. Engels, der sich mit der Agrarfrage intensiver beschäftigte als Marx, kannte die emotionale Bindung der Bauern an Grund und Boden und warnte vor radikalen Maßnahmen, um die Bauern nicht durch Enteignung zu aktiven Gegnern der Revolution werden zu lassen. Die Schwierigkeit bestand darin, daß fast alle Marxisten die Errichtung landwirtschaftlicher Großbetriebe aus Gründen der Rentabilität als zwangsläufige Entwicklung ansahen. Auch ein sozialistischer Staat konnte deshalb keine Garantie für die Beibehaltung der privat-bäuerlichen Wirtschaftsweise geben.

 

Jedes Versprechen, den privat-bäuerlichen Besitzstand zu wahren, mußte sich schließlich als falsch bzw. als kurzfristiges taktisches Manöver erweisen, um die Bauern vorübergehend politisch zu neutralisieren. Als Ausweg griff Engels den schon von Marx formulierten Gedanken auf, die Bauern durch materielle Anreize für eine kollektive Wirtschaftsweise zu gewinnen. Er ging davon aus, daß insbesondere die Kleinbauern aufgrund der zu erwartenden wirtschaftlichen Zwangslage für den kollektiven Zusammenschluß interessiert werden können, daß man aber auch bei Mittel- und Großbauern von einer Enteignung absehen könne, weil der zwangsläufige Niedergang dieser Betriebe den genossenschaftlichen Zusammenschluß fördere. Der Großgrundbesitz als „kapitalistische“ Betriebsform sollte dagegen enteignet werden.

 

Nach der russischen Oktoberrevolution ergab sich erstmalig die Notwendigkeit, diese Theorien in die Praxis zu übertragen. Die besondere Schwierigkeit bestand darin, daß die Sowjetunion als Agrarstaat nicht in der Lage war, die Landwirtschaft ausreichend mit Maschinen und anderen Produktionsmitteln zu versorgen. Damit entfiel nicht nur die Notwendigkeit bzw. die Möglichkeit zur Konzentration und Spezialisierung der landwirtschaftlichen Produktion, sondern vor allem auch die ökonomischen Voraussetzungen für die Errichtung landwirtschaftlicher Großbetriebe. Im Gegenteil mußten die landwirtschaftlich Tätigen zunächst durch Konsumverzicht zum Aufbau der sowjetischen Industrie beitragen.

 

Lenin hat die von Marx und Engels entwickelten Agrarthesen weiterentwickelt und suchte dabei die besonderen Verhältnisse in Rußland zu berücksichtigen. Er unterschied — einschließlich der Landarbeiter — sechs Klassen der ländlichen Bevölkerung, die in unterschiedlicher Weise interessiert bzw. „behandelt“ werden sollten. Großgrundbesitzer und Großbauern sollten enteignet und der Einfluß der Mittelbauern beseitigt werden, da sie als Gegner der Revolution angesehen wurden. Wesentlich war, daß Lenin die enteigneten Betriebe zwar verstaatlichte, die Flächen sowie das Inventar aber zunächst an die Landarbeiter, Heuerlinge und landarmen Bauern zur privatwirtschaftlichen Nutzung verteilen ließ. Versuche, sofort zum Aufbau von Kollektivwirtschaften überzugehen, wurden 1921 — wegen des eingetretenen wirtschaftlichen Chaos — aufgegeben. Erst zu einem späteren Zeitpunkt sollte es die „Bündnispflicht“ der Arbeiterklasse erfordern, durch Bereitstellung von Produktionsmitteln die Masse der kleinbäuerlichen Betriebe auf genossenschaftlicher Basis zu organisieren und anschließend den Aufbau großer Kollektivbetriebe zu leiten. Gleichzeitig sollten mit fortschreitender Mechanisierung die Arbeits- und Lebensbedingungen der Landbevölkerung an die der Stadt angeglichen werden.

 

Über den stufenweisen Aufbau dieser Betriebe veröffentlichte Lenin 1923 in der „Prawda“ mehrere Beiträge, die gemeinsam mit anderen Veröffentlichungen aus den Jahren 1917–1922 als „Genossenschaftsplan“ bekannt geworden sind. Dieser Genossenschaftsplan bzw. dessen „schöpferische“ Auslegung und Anwendung ist zur Grundlage für die A. aller sozialistischen Staaten geworden.

 

In der Sowjet-Union wurde dieser Plan in vier Phasen verwirklicht:

 

1917–1921 Kriegskommunismus, Enteignung von 18 Mill. Großbetrieben und Bauernhöfen, beginnende Kollektivierung;

 

1921–1928 Neue ökonomische Politik (Erholungsphase), Rückgang der Kollektivierung;

 

1928–1933 2. Revolution (auf dem Lande), Liquidation der Großbauern, Durchführung der Kollektivierung;

 

ab 1933 politische Stabilisierung der neuen Verhältnisse in der Landwirtschaft, Errichtung von Großkolchosen.

 

II. Ziele und Instrumente der Agrarpolitik

 

 

Die agrarpolitische Zielsetzung der SBZ/DDR richtete sich seit 1945 einerseits auf die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sowie auf die Belieferung der Industrie mit landwirtschaftlichen Rohstoffen. Es wurde ein möglichst hoher Selbstversorgungsgrad angestrebt. Der Nahrungsgüterimport sollte zunehmend auf Produkte, die aus klimatischen Gründen nicht in der DDR erzeugt werden können, sowie auf die Einfuhr von Zuchtmaterial beschränkt werden.

 

Andererseits wurde bereits 1945 mit der Umgestaltung der Agrarverfassung auf der Basis der marxistisch-leninistischen Agrartheorie begonnen, die eine Änderung in der bestehenden Eigentumsordnung, der Rechtsformen der Bodenbewirtschaftung, [S. 13]der Besitz- und Betriebsgrößenstruktur und der Arbeitsverfassung vorsah. Langfristig wurde sowohl die Entwicklung spezialisierter Großbetriebe auf der Grundlage kollektiven Eigentums als auch — infolge einer industriemäßig betriebenen Agrarproduktion — die Angleichung der ländlichen Arbeits- und Lebensbedingungen an die der Stadt angestrebt. Soweit in der Realisierung zwischen den beiden genannten Hauptzielen Konflikte auftraten, wurde dem Streben nach hohen Erzeugungsleistungen soweit Rechnung getragen, als dies ohne Gefährdung der gesellschaftspolitischen Ziele möglich war. Andererseits wurden Produktionseinbußen in Kauf genommen, sofern dies aus gesellschaftspolitischen Gründen für erforderlich gehalten wurde.

 

Zur Durchsetzung der genannten Ziele wurde das traditionelle agrarpolitische Instrumentarium (Preisgestaltung, Steuern, Agrarkredite, Subventionen etc.) um zahlreiche mehr oder weniger administrative Maßnahmen erweitert. Hierzu gehören die entschädigungslose Enteignung von Betrieben und Betriebsmitteln, Auflagen über die Betriebsorganisation sowie über die Verwendung der Erzeugnisse und der Betriebseinkommen, die Investitionsmittellenkung, die Auflösung, Umbildung und/oder Neueinrichtung von landwirtschaftlichen Dienstleistungsbetrieben und -Organisationen, die Gründung von Parteigruppen der SED in den Landwirtschaftsbetrieben, die mit Kontrollrechten gegenüber den Betriebsleitungen ausgestattet sind, die Veränderung der Arbeitskräfte- und der Bevölkerungsstruktur sowie der weite Bereich der Agrarpropaganda. Die Agrarpropaganda umfaßt „sämtliche Maßnahmen, Mittel und Methoden zur Erläuterung und Verbreitung der Agrarpolitik von Partei und Regierung“. Die Aufgabe wird von den Parteien und Massenorganisationen sowie von den Schulungs- und Ausbildungsorganen wahrgenommen und ist auf produktionstechnische wie auf gesellschaftspolitische Ziele gerichtet (Landwirtschaftliche ➝Berufsausbildung; Bauernkongreß).

 

III. Die Realisierung der agrarpolitischen Ziele

 

 

Der Aufbau sozialistischer Großbetriebe mit spezialisierter Produktionsrichtung in der Landwirtschaft der DDR orientiert sich an der UdSSR und damit an Lenins „Genossenschaftsplan“. Obwohl Lenin ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, daß der sowjetische Weg nicht für Industriestaaten geeignet sei (Aufteilung der enteigneten Großbetriebe), wurde dem russischen Beispiel in der SBZ/DDR gefolgt. Die SBZ muß jedoch aufgrund ihrer geringen Agrarquote, die 1939 ca. 26 v. H. (Westdeutschland 29 v. H.) betrug, als Industriestaat bezeichnet werden. Ebenso wie in der UdSSR wurden aus gesellschaftspolitischen Gründen die zuvor künstlich geschaffenen Kleinbetriebe in kollektiven Großbetrieben zusammengefaßt, ohne die wirtschaftlichen Zielkonflikte zwischen hoher Arbeitsproduktivität und hoher Flächenproduktivität, zwischen hoher Nutzungsintensität und Betriebsgröße zu berücksichtigen. Infolgedessen ging insbesondere der Anbau arbeitsintensiver Kulturen zurück. Die Erzeugerpreise werden in der Regel den gestiegenen Produktionskosten angepaßt.

 

Auf dem Wege zur sozialistischen Agrarverfassung sind in der SBZ/DDR mehrere Phasen festzustellen, die sich teilweise überlappen:

 

1. Bodenreform 1945–1949,

 

2. Klassenkampf gegen Mittel- und Großbauern 1949–1953,

 

3. Kollektivierung, Aufbau von Produktionsgenossenschaften 1952–1960,

 

4. Aufbau sozialistischer Großbetriebe auf dem Wege der Kooperation und der Fusion, seit 1960,

 

5. Errichtung von industriemäßig produzierenden Spezialbetrieben der Landwirtschaft auf dem Wege der Fusion seit 1972.

 

A. Die erste Bodenreform 1945--1949

 

 

Als die Außenminister der vier Besatzungsmächte den Plan einer Bodenreform für ganz Deutschland am 12. 4. 1947 billigten, war diese in der damaligen SBZ schon fast abgeschlossen. Gestützt auf eine gemeinsame Erklärung der wieder zugelassenen Parteien ergingen in den Ländern der SBZ vom 3. bzw. 5. 9. 1945 gleichlautende „Verordnungen über die Bodenreform“, die kurz vorher aus dem Russischen übersetzt worden waren und mit den Texten ähnlicher Verordnungen in anderen Ostblockstaaten in einzelnen Passagen übereinstimmten.

 

Entschädigungslos enteignet wurden:

 

Sämtliche Betriebe mit mehr als 100 ha Betriebsfläche einschließlich des gesamten Inventars, sämtliche Betriebe auch unter 100 ha, deren Eigentümer als aktive Vertreter der NSDAP oder Kriegsschuldige oder Kriegsverbrecher eingestuft worden waren.

 

Der Großgrundbesitz war in den 5 Ländern der SBZ ungleichmäßig verteilt. Während in Thüringen und Sachsen nur 10 bzw. 13 v. H. der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) von Betrieben mit mehr als 100 ha bewirtschaftet wurden, waren es in Sachsen-Anhalt 27 v. H., in Brandenburg 30 und in Mecklenburg 48 v. H.

 

Die Durchführung der Bodenreform erfolgte — unter Anleitung der Länder — durch die Kreis- und Gemeindeverwaltungen. Auf sämtlichen Verwaltungsebenen wurden insgesamt 10.000 Bodenreformkommissionen mit 52.292 Mitgliedern gebildet (Zusammensetzung: Parteilose 56,8 v. H., KPD 23,9 v. H., SPD 17,5 v. H., LDP und CDU zusammen 1,8 v. H.).

 

Die enteigneten Flächen wurden gemeinsam mit Flächen des Staates und anderer Körperschaften einem Bodenfonds zugeführt.

 

[S. 14]

 

 

In der Gesamtfläche waren enthalten 1,042 Mill, ha Wald, von denen 0,433 Mill, ha (41,6 v. H.) an Privatbetriebe verteilt wurden. Von den an Privatbetriebe verteilten Flächen wurden ca. 1,7 Mill, ha an rd. 210.000 Neubauern verteilt (Durchschnittsgröße 8,1 ha), während 0,275 Mill, ha zur Aufstockung von ca. 82.500 Betrieben der Kleinbauern verwendet wurden. Die restlichen Flächen entfielen auf Kleinpächter, Handwerker und Altbauernbetriebe (Waldzulage). Entgegen Lenins Hinweisen waren im Industriestaat Deutschland die enteigneten Flächen nicht verstaatlicht, sondern zu einem größeren Teil reprivatisiert worden. Gleichzeitig wurden Eigentumsgarantien für alle nicht enteigneten Bauernbetriebe ausgesprochen und jede Absicht einer späteren Kollektivierung geleugnet. Zur Sicherung der Nahrungsversorgung sind Pflichtablieferungen je ha LN eingeführt worden, die ein Mindestaufkommen an Nahrungsgütern sichern sollten.

 

Für Marktlieferungen über dieses Maß hinaus gründete man „Bauernmärkte“, auf denen die Bauern weit höhere Preise erhielten („Preis nach Angebot und Nachfrage“) als für die der Pflichtablieferung unterliegenden Produkte. Bauern, die an diese Märkte lieferten, wurden zudem beim Produktionsmittelbezug bevorzugt. Gleichzeitig wurden die bäuerlichen Raiffeisengenossenschaften auf Anweisung der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) erneut gegründet. Zusätzlich wurde zur Unterstützung der Neubauern die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) etabliert. Sie hatte zunächst das Inventar der enteigneten Betriebe zu verwalten und organisierte 1946 besondere Maschinenausleihstationen (MAS). Die MAS sind 1949 zu selbständigen Betrieben mit Produktions-, Reparatur- und Lagereinrichtungen weiterentwickelt worden.

 

Beabsichtigt war vor allem auch, eine Beispielwirkung auf die Westzonen der heutigen Bundesrepublik auszuüben. Die Bodenreform ist von beträchtlichem Propagandaaufwand begleitet worden. Tatsächlich hat die Bodenreform jedoch die Betriebsgrößenstruktur, die Eigentums- und Arbeitsverfassung in der SBZ/DDR umwälzend verändert und vor allem die politische Bedeutung der „Klasse der werktätigen Bauern“, beträchtlich erhöht (Landwirtschaftliche Betriebsformen).

 

B. Der Klassenkampf auf dem Lande 1949--1954

 

 

Die kurz nach Kriegsende von W. Ulbricht ausgesprochene Eigentumsgarantie für die privatbäuerlichen Betriebe galt bereits seit 1949 faktisch nur noch für den Besitz der Klein- und Mittelbauern.

 

Gegen die Großbauern (zunächst Betriebe mit 50–100 ha LN, später alle Betriebe über 20 ha LN) wurden zahlreiche restriktive Maßnahmen ergriffen. Der beginnende „Klassenkampf auf dem Lande“ verfolgte das Ziel, die Mehrheit der Bauern und Landarbeiter für die A. der SED zu gewinnen und die Minderheit (in der Regel Groß- und Mittelbauern) zu isolieren.

 

Zur Förderung der Kleinbauern wurde ein Neubauernprogramm erarbeitet, in dessen Folge bis 1953 ca. 95.000 Wohngebäude, 104.000 Stallungen und 39.000 Scheunen entstanden sind. Insgesamt betrugen die Kosten der Neubauernstellen 1,35 Mrd. Mark. Außerdem entwickelten die MAS differenzierte Preissysteme, mit denen die in der Bearbeitung unwirtschaftlichen Flächen der Kleinbetriebe geringer als größere Flächen bewertet worden sind. Die Betriebsmittelversorgung der Mittel- und Großbauern wurde vernachlässigt, Maschinen und Ersatzteile fast ausschließlich an die MAS geliefert. Die Ersatzbeschaffungen gegen höhere Preise wurden als Wirtschaftsverbrechen bestraft. Die zwischen 1945 und 1948 gesetzlich vorgeschriebene Rücklagenbildung zur späteren Investitionsfinanzierung (Sperrkonto) wurde dem Gewinn zugeschlagen und mußte in voller Höhe versteuert werden (andernfalls wurden Sicherungshypotheken eingetragen).

 

Das Ablieferungssystem wurde so gestaffelt, daß Betriebe mit mehr als 50 ha z. T. doppelt so hohe Mengen je ha LN abzuliefern hatten, wie Betriebe mit 5–10 ha LN. Damit sank die Möglichkeit, Marktlieferungen über das Liefersoll hinaus zu erbringen und dadurch höhere Preise zu erzielen. Andererseits ist durch staatliche Anbaupläne verhindert worden, daß die Betriebe sich in ihrer Organisation den veränderten Bedingungen anpassen konnten. Außerdem wurden die traditionellen Selbsthilfeorganisationen der Bauernschaft, die Raiffeisengenossenschaften bzw. Genossenschaftskassen, unter staatliche Kontrolle gestellt (Ländliche ➝Genossenschaften). Diese Schwierigkeiten führten schließlich dazu, daß ca. 24.000 Betriebe mit ca. 700.000 ha LN aufgegeben bzw. beschlagnahmt worden sind.

 

C. Die Kollektivierungsphase 1952--1960

 

 

Entgegen zahlreichen früheren Versicherungen der SED und der Regierung beschloß die II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 die Vorbereitung des „Aufbaus des Sozialismus auf dem Lande“ durch die Bildung von landwirtschaftlichen Produktionsge[S. 15]nossenschaften (LPG) mit unterschiedlichem Vergesellschaftungsgrad der Produktionsmittel (LPG Typen I–III). Hierfür wurden Musterstatuten erlassen und für die Betriebsorganisation eine Musterbetriebsordnung aufgestellt (Landwirtschaftliche Betriebsformen, LPG). Bereits am 31. 12. 1952 bestanden 1 906 LPG mit rd. 218.000 ha LN. Bis zum Juni 1953 erhöhte sich diese Zahl auf 4.391 LPG und stieg danach bis zum 31. 12. 1957 auf 6.691 Betriebe mit 1,632 Mill, ha an (ca. 26,0 v. H. der LN der DDR). Das relativ langsame Wachstum in den Jahren 1953–1957 wird offiziell mit den negativen Einflüssen der „Klassenfeinde“ (Arbeiteraufstände 1953 in der DDR, in Polen und Ungarn 1956) erklärt und hatte vor allem im Verlauf des neuen Kurses 1953–1954 zu einer Mäßigung in den Kollektivierungskampagnen der SED geführt. Tatsächlich bestand die von der LPG genutzte Fläche 1957 zu 54 v. H. aus den Flächen der „örtlichen Landwirtschaftsbetriebe“. LPG-Mitglieder waren zu diesem Zeitpunkt Landarbeiter (42,5 v. H.), Industriearbeiter (11,3 v. H.), Neubauern (28,5 v. H.), Kleinbauern (10,3 v. H.) und Großbauern mit mehr als 20 ha LN (2,3 v. H.). Sonstige Mitglieder (Parteifunktionäre, Landintelligenz u. a.) waren zu 5,1 v. H. beteiligt. Fast ausschließlich gingen wirtschaftsschwache Betriebe zur genossenschaftlichen Produktionsweise in den LPG über, deren Wirtschaftsergebnisse aber insgesamt auch weiterhin sehr schwach blieben. Die Einführung der LPG entsprach zugleich der Ausdehnung des „Klassenkampfes auf dem Lande“ auf sämtliche privaten Landwirtschaftsbetriebe. Das zuvor gegen Großbetriebe angewandte Instrumentarium wurde nun auf alle Landwirtschaftsbetriebe ausgedehnt, während die LPG zahlreiche Vergünstigungen erhielten.

 

Die MAS wurden zu Maschinen-Traktoren-Stationen entwickelt (MTS) und vorwiegend bei den LPG eingerichtet. Die ausschließlich den MTS zur Verfügung gestellten Maschinenkapazitäten wurden bereits 1955 zu 64 v. H., später zu 80–90 v. H. in den LPG eingesetzt. Obwohl die LPG mit durchschnittlich 245 ha LN beachtliche Größen erreichten, wurden sie in der Produktionsleistung, in der Gestaltung der Erzeugerpreise und in den MTS-Tarifen den Betrieben mit einer Größe von 5–10 ha gleichgestellt; es wurden Steuern erlassen, Verlustbetrieben wurden durch direkte Subventionen Mindestarbeitseinkommen garantiert. Gleichzeitig mit dem Aufbau der LPG erging von der SED eine Direktive zur Bildung und über die Arbeit von Parteiorganisationen in den LPG, die gemeinsam mit den MTS die Neugestaltung des Dorfes auf sozialistischer Grundlage organisieren sollten. Den MTS wurden zu diesem Zweck politische und kulturelle Abteilungen angegliedert.

 

Überlegungen — auch innerhalb der Parteiführung der SED (Vieweg, Oelßner) — den kostspieligen Aufbau der LPG einzustellen oder mindestens das Prinzip der Freiwilligkeit wieder uneingeschränkt anzuwenden, scheiterten; die gegen die Einzelbauern gerichteten Maßnahmen wurden ab 1958 verstärkt und führten bis April 1960 unter Gewaltanwendung oder -androhung zur Vollkollektivierung in der Landwirtschaft der DDR.

 

D. Die Kooperationsphase 1960--1972

 

 

Im Anschluß an die Vollkollektivierung im Frühjahr 1960 begannen nebeneinander zwei auf Veränderung der Betriebsstruktur gerichtete Entwicklungen. Einerseits wurden, vor allem mit Rentabilitätserwägungen begründet, mehrere Betriebe zu einer LPG vereinigt. Es handelte sich um Fusionen, wobei die Rechte der Genossenschaftsbauern nicht verändert wurden. Diese Entwicklung hatte insbesondere zur Folge, daß die LPG der Typen I und II zum höheren Vergesellschaftungsgrad der LPG Typ III übergingen, so daß eine Vereinheitlichung in der ländlichen Sozialstruktur stattfand. Andererseits ist bereits 1962 begonnen worden, einzelne Aufgaben und Arbeiten aus den LPG-Betrieben auszugliedern und Spezialbetrieben zu übertragen.

 

Diese Einrichtungen erlangten teilweise juristische Selbständigkeit. Ihre Bedeutung ergibt sich aus ihrer integrierenden Wirkung, die die Zusammenarbeit bzw. den Zusammenschluß mehrerer Betriebe auf dem Wege der Kooperation fördern soll. Beginnend 1965 und verstärkt nach dem VII. Parteitag der SED (1967) wurden Formen der Kooperation propagiert und in der Praxis erprobt. Es sollten nicht mehr einzelne Betriebszweige ausgegliedert werden, sondern zahlreiche Betriebe mit einer zusammenhängenden Fläche von ca. 5–6.000 ha LN Kooperationsgemeinschaften (KOG) bilden. Als Begründung für diese Maßnahme hieß es, daß eine optimale Auslastung der Betriebsmittel erst in Anlagen mit Größenordnungen von 1 000 Milchviehplätzen, 1 000 Sauenplätzen oder ab 5.000 Schweinemastplätzen möglich ist. In der Feldwirtschaft ging man davon aus, daß der Einsatz einzelner Traktoren oder Maschinen nicht rentabel sei, so daß nur noch Maschinensysteme (von drei bis fünf Einheiten) anzuschaffen und einzusetzen seien. Gleichzeitig wurde die Durchführung der Arbeit in Schichten propagiert. Die Besonderheit dieser KOG bestand darin, daß an ihnen sowohl LPG wie VEG beteiligt sein konnten. Sie erhielten jedoch keine Rechtsfähigkeit, sondern sollten durch Vertreter der beteiligten Betriebe kollektiv geleitet werden. Arbeitskräfte, Maschinen und Betriebsmittel wurden von den angeschlossenen Betrieben entsprechend ihrem Flächenanteil bzw. ihren Betriebsplänen zur Verfügung gestellt und die Erträge untereinander aufgeteilt. Das System der KOG führte zu einer beschleunigten Integration der LPG-Betriebe der Typen I und II, erforderte jedoch beträchtlichen Verrechnungs- und Verwaltungsauf[S. 16]wand. Es verstärkte darüber hinaus die Tendenz zu weiteren Fusionen bzw. zur Bildung von „Groß-LPG“. Damit entstand aber die Gefahr, daß sich diese genossenschaftlich geleiteten Betriebe zu großen, relativ autonomen Betriebseinheiten entwickeln, deren Betriebszweige auf die eigenen Bedürfnisse ausgerichtet sind. Infolgedessen sind diese Fusionen vom VIII. Parteitag der SED (1971) abgelehnt und der Weg der „Kooperation“ bei gleichzeitiger Spezialisierung in „Kooperativen Einheiten“ (KOE) vorgeschlagen worden.

 

Zur Unterstützung der Spezialisierung wurden vertikal organisierte Kooperationsverbände eingerichtet, in denen die Landwirtschaftsbetriebe mit den Be- und Verarbeitungsbetrieben auf der Grundlage von Lieferverträgen zusammenarbeiten. Die aufgezeigte Entwicklung zwischen 1960 und 1972 verlief in der Regel ohne Ausübung von Repressalien.

 

Die Einführung des Neuen Ökonomischen Systems (NÖS) hatte die verstärkte Anwendung gezielter wirtschaftspolitischer Maßnahmen ermöglicht: Aufhebung der gespaltenen Preise für Pflichtablieferung und darüber hinausgehender Marktproduktion für pflanzliche Produkte 1964, bzw. 1969 für tierische Produkte, Einführung von Prämien für Produktionssteigerungen, für Kostensenkung bzw. Bildung von Rücklagen, Vergabe von Subventionen für Großbauprojekte, Treibstoffe und Düngemittel, Zinsverbilligungen für Investitionsvorhaben, Steuerangleichungen etc. Die Summe dieser Vergünstigungen führte vielfach zur unwirtschaftlichen Verwendung der Betriebserlöse. Infolgedessen wurden Betriebsmittelverbilligungen zwischen 1965 und 1971 in der Regel aufgehoben oder gesenkt, nach 1971 jedoch durch neue ergänzt. Vor allem ist die individuelle Konsumtion (Arbeitseinkommen) durch eine progressiv gestaltete Konsumtionsfondsabgabe zusätzlich besteuert worden, sobald sie die Höhe von 8.000 Mark je LPG-Mitglied und Jahr überstiegen hat.

 

Insgesamt hat der Aufbau landwirtschaftlicher Großbetriebe zu einer starken Steigerung der Produktionskosten geführt, die sich u. a. in einer Erhöhung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise zwischen 1960 und 1972 um durchschnittlich ca. 60 v. H. niederschlug. Infolgedessen mußten für Preissubventionen zwischen 1966 und 1970 jährlich 4,4 Mrd. Mark von der DDR ausgegeben werden. Gleichzeitig wurde durch verbesserte Produktionsmittelversorgung die Produktion um 12,1 v. H. erhöht. (Nettonahrungsmittelproduktion in dz GE 1972 bezogen auf den Jahresdurchschnitt 1957/1961.)

 

Besondere Bedeutung erlangte in dieser Phase die Agrarpropaganda. Die völlig neuen Produktionsverhältnisse und -bedingungen hatten eine intensive und umfassende Schulungs- und Beratungsarbeit zur Voraussetzung. Andererseits erlaubte die einsetzende Spezialisierung auch vereinfachte Ausbildungsformen.

 

E. Die Fusionsphase seit 1972

 

 

Auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 wurde die weitere Fusion der LPG zu Groß-LPG abgelehnt und der Weg der Kooperation als verbindlich erklärt. Die Kooperation soll jedoch zu juristisch selbständigen Betrieben, den Kooperativen Einrichtungen (KOE), führen, die — sobald sie einen entsprechenden Konzentrationsgrad erreicht haben — zu „Spezialisierten LPG“ bzw. „Spezialisierten VEG“ entwickelt werden sollen. Da die KOE über eigene Pläne, eigene Fonds und Abrechnungssysteme verfügen, kann sich die Bezeichnung „Kooperation“ nur auf die Übergangsphase bis zum Abschluß der Betriebsbildung beziehen. Tatsächlich entstanden und entstehen völlig selbständige Betriebseinheiten; die Kooperation erweist sich als partielle Fusion. In einem Beispielsverfahren entstanden aus 21 LPG verschiedener Typen und einem VEG 3 „Spezialisierte LPG“ für Pflanzen-, Geflügel- und Milchproduktion sowie ein „Spezialisiertes VEG“ für Schweinemast. Auf diese Weise erreicht die DDR mit Hilfe von administrativen Maßnahmen die Errichtung spezialisierter Großbetriebe in der Landwirtschaft. Gleichzeitig erfolgt eine Vereinheitlichung der ländlichen Sozialstruktur. Die LPG der Typen I und II sollen bis 1975 beseitigt sein. Genossenschaftsbauern und Landarbeiter arbeiten in den KOE zunehmend unter gleichen Bedingungen. Die Arbeit wird wie in der Industrie in Kollektiven bzw. Brigaden und nach Möglichkeit im Schichtsystem organisiert. Ausbildungsformen und -umfang der Landwirtschaft ebenso wie das Lohnniveau werden denen der Industrie angenähert.

 

Diese Entwicklung kann jedoch erst dann abgeschlossen werden, wenn die erforderlichen Stallkapazitäten errichtet sind. Zur Realisierung dieser Entwicklung trägt die bereits weit fortgeschrittene Konzentration der Pflanzenproduktion (Anfang 1974 ca. 75 v. H. der LN in 1.173 Betrieben) bei. Die Pflanzenbaubetriebe beliefern die LPG und VEG mit Futtermitteln und bilden gemeinsam mit diesen Betrieben finanzielle Rücklagen zum Aufbau von Großställen. Weitere Maßnahmen der gegenwärtigen Agrarpolitik sind:

 

Die Steuerung der Produktionsmittel und Investitionen durch den Rat des jeweiligen Kreises bzw. Bezirkes und deren Organe;

 

die zentrale Lenkung der Arbeitsorganisation durch Bezirks- und Kreisbehörden bei Bestellarbeiten bzw. bei der Getreide- und Hackfruchternte; die Festlegung von Produktionsrichtungen (Hauptbetriebszweige;

 

die direkte Einflußnahme der Kreisbehörden auf das Verhältnis zwischen Arbeitseinkommen und Betriebsrücklagen;

 

[S. 17]die Gewährung von Kreditvergünstigungen sowie die Verfügung von Kreditstreichungen; die Preispolitik bzgl. der Produktionsmittel und der Erzeugerpreise;

 

die Angleichung der unterschiedlichen Betriebssteuern (VEG/LPG).

 

Planung; Phasen der Wirtschaftspolitik seit 1963; Wirtschaft.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 11–17


 

Agrarökonomie A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, Z Agrarpreissystem

 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.