Berlin (1975)
I. Vereinbarungen der Siegermächte
Bestimmend für die Nachkriegsentwicklung der ehemaligen deutschen Reichshauptstadt waren die im Herbst 1944 von den USA, Großbritannien und der Sowjetunion getroffenen, einige Zeit später auch von Frankreich akzeptierten Vereinbarungen über die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen (Londoner Protokoll vom 12. 9. 1944) und über die Kontrolleinrichtungen der Siegermächte (Londoner Abkommen vom 14. 11. 1944). Danach sollte das besiegte Deutschland „zum Zwecke der Besetzung“ in Zonen und „ein besonderes Berliner Gebiet“ („a special Berlin area“) gegliedert werden. B., d. h. Groß-B. in den durch das Gesetz vom 27. 4. 1920 festgelegten Grenzen, sollte in Sektoren aufgeteilt und einem „besonderen Besatzungssystem“ unterstellt werden.
Über die Absichten der Vier Mächte wurde die deutsche Bevölkerung durch vier Deklarationen unterrichtet, die am 5. 6. 1945 — vier Wochen nach der bedingungslosen Kapitulation des Hitler-Reiches — von den Militärgouverneuren Eisenhower, Schukow, Montgomery und de Lattre de Tassigny in B.-Karlshorst unterzeichnet wurden. Sie stellten darin fest, daß sie die oberste Regierungsgewalt in Deutschland übernommen hätten, ohne damit eine Annektierung des Landes zu beabsichtigen. In ihrer Feststellung über das gemeinsame Kontrollverfahren in Deutschland erklärten sie: „Die Verwaltung des Gebietes von Groß-Berlin wird von einer Interalliierten Behörde geleitet, die unter der Leitung des Kontrollrates arbeitet und aus vier Kommandanten besteht, deren jeder abwechselnd als Hauptkommandant fungiert. Sie werden von einem Stab von Sachbearbeitern unterstützt, der die Tätigkeit der örtlichen deutschen Behörden überwacht und kontrolliert.“ B. galt damit als Sitz des Vier-Mächte-Kontrollrates. Wie im Kontrollrat so konnten auch in der Berliner Kommandantur Beschlüsse nur einstimmig gefaßt werden.
II. Bildung von Sektoren
Die auf Weisung Hitlers bis zuletzt mit äußerster Härte andauernden Kampfhandlungen endeten in B. am frühen Morgen des 2. 5. 1945, nachdem der letzte Berliner Stadtkommandant, General Weidling, die Kapitulation der deutschen Truppen in der Stadt vollzogen hatte. Unverzüglich gingen die sowjetischen Militärbehörden mit Unterstützung der aus Moskau heimgekehrten Gruppe Ulbricht daran, Bezirksverwaltungen und einen Magistrat von Groß-B. einzusetzen, um noch vor dem Einzug der westalliierten Garnisonen die neue Verwaltungsstruktur — vor allem in personeller Hinsicht — unter ihre Kontrolle zu bringen.
[S. 112]Amerikaner, Briten und Franzosen besetzten erst Anfang Juli ihre Sektoren in B., während die Sowjetarmee in Thüringen und Sachsen bis zur in London vereinbarten Zonengrenze vorrückte.
Zum amerikanischen Sektor von B. gehörten sechs Bezirke (Neukölln, Kreuzberg, Tempelhof, Schöneberg, Steglitz und Zehlendorf), zum britischen vier (Tiergarten, Charlottenburg, Wilmersdorf und Spandau) zum französischen Sektor zwei Bezirke (Wedding und Reinickendorf). Die drei Westsektoren umfaßten 54,4 v. H. der Fläche und 63,2 v. H. der Bevölkerung von Groß-B., das im August 1945 [S. 113]2,8 Mill. Einwohner zählte. Der sowjetische Sektor -45,6 v. H. der Fläche und 36,8 v. H. der Bevölkerung - bestand aus acht Bezirken (B.-Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Treptow, Köpenick, Lichtenberg, Weißensee und Pankow).
Eindeutige Regelungen für den Verkehr der westalliierten Garnisonen und der deutschen Zivilbevölkerung auf den Zugangswegen zwischen dem westdeutschen Besatzungsgebiet und den Westsektoren von B. sind 1944/45 nicht ausgehandelt worden. Der ehemalige amerikanische Hochkommissar in Deutschland, Lucius D. Clay, bemerkte in seinem Buch „Entscheidung in Deutschland“ einige Jahre nach Kriegsende, es sei aufschlußreich, festzustellen, daß in den Londoner Dokumenten „die gemeinsame Besetzung Berlins stand, daß aber in keinem der Zugang garantiert oder besondere Rechte zum Verkehr auf den Straßen, Schienen oder auf dem Luftwege festgelegt wurden“. Auf amerikanischer Seite glaubte man, sich mit der Feststellung begnügen zu können, daß das aus der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands abgeleitete Recht auf Anwesenheit in B. das Recht des ungehinderten Zugangs einschließe.
Ende November 1945 kamen die Vertreter der Vier Mächte auf der Grundlage eines Berichts ihres Luftfahrtdirektorats überein, drei jeweils 32 km breite Luftkorridore von B. nach Hamburg, Bückeburg (Hannover) und Frankfurt am Main sowie eine Kontrollzone mit einem vom Gebäude des Alliierten Kontrollrats ausgehenden Radius von 32 km festzulegen (Einzelheiten der Tätigkeit einer Luftsicherheitszentrale B. — Berlin Air Safety Center — legten die Vier Mächte in einer Vereinbarung vom 22. 10. 1946 fest). Diese Regelungen gelten auch heute noch für den Luftverkehr von und nach West-B.; sie haben sich trotz einiger Zwischenfälle in den Luftkorridoren bewährt und sind von den Botschaftern der Vier Mächte 1970/71 nicht in Frage gestellt und auch nicht durch neue Absprachen ersetzt oder ergänzt worden (Schaubild Seite 112).
III. Bildung von Parteien und Gewerkschaften
Die Situation B. war in der frühen Nachkriegszeit von den schweren Zerstörungen, die die Stadt vor allem in der letzten Phase des Krieges erlitten hatte, von dem Mangel an Nahrungsmitteln, Medikamenten, Wohnraum und von der daraus resultierenden Existenznot der Bevölkerung geprägt. Die chaotischen Verhältnisse verlangten eine Zusammenarbeit aller sich mit Zustimmung der Besatzungsbehörden formierenden politischen Kräfte. Nachdem die Sowjetische Militäradministration (SMAD) am 10. 6. 1945 in ihrem Befehl Nr. 2 die Bildung von politischen Parteien und Gewerkschaften zugelassen hatte, entstanden in rascher Folge vier Parteien: KPD, SPD, CDU und LDPD. Ihre Berliner Gründer versuchten Verbindungen zu Gleichgesinnten in den fünf Ländern der Sowjetischen Besatzungszone und, soweit das überhaupt möglich war, auch ins westliche Deutschland zu knüpfen.
Zunächst wies die Entwicklung in den vier Sektoren B. keine grundlegenden Unterschiede auf, zumal die westlichen Stadtkommandanten die vor ihrem Eintreffen von den Sowjets getroffenen Verfügungen im wesentlichen übernahmen. Ein erster ernster Konflikt mit unterschiedlichen Konsequenzen für den Sowjetsektor und die von den Westmächten kontrollierten Bezirke der Stadt deutete sich jedoch bereits im Frühjahr 1946 an, als die Kommunisten, unterstützt von der SMAD, die Verschmelzung von KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) durchsetzten. Eine Urabstimmung unter den sozialdemokratischen Parteimitgliedern konnte lediglich in den Westsektoren B. stattfinden — dabei sprachen sich mehr als vier Fünftel der an der Abstimmung teilnehmenden Sozialdemokraten gegen die Verschmelzung mit den Kommunisten aus. Auf Beschluß der Vier Mächte wurden SPD und SED in allen vier Sektoren zugelassen. (Die Ost-Berliner Gliederungen der SPD wurden formell erst nach dem Bau der Mauer 1961 aufgelöst, nachdem sie während der vorhergehenden 13 Jahre in ihrer Öffentlichkeitsarbeit weitgehend beschränkt gewesen waren.)
Die am 13. 8. 1946 verkündete Vorläufige Verfassung von Groß-B. sah eine allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime Wahl der 130 Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung vor, die ihrerseits den Magistrat (Oberbürgermeister, drei Bürgermeister und höchstens 16 weitere hauptamtlich besoldete Magistratsmitglieder) zu wählen hatten. Die von der Stadtverordnetenversammlung beschlossenen Gesetze bedurften ebenso wie die Verordnungen und Anweisungen des Magistrats der — einmütigen — Zustimmung der Vier-Mächte-Kommandantur.
Bei den Wahlen der Stadtverordneten und Bezirksverordneten in B. am 20. 10. 1946 entschieden sich 48,7 v. H. der Wähler für die SPD, die in allen vier Sektoren den größten Stimmenanteil gewinnen konnte. Zweitstärkste Partei wurde die CDU mit 22,2 v. H. Die SED erhielt 19,8 v. H., die LDPD 9,3 v. H. der abgegebenen gültigen Stimmen.
IV. Konflikte zwischen der UdSSR und den Westmächten
Die sich im Laufe des Jahres 1947 verschärfenden Konflikte zwischen der Sowjetunion und den Westmächten erschwerten die Zusammenarbeit im Kontrollrat und in der Kommandantur. Die Sowjets blockierten durch ihren Einspruch die Wahl Ernst Reuters (SPD) zum Oberbürgermeister B. Zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten entbrannte ein heftiger Streit innerhalb des Berliner FDGB. Sozialdemokratische und christliche Gewerkschaften [S. 114]zogen sich aus dem FDGB zurück, dessen Vorstand nach ihrer Überzeugung demokratische Grundregeln verletzte. Sie bildeten schließlich eine Unabhängige Gewerkschaftsorganisation (UGO), aus der später der B.-Landesverband des DGB hervorging. Der von den Sowjets 1945 eingesetzte Polizeipräsident Paul Markgraf (SED), dem die Stadtverordnetenversammlung im November 1947 das Mißtrauen aussprach, weigerte sich, Weisungen des Magistrats auszuführen und bevorzugte in seiner Personalpolitik Mitglieder der SED.
Am 20. 3. 1948 brach der Vier-Mächte-Kontrollrat auseinander - der sowjetische Vertreter verließ die Sitzung, nachdem er von seinen Kollegen, Aufschluß über die von den Westmächten und den drei Benelux-Staaten auf der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz erwogenen Pläne für die Bildung eines westdeutschen Staatswesens verlangt hatte. Im Juni zogen sich die Sowjets auch aus der Kommandantur zurück.
Zuvor bereits — Anfang April 1948 — hatten ihre Eingriffe in den Verkehr der westalliierten Garnisonen auf den Zugangswegen Amerikaner und Briten zur Errichtung einer „kleinen Luftbrücke“ veranlaßt. Behinderungen des zivilen Personen- und Güterverkehrs zwischen West-B. und dem westlichen Besatzungsgebiet waren seit der Jahreswende 1947/48 zahlreicher geworden.
V. Blockade Berlins
Nachdem am 18. 6. 1948 eine Währungsreform für die Westzonen verkündet worden war, führten auch die Sowjets — mit Wirkung vom 24. Juni — in ihrer Zone eine solche Reform durch. Sie verlangten, daß die DM-Ost als einziges gesetzliches Zahlungsmittel auch in allen vier Sektoren von B. eingeführt werden sollte. Eine zentrale Notenbank mit dem Recht der Notenemission für ganz Deutschland sollte in Leipzig (SBZ) errichtet werden. Da die Westalliierten damit keine Kontrolle über die Ausgabe und den Umlauf der Noten gehabt hätten, lehnten sie den sowjetischen Vorstoß ab. Bevor ernsthafte Verhandlungen der Vier Mächte über die spezielle Berliner Währungssituation beginnen konnten, blockierten die Sowjets sämtliche Land- (am 19. 6.) und Wasserwege (am 8. 7.) von und nach B. (West).
Die Westmächte verwarfen den Plan, die versperrten Zugangswege mit militärischen Mitteln zu öffnen, und entschlossen sich, den Westteil der Stadt durch die Luft zu versorgen. Die Luftbrücke erwies sich als eine außergewöhnliche technische und organisatorische Leistung, die die ursprünglich in sie gesetzten Erwartungen weit übertraf: Während der elfmonatigen Berliner Blockade wurden in annähernd 200.000 Flügen rund 1,44 Mill. t Güter — vor allem Kohle und Lebensmittel — nach B. transportiert.
Ab 24. 6. 1948 galten in den Westsektoren beide Währungen als gültige Zahlungsmittel, während im Ostsektor Besitz und Verwendung der DM-West bestraft wurden. Expertengespräche — auf der Ebene der Vier Mächte und schließlich auch im Rahmen der Vereinten Nationen — führten zu keiner Einigung über die Währungsfrage.
Von welchen politischen Motiven sich die Sowjetunion während der Blockade leiten ließ, verdeutlichte Marschall Sokolowski am 3. 7. 1948 bei einem Treffen mit den westlichen Militärgouverneuren: Die „technischen Schwierigkeiten“ auf den Zugangswegen, erklärte er, würden solange anhalten, bis der Westen seine Vorbereitungen für die Gründung eines westdeutschen Staates eingestellt habe. Der schwere Konflikt um B. wurde auch mit psychologischen Mitteln ausgetragen: Es gelang den führenden Repräsentanten der nichtkommunistischen Parteien — vor allem Ernst Reuter —, die Bevölkerung in der blockierten Stadt zur mutigen und entschlossenen Abwehr der östlichen Pressionen zu ermuntern — eine Haltung, die von der Öffentlichkeit weltweit beachtet und respektiert wurde. Trotz spürbarer Versorgungsmängel machten nicht mehr als 5 v. H. der West-Berliner von der von der UdSSR eröffneten Möglichkeit Gebrauch, sich im Ostsektor als Käufer von Lebensmitteln registrieren zu lassen. Zu Beginn der Blockade besaß die Vier-Sektoren-Stadt zunächst noch eine einheitliche Verwaltung; Magistrat und Stadtverordnetenversammlung traten im Ost-Berliner Stadthaus zusammen. Nachdem aber bereits in der letzten August-Woche ernste Störungen der parlamentarischen Arbeit eingetreten waren, mußte am 6. 9. 1948 die ordnungsgemäße Sitzung der Stadtverordnetenversammlung wegen des gewaltsamen Eindringens kommunistischer Demonstranten abgebrochen werden. Die Mehrheit der Versammlung — mit Ausnahme der SED-Fraktion — beschloß, weitere Sitzungen in West-B. abzuhalten. In den acht Ost-Berliner Bezirksverwaltungen setzte daraufhin eine rigorose personelle „Säuberung“ ein; ausgeschaltet wurden weitgehend alle Funktionsträger, die sich dem erklärten Ziel der SED widersetzten, eine volksdemokratische Ordnung wie in den anderen von der Sowjetunion kontrollierten osteuropäischen Ländern zu errichten.
Am 30. 11. 1948 trat unter dem Vorsitz des stellvertretenden Stadtverordnetenvorstehers Ottomar Geschke (SED) in Ost-B. eine mehr als 1600 Teilnehmer zählende Versammlung zusammen, der neben den 23 gewählten SED-Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung Delegierte des Demokratischen Blocks von Ost-B., der Betriebe und verschiedener mit der SED verbündeter Massenorganisationen angehörten. Diese Versammlung erklärte den Magistrat von Groß-B. für abgesetzt und wählte einen neuen „provisorischen demokratischen Magistrat“ mit dem Oberbürgermeister Friedrich Ebert (SED) an der Spitze. Diese auf Ost-B. beschränkte Stadtverwaltung wurde von den Sowjets anerkannt.
[S. 115]Damit war die administrative Spaltung B. vollzogen. Die nach der vorläufigen Verfassung für ganz B. vorgeschriebenen Wahlen konnten am 5. 12. 1948 nur in den Westsektoren abgehalten werden. Die SED rief zum Wahlboykott auf - dennoch beteiligten sich 86,3 v. H. der Wahlberechtigten an der Abstimmung, bei der 64,5 v. H. sich für die SPD, 19,4 v. H. für die CDU und 16,1 v. H. für die LDPD entschieden. Nach dieser Wahl übernahm Ernst Reuter das Amt des Oberbürgermeisters von B., ohne seine verfassungsmäßigen Funktionen im Ostsektor noch wahrnehmen zu können. Die drei Westmächte setzten — ohne sowjetische Beteiligung — ihre Zusammenarbeit in der Alliierten Kommandantur fort.
VI. Beendigung der Blockade
Nach erfolglosen Vier-Mächte-Verhandlungen in B., Moskau und vor den Vereinten Nationen kam es im Frühjahr 1949 zu sowjetisch-amerikanischen Gesprächen, die schließlich zum sogenannten Jessup-Malik-Abkommen führten: Ein am 4. Mai veröffentlichtes Vier-Mächte-Kommuniqué teilte mit, daß „alle Einschränkungen, die seit dem 1. 3. 1948 von der sowjetischen Regierung über Handel, Transport und Verkehr zwischen Berlin und den westlichen Besatzungszonen sowie zwischen der Ostzone und den westlichen Besatzungszonen verhängt wurden, am 12. 5. 1949 aufgehoben“ würden. Die Westmächte ordneten die Aufhebung ihrer Gegenblockade an und erklärten auf Drängen der Sowjetunion ihre Bereitschaft, am 23. 5. 1949 in Paris an einer neuen Außenministerkonferenz der Vier Mächte teilzunehmen.
Die Konferenz wurde am 20. 6. mit einem Kommuniqué beendet, in dem das New Yorker Abkommen vom 4. 5. bestätigt und darüber hinaus die gemeinsame Absicht bekundet wurde, ein „normales Funktionieren und einen normalen Gebrauch der Schienen-, Wasser- und Straßenverbindungen für den Personen- und Güterverkehr sowie der Post-, Telefon- und Telegrafenverbindungen“ sicherzustellen. Die Besatzungsbehörden vereinbarten, „deutsche Sachverständige und geeignete deutsche Organisationen“ heranzuziehen.
Die im November 1948 vollendete Spaltung der Stadt konnte jedoch auch nach der Beendigung der Blockade nicht mehr rückgängig gemacht werden.
VII. Stellung Berlins zur Bundesrepublik Deutschland und zur DDR
Im Sommer und Herbst 1949 rückte ein neues Problem in den Mittelpunkt des politischen Interesses: die Stellung B. und seiner Teile zur Bundesrepublik Deutschland einerseits, zur DDR andererseits.
Der Parlamentarische Rat in Bonn hatte in seiner konstituierenden Sitzung in Bonn am 1. 9. 1948 beschlossen, fünf Abgesandte B. mit beratender Stimme an seinen Arbeiten teilnehmen zu lassen. Das vom Parlamentarischen Rat erarbeitete Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bezeichnete in seinem Artikel 23 Groß-B. als eines der 12 zum Geltungsbereich dieser provisorischen Verfassung gehörenden Länder. Dagegen betonten die Militärgouverneure der drei Westmächte, ohne deren Zustimmung das Grundgesetz nicht in Kraft treten konnte, am 22. 4. 1949, ihre Außenminister könnten „gegenwärtig nicht zustimmen, daß Berlin als ein Land in die ursprüngliche Organisation der deutschen Bundesrepublik einbezogen wird“. In ihrem formellen Genehmigungsschreiben zum Grundgesetz präzisierten die Militärgouverneure am 12. 5. 1949 ihren Vorbehalt, indem sie erklärten, B. könne „keine abstimmungsberechtigte Mitgliedschaft im Bundestag oder Bundesrat erhalten und auch nicht durch den Bund regiert werden“; es dürfe „jedoch eine beschränkte Anzahl Vertreter zur Teilnahme an den Sitzungen dieser gesetzgebenden Körperschaften benennen“.
Die am 1. 9. 1950 verkündete Verfassung von B. besagte in ihrem Artikel 1: „1. Berlin ist ein deutsches Land und zugleich eine Stadt. 2. Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland. 3. Grundgesetz und Gesetze der Bundesrepublik Deutschland sind für Berlin bindend.“ Der 2. und der 3. Absatz dieses Artikels 1 würden „zurückgestellt“, erklärten die Alliierten in ihrem Genehmigungsschreiben zur Verfassung von B. am 29. 8. 1950: B. werde „während der Übergangsperiode keine der Eigenschaften eines zwölften Landes“ der Bundesrepublik Deutschland haben; Bestimmungen eines Bundesgesetzes könnten in B. erst Anwendung finden, „nachdem seitens des Abgeordnetenhauses darüber abgestimmt wurde und dieselben als Berliner Gesetz verabschiedet worden sind“.
Die am 7. 10. 1949 in Kraft gesetzte Verfassung der DDR bezeichnete in ihrem Artikel 2 B. als „Hauptstadt der Republik“. Die Bevölkerung des Ostsektors war aufgefordert worden, sich am 15. 5. 1949 an der Wahl zum Dritten Deutschen Volkskongreß zu beteiligen (wobei das offizielle, im Westen als manipuliert bezeichnete Wahlergebnis den Anteil derer, die mit „Ja“ für die Liste des Volkskongresses gestimmt haben sollten, mit 51,6 v. H., die Neinstimmen und die ungültigen Stimmen mit zusammen 48,4 v. H. der abgegebenen Stimmen angegeben hatte; das waren weniger ausgewiesene „Ja“-Voten als in den fünf Ländern der Sowjetischen Besatzungszone).
Nachdem die im Juli 1945 auf Weisung der SMAD gebildeten Zentralverwaltungen für die Länder der Sowjetischen Besatzungszone ihren Sitz in Ost-B. genommen hatten und nachdem dort im Juni 1947 die Deutsche Wirtschaftskommission entstanden war, die den Kern des späteren Regierungsapparates der DDR darstellte, war Ost-B. seit dem 7. 10. 1949 der Sitz aller wichtigen Ministerien, Behörden und [S. 116]Ämter der DDR. Dennoch nahm auch die östliche Seite zunächst Rücksicht auf den Vier-Mächte-Status der Stadt: Die Vertreter des Ostblocks in der provisorischen Volkskammer und in der provisorischen Länderkammer der DDR hatten kein volles Stimmrecht. DDR-Gesetze galten in Ost-B. nicht automatisch, sondern erst nach Zustimmung des Magistrats. Die ersten Volkskammer-Wahlen am 15. 10. 1950 blieben — wie alle späteren Wahlen zur obersten Volksvertretung der DDR — auf die Länder (ab 1952 Bezirke) der DDR beschränkt; Ost-Berliner hatten kein aktives Wahlrecht für die Volkskammer — ebensowenig wie West-Berliner für den Deutschen Bundestag.
In den 50er Jahren bestanden zwischen Bewohnern beider Teile der gespaltenen Stadt vielfältige Kommunikationen - die Grenzen waren offen. Offizielle Kontakte zu dem nach westlicher Überzeugung nicht durch ein unanfechtbares demokratisches Votum der Bevölkerung legitimierten Magistrat in Ost-B. lehnten Senat und nichtkommunistische Parteien jedoch ab.
Wiederholt kam es zu Zwischenfällen und angespannten Situationen — so während des Pfingsttreffens der FDJ 1950, während der Weltjugendfestspiele 1951, bei der Besetzung des Westteils von Staaken im Februar 1951 und bei der nach fünf Tagen wieder rückgängig gemachten Besetzung der Exklave Steinstücken durch Volkspolizei im Oktober 1951.
Seit dem 1. 9. 1951 erhoben die Behörden der DDR Straßenbenutzungsgebühren für alle Fahrten von zivilen Fahrzeugen auf den Zugangswegen. Nach der Unterzeichnung des Generalvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den drei Westmächten ordnete der Ministerrat der DDR im Mai 1952 die Errichtung eines Kontroll- und Sperrgürtels zwischen B. (West) und der DDR, die Schließung der aus den Westsektoren in die DDR-Bezirke führenden Straßenübergänge, soweit sie nicht dem Interzonenverkehr dienten, und die Unterbrechung der Telefonverbindungen innerhalb der gespaltenen Stadt an. West-Berlinern wurden Reisen in das Gebiet der DDR — außerhalb Ost-B. — nur noch in Ausnahmen aufgrund von Sondergenehmigungen gestattet. Im Januar 1953 wurde der über die Sektorengrenzen führende Straßenbahn- und Autobus-Durchgangsverkehr auf Weisung der Ost-Berliner Behörden unterbrochen. Lediglich S- und U-Bahnlinien verbanden weiterhin beide Teile der Stadt. Während des Juni-Aufstandes 1953 wurde die Sektorengrenze von sowjetischen Soldaten und Volkspolizisten zeitweilig hermetisch abgeriegelt. Trotz dieser und anderer Spannungen machte der nach der Aufhebung der Blockade beschleunigt fortgesetzte Wiederaufbau von B. (West) rasche Fortschritte. Die im Frühjahr 1949 von den Westalliierten getroffene Entscheidung, daß die DM-West als einziges gesetzliches Zahlungsmittel in B. (West) gelten sollte, schuf die Voraussetzung für eine enge soziale und wirtschaftliche Verflechtung mit dem Bundesgebiet.
Das Dritte Überleitungsgesetz vom 4. 1. 1952 regelte die Stellung B. im Finanzsystem des Bundes. Der Bund gewährte B. eine Bundeshilfe in Gestalt von Zuschuß und Darlehen „zur Deckung eines auf andere Weise nicht auszugleichenden Haushaltsfehlbedarfs“. Um die künftige Hauptstadtfunktion B. zu unterstreichen und um zugleich angesichts der Anfang der 50er Jahre noch relativ hohen Arbeitslosenzahl weitere Arbeitsplätze zu schaffen, nahmen zahlreiche Bundesbehörden ihren Sitz in B. 1952 erließen die westlichen Alliierten Verfügungen, unter welchen Voraussetzungen B. in internationale Verträge der Bundesrepublik einbezogen werden sollte. Der im Mai 1955 in Kraft getretene Generalvertrag bestätigte im Artikel 2, daß die Westmächte die „bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes“ aufrechterhielten. Auch die Sowjetunion unterstrich in ihrem am 20. 9. 1955 mit der DDR abgeschlossenen Vertrag die weitere Geltung ihrer Verpflichtungen „gemäß den bestehenden internationalen Abkommen, die Deutschland als Ganzes betreffen“. In einem den Vertrag ergänzenden Briefwechsel stellten beide Seiten fest, daß die DDR zwar die Bewachung und Kontrolle „am Außenring von Groß-Berlin, in Berlin sowie auf den im Gebiet der DDR liegenden Verbindungswegen zwischen der Deutschen Bundesrepublik und West-Berlin“ ausüben, daß aber die Kontrolle des Verkehrs der westlichen Garnisonen auf den Zugangswegen weiterhin den Sowjets obliegen sollte.
Bis in die zweite Hälfte der 50er Jahre nahmen die UdSSR und die DDR die Bemühungen, B. (West) enger mit der Bundesrepublik zu verbinden, relativ gelassen hin, sofern die Stadt dadurch nicht entgegen den alliierten Vorbehalten den Charakter eines voll in die Bundesrepublik integrierten Bundeslandes annahm (gegen die Abhaltung der Bundesversammlung 1954 in B. [West] erhob die östliche Seite keinen Einspruch. Die Presse der SED nahm die Wahl des Bundespräsidenten sogar zum Anlaß, den Wahlmännern einen Besuch im Ostsektor anzuraten.) UdSSR und DDR ergriffen eine Reihe von Maßnahmen, durch die der Status Ost-B. faktisch weitgehend dem der 14 DDR-Bezirke angeglichen wurde; dennoch blieben wichtige Elemente des Vier-Mächte-Status der Stadt auch in ihrem Ostteil wirksam.
VIII. Berlin-Ultimatum der UdSSR
Eine neue B.-Krise kündigte sich 1958 an: Nachdem der sowjetische Parteisekretär N. Chruschtschow in einer Rede am 10. 11. 1958 eine Beendigung des „Besatzungsregimes in Berlin“ verlangt und die [S. 117]Übertragung der von den Sowjets wahrgenommenen Funktionen auf die Organe der DDR angekündigt hatte, übermittelte die sowjetische Regierung den Westmächten am 27. November gleichlautende Noten, in denen sie die Londoner Vereinbarungen über die Besetzung und Kontrolle Deutschlands als nicht mehr in Kraft befindlich bezeichnete und eine grundlegende Veränderung der B.-Situation forderte: „Die richtigste und natürlichste Lösung dieser Frage wäre natürlich die Wiedervereinigung des westlichen Teils Berlins, der heute faktisch von der DDR losgelöst ist, mit dem östlichen Teil, wodurch Berlin zu einer vereinigten Stadt im Bestände des Staates würde, auf dessen Gebiet sie sich befindet.“ Angesichts der grundlegend verschiedenen Lebensformen in beiden Teilen B. sei die Sowjetregierung jedoch bereit, „bei Beendigung der Besetzung durch die Fremdmächte“ der West-Berliner Bevölkerung das Recht zuzugestehen, „bei sich eine Ordnung einzuführen, die sie selbst wünscht. Wenn die Bewohner Westberlins die gegenwärtigen Lebensformen, die auf privat-kapitalistischem Eigentum basieren, beizubehalten wünschen, so ist das ihre Sache. Die UdSSR ihrerseits wird jede diesbezügliche Entscheidung der Westberliner respektieren.“ Der Westteil der Stadt müsse jedoch in eine „selbständige politische Einheit - in eine Freie Stadt“ umgewandelt werden, „in deren Leben sich kein Staat, auch keiner der beiden bestehenden deutschen Staaten, entmischen dürfte“. Die Sowjetunion setzte den Westmächten eine Frist von sechs Monaten, innerhalb der die von ihr verlangte Regelung vereinbart werden sollte: „Sollte die genannte Frist nicht zur Erreichung einer entsprechenden Übereinkunft ausgenutzt werden, so wird die Sowjetunion durch ein Abkommen mit der DDR die geplanten Maßnahmen verwirklichen.“
Die sowjetischen Noten vom 27. 11. 1958 standen in engem Zusammenhang mit dem sowjetischen Friedensvertragsentwurf vom 10. 1. 1959. Der östliche Vorstoß war in erster Linie darauf gerichtet, eine Anerkennung der DDR durch die westliche Staatengemeinschaft zu erzwingen und zugleich Rüstungsbeschränkungen für die Bundesrepublik Deutschland — insbesondere ihren Verzicht auf Verfügungsmacht über nukleare Waffen — vertraglich zu verankern; der Druck auf die vorgeschobene Position des Westens in B. sollte dabei als Hebel dienen.
Die Westmächte lehnten jedoch die sowjetischen Forderungen ab und bekräftigten ihre Garantien für den Westteil der Stadt (Anwesenheit der westalliierten Garnisonen, Sicherung der Zugangswege und der Lebensfähigkeit von B. [West]). Die Vier Mächte verhandelten im Sommer 1959 — unter Beteiligung zweier Beraterdelegationen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR — in Genf über das B.- und Deutschlandproblem. Sie erwogen zeitweilig eine interimistische Lösung des B.-Problems, erzielten aber keinen für alle Beteiligten akzeptablen Kompromiß.
In der Folgezeit erneuerte die Sowjetunion mehrfach ihre Forderung nach Umwandlung von B. (West) in eine „entmilitarisierte Freie Stadt“, wobei sie den Abschluß eines separaten Friedensvertrages mit der DDR für den Fall androhte, daß die Westmächte sich nicht zu einer einvernehmlichen friedensvertraglichen Regelung mit zwei deutschen Staaten bereit fänden.
Nach dem Scheitern der Pariser Gipfelkonferenz im Mai 1960 verschärfte sich die Situation erneut. Am 8. September führten die DDR-Behörden einen Passierscheinzwang für westdeutsche Besucher Ost-B. ein.
IX. Bau der Mauer
Unter den DDR-Bürgern nahm die Besorgnis zu, die Fluchtwege nach B. (West) könnten völlig versperrt werden. Ohnehin wies die Abwanderungsbewegung nach dem Abschluß der Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR eine rasch steigende Tendenz auf. In der Nacht vom 12. zum 13. 8. 1961 wurden die Grenzen in und um B. vollständig abgeriegelt. Der Bau der Mauer besiegelte die Teilung der Stadt und zerstörte die Kommunikation zwischen ihren Bevölkerungsgruppen. Den West-Berlinern wurde der Besuch Ost-B. verwehrt.
Die Westmächte protestierten zwar gegen die Errichtung der Sperren, sahen jedoch ihre eigenen Garantieverpflichtungen für B. (West) nicht berührt und nahmen die veränderte Lage schließlich hin. Die Bewegungsfreiheit ihrer Militärpersonen in Ost-B. wurde eingeschränkt, aber nicht grundsätzlich angetastet.
Gegen Ende des Jahres 1963 öffnete das erste Passierscheinabkommen, das von einem Unterhändler des Senats und einem Vertreter der DDR-Regierung ausgehandelt worden war, einem Teil der West-Berliner wieder, wenn auch nur befristet, den Zutritt zum Ostteil ihrer Stadt. Die Passierscheinregelung konnte in den folgenden Jahren mehrfach erneuert werden. 1966 aber scheiterten Bemühungen um ein neues Abkommen, nachdem die DDR ihre Ansprüche erhöht und auf formellen Verhandlungen mit dem Senat bestanden hatte. Lediglich die Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten (Härtestelle) konnte ihre Tätigkeit — ohne vertragliche Absprache — fortsetzen.
In ihrem Bündnis- und Beistandsvertrag vom 12. 6. 1964 unterstrichen die Sowjetunion und die DDR, daß B. (West) als „selbständige politische Einheit“ betrachtet würde. Ähnliche Formulierungen enthielten alle bilateralen Verträge der DDR mit osteuropäischen Staaten und mit der Mongolischen Volksrepublik, die in den folgenden Jahren abgeschlossen wurden. War die östliche B.-Politik zunächst — Ende der 50er und in der ersten Hälfte [S. 118]der 60er Jahre — vor allem darauf gerichtet gewesen, die Position der drei Westmächte in B. abzubauen oder einzuschränken, so richtete sich der Hauptstoß der Sowjetunion und der DDR in der zweiten Hälfte der 60er Jahre gegen die Bindungen zwischen B. (West) und der Bundesrepublik Deutschland. Soweit auf den Vier-Mächte-Status der Stadt Bezug genommen wurde, geschah das in der Weise, als ob lediglich der westliche Teil der Stadt diesem Status unterworfen sei.
Proteste der DDR gegen die Anwesenheit des Bundespräsidenten, gegen Sitzungen von Bundestags- und Bundesratsausschüssen, gegen Parteitage westdeutscher Parteien waren wiederholt mit Eingriffen in den Verkehr auf den Zugangswegen verknüpft.
- Bornholmer Straße (Straße), Einwohner von Berlin (West) und Bundesrepublik Deutschland mit und ohne Pkw
- Chausseestraße (Straße), Einwohner von Berlin (West) mit und ohne Pkw
- Invalidenstraße (Straße), Einwohner von Berlin (West) mit und ohne Pkw
- Friedrichstraße (S- und U-Bahn), Einwohner von Berlin (West), Bundesrepublik Deutschland und Ausländer
- Friedrichstraße (Straße), Ausländer, Alliierte und Diplomatisches Personal
- Oberbaumbrücke (Straße), Einwohner von Berlin (West), nur Fußgänger
- Sonnenallee (Straße), Einwohner von Berlin (West) mit und ohne Pkw
- Waltersdorfer Chaussee (Straße), Einwohner von Berlin (West), Busverkehr zum DDR-Flughafen Schönefeld
Im April 1965 begleiteten demonstrative Tiefflüge von sowjetischen und DDR-Flugzeugen über B.(West) eine Plenarsitzung des Bundestages in der Kongreßhalle. Im März 1968 verhängte die DDR ein Ein- und Durchreiseverbot gegen Mitglieder der NPD, am 13. April gegen Minister und leitende Beamte der Bundesregierung. Am 11. 6. 1968 wurde schließlich auf den Zugangswegen von und nach B.(West) ein Paß- und Visumzwang eingeführt. Den Standpunkt der DDR in der B.-Frage umriß W. Ulbricht am 1. 12. 1967 vor der Volkskammer bei der Begründung des Konzepts einer neuen DDR-Verfassung mit der Behauptung, B.(West) liege auf dem Territorium der DDR und gehöre „rechtlich zu ihr“, sei aber zur Zeit noch einem Besatzungsregime [S. 119]unterworfen”; die DDR werde sich dafür einsetzen, daß „Schritt um Schritt auch die letzten Überreste des Zweiten Weltkrieges beseitigt werden“.
Die neue Verfassung der DDR, am 6. 4. 1968 durch eine — auch in Ost-B. stattfindende — Volksabstimmung bestätigt und zwei Tage später verkündet, bezeichnete B. in ihrem Artikel 1 als „Hauptstadt der DDR“.
Im März 1969 nahm die DDR die Einberufung der Bundesversammlung nach B.(West) erneut zum Anlaß für erhebliche Behinderungen des Verkehrs auf den Zugangswegen.
X. Viermächte-Abkommen
Kurze Zeit zuvor hatte der amerikanische Präsident Nixon bei einem Besuch in B. erklärt, die Situation sei nicht zufriedenstellend, alle Beteiligten seien zum Handeln aufgerufen. Die Sowjetunion griff diese — von Bundesaußenminister Willy Brandt auf der Washingtoner NATO-Konferenz im April nachhaltig unterstützte — Anregung auf: Am 10. 7. 1969 unterstrich der sowjetische Außenminister Gromyko vor dem Obersten Sowjet, daß seine Regierung zu einem Meinungsaustausch mit den ehemaligen Kriegsalliierten bereit sei, um künftig „Komplikationen“ um West-Berlin zu verhüten.
Am 26. 3. 1970 trafen die Botschafter der Vier Mächte zu ihrem ersten Gespräch im Gebäude des ehemaligen Alliierten Kontrollrats in B. (West) zusammen. Ihre Verhandlungen, die sowohl in engen Konsultationen zwischen den drei Westmächten und der Bundesrepublik als auch in ständigen Kontakten zwischen der UdSSR und der DDR vorbereitet wurden, führten schließlich am 3. 9. 1971 zu dem Viermächte-Abkommen, das am 3. 6. 1972 von den Außenministern unterzeichnet und in Kraft gesetzt wurde. Der Erfolg der Botschaftergespräche über B. war erst durch den Abschluß der Verträge von Moskau und Warschau 1970 ermöglicht worden.
In der Präambel ihres Abkommens stellten die Vier Mächte fest, daß sie auf der Grundlage ihrer bestehenden Rechte und Verantwortlichkeiten, „die nicht berührt werden“, unter „Berücksichtigung der bestehenden Lage in dem betreffenden Gebiet“ und „unbeschadet ihrer Rechtspositionen“ zu „praktischen Verbesserungen der Lage“ beizutragen wünschten. Sie klammerten also unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten über Grundsatzfragen aus und suchten „praktische“ Regelungen im Hinblick auf drei Komplexe: Zugang, Zutritt und Zuordnung (die „drei Z“).
Ausgehend von einem Abschnitt „Allgemeine Bestimmungen“ (Verzicht auf Androhung und Anwendung von Gewalt, friedliche Streitschlichtung, Respektierung der individuellen und gemeinsamen Rechte und Verantwortlichkeiten der vier Regierungen, Bereitschaft, die Lage, die sich „in diesem Gebiet entwickelt hat“, nicht „einseitig“ zu verändern) legten die Mächte „Bestimmungen, die die Westsektoren Berlins betreffen“, fest.
Hinsichtlich des seit fast einem Vierteljahrhundert umstrittenen Problems des Zugangs zu Lande und zu Wasser erklärte die Sowjetunion, daß „der Transitverkehr von zivilen Personen und Gütern zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland auf Straßen, Schienen- und Wasserwegen durch das Territorium der Deutschen Demokratischen Republik ohne Behinderungen sein wird, daß dieser Verkehr erleichtert werden wird, damit er in der einfachsten und schnellsten Weise vor sich geht und daß er Begünstigungen erfahren wird“. Im einzelnen wurde diese grundlegende Zusicherung durch den am 17. 12. 1971 von den Staatssekretären Bahr (Bundesrepublik Deutschland) und Kohl (DDR) in Bonn unterzeichneten Transitvertrag präzisiert.
Hinsichtlich des seit vielen Jahren unterbrochenen Zutritts der West-Berliner zum Ostteil B. und zu den DDR-Bezirken gab die Sowjetunion die Zusicherung, „daß die Kommunikationen zwischen den Westsektoren Berlins und Gebieten, die an diese Sektorengrenzen, sowie denjenigen Gebieten der Deutschen Demokratischen Republik, die nicht an diese Sektorengrenzen, verbessert werden“ und daß Personen mit ständigem Wohnsitz in den Westsektoren B. aus „humanitären, familiären, religiösen, kulturellen oder kommerziellen Gründen oder als Touristen“ in diese Gebiete reisen und sie besuchen könnten. Mit der Formulierung „Gebiete, die an diese Sektorengrenzen“ war Ost-B. gemeint — die Westmächte wünschten eine ausdrückliche Bezeichnung der Hauptstadtfunktion Ost-B. zu vermeiden. Der Kreis derer, denen das Abkommen den Zutritt zum „umliegenden Gebiet“ öffnete, ging — zahlenmäßig personell, zeitlich und räumlich — weit über diejenigen hinaus, die in den Jahren von 1963 bis 1966 von den Passierscheinabkommen Gebrauch machen konnten.
Im einzelnen wurde diese Zutrittsregelung in Verhandlungen zwischem dem Senat von B. und der Regierung der DDR präzisiert, die am 20. 12. 1971 mit einer von Senatsdirektor Ulrich Müller und DDR-Staatssekretär Günter Kohrt unterzeichneten Vereinbarung über Erleichterungen und Verbesserungen des Reise- und Besucherverkehrs beendet wurden.
In den Jahren 1972 und 1973 registrierte die DDR jeweils rund 3,5 Mill. Besucher aus B.(West), bevor die Erhöhung des Mindestumtausches im November 1973 zu einem drastischen Rückgang (ca. 50 v. H. für einzelne Personenkreise) der Besucherzahlen führte, um aber 1975 wieder stark anzusteigen. Ebenfalls am 20. 12. 1971 trafen Senat und DDR-Regierung eine Vereinbarung über die Regelung der Frage von Enklaven durch Gebietstausch - sie gestattete es dem Senat von B., den Ortsteil Steinstüc[S. 120]ken durch eine neue, von der DDR nicht mehr kontrollierte Straße fest mit dem Bezirk Zehlendorf zu verbinden.
Zu den schwierigsten Problemen, mit denen sich die Botschafter der vier Alliierten während ihrer anderthalbjährigen Verhandlungen beschäftigen mußten, gehörte die Zuordnung B.(West) zur Bundesrepublik Deutschland, also der gesamte Komplex der in mehr als zwei Jahrzehnten gewachsenen Bindungen wirtschaftlicher, finanzieller, sozialer, juristischer und kultureller Art.
Die drei Westmächte und die UdSSR erklärten in dem Abkommen vom 3. 9. 1971, daß „die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwickelt“ würden, wobei sie berücksichtigten, daß „diese Sektoren so wie bisher kein Bestandteil (konstitutiver Teil) der Bundesrepublik Deutschland“ seien und „auch weiterhin nicht von ihr regiert“ würden.
In einem Brief an Bundeskanzler Brandt stellten die Botschafter der drei Westmächte erläuternd fest, daß Repräsentanten und Organe der Bundesrepublik keine „unmittelbare Staatsgewalt über die Westsektoren Berlins“ ausüben könnten, daß keine Sitzungen der Bundesversammlung, des Bundestages und des Bundesrates in B. (West) stattfinden dürften, daß aber auch künftig „einzelne Ausschüsse des Bundestages und des Bundesrates … im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen“ im Westteil der Stadt tagen könnten: „Im Falle der Fraktionen werden Sitzungen nicht gleichzeitig abgehalten werden.“
Westmächte und Bundesregierung ließen sich dabei von der Ansicht leiten, daß ein Verzicht auf demonstrative Bundespräsenz möglich sei, nachdem die UdSSR sich zur Hinnahme der substantiellen Bundespräsenz in Gestalt der zahlreichen in B. (West) seit langem bestehenden Bundesbehörden bereitgefunden hatte. In einer Anlage zum Viermächte-Abkommen bestätigte die Sowjetunion, sie habe — „unter der Voraussetzung, daß Angelegenheiten der Sicherheit und des Status nicht berührt werden“ — ihrerseits keine Einwände gegen eine „konsularische Betreuung für Personen mit ständigem Wohnsitz in den Westsektoren Berlins“ durch die Bundesrepublik. Die Sowjetunion stimmte der Ausdehnung der von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge und Abmachungen auf B.(West) „in Übereinstimmung mit den festgelegten Verfahren“ zu. Sie akzeptierte schließlich auch die Vertretung der Interessen von B.(West) in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen durch die Bundesrepublik Deutschland.
Die Westmächte stimmten der Errichtung eines sowjetischen Generalkonsulats in B.(West) zu. Geklärt wurde schließlich auch, unter welchen Voraussetzungen West-Berliner Reisende sich in der Sowjetunion durch Pässe der Bundesrepublik Deutschland ausweisen könnten. (Die DDR hat im September 1960 die Ausgabe von Pässen der Bundesrepublik an Einwohner von B.[West] als „rechtswidrig“ bezeichnet und die Anerkennung dieser Personaldokumente verweigert.)
Seit dem Inkrafttreten des Viermächte-Abkommens im Juni 1972 hat sich die Situation von B.(West) deutlich entspannt und verbessert, obwohl nicht zu übersehen ist, daß die beteiligten Mächte Verhandlungsergebnisse erzielt haben, die in einigen Details unterschiedliche Auslegungen gestatten. Ungeklärt blieb die Frage, ob und wie diplomatische Missionen der Bundesrepublik Deutschland in osteuropäischen Ländern auch West-Berliner juristische Personen (Behörden, Gerichte) vertreten sollten. Die Presse der DDR kritisierte mehrfach Sitzungen von Bundestags- und Bundesratsausschüssen, wenn diese nach ihrer Meinung Tagesordnungspunkte erörterten, die keine Beziehung zu B.(West) hatten. Ohnehin ignorierten Sprecher der DDR in der Regel den Hinweis auf die Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen - sie beriefen sich stattdessen nur auf jenen Teilsatz des Viermächte-Abkommens, in dem die Westmächte ihre Auffassung bekräftigt hatten, daß B.(West) kein „konstitutiver“, d. h. integraler Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland sei. So erklärte E. Honecker am 1. 11. 1973 in einem Interview mit dem „Neuen Deutschland“, die „Präsenz der BRD in Westberlin“ müsse „abgebaut“ werden; im Abkommen ginge es „um die Verbindungen zwischen der BRD und Westberlin und nicht um Bindungen. Das ist ein großer Unterschied.“ Nachdem die DDR Ende Januar 1974 mit der Begründung, sie habe nach Kriminellen fahnden müssen, in den Transitverkehr eingegriffen hatte, kam es zu einer neuen Kontroverse, als die DDR, unterstützt von der Sowjetunion, im Juli eine Verordnung erließ, wonach Mitarbeitern (und Materialien) des auf Beschluß der Bundesregierung mit Zustimmung der Westmächte in B.(West) zu errichtenden Umweltbundesamtes die Benutzung der Transitwege zu verwehren sei. Abgesehen von diesem grundsätzlichen Konflikt gelang es jedoch den Vertretern der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, in den Sitzungen ihrer gemeinsamen Transitkommission laufend Vorfälle zu klären und Streitfragen auszuräumen. Der Verkehr auf den Zugangswegen von und nach B.(West) gestaltete sich seit Juni 1972 so reibungsfrei wie nie zuvor in den zweieinhalb Jahrzehnten der Berliner Nachkriegsgeschichte.
XI. Völkerrechtliche Problematik
Auch nach Abschluß des Viermächte-Abkommens über B. vom 3. 9. 1971 besteht zwischen den beteiligten Staaten keine Übereinstimmung über die Interpretation des B.-Status.
[S. 121]Die Westmächte halten an ihrer Auffassung fest, daß ihr Recht auf Anwesenheit in der ehemaligen deutschen Reichshauptstadt aus der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. 5. 1945 und aus der „occupatio bellica“, d. h. aus der wirksamen Inbesitznahme eines Gebietes im Verlaufe einer Kriegshandlung, resultiert und insofern von einer Zustimmung der UdSSR nicht abhängig ist. Nach westlicher Überzeugung schließt das originäre Recht auf Anwesenheit in B. das Recht des ungehinderten Zugangs nach B. ein. Die Westmächte haben nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR und nach Eröffnung ihrer Botschaften in Ost-B. betont, daß der Vier-Mächte-Status in ganz B. fortbesteht und daß dieser Status auch künftig weder von der UdSSR noch von der DDR einseitig aufgekündigt werden kann, sondern erst mit der Beendigung besatzungsrechtlicher Funktionen der ehemaligen Siegermächte seinen Abschluß finden wird. Würde die Sowjetunion das Viermächte-Abkommen vom 3. 9. 1971 einseitig aufkündigen oder kämen die beteiligten Regierungen überein, weitere ergänzende Abmachungen zu treffen, so würde das nach westlicher Auffassung den Vier-Mächte-Status nicht berühren.
Die Sowjetunion dagegen deutet das Abkommen als eine ausschließlich die Westsektoren von B. betreffende Vereinbarung. Sie bestreitet im Verein mit der DDR, daß der Vier-Mächte-Status weiterhin auch für Ost-B. gelte. Allerdings hält sie zunächst bestimmte Sonderregelungen für Ost-B. aufrecht — dazu gehört auch der von DDR-Organen unkontrollierte Zutritt westalliierter Militärpersonen zum Ostteil der Stadt.
XII. Innere Ordnung von Berlin (West)
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Grundlagenvertrag am 31. 7. 1973 die Auffassung vertreten, daß Art. 23 GG, in dem Groß-B. als zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gehörend bezeichnet wurde, „weder durch die politische Entwicklung überholt, noch aus sonst irgendeinem Grund rechtlich obsolet geworden“ sei: „Derzeit besteht die Bundesrepublik aus den in Art. 23 GG genannten Ländern, einschließlich Berlins; der Status des Landes Berlin der Bundesrepublik Deutschland ist nur gemindert und belastet durch den sog. Vorbehalt der Gouverneure der Westmächte.“ Alle Verfassungsorgane in Bund und Ländern seien — auch für die Zukunft — verpflichtet, diese Rechtsposition ohne Einschränkung geltend zu machen und dafür einzutreten.
Demgegenüber haben die drei Westmächte 1949, 1954 und 1967 ihre — auch im Viermächte-Abkommen 1971 bestätigte — Ansicht zum Ausdruck gebracht, daß B. kein Land der Bundesrepublik sei. In ihrer Stellungnahme zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. 1. 1966 im Fall Niekisch erklärte die Alliierte Kommandantur am 24. 5. 1967: „It has been and remains the Alliied intention and opinion that Berlin is not to be regarded as a Land of the Federal Republic and is not to be governed by the Federation. It also has been and remains the Alliied intention and opinion that Berlin laws, if they adopt the provisions of Föderal laws, are legislative acts of the Berlin House of Representatives and are legally distinct from such Federal laws … The Alliied Kommandantura considers that the Court does not have jurisdiction in relation to Berlin.“
Ungeachtet dieser unterschiedlichen Rechtsauffassungen stimmen Westalliierte, Bundesregierung und Senat von B. darin überein, daß die in mehr als zwei Jahrzehnten gewachsenen Bindungen zwischen B.(West) und dem Bund für die Lebensfähigkeit der Stadt von fundamentaler Bedeutung sind.
Die am 1. 9. 1950 erlassene Verfassung von B., die in allen 20 Bezirken der Stadt Geltung beanspruchte, ersetzte die Bezeichnung „Stadtverordnetenversammlung“ durch „Abgeordnetenhaus“ von B.; der „Magistrat“ wird seitdem „Senat“ genannt. Er besteht aus dem Regierenden Bürgermeister, dem Bürgermeister als seinem Stellvertreter sowie höchstens 16 Senatoren.
In den 12 Bezirken bestehen Bezirksverordnetenversammlungen (mit maximal 45 Mitgliedern) als legislative und Bezirksämter (Bezirksbürgermeister und höchstens 8 Bezirksstadträte) als exekutive Organe.
Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus 1975 entschieden sich 44,0 v. H. für die CDU, 42,7 v. H. für die SPD und 7,2 v. H. für die FDP. Die SEW blieb mit 1,9 v. H. — ebenso wie drei andere Parteien — unter der für den Einzug ins Abgeordnetenhaus erforderlichen Fünf-Prozent-Grenze. B. entsendet 22 Abgeordnete in den Bundestag und 4 Vertreter in den Bundesrat. Sie haben volles Stimmrecht in den Ausschüssen, aber nur beratende Stimme in Plenarsitzungen, d. h. ihr Votum wird jeweils gesondert registriert. Seit 1959 sind die West-Berliner Wahlmänner in der Bundesversammlung den übrigen, aus den westdeutschen Bundesländern stammenden Mitgliedern dieses Gremiums, das den Bundespräsidenten zu wählen hat, völlig gleichgestellt.
Nach Art. 87 der Verfassung von B. kann das Abgeordnetenhaus feststellen, daß ein Gesetz der Bundesrepublik Deutschland unverändert auch in B. Anwendung findet. Die Übernahme erfolgt auf dem Wege der „Mantelgesetzgebung“. Ausgenommen sind alle Bundesgesetze, die die Sicherung des Staates gegen gewaltsame Einwirkung von außen gewährleisten sollen: Weder die Wehrdienstgesetzgebung noch das Notstandsrecht der Bundesrepublik sind mit Rücksicht auf die ausschließliche Zuständigkeit der Alliierten in B. übernommen worden. Nach alliierter Auffassung stellt die Übernahme bundesrechtlicher Regelungen durch das Abgeord[S. 122]netenhaus eine Transformation von Bundesrecht in Berliner Landesrecht dar.
Zahlreiche Bundesbehörden haben ihren Sitz in B., darunter die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, das Bundesgesundheitsamt, das Bundeskartellamt, das Bundesverwaltungsgericht (mit Ausnahme seiner Wehrdienstsenate) und der 5. Senat des Bundesgerichtshofes. Insgesamt beschäftigt der Bund in B. rund 25.000 Beamte, Angestellte und Arbeiter.
XIII. Innere Ordnung von Berlin (Ost)
Obwohl Ost-B. Sitz nahezu aller Ministerien und zentralen Behörden (mit Ausnahme des Ministeriums für Nationale Verteidigung), der Partei- und Gewerkschaftsapparate ist, weist sein Status noch immer einige Unterschiede zu dem der 14 DDR-Bezirke auf. (Sonderstellung der Ost-Berliner „Vertreter“ in der Volkskammer im Unterschied zu den direkt von der Bevölkerung nach dem Prinzip der Einheitsliste gewählten „Abgeordneten“, Übernahme von DDR-Gesetzen durch Beschluß des Magistrats, Recht der westalliierten Militärangehörigen auf von DDR-Organen unkontrollierten Zutritt zum Ostteil der Stadt, besondere Bestimmungen für den Luftraum über Ost-B.).
Faktisch ist Ost-B. jedoch — in seiner politischen und sozialökonomischen Struktur — weitgehend mit der DDR verflochten. Das Verteidigungsgesetz vom 20. 9. 1961 und das Wehrpflichtgesetz vom 24. 1. 1962 wurden in Ost-B. in Kraft gesetzt. Am 22. 8. 1962 wurde die Sowjetische Stadtkommandantur für Ost-B. aufgelöst - die DDR ernannte einen eigenen Stadtkommandanten.
Der Magistrat von Ost-B. ist dem Ministerrat der DDR rechenschaftspflichtig - seine Tätigkeit vollzieht sich innerhalb des von der Partei- und Staatsführung gesetzten Rahmens. Anfang 1975 setzte sich der Magistrat aus dem Oberbürgermeister, seinem Ersten Stellvertreter, sieben weiteren Stellvertretenden Oberbürgermeistern und 13 Stadträten zusammen, die einzelne Fachressorts verwalteten. Bis auf je einen Vertreter der vier Blockparteien stammten alle Mitglieder des Magistrats aus den Reihen der SED. Ähnlich war die personelle Zusammensetzung der Räte in den acht Stadtbezirken, an deren Spitze jeweils Bezirksbürgermeister stehen. Die Stadtverordnetenversammlung wird alle vier Jahre nach dem Prinzip der Einheitsliste gewählt. Im Mai 1974 wurde bei einer Wahlbeteiligung von 97,53 v. H. und einem Anteil der ungültigen Stimmen von 0,04 v. H. der Anteil der für den Wahlvorschlag der Nationalen Front abgegebenen Stimmen mit 99,80 v. H. beziffert.
XIV. Sozialökonomische Grunddaten
Berlin (West) (480 qkm)
Die Einwohnerzahl betrug Ende 1972 2.165 Mill., von denen 22 v. H. 65 Jahre alt und älter waren. Die 914.300 Erwerbstätigen (darunter 82.000 ausländische Arbeitnehmer) erzeugten ein Bruttoinlandprodukt von 30,1 Mrd. DM. Zum Vergleich: 1950, im ersten Jahr nach Beendigung der Blockade, hatten 780.000 Erwerbstätige eine gesamtwirtschaftliche Leistung von 3,8 Mrd. DM erbracht. Rückgrat der West-Berliner Wirtschaft ist nach wie vor die Industrie - vor allem die Elektroindustrie (1972 mit 29 v. H. am Umsatz aller Industriegruppen in B. beteiligt), gefolgt vom Maschinenbau (10,7 v. H.). Der Verlust der Hauptstadtfunktion nach dem II. Weltkrieg brachte es mit sich, daß B. seine Bedeutung als Zentrum überregionaler Dienstleistungen teilweise einbüßte; Bemühungen der letzten Jahre waren darauf gerichtet, diesen Bereich stärker auszubauen.
Universitäten, Hoch- und Fachschulen zählten im Sommersemester 1973 57.500 Studierende, davon kamen 9 v. H. aus dem Ausland und 42 v. H. aus dem westdeutschen Bundesgebiet. Bildung, Wissenschaft und Forschung bestimmen ebenso wie das breite Angebot der Theater, Orchester und Museen den intellektuellen Rang B.(West).
Berlin (Ost) (403 qkm)
Ende 1973 betrug die Einwohnerzahl 1,09 Mill. — davon standen 635.400 im arbeitsfähigen Alter. Zur Bevölkerung im nichtarbeitsfähigen Alter gehörten 233.500 Kinder unter 15 Jahren und 220.000 Personen im Rentenalter, das bei Männern mit 65, bei Frauen mit 60 Jahren beginnt.
Von den 567.000 Berufstätigen (ohne Lehrlinge), die die Statistik für 1973 auswies, waren mehr als neun Zehntel als Arbeiter und Angestellte tätig - lediglich 12.400 waren Mitglieder von Produktionsgenossenschaften und Rechtsanwaltskollegien, 15.600 galten noch als selbständig Erwerbstätige und mithelfende Familienangehörige (Anfang der 60er Jahre waren es noch doppelt so viele gewesen).
Die Bedeutung Ost-B. als Sitz der DDR-Ministerien und zentralen Behörden, der Massenorganisationen und Verbände, der wichtigsten Verlage und Redaktionen spiegelt sich in der Feststellung der Statistiker, daß 29,3 v. H. aller Berufstätigen (ohne Lehrlinge) in den „nichtproduzierenden Bereichen“ beschäftigt waren.
An zweiter Stelle folgte die Industrie mit einem Anteil von 27,2 v. H., an dritter Stelle der Handel mit 13,5 v. H., auf viertem Platz Verkehr, Post und Fernmeldewesen mit 12,3 v. H. der Berufstätigen im Jahre 1973.
Wird der Wert der industriellen Bruttoproduktion in jenem Jahr nach Bereichen aufgeschlüsselt, so zeigt sich, daß in Ost-B. Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau den wichtigsten Platz einnehmen (32,9 v. H. der industriellen Bruttoproduktion). Daneben haben die Leichtindustrie (ohne die in Ost-B. bedeutungslose Textilindustrie) mit 17,9 v. H., der Maschinen- und Fahrzeugbau mit 17,4 v. H., die Le[S. 123]bensmittelindustrie mit 14,6 v. H. und die chemische Industrie mit einem Anteil von 9,3 v. H. Gewicht.
Werden die Ost-Berliner Daten und die der 14 DDR-Bezirke zu Gesamtziffern zusammengefaßt, so ist der Ostteil der gespaltenen Stadt mit 6,4 v. H. an der Wohnbevölkerung und mit 5,9 v. H. an der industriellen Bruttoproduktion des östlichen Deutschland beteiligt.
Auch Ost-B. ist ein Zentrum des Theaterlebens, der Wissenschaft und Forschung (Humboldt-Universität; Akademie der Wissenschaften der DDR).
Außenpolitik; Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten; Deutschlandpolitik der SED.
Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 111–123