
Datenverarbeitung, Elektronische (EDV) (1975)
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1. Entwicklung. Die Entwicklung der EDV in der DDR vollzog sich relativ schleppend. Sie war gekennzeichnet durch Hemmnisse und Rückschläge einerseits und durch verschiedene staatliche Förderungsmaßnahmen andererseits.
Bereits im Jahre 1950 setzten an der TH Dresden die ersten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiet der EDV ein. Diese Vorarbeiten bildeten die Grundlage für den späteren Bau von Rechnern der sogen. D-Serie. Der erste Rechner wurde jedoch erst 1955 vorgestellt. Es handelte sich um den vom VEB Carl Zeiss Jena konstruierten Digitalrechner „Oprema“ (Optische Rechenmaschine). Er diente ausschließlich der Durchführung von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Bereich der Technik.
Im Jahre 1959 folgte schließlich der programmgesteuerte Rechner „D 1–2“, eine Gemeinschaftsproduktion des VEB Funkwerk Dresden und der TH Dresden. Neben diesen Institutionen waren auf dem Gebiet der EDV der 1957 gegründete VEB Elektronische Rechenmaschinen (ELREMA) als sogen, wissenschaftlicher Industriebetrieb, der im gleichen Jahr gegründete VEB Maschinelles Rechnen als Dienstleistungsbetrieb sowie das 1960 gegründete Zentralinstitut für Automatisierung (ZIA) tätig.
Im Jahre 1960 wurde als weiterer Rechner der vom VEB Carl Zeiss Jena entwickelte ZRA 1 (Zeiss Rechenautomat) mit einer Leistung von ca. 300 bis 350 Operationen pro Sekunde vorgestellt. Die Übernahme dieses Rechners in eine Serienproduktion und sein Einsatz in der Wirtschaftspraxis erfolgte jedoch erst in späteren Jahren. Betrieben und Kombinaten standen als technische Hilfsmittel Büromaschinen zur Verfügung. Zum Teil wurden bereits Lochkartenrechner eingesetzt, deren Produktion 1960 im größeren Umfange anlief. Trotz der Neuproduktion des programmgesteuerten elektronischen Kleinrechners „SER 2“, der 1961 auf der Leipziger Messe vorgestellt wurde, blieb die Gesamtsituation hinsichtlich der Produktion und des Einsatzes von Lochkartenrechnern und elektronischen Rechenanlagen hinter den gehegten Erwartungen zurück. Es gab weder eine der Bedeutung der Rechentechnik gerecht werdende Konzeption der Forschungs- und Entwicklungstätigkeit sowie der Produktion noch ausreichend Pläne für den Einsatz der vorhandenen Rechnerkapazitäten in Betrieben bzw. Rechenstationen.
Mit einem „Beschluß zur Entwicklung des maschinellen Rechnens in der DDR“ versuchte man die Entwicklung der EDV — wohl ohne besonderen Erfolg — neu zu organisieren. Denn im Juni 1963 beschloß der Ministerrat der DDR unter dem Eindruck der noch immer bestehenden unbefriedigenden Situation zunächst ein „Programm zur Entwicklung der elektronischen Bauelemente und Geräte“, um eine Beseitigung der auf dem Gebiet der EDV offenbar gewordenen Schwierigkeiten von Grund auf einzuleiten. Eine parallel hierzu einberufene Regierungskommission legte als Ergebnis ihrer Untersuchungen ein vom Ministerrat im Juli 1964 beschlossenes „Programm zur Entwicklung, Einführung und Durchsetzung der maschinellen Datenverarbeitung in der DDR in den Jahren 1964 bis 1970“ vor. In Ergänzung hierzu wurde weiterhin eine „Grundkonzeption zur Entwicklung der elektronischen Industrie im Zeitraum des Perspektivplanes bis 1970“ festgelegt.
Erste Folge dieses vorangegangenen Maßnahmenkomplexes war die Gründung eines Elektronik-Zentrums, in dem 12 spezialisierte Fachbetriebe zusammengeschlossen waren. Während dieser Phase der Neuorganisation der EDV-Industrie wurde ein weiterer Rechner, der programmgesteuerte Lochkartenrechner „Robotron 100“ des VEB Carl Zeiss Jena entwickelt und in die Produktion übernommen. Weitere Entwicklungsarbeiten der Radeberger Rafena-Werke (später in VEB Kombinat Robotron umbenannt) führten zu der Fertigstellung des volltransistorisierten Rechners der 2. Generation „Robotron 300“ im Jahre 1966. Trotz dieser Weiterentwicklungen kam in der Wirtschaftspraxis vornehmlich noch immer nur mechanisierte, z. T. bereits partielle DV zum Einsatz. Um dieses Mißverhältnis zu ändern, wurden entsprechend den Beschlüssen des VII. Parteitages der SED 1967 zunehmend in Betrieben und Kombinaten volkswirtschaftlich wichtiger Industriezweige Rechner des Typs „Robotron 300“ eingesetzt. Anfang 1968 waren 18 Rechenanlagen fertiggestellt und ausgeliefert.
Im Jahre 1969 beschlossen die Regierungen der RGW-Länder ein Abkommen über die arbeitsteilige Entwicklung, Produktion und Anwendung der EDV-Technik. Ziel war es, ein „einheitliches System elektronischer Rechentechnik (ESER)“ zu entwickeln, welches ein weitestgehend vereinheitlichtes System leistungsmäßig abgestufter, programmkompatibler elektronischer Rechner, dazugehöriger peripherer Geräte und Anwenderprogramme für die verschiedensten Einsatzgebiete vorsah. Anläßlich der Leipziger Frühjahrsmesse 1969 wurde als erstes Ergebnis der Gemeinschaftsarbeiten zwischen der UdSSR und der DDR eine Datenfernübertragung Leipzig-Moskau-Leipzig demonstriert. EDV-technische Basis dieser Datenübertragung waren Geräte aus der DDR-Produktion. Ein Jahr später konnte die Computerindustrie der DDR in Leipzig mit einer [S. 185]Neuerscheinung auf dem Gebiet der Prozeßrechentechnik, dem „PR 2.100“ des VEB Kombinat Robotron, aufwarten. Neben den Neuentwicklungen wurde vor allem die Produktion des „Robotron 300“ forciert.
Ende 1970 wies die Berichterstattung über die Perspektivplanerfüllung die Produktion von „über 200 Anlagen“ des „Robotron 300“ seit 1967 aus. Mit dem im Juli 1971 festgelegten „Komplexprogramm für die weitere Vertiefung und Vervollkommnung der Zusammenarbeit und Entwicklung der sozialistischen ökonomischen Integration der Mitgliedsländer des RGW“ wurde auch auf dem Gebiet der EDV als Schwerpunktaufgabe und Ziel die Realisierung der sogen. „Systemautomatisierung sozialistischer Länder“ und in diesem Zusammenhang die Fortführung und Verstärkung der weiteren Zusammenarbeit auf dem Gebiet der EDV-Technik festgelegt. Hinsichtlich der vorgesehenen Systemautomatisierung (Einheitssysteme) handelt es sich um eine langfristige, innerhalb des Zeitraums 1971–1980 geplante, komplexe Standardisierung von Maschinen-, Ausrüstungs- und Gerätesystemen.
Zu unterscheiden sind 1. Einheitssysteme (ES) industrieller Zweige und 2. ES zur Lösung von Querschnittsaufgaben. Zu den ersteren gehören u. a. folgende z. T. bereits realisierte ES: das ES der automatisierten Verfahrenstechnik (ESAV), das ES der Elektronik und des Gerätebaus (ESEG), das ES für die Meßwerterfassung, -Verarbeitung und -ausgabe, das Gerätesystem zur direkt rechnergeführten Werkzeugmaschinensteuerung, das integrierte Datenverarbeitungssystem des Werkzeugmaschinenbaus und das ES der Meß- und Prüfautomatisierung.
Für die Lösung sogen. Querschnittsaufgaben sind u. a. folgende ES z. T. realisiert: das universelle Steuer- und Regelungssystem (URSAMAT), das System zur Automatisierung der technischen Produktionsvorbereitung (AUTEVO) mit seinen Teilsystemen sowie das ES der integrierten Informationsverarbeitung, auch als automatisiertes Leitungssystem (ALS) bezeichnet. Sämtliche ES arbeiten auf der Grundlage der EDV-Technik. Zur Durchsetzung einer qualitativen Verbesserung der ES werden seit etwa 1973 in den RGW-Ländern auch Rechner der 3. Generation, also der ESER-Familie als weitere Ausprägungsform der Systemautomatisierung eingesetzt.
2. Datenverarbeitungsanlagen der 3. Generation. Bereits anläßlich der Leipziger Frühjahrsmesse 1972 wurden von der DDR der „Robotron 21“ und das Prozeßrechnersystem „PRS 4.000“, Erzeugnisse des VEB Kombinat Robotron, vorgestellt und seit 1973 zur Lösung ökonomischer sowie wissenschaftlich-technischer Aufgaben in der Praxis eingesetzt. Im gleichen Jahr konnte das EDV-System „ES 1030“ (UdSSR/Polen) vorgestellt werden. Es folgten z. T. als Gemeinschaftsproduktionen ein Jahr später in Leipzig und Moskau weitere Rechner der ESER-Familie: der elektronische Kleinrechner „ES 1010“ (Ungarn), das EDV-System „ES 1020“ (UdSSR/Bulgarien), das EDV-System „ES 1021“ (ČSSR), das EDV-System „ES 1040“ (DDR/VEB Kombinat Robotron) und das EDV-System „ES 1050“ (UdSSR). Von der DDR wurde ferner das Kleinrechnersystem „KRS 4.200“ fertiggestellt. Geplant ist darüber hinaus das EDV-System „ES 1060“ (UdSSR) mit 2 Mill. Operationen/sec. Mit Ausnahme dieser Rechenanlage sind sämtliche anderen Rechner bis Mitte 1974 in die Serienproduktion übernommen worden.
Für den Einsatz der ESER-Rechner werden gebräuchliche Programmiersprachen verwendet: Algol, Cobol, Fortran, PI 1, Assembler. Das VEB Kombinat Robotron bietet darüber hinaus eine Palette von vorprogrammierten Problemlösungen an. Sie gliedern sich in verfahrensorientierte Programmpakete und Programmiersysteme (VOPP u. VOPS) sowie in sachgebietsorientierte Programmiersysteme (SOPS).
3. Struktur der EDV-Industrie der DDR. Die Datenverarbeitungs- und Büromaschinenindustrie ist — entsprechend der z. Z. gültigen volkswirtschaftlichen Betriebssystematik — ein Zweig des Industriebereichs „Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau“. Er untergliedert sich in die Wirtschaftsgruppen „Datenverarbeitungsmaschinenindustrie“ und „Büromaschinenindustrie“. Wichtigster Hersteller von EDV-Anlagen innerhalb der Wirtschaftsgruppe der EDV-Maschinenindustrie ist der VEB Kombinat Robotron Dresden mit seinen Herstellerbetrieben (Dresden, Riesa, Hoyerswerda, Radeberg), einem Großforschungszentrum und Außenstellen, die über die ganze DDR verteilt sind. Exporteur von Robotron-Erzeugnissen ist das AHB Büromaschinen-Export GmbH Berlin. Daneben sind u. a. auf dem EDV-Gebiet der VEB Carl Zeiss Jena sowie der VEB Kombinat Elektronische Bauelemente tätig. Der VEB Kombinat Zentronik Erfurt ist der Leitbetrieb der DDR-Büromaschinenindustrie mit acht ihm unterstellten VEB.
4. Einsatz der EDV in der Praxis. In der DDR werden z. Z. sowohl in der Wirtschaftspraxis als auch in der Technik und für Forschungs- und Entwicklungsaufgaben je nach der spezifischen Aufgabenstellung verschiedenartige Rechner eingesetzt. Nach eigenen Angaben wurden bis zum Anfang des Jahres 1974 rd. 500 elektronische Datenverarbeitungsanlagen in Betrieb genommen. Hierbei handelte es sich hauptsächlich um die Rechner „Robotron 300“ (2. Generation), „Robotron 21“, „ES 1040“ und das Kleinrechnersystem „KRS 4.200“. Daneben sind vor allem zahlreiche sowjetische Rechner wie z. B. „Ural“ oder „Besm“ sowie einige Rechner aus der ESER-Serie „ES 1020“ (sowjetisch/bulgarische Produktion) in der DDR eingesetzt worden. Die Produktion des Rechners „Robotron 300“ wurde bereits Mitte des Jahres 1973 eingestellt. Insgesamt sind bis zu diesem Zeitpunkt rd. 400 Anlagen dieses Modells vom VEB Kombinat Robotron ausgeliefert worden. Als seine Nachfolgemodelle gelten die Rechner „Robotron 21“ sowie „ES 1 040“. Weiterhin wurden aus eigener Produktion „mehrere Dutzend“ Prozeßrechner (z. B. der für die Prozeßdatenerfassung umgerüstete „Robotron 300“ sowie die Anlagen „PRS 2.100“ und „PRS 4.000“) und ca. 2.000 elektronische Kleinrechner vom Typ „Cellatron 8.205“ bis zu Beginn des Jahres 1974 in Betrieb genommen.
[S. 186]Parallel zu den EDV-Anlagen aus eigener sowie aus der Produktion der RGW-Länder wurden zunehmend auch westliche Rechner (u. a. IBM, Control Data, Siemens) gekauft und zur Lösung verschiedenartiger Aufgabenstellungen eingesetzt. Neben der Durchführung von Routinearbeiten in Betrieben und Kombinaten, der Übernahme von Planungsrechnungen auf Industriezweigebene wird der EDV besondere Bedeutung beim Aufbau automatisierter Leitungssysteme (ALS) beigemessen (Information). Das ALS für Betriebe soll einzelne Teilsysteme umfassen, die als selbständige Systembausteine eingesetzt werden können. Teilsysteme werden entweder nach funktionellen Merkmalen (entsprechend den Funktionen des betrieblichen Leistungssystems), nach Organisationsmerkmalen (entsprechend der Organisationsstruktur des Leitungssystems) oder nach anderen möglichen Merkmalen gebildet. Dabei bedient man sich insbesondere der Erkenntnisse der Kybernetik. Auf der Grundlage der EDV und mit Hilfe von Verfahren der Operationsforschung sollen diese ALS die Leitung in die Lage versetzen, möglichst schnelle und optimale Entscheidungen treffen zu können. Die Durchführung der EDV wird in Organisations- und Rechenzentren (ORZ) vorgenommen. Sie vollzieht sich sowohl innerhalb eines betrieblichen ORZ als Direktionsbereich oder Hauptabteilung eines Betriebes bzw. Kombinates als auch in wirtschaftszweigorientierten ORZ, juristisch selbständigen Dienstleistungsbetrieben.
Diskussionsbeiträge zum Entwurf der Rahmenrichtlinie für die Jahresplanung der Betriebe und Kombinate und zur Planungsordnung bemängeln die gegenwärtige Einsatzpraxis der EDV und verlangen eine umfassendere Nutzung der EDV für Planungsarbeiten, die Vervollkommnung der EDV-Programme, die intensivere Nutzung der Operationsforschung im Zusammenhang mit der EDV und die Realisierung von „automatisierten Systemen der Planungsrechnung“ (ASPR) als Teilsysteme von automatisierten Leitungssystemen. Planung; Rationalisierung.
Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 184–186