DDR von A-Z, Band 1975

 

Forschung (1975)

 

 

Siehe auch die Jahre 1965 1966 1969 1979 1985

 

I. Forschungsarten und Forschungsphasen

 

 

Die F. in der DDR gliedert sich entsprechend der in den Ostblockländern vorherrschenden Sichtweise, F.-Aktivitäten unter institutionellen und bürokratischen Aspekten zu klassifizieren, in: Akademie-F., Hochschul-F., Ressort- und Industrie-F. (F. und Entwicklung).

 

Als Oberbegriff bei der Planung und Leitung der F. fungiert das Begriffspaar „Wissenschaft und Technik“, das neben der F. auch die Lehre bzw. die Ausbildung und Anwendung von F.-Ergebnissen der be[S. 317]troffenen Disziplinen mit einschließt. Es umfaßt alle naturwissenschaftlichen Disziplinen, nicht jedoch alle gesellschaftswissenschaftlichen Fächer. Während wirtschafts- und erziehungswissenschaftliche Disziplinen und einige Spezialgebiete in den Planungs- und Leitungsbereich von „Wissenschaft und Technik“ mit einbezogen sind, wird die Entwicklung der wichtigsten gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen — dialektischer und historischen Materialismus, wissenschaftlicher Sozialismus und Kommunismus, Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung — von den Parteihochschulen der SED geleitet und geplant.

 

A. Akademie- und Universitätsforschung

 

 

Die Aufgaben der Akademie- und Universitäts-F. sind in den letzten Jahren stärker einander angenähert worden. Dies äußert sich z. T. in gleichlautenden Festlegungen. So soll die F. der Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW) und der Universitäten auf „der Grundlage des dialektischen und historischen Materialismus einen wirksamen Beitrag zur Erforschung gesellschaftlicher Entwicklungsprozesse und ihrer objektiven Gesetzmäßigkeiten leisten“ (VO über die Leitung, Planung und Finanzierung an der Akademie der Wissenschaften und an Hochschulen, GBl. II, 1972, Nr. 53). Ebenso werden „komplexe“ F.-Themen, denen längerfristige Bedeutung zukommt und deren Ergebnisse in verschiedenen Wirtschaftsbereichen und Industriezweigen genutzt werden sollen, bearbeitet. Die F. der AdW und der Universitäten ist vor allem darauf gerichtet, „strategische“ Aufgaben von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung zu lösen und die verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen ausgewogen weiterzuentwickeln. Seitdem im Anschluß an Beschlüsse des VIII. Parteitages der SED (Juni 1971) die Intensivierung und Rationalisierung der Wirtschaftsprozesse in den Mittelpunkt der Wirtschaftspolitik gerückt wurden, soll die Akademie- und Hochschul-F. gegenwärtig jedoch — zumindest stärker als in der Vergangenheit — auch unmittelbar anwendungsorientiert und zur Neu- und Fortentwicklung von Technologien und industriellen Erzeugnissen beitragen. Stärker als von den F.-Arbeiten der Hochschulen wird von der Akademie-F. erwartet, daß sie der Staatsführung systematisch Entscheidungsgrundlagen für die Wirtschafts-, Bildungs-, Sozial- und Gesundheits-, wie Wissenschafts- und Technologiepolitik bereitstellt. Daneben wird ihre generelle Verantwortung für die Vertiefung des Grundlagenwissens und die Pflege von ausgewählten Gebieten der Grundlagen-F., die nicht unmittelbar anwendungsorientiert sind, hervorgehoben. So sind die F.-Aufgaben der AdW seit 1971 noch stärker als bisher zwischen die Pole der Sicherung des Grundlagenwissens und der Weiterentwicklung der Wissenschaftsdisziplinen einerseits und der Anwendungs-F. und unmittelbaren Produktionsunterstützung andererseits angesiedelt.

 

Die Akademie versucht den unterschiedlichen und z. T. widersprüchlichen, da nicht näher bestimmten Anforderungen mit einer F.-Politik des „sowohl als auch“ zu entsprechen. Danach ist die AdW sowohl um langfristige Grundlagen-F. als auch um die Überführung von Teil- und Zwischenergebnissen in die laufende Produktion bemüht. Im Mittelpunkt ihrer F.-Leitung und -Planung steht die Frage nach der unter kurz- wie langfristigen Aspekten angemessenen Proportionierung des eingesetzten F.-Personals, der finanziellen Mittel und der apparativen Ausrüstungen. Angemessene Proportionen sind generell zu finden a) zwischen den verschiedenen F.-Phasen, vor allem zwischen Grundlagen-F., angewandter F., Entwicklungs- und Überleitungsarbeiten, b) hinsichtlich der Terminfestlegung, d. h. der Berücksichtigung kurz-, mittel-, oder langfristiger Anforderungen, c) zwischen den unterschiedlichen Tätigkeitsarten (F., Dokumentation, Lehre, Verwaltung), d) zwischen den verschiedenen Personalgruppen, vor allem zwischen der Gruppe der Forschenden und dem Hilfspersonal sowie e) zwischen den Anteilen der einzelnen F.-Richtungen bezogen auf einzelne Disziplinen wie auf das personelle und finanzielle Gesamtvolumen aller Wissenschaftszweige.

 

Als Problem zwar erkannt, aber im einzelnen noch ungelöst ist gegenwärtig die von der staatlichen F.-Politik der AdW aufgegebene, möglichst optimale Kombination der folgenden 4 Arbeitsschwerpunkte:

 

1. Langfristige Pflege von ausgewählten Gebieten der Grundlagen-F. sowie die „Sicherung der Rezeption der Ergebnisse der internationalen Wissenschaft auf breiter Basis“,

 

2. angewandte F., Entwicklungs- und Überleitungsarbeiten auf wichtigen Gebieten der industriellen Produktion in enger Zusammenarbeit mit der Industrie unter Nutzung internationaler F.-Resultate und Erfahrungen,

 

3. Modernisierung und Rationalisierung der vorhandenen Produktionsverfahren, sowie

 

4. „Verwissenschaftlichung des Alltags“ durch Beiträge vor allem in den Erziehungs- und Arbeitswissenschaften.

 

Die Auswahl der intensiv zu erforschenden Themenbereiche der Grundlagen-F. soll in erster Linie unter dem Gesichtspunkt dringender volkswirtschaftlicher Anforderungen, d. h. besonders der potentiellen Nützlichkeit des F.-Gebietes für die industrielle Fertigung vorgenommen werden. Weitere Auswahlkriterien beziehen sich auf das Vorliegen von fachlichen und methodischen Erfahrungen sowie auf die Möglichkeit internationaler Zusammenarbeit. Die internationale Kooperation wird seit 1971 als das wichtigste Mittel zur Überwindung der engen Grenzen des F.-Potentials der DDR angesehen. Die Zuständigkeit des AdW bei der Gestaltung der bilateralen [S. 318]und multilateralen Wissenschaftskontakte (Zusammenarbeit vor allem mit den Akademien der Sowjetunion und der übrigen RGW-Mitgliedsländer) wurde ausgeweitet.

 

Die Hochschul-F. ist dadurch gekennzeichnet, daß der Grundsatz der Einheit von Lehre und Forschung — Merkmal des deutschen Universitätstyps — auch nach mehreren Hochschulreformen nicht aufgegeben wurde. Folglich soll Hochschul-F. thematisch an den jeweils gegebenen Aufgaben der Wirtschaft und anderer Gesellschaftsbereiche orientiert sein, um somit zugleich für die Ausbildung der Studenten genutzt werden zu können. Eine engere Verflechtung der Universitäten mit Fertigungs- und Dienstleistungsbetrieben wurde seit 1967 mit institutionellen und finanziellen Mitteln, d. h. durch vertraglich geregelte Beziehungen zur thematischen Abstimmung und zum Personalaustausch sowie durch Auftrags-F. erreicht.

 

B. Industrie- und Ressortforschung

 

 

Industrie- und Ressort-F. bezeichnet demgegenüber die Gesamtheit aller F.-Aktivitäten von Einrichtungen, die entweder staatlichen Leitungsinstitutionen auf zentralen und mittleren Ebenen direkt unterstehen oder selbständige Betriebsteile darstellen. Gegenwärtig sind ca. 140.000 Beschäftigte in der F. und Entwicklung in Industrie, Bauwesen, Landwirtschaft und Verkehr tätig. Rund die Hälfte sind Hoch- und Fachschulabsolventen. Die F.-Aufwendungen der letzten Jahre betragen durchschnittlich 2,4 v. H. des Nationaleinkommens. Für wissenschaftlich-technische Aufgaben wurden 1971 und 1972 jeweils ca. 5 Mrd. Mark zur Verfügung gestellt. Die F.-Einrichtungen arbeiten in erster Linie an der Fortentwicklung der Produktionssortimente und -verfahren. Die Aufgaben sind jeweils auf der Grundlage der voraussehbaren Entwicklungsrichtungen von Wissenschaft und Technik und der geplanten wirtschaftlichen Struktur- und Wachstumspolitik zu formulieren. Zugleich sollen sie den internationalen Entwicklungsstand der Erzeugnisse und Verfahren in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht berücksichtigen. Sie sind in „Plänen Wissenschaft und Technik“ festgelegt und beziehen sich entweder auf bestimmte Fertigungs- und Dienstleistungsgebiete oder auf die Lösung einzelner praktischer Aufgaben. Das Potential der Industrie-F. konzentriert sich in den F.-Zentren der Großbetriebe und der zwischen 1967 und 1970 geschaffenen Industriekombinate sowie den Industriezweiginstituten der Ministerien und Vereinigungen volkseigener Betriebe. In den Fällen, in denen Akademie- und Hochschulinstitute Auftrags-F. für die Wirtschaft übernehmen, rechnet das dabei eingesetzte Potential ebenfalls zur Industrie- und Ressort-F. Seit 1967 wird die F. und Entwicklung in den Industriezweigen, die von erhöhter Bedeutung für das gesamtwirtschaftliche Wachstum sind (chemische, elektrotechnische und elektronische Industrien, Geräte- und Fahrzeugbau) besonders gefördert; seit 1971 ist die Industrie-F. auch in den Verbrauchsgüterindustrien und im Energiewesen intensiviert worden.

 

C. Forschungsphasen

 

 

F. ist ein arbeitsteiliger Vorgang, der in verschiedenen Phasen abläuft und an dem im Zeitverlauf unterschiedliche Forschergruppen und -Institutionen beteiligt sind. Ihre Aktivitäten werden in der Bezeichnung „wissenschaftlich-technische Arbeit“ zusammengefaßt; darunter wird im einzelnen verstanden: Prognosen, Grundlagen-F., angewandte F., Entwicklung von Erzeugnissen und Verfahren, Arbeiten zur Optimierung technologischer und wirtschaftlicher Abläufe, F. zum Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung, Leistungen für den Aufbau „zentralisierter Fertigungen“.

 

Abweichend von der international verbreiteten Klassifikation der F. in Grundlagen-F. und angewandte F. und Entwicklung wird in der DDR für die F.-Leitung und -Planung eine vierstufige Gliederung verwendet:

 

a) Erkundungs-F. bzw. reine Grundlagen-F., die sich ausschließlich auf die Vervollkommnung der natur- und gesellschaftswissenschaftlichen Grundkenntnisse sowie auf die Untersuchung neuer Erscheinungen und die Erforschung ihrer Regelmäßigkeiten richtet;

 

b) „gezielte Grundlagen-F.“, die in einer umrissenen thematischen Richtung zur Erweiterung der Grundkenntnisse betrieben wird;

 

c) angewandte F., die demgegenüber auf ein festgelegtes wirtschaftlich-technisches Ziel gerichtet ist, und neue Verfahren und Erzeugnisse erforschen bzw. vorhandene auf den jeweils neuesten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse bringen soll;

 

d) Entwicklung von Konstruktionen und Verfahren, die F.-Resultate für die industrielle Fertigung nutzbar machen soll.

 

Daneben werden mit den „Studienentwürfen“ und der „Überleitung von Konstruktionen und Verfahren“ noch weitere Anfangs- bzw. Abschlußphasen unterschieden. Die Studienentwürfe dienen der technischen, wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Vorklärung von Aufgabenstellungen und Vorhaben. In der Überleitungsphase werden je nach Industriezweig die Konstruktion bzw. technologischen Voraussetzungen für die Fertigung und Serienproduktion geschaffen. Die Arbeitsstufen werden in einer „Nomenklatur für Arbeitsstufen und Leistungen von Aufgaben des Planes Wissenschaft und Technik“, die vom Ministerium für Wissenschaft und Technik herausgegeben wird, differenziert festgelegt.

 

II. Forschungsinstitutionen

 

 

A. Akademieforschung

B. Hochschulforschung

 

 

Von den 67 Universitäten und Hochschulen (einschl. der 5 Hochschulen der SED und des FDGB) widmen sich den naturwissenschaftlichen und technischen Fächern vor allem 30 dem Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen unterstehende Universitäten, Fachhochschulen, Technische Hochschulen und Medizinische Akademien sowie 2 landwirtschaftliche Hochschulen, die dem Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft unterstellt sind. Der Anteil der Hochschul-F. am gesamten F.-Potential der DDR wurde 1969 auf ca. 40 v. H. geschätzt. Er dürfte sich seitdem verringert haben. Durch die Maßnahmen der Dritten Hochschulreform (1967–1971) wurde die Hochschul-F. inhaltlich und organisatorisch umgestaltet. Thematisch erfolgte eine stärkere Ausrichtung und Konzentration auf die Aufgaben der Wirtschaftsbereiche, insbesondere auf die wachstumsintensiven Industriezweige. Die Organisation, Planung und Finanzierung der Hochschulen wurden verändert, um das begrenzte und 1967 auf ca. 900 Universitätsinstitute verteilte Potential wirksamer für die Planaufgaben der Wirtschaftszweige einsetzen zu können. Die thematischen und organisatorischen Veränderungen wurden mit einer Neugliederung auch der Studiengänge verbunden. Durch die Bildung besonderer organisatorischer Formen der Zusammenarbeit („Forschungsverband“ bzw. „Forschungskooperationsverband“, „Forschungsgemeinschaft“) ist eine engere Verflechtung der spezialisierten Hochschulen mit Industriebetrieben sowie deren übergeordneten Leitungsinstanzen (Industrieministerien, VVB) institutionalisiert worden. Zugleich eröffnete sich damit die Möglichkeit zu einem Verbund von Hochschul-F., Industrie-F. und Akademie-F. So konzentriert sich etwa die Technische Hochschule „Otto-von-Guericke“, Magdeburg, seit 1968 auf die F. — und Lehre — für Schwermaschinen- und Anlagenbau (Kombinat VEB Schwermaschinenbau „Karl Liebknecht“, Magdeburg). Das F.-Personal und die apparative Ausrüstung der wichtigsten Sektionen der Friedrich-Schiller-Universität Jena wird zur Lösung von Aufgaben des wissenschaftlichen Gerätebaus eingesetzt, der im Kombinat VEB Carl Zeiss, Jena, konzentriert ist. Ein weiteres Beispiel stellt die Technische Universität Dresden dar; sie ist die größte universitäre F.-Stätte der DDR auf naturwissenschaftlich-technischem Gebiet. Entsprechend ihrer besonderen Spezialisierung auf F.-Themen der Informationstechnik und -Verarbeitung, Elektrotechnik, Feingerätetechnik und Mathematik bestehen enge Beziehungen zum Hauptproduzenten von Datenverarbeitungsanlagen, dem VEB Kombinat Robotron, Radeberg bei Dresden.

 

C. Ressort- und Industrie-F. (F. und Entwicklung)

 

 

Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Institutstypen sind in der Industrie- und Ressort-F. größer als in der Akademie- und Hochschul-F., deren institutionelle Strukturen - auch aufgrund der Hochschul- und Akademiereform in den Jahren 1967–1971 - homogener sind. Die größere Nähe und die engere Verknüpfung der Institute mit den Anwendungsbereichen haben starke strukturelle Differenzierungen entsprechend den fachspezifischen und fertigungstechnischen Eigentümlichkeiten der Wirtschaftsbereiche zur Folge gehabt. Typische Formen der Ressort- und Industrie-F. sind:

 

1. Ressortakademien: Hierzu zählen die Bauakademie der DDR und die Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR. Sie unterstehen dem Ministerium für Bauwesen bzw. dem Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft als zentrale fachwissenschaftliche Einrichtungen der DDR. Sie leiten die F. der angeschlossenen Institute, koordinieren die Zusammenarbeit mit Hochschulen, Akademien und ausländischen F.-Zentren.

 

Die Mehrzahl der naturwissenschaftlichen, technisch-technologischen F.-Themen der ressortbezogenen Fachgebiete wird in den Zentren und Instituten der Ressortakademien bearbeitet. Sie werden bisweilen auch als F.-Akademien bezeichnet.

 

2. Ressortforschung des Ministeriums für Gesundheitswesen: Die Organisation der Ressort-F. Im Bereich des Ministeriums für Gesundheitswesen stellt eine Sonderform dar. Dieses Ministerium arbeitet den Gesamtplan der medizinischen F. aus. Es ist für die Formulierung der staatlichen Ziele, die Durchführung der F.- und Entwicklungsarbeiten sowie für die praktische Nutzung der F.-Resultate verantwortlich, ohne daß ihm die wichtigsten medizinischen F.-Einrichtungen, die medizinischen Bereiche der Universitäten und die Medizinischen Akademien in Dresden, Erfurt und Magdeburg unterstehen. Diese Organisationsbereiche gehören zum Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen. Als beratendes Gremium des Ministers für Gesundheitswesen besteht seit 1962 ein „Rat für Planung und Koordinierung der medizinischen Wissenschaft beim Ministerium für Gesundheitswesen“.

 

3. Industriezweiginstitute: Sie stellen wissenschaftliche Einrichtungen dar, die F.- und Entwicklungsarbeiten zu Querschnittsthemen leisten, die über den Rahmen einer Vereinigung Volkseigener Betriebe oder eines Kombinates hinausgehen und ganze Industriezweige betreffen. Industriezweiginstitute sind in der Regel einem Industrieministerium oder einem anderen Fachministerium unterstellt. Sie bestimmen durch ihre F.- und Entwicklungsaktivitäten weitgehend die Entwicklung der Verfahren, der Geräte und der Produktionssortimente und den Stand der Fertigungstechnologien des jeweiligen Industrie[S. 320]zweiges. Die Bereitstellung fachwissenschaftlicher Unterlagen zur Lenkung und Koordinierung aller grundlegenden F.- und Entwicklungsaufgaben auf die Schwerpunkte des betreffenden F.-Gebietes zählt zu ihren Hauptaufgaben. Die Industriezweiginstitute führen entsprechend neben angewandter F. und Entwicklung auch Grundlagen-F. durch. Sie arbeiten nach den Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Bekannte Industriezweiginstitute mit jeweils mehreren hundert Mitarbeitern sind: Zentralinstitut für Fertigungstechnik des Maschinenbaus der DDR. Karl-Marx-Stadt; Zentralinstitut für Gießereitechnik, Leipzig; Zentralinstitut für Schweißtechnik, Halle; Institut für Leichtbau und ökonomische Verwendung von Werkstoffen, Dresden; Zentrales Forschungsinstitut des Verkehrswesens, Berlin (Ost).

 

4. Wissenschaftlich-technische Institute: Zu den wissenschaftlich-technischen Einrichtungen, die F. und Entwicklungsarbeiten jeweils für bestimmte Branchen durchführen, zählen a) F.-Zentren und b) Wissenschaftlich-technische Zentren (WTZ). Die WTZ wurden 1964 bei den VVB eingerichtet. Mit ihrer Hilfe sollte die VVB eine „allseitige Entwicklung und Einführung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts“ in dem betreffenden Industriezweig erreichen. Die F.-Zentren gingen aus den F.-Einrichtungen in wichtigen Industriezweigen hervor, die 1969/70 für den Ausbau zu Großforschungszentren vorgesehen waren. Der in diesen Jahren stark propagierte Aufbau einer industriellen Groß-F. scheiterte jedoch schon bald aufgrund von finanziellen und organisatorischen Schwierigkeiten. Von den 16 Großforschungszentren, deren Aufbau bei Struktur- und wachstumspolitisch bedeutsamen Kombinaten für 1970 geplant war, bestand für längere Zeit lediglich das „Großforschungszentrum der Werkzeugmaschinenindustrie im VVB Werkzeugmaschinen-Kombinat ‚Fritz Heckert‘, Karl-Marx-Stadt“. Andere Einrichtungen, wie z. B. die F.-Stätten des VEB Petrolchemisches Kombinat, Schwedt, und des VEB Kombinat Robotron, Dresden, führten nur kurzfristig die Bezeichnung Großforschungszentrum. Seit 1972 wird einheitlich die Bezeichnung F.-Zentrum verwendet.

 

WTZ und F-Zentren ähneln sich hinsichtlich ihrer Aufgaben und der zentralen Stellung als Lenkungsinstitutionen für die F. und Entwicklung im Rahmen einer VVB oder eines Kombinates. Sie arbeiten nach den Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung und unterstehen der Leitung des Generaldirektors der VVB bzw. des Kombinats. Ihre wichtigsten Aufgaben sind die Analyse des technischen Standes der Erzeugnisse und Verfahren im Industriezweig sowie die Ermittlung von Entwicklungstendenzen im Ausland; ferner die Ausarbeitung von Grundkonzeptionen für die Entwicklung der Erzeugnisse. Arbeitsgebiete der wissenschaftlich-technischen Institute sind — bezogen auf den jeweiligen Industriezweig — Probleme der Modernisierung, Mechanisierung, Automatisierung; die Entwicklung neuer technologischer Verfahren, neuer Werkstoffe; die wissenschaftliche Wirtschaftsführung der VVB, Kombinate und VEB; die Erforschung der Arbeitsbedingungen; die Erarbeitung „wissenschaftlich begründeter“ Arbeitsnormen. Die wissenschaftlich-technischen Institute differieren in der Größe, in den typischen Arbeitsschwerpunkten und im Organisationsaufbau. F.-Zentren stellen in der Regel größere organisatorische Einheiten von Industriekombinaten mit jeweils mehreren hundert Mitarbeitern dar. Wichtige F.-Zentren bestehen beiden Kombinaten:, VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, Leuna; VEB Petrolchemisches Kombinat, Schwedt; VEB Kombinat Robotron, Radeberg bei Dresden; VEB Kombinat Luft- und Kältetechnik, Dresden; VEB Werkzeugmaschinen-Kombinat „Fritz Heckert“, Karl-Marx-Stadt; VEB Kombinat Umformtechnik, Erfurt; VEB Werkzeugmaschinen-Kombinat „7. Oktober“, Berlin (Ost).

 

Bei den WTZ lassen sich verschiedene Organisationsformen unterscheiden, unter denen zwei Formen dominieren: a) als VEB im Rahmen einer VVB und b) als selbständiges Institut unter der Anleitung ebenfalls einer VVB. Zur ersten Form zählen z. B. die VEB WTZ für Bau-, Baustoff- und Keramikmaschinen Leipzig, ferner die VEB WTZ Getriebe und Kupplungen, Magdeburg, sowie die VEB WTZ Kraftwerksanlagenbau, Berlin (Ost); sie gehören jeweils zu den gleichnamigen und am selben Ort ansässigen VVB.

 

Bekannte WTZ in der Institutsform sind:

 

Institut für Lacke und Farben, Berlin (Ost) (VVB Lacke und Farben, Berlin [Ost]); Institut für Kraftwerke, Vetschau (VVB Kraftwerke, Cottbus); Institut für Fördertechnik, Leipzig (VVB Tagebauausrüstungen, Krane und Förderanlagen, Leipzig); Institut für Regelungstechnik, Berlin (Ost) (VVB Automatisierungsgeräte, Berlin [Ost]).

 

5. Zentrale Entwicklungs- und Konstruktionsbüros (ZEK): Ähnlich den Industriezweiginstituten und den Wissenschaftlich-technischen Instituten übernehmen auch die ZEK als überbetriebliche Einrichtungen F.- und Entwicklungsarbeiten. Sie sind in der Regel als VEB organisiert, unterstehen der Leitung einer VVB und arbeiten nach den Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung. Die Hauptaufgabe der ZEK ist die Entwicklung neuer Erzeugnisse bis zur Nullserienreife. Kleinere Betriebe, die keine eigenen Büros für Entwicklung und Konstruktion einrichten können, erhalten zudem die Möglichkeit, die Produktion durch die Anfertigung der Konstruktionszeichnungen und Materialstücklisten technisch vorbereiten zu lassen. Weiterhin sind die ZEK an der Aufstellung der Pläne Wissenschaft und Technik, den Standardisierungsarbeiten und der Lenkung und [S. 321]Koordinierung aller F.- und Entwicklungsaktivitäten der VVB beteiligt.

 

6. Wissenschaftliche Industriebetriebe (WIB): Seit 1963 errichtete neue oder durch Ausbau bisheriger Industriebetriebe entstandene Einrichtungen, deren Aufgabe es ist, Ergebnisse der Grundlagen- und Anwendungs-F. in die Produktion überzuleiten. Die WIB sind Entwicklungs- und Produktionsbetriebe zugleich. Sie stellen Apparate, Spezialgeräte und Maschinen her, die in anderen Betrieben zur Organisierung der Fertigung nach dem neuesten technischen Stand eingesetzt werden. Da die Erzeugnisse der WIB kurzfristig produktionswirksam sein sollen, werden von jedem Erzeugnistyp nur geringe Stückzahlen gefertigt.

 

WIB unterliegen den Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung nur eingeschränkt, da sie Produkte herzustellen haben, deren Ergebnisse oft nicht vorausberechenbar sind. WIB übernehmen auch Teilfunktionen der WTZ.

 

7. Projektierungsbetriebe: Spezialbetriebe in Form von VEB, deren Aufgaben entweder darin bestehen, bautechnische Unterlagen für Investitionsvorhaben auszuarbeiten oder technologische Dokumentationen und Unterlagen (Projekte) dafür anzufertigen. Sie sind damit beauftragt, die auf dem jeweiligen Spezialgebiet anfallenden Projektierungsaufgaben durchzuführen bzw. verantwortlich zu lenken und zu überwachen. Projektierungsbetriebe sind in der Regel einer VVB oder einem Kombinat angeschlossen. Für die meisten Industriezweige bestehen zentrale Projektierungsbetriebe, die Zweigstellen unterhalten. Projektierungsbetriebe arbeiten nach den Prinzipien der wirtschaftlichen Rechnungsführung.

 

8. Betriebliche F.- und Entwicklungsstellen (F/E-Stellen): Während die vorgenannten Institute und Betriebe überbetriebliche F., Entwicklung und Projektion durchführen, konzentrieren sich die F/E-Stellen auf die Entwicklung neuer und verbesserter Erzeugnisse und Verfahren der eigenen Betriebe. Häufig verfügen die betrieblichen F/E-Stellen nur über wenig Personal und unzureichende apparative Ausrüstungen. Typisch war — zumindest in der Vergangenheit — eine thematische Zersplitterung, was zu den immer wieder kritisierten langen Entwicklungszeiten beitrug. So beschäftigten über die Hälfte der 1966 in der DDR insgesamt bestehenden 1800 F/E-Stellen (einschließlich überbetrieblicher Einrichtungen) nur bis zu 10 Personen, 43 v. H. nur bis zu 5 Personen. Inzwischen ist die personelle und thematische Zersplitterung vor allem durch die Kombinatsbildungen von 1967 bis 1970 (Zusammenschluß von Produktionsbetrieben und parallel dazu von F/E-Stellen) eingeschränkt worden.

 

9. Sozialistische Arbeits- und F.-Gemeinschaften: Unter dieser Bezeichnung werden die Brigaden der sozialistischen Arbeit sowie die Neuerer-, Rationalisierungs- und Erfindergruppen in den Betrieben zusammengefaßt. Die letztgenannte Gruppe soll sich vorrangig auf die Lösung von Aufgaben auf dem Gebiete der F. und Entwicklung, der Konstruktion, der Betriebsorganisation und der Technologie konzentrieren. Hierbei wird eine „selbstlose, dem gemeinsamen Ziel untergeordnete Mitarbeit“ von Beschäftigten verschiedener Arbeitsbereiche und Berufe in den Betrieben erwartet. Den Themen der Grundlagen- und angewandten F. widmen sich besondere F.-Gemeinschaften, die in der Regel aus Wissenschaftlern und erfahrenen Neuerern und Rationalisatoren zur Lösung einer sachlich und zeitlich begrenzten F.-Aufgabe gebildet werden. Ausgehend von der jeweiligen Zielstellung erfassen sie Mitarbeiter wissenschaftlicher Institute und eines oder mehrerer Betriebe. Aufgabenstellung, Art der Durchführung, Termine und Finanzierung werden durch den Abschluß von F.-Verträgen festgelegt.

 

III. Zentrale Planungs- und Leitungsinstanzen

 

 

Im Parteiprogramm der SED von 1963 wird auf die Notwendigkeit hingewiesen, die F., besonders die technisch-naturwissenschaftliche und die wirtschaftswissenschaftliche F., einheitlich zu leiten, um die Zersplitterung und isolierte Behandlung wichtiger F.-Themen zu beseitigen. Die Grundlagen-F. sei so zu entwickeln, daß ein „Vorlauf für die Technik und Produktion von morgen gewonnen wird“. Die Planungs- und Leitungsinstanzen arbeiten auf der „Grundlage des Programms der SED, der Beschlüsse des ZK der SED, der Gesetze und Beschlüsse der Volkskammer, der Erlasse und Beschlüsse des Staatsrates sowie der Verordnungen und Beschlüsse des Ministerrates“. Sie umfassen parteigebundene, staatliche und wissenschaftliche Institutionen. Im einzelnen ist die Kompetenzverteilung zwischen diesen Institutionen und die Art und Weise ihrer Zusammenarbeit immer wieder verändert worden. Bislang ist eine auch nur mittelfristig geltende Regelung des Aufbaus und der Abläufe innerhalb der F.-Organisation trotz intensiverer wissenschaftsorganisatorischer Bemühungen seit 1967 nicht gefunden worden. Institutionell ausgebaut und gesichert ist lediglich der Führungsanspruch der SED. Grundlegende Fragen wie die generelle thematische Ausrichtung der F., die Verwendung der Investitionsmittel für den Auf- und Ausbau von F.-Stätten, die Verteilung der Planungs- und Leitungskompetenzen auf die verschiedenen Institutionen (Ministerien, Akademien, Hochschulen, Institute und wissenschaftliche Beiräte) und die organisatorische Regelung der Überführung von wissenschaftlichen Resultaten in die wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Praxis werden in den Führungsgremien der SED, dem Politbüro und dem Sekretariat des Zentralkomitees entschieden. Vorbereitet werden die Entscheidungen in den Abteilungen „Wissenschaften“ und „Forschung und technische Entwicklung“ des [S. 322]zentralen Parteiapparates; sie kontrollieren auch die Durchführung der zentralen SED-Beschlüsse. Auf der Ebene der F.-Institute haben die dort gebildeten SED-Organisationen „das Recht der Kontrolle über die Tätigkeit der Betriebsleitungen“ (§ 63 des 4. Statuts der SED von 1963). Die dem Zentralkomitee der SED unterstellten Parteihochschulen und -institute fungieren zugleich als Leiteinrichtungen für die wichtigsten gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen. Dazu gehören:

 

Parteihochschule „Karl Marx“ (PHKM), Berlin (Ost); Institut für Gesellschaftswissenschaften (IfG), Berlin (Ost); Institut für Marxismus-Leninismus (IML), Berlin (Ost); Zentralinstitut für sozialistische Wirtschaftsführung (ZSW), Berlin (Ost).

 

Forschungspolitische Funktionen werden im staatlichen Bereich vom Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, das für eine koordinierte und umfassende Bildungspolitik des Ministerrats verantwortlich ist und unmittelbares Weisungsrecht gegenüber den Hochschulrektoren besitzt, und vom Ministerium für Wissenschaft und Technik übernommen. Dieses Ministerium koordiniert vor allem die naturwissenschaftlich-technische Hochschul-F. Im Vordergrund steht dabei die Festlegung der schwerpunktartig zu bearbeitenden Themenbereiche der Grundlagen- und angewandten F. entsprechend den langfristigen Wissenschafts- und wirtschaftspolitischen Zielsetzungen. Das Ministerium wurde 1967 im Zuge der generellen Aufwertung der Wissenschafts- und Bildungspolitik in der DDR durch Umwandlung des seit 1961 bestehenden Staatssekretariats für Forschung und Technik geschaffen.

 

Zum gleichen Zeitpunkt entstand, ebenfalls durch Umwandlung eines Staatssekretariats, das Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen. Zum Wissenschafts- und Technikressort gehört das Zentralinstitut für Information und Dokumentation (ZIID), das anleitende, koordinierende und kontrollierende Zentrum für das gesamte Informations- und Dokumentationswesen auf dem Gebiet der Wissenschaft und Technik. Es ist vor allem für die Gestaltung und Fortentwicklung des „Informationssystems Wissenschaft und Technik“ zuständig.

 

Daneben gibt es eine Reihe weiterer Ministerien und Ämter mit eigenem Geschäftsbereich, die für die F. in ihren Ressorts verantwortlich sind. So ist das Ministerium für Volksbildung zuständig für die pädagogische Wissenschaft, das Ministerium für Kultur für Kultur- und Kunstwissenschaft, das Ministerium für Gesundheitswesen für die medizinische Wissenschaft. Ressort-F. betreiben — ebenfalls in unterschiedlicher Form und Intensität — die Industrieministerien.

 

Zur sachverständigen Beratung bestehen bei einigen Ministerien wissenschaftliche Beiräte: z. B. beim Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen der „Hoch- und Fachschulrat“; beim Ministerium für Gesundheitswesen der „Rat für Planung und Koordinierung der medizinischen F.“.

 

Eine besondere Stellung nahm bisher der Forschungsrat ein. Er setzt sich aus Wissenschaftlern, Technikern und Vertretern der Staats- und Wirtschaftsverwaltung zusammen. Der F.-Rat wurde 1957 als höchstes beratendes Gremium für die Planung und Koordinierung der naturwissenschaftlichen und technischen Forschung geschaffen. Er ist wie die Ministerien ein Organ des Ministerrats. Der F.-Rat erarbeitet Analysen und Prognosen zum Entwicklungsstand und zu den Entfaltungsmöglichkeiten der einzelnen Disziplinen. Seit 1966 nimmt der F.-Rat auch die Aufgaben des „Wissenschaftlichen Rates für die friedliche Anwendung der Atomenergie“ wahr.

 

Zur Durchführung der dem F.-Rat übertragenen Arbeiten bedient er sich einer Vielfalt von Gremien. Die wichtigsten Gremien sind: die Kommissionen des F.-Rates, die Zentralen Arbeitskreise für Forschung und Technik (ZAK), die Forschungsbereiche und Zentralinstitute der Akademie der Wissenschaften, der Bauakademie und der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften und die Hauptproblem- und Problemkommissionen des Rates für Planung und Koordinierung der medizinischen Wissenschaft beim Ministerium für Gesundheitswesen. In einer vom Ministerrat und Minister für Wissenschaft und Technik erlassenen VO vom 7. 8. 1967 wird auf die Bedeutung der ZAK hingewiesen, die für volkswirtschaftlich wichtige Fachgebiete und Problemkomplexe Analysen und Prognosen zu erarbeiten, zu vervollkommnen, zu präzisieren und aus den Einschätzungen Folgerungen für die weitere Entwicklung der Volkswirtschaft abzuleiten haben. Die ZAK sollen von den Mitgliederorganisationen der Kammer der Technik weitgehende Unterstützung erhalten. Eine solche Regelung soll gewährleisten, daß alle Probleme der wissenschaftlich-technischen Entwicklung von der Grundlagen-F. bis zur Produktion erfolgreich behandelt werden können. Durch die VO über die Leitung, Planung und Finanzierung der F. an der Akademie der Wissenschaften und an Universitäten und Hochschulen (GBl. II, Nr. 53, vom 16. 9. 1972) wird der AdW die Aufgabe übertragen, die Entscheidungsgrundlagen für die Partei- und Staatsführung über die Hauptrichtungen und Schwerpunkte der naturwissenschaftlichen F. vorzubereiten. Mit dieser Aufgabenverlagerung verlor der F.-Rat eine entscheidende Funktion. Damit sinkt zugleich seine allgemeine Bedeutung.

 

Auf gesamtstaatlicher Ebene ist die Staatliche Plankommission (SPK) das wichtigste Organ des Ministerrats für die zusammenfassende Planung der wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Entwicklung. In der Wissenschaftsplanung ist seit [S. 323]1972 die Verbindlichkeit der zentralen Pläne - Staatsplan Wissenschaft und Technik, Zentraler F.-Plan für die Gesellschaftswissenschaften - erhöht worden. Der laufende „Zentrale F.-Plan der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften der DDR bis 1975“ bestimmt die Grundrichtungen der F. auf den Gebieten der „marxistisch-leninistischen Philosophie“, der „politischen Ökonomie“ und des „wissenschaftlichen Kommunismus“. Er enthält ferner die Arbeitsschwerpunkte der Staats- und Rechtswissenschaft, der historischen und pädagogischen Wissenschaften, der Kultur- und Kunstwissenschaften und der soziologischen F.

 

Unter den wissenschaftlichen Institutionen besitzt die Akademie der Wissenschaften der DDR (AdW), Berlin (Ost), überragende Bedeutung. Sie wirkte mit ihren Sektionen und Instituten bereits bis zur Herausgabe der VO über die Leitung, Planung und Finanzierung der Akademie-F. (GBl. II, Nr. 53, vom 16. 9. 1972) maßgeblich an der Vorbereitung vor allem der langfristigen F.-Politik mit. Diese Vorbereitung erfolgte z. T. parallel zu den Arbeiten des F.-Rates, z. T. im Rahmen dieser Arbeiten. Der tatsächliche Kompetenzzuwachs erstreckt sich darauf, daß die AdW gegenwärtig a) für die Vorbereitung der forschungspolitischen Entscheidungsgrundlagen der Partei- und Staatsführung zuständig ist, und b) die wissenschaftliche Zusammenarbeit aller naturwissenschaftlichen F.-Stätten (Grundlagen-F.) sowohl innerhalb der DDR als auch mit den F.-Stätten der Akademien der RGW-Mitgliedsländer zu organisieren und koordinieren hat. Im Zuge dieser Entwicklung intensivierte sich 1972 die Zusammenarbeit zwischen der AdW, den Hochschulen, den Instituten der Ressort- und Industrie-F. und ausländischen F.-Einrichtungen. Die Zusammenarbeit umfaßt den Austausch von Personal und Information, gemeinschaftliche Nutzung der F.-Geräte und -Apparaturen, gemeinsame F.-Projekte und internationale Arbeitsgemeinschaften.

 

Als Gremien zur fachspezifischen Vorbereitung von F.-Entscheidungen und zur Koordinierung und Leitung der F. einiger Disziplinen und Fachgebiete bestehen verschiedene Wissenschaftliche Räte; z. B.: Wissenschaftlicher Rat für soziologische Forschung (Vorsitzender: Prof. Dr. Rudi Weidig) beim IfG;

 

Wissenschaftlicher Rat für marxistisch-leninistische Philosophie (Vorsitzender: Prof. Dr. Erich Hahn) beim IfG;

 

Wissenschaftlicher Rat für wirtschaftswissenschaftliche Forschung (Vorsitzender: Prof. Dr. Helmut Koziolek) bei der AdW;

 

Rat für Geschichtswissenschaft (Vorsitzender: Prof. Dr. Ernst Diehl) beim IML;

 

Rat für staats- und rechtswissenschaftliche Forschung (Vorsitzender: Prof. Dr. Gerhard Schüßler) bei der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft;

 

Wissenschaftlicher Rat für Imperialismusforschung (Vorsitzender: Prof. Dr. Werner Paff) beim Institut für Internationale Politik und Wirtschaft.

 

IV. Forschungspolitik seit 1967

 

 

Die auf dem VII. SED-Parteitag 1967 erneut und besonders nachdrücklich erhobene Forderung, Wissenschaft „zur Wirkung zu bringen“, eröffnete eine Phase erhöhter forschungspolitischer Aktivität der SED- und Staatsführung. 1966 bestanden in der DDR 1 800 F.- und Entwicklungsstellen mit 87.000 Beschäftigten. Die Zahl der F.-Themen belief sich 1965 auf ca. 17.300. Dahinter verbarg sich eine thematische und personelle Zersplitterung, die von der SED-Führung scharf kritisiert wurde. Auch die lange Bearbeitungsdauer der F.-Themen forderte immer wieder die Kritik der Parteiführung heraus. Sie forderte daher die Ausarbeitung einer exakten Konzeption der Schwerpunkte der F. und Lehre. Der Wirkungssteigerung vor allem der naturwissenschaftlichen und technischen F. wurde unter verschiedenen Aspekten besondere Bedeutung zugemessen: den begrenzten F.-Möglichkeiten eines kleineren Industriestaats (finanzielle, personelle und materielle Möglichkeiten); der Konkurrenzsituation auf den internationalen Märkten und dem Innovationstempo westlicher Industrieländer; der politischen und wissenschaftlichen Position der DDR innerhalb des RGW; der im Vergleich zur Bundesrepublik erheblich geringeren Arbeitsproduktivität in der Wirtschaft und der politischen Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik bzw. der Auseinandersetzung zwischen „Sozialismus“ und „Kapitalismus“.

 

Der Wissenschaft und F. wurde die Funktion einer „Produktivkraft“, eines „dritten Faktors“ (neben den Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital) zugewiesen. Das forschungspolitische Programm von 1967 bis 1971 verfolgte das anspruchsvolle Ziel, unter dem Slogan „Überholen, ohne einzuholen“ einen sprunghaften Fortschritt in Naturwissenschaft und Technik zu erreichen, der ausreichen sollte, um auf breiter Linie den Anschluß an das internationale Niveau („Weltniveau“) herzustellen. Zu diesem Zweck wurden sowohl die F.-Budgets erhöht als auch das wissenschaftliche Personal verstärkt. Damit parallel gingen eine engere Verflechtung von Industrie-F. und -Produktion sowie eine stärkere Konzentration des F.-Potentials in den neugebildeten Industriekombinaten einher. Das Ziel war der Aufbau der „sozialistischen Groß-F.“.

 

Die Akademie der Wissenschaften entwickelte sich im Zuge der Akademiereform aus einer Gelehrtengesellschaft mit zugeordneten F.-Einrichtungen zu einer „F.-Gemeinschaft“, die eng mit den Erfordernissen des sozialistischen Gesellschaftssystems verbunden sein soll. Verändert wurde auch das forschungspolitische Leitungssystem. Nunmehr wurde [S. 324]größerer Wert gelegt auf eine systematische Entscheidungsvorbereitung, auf die Kontrolle der F.-Durchführung sowie eine Angleichung der Planungs- und Leitungsstrukturen der F. mit denen der Produktion. Thematisch wurde die F. stärker auf die wissenschaftliche Durchdringung der Produktion und die Entwicklung kostensparender hochproduktiver Technologien und Verfahren eingestellt. Die Hauptrichtungen der Grundlagen-F. sind im Gesetz über den Perspektivplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR bis 1970 festgelegt worden. Schwerpunkte waren u. a. die F. auf dem Gebiet der Festkörperphysik und die Entwicklung hochwertiger Plaste, Elaste und Synthesefasern. Von der wirtschaftswissenschaftlichen F. wurde erwartet, daß sie gemeinsam mit der naturwissenschaftlich-technischen F. dazu beiträgt, die wissenschaftlichen Grundlagen für eine vorausschauende Strukturpolitik und die einzelnen Strukturentscheidungen zu erarbeiten.

 

Das Jahr 1971 markiert eine Tendenzwende in der F.-Politik der SED. Der VIII. Parteitag der SED (1971) und die Verabschiedung eines langfristigen Entwicklungsprogramms für die Zusammenarbeit der Mitgliedsländer der RGW („Komplexprogramm“) lösten forschungspolitische Veränderungen aus. Entscheidend war, daß das Ziel des schnellen wissenschaftlichen und technischen Fortschritts nicht mehr ausschließlich durch isolierte Anstrengungen der DDR erreicht werden sollte. Die Aktivitäten richten sich seit 1971 vielmehr stärker darauf, die internationale Zusammenarbeit mit den am stärksten industrialisierten Ländern des RGW zu vertiefen und im Rahmen dieser Zusammenarbeit zu einer Arbeitsteilung auch in Wissenschaft und Technik zu gelangen. Damit im Zusammenhang steht erneut die Forderung nach Verzicht auf „schematische“ Übernahme „kapitalistischer“ F.-Ansätze und Lösungen. Im Gegensatz zu den Jahren vor dem VIII. Parteitag werden Grundlagen-F. und angewandte F. (einschließlich Entwicklung) jetzt deutlicher als gleichwertige Arbeitsbereiche anerkannt. Inhaltlich soll sich die naturwissenschaftliche Grundlagen-F. im Zeitraum 1971–1975 auf folgende Bereiche konzentrieren: Energieerzeugung, Nutzung der vorhandenen Ressourcen, Entwicklung neuer Werkstoffe, Probleme der Stoffwandlung, mathematische und kybernetische Lösungsverfahren und die Nutzbarmachung von Erkenntnissen biologischer F. Die noch nicht abgeschlossenen Vorbereitungen für die Planung der naturwissenschaftlich-technischen Grundlagen-F. in der Phase des Fünfjahrplans 1976–1980 sehen vor, daß für folgende Disziplinen Schwerpunktprogramme entwickelt werden sollen: Mathematik, Mechanik, Kybernetik und Informationsverarbeitung, Physik (einschl. Kern- und Werkstoff-F.), Chemie, Biowissenschaften, „Geo- und Kosmoswissenschaften“ und ingenieurwissenschaftliche Grundlagenbereiche. Übereinstimmend wird die Überführung von F.-Resultaten in die industrielle Fertigung als die traditionell schwächste Stelle in der Kette: Grundlagen-F. – angewandte F. – Entwicklung – Produktion, angesehen. In allen F.-Bereichen — auch in der Grundlagen-F. — wird deshalb starkes Gewicht auf eine wirksamere Organisation der Überleitungsprozesse gelegt, da hier erhebliche Produktivitätsreserven vermutet werden.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 316–324


 

Formgestaltung, Industrielle A, B, C, D, E, F, G, H, I, J, K, L, M, N, O, P, Q, R, S, T, U, V, W, Z Forschungsgemeinschaft

 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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