Gesundheitswesen (1975)
I. Struktur- und Organisationsprinzipien
Das G. ist staatlich organisiert. Struktur und Organisation gleichen weitgehend, sieht man von dem niedrigen Prozentsatz privat praktizierender Ärzte und Zahnärzte, der Existenz kirchlicher Krankenhäuser und Pflegeheime z. B. ab, denen des G. der UdSSR. Das System ist durchgängig gegliedert in Hygiene-Aufsicht, Arzneimittelversorgung und Apothekenwesen und die „Medizinische Betreuung der Bevölkerung“, die ihrerseits aufgeteilt ist auf den „Sektor der stationären Betreuung“, d. i. das Krankenhauswesen, und den „Sektor der ambulanten Betreuung“, d. i. die medizinische Versorgung außerhalb des Krankenhauses. Diese wiederum ist gegliedert in die Einrichtungen des „Betriebsgesundheitsschutzes“ und die „territoriale Organisation der ambulanten Betreuung“. Auf der Kreisebene, also in jedem der 191 Land- und 26 Stadtkreise sowie in den 8 Stadtbezirken Ost-Berlins sind diese Einrichtungen der medizinischen Betreuung administrativ zusammengefaßt als „Medizinische Einrichtungen des Kreises“ (z. T. auch noch unter den älteren Bezeichnungen „Vereinigte Gesundheitseinrichtungen“ oder „Medizinisches Zentrum des kommunalen Gesundheitswesens“) und werden medizinisch geleitet von einem „Ärztlichen Direktor“, der dem Kreisarzt als Leiter der „Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen des Rates des Kreises“ (bzw. der Stadt) untersteht. Unter dieser gemeinsamen Leistung sind die Sektoren, voneinander gesondert und hierarchisch gegliedert, je einer „Leiteinrichtung“ unterstellt. Das ist im ambulanten Sektor die Kreispoliklinik, der Ambulatorien und Staatliche Arzt- und Zahnarztpraxen nachgeordnet sind, daneben auch die wenigen noch „hauptberuflich in eigener Niederlassung tätigen Ärzte“ (Zahnärzte). Im Betriebsgesundheitswesen stehen unter der Leitung des „Kreisbetriebsarztes“ die Betriebspolikliniken, Betriebsambulatorien, Arztsanitäts- und Schwesternsanitätsstellen.
In den 14 Bezirken und in Ost-Berlin ist das G. unter der Leitung des Bezirksarztes in der „Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen des Rates des Bezirks“ (in Ost-Berlin unter dem Leiter der Abteilung Gesundheits- und Sozialwesen des Magistrats) zusammengefaßt. Übergeordnet ist als staatliche Leitung des Gesundheits- und Sozialwesens das Ministerium für Gesundheitswesen. Die politische, auch die gesundheitspolitische Steuerung liegt indessen beim Politbüro und beim Sekretariat des ZK der SED mit dessen Abteilung Gesundheitswesen unter der Leitung der Mediziner Dr. Werner Hering und Dr. Rudolf Weber.
II. Besondere Medizinische Dienste
Neben dem, Staatlichen G. im engeren Sinn gibt es „Medizinische Dienste“ (MD) bei anderen Zweigen der staatlichen Organisation, nämlich je einen MD der Nationalen Volksarmee, der Deutschen Volkspolizei und des Verkehrswesens (Ministerium für Verkehrswesen) und schließlich den Sportmedizinischen Dienst des Staatlichen Komitees für Körpererziehung und Sport beim Ministerrat. Mit dem „Staatlichen G.“ des Ministeriums für G. sind diese MD nur lose koordiniert. Sie haben jedoch im wesentlichen gleiche Einrichtungen und die gleiche Arbeitsweise.
III. Einrichtungen des Gesundheitswesens
A. Das Krankenhauswesen
Das Krankenhauswesen unterscheidet sich nicht wesentlich von dem der Bundesrepublik Deutschland. Es gibt (Anfang 1974) 588 Anstalten mit ca. 185.000 Betten, d. s. 108 Betten auf 100.000 Einw. (Bundesrepublik: 108). Nur 98 Krankenhäuser mit 13.130 Betten sind noch in Händen der Religionsgemeinschaften oder „sonstiger privater Eigentümer“. 1950 waren es 299 Anstalten mit 19.429 Betten. 7 davon sind Psychiatrische Anstalten. Die mittlere Anstaltsgröße liegt mit 315 Betten hoch (Bundesrepublik: 195). Knapp die Hälfte aller Krankenhäuser haben weniger als 200 Betten (Bundesrepublik: 70 v. H.), fast 20 v. H. mehr als 500 Betten (Bundesrepublik: 7,2 v. H.). Ein „Prozeß der Konzentration“ der Betten auf größere Krankenhäuser wird planmäßig vollzogen. Gliederung in Fachabteilungen ist die Regel; Betten ohne Fachzuordnung machen nur 0,5 v. H. aus (Bundesrepublik: 3,4 v. H.); die Hauptfachrichtungen Innere Medizin, Chirurgie, Frauenheilkunde und Kinderheilkunde nehmen rd. 60 v. H. aller Betten in Anspruch (Bundesrepublik: 62 v. H.), die Psychiatrie 18,2 v. H. (Bundesrepublik: 16,4 v. H.).
In jedem Kreis und jedem Bezirk hat ein Krankenhaus als Kreis- bzw. Bezirkskrankenhaus, im Verhältnis zu den anderen Krankenhäusern des Bereichs die Aufgaben einer „Leiteinrichtung“, im Rahmen der stationären Versorgung der Bevölkerung aber etwa die Funktion eines Krankenhauses der Regel- bzw. der Zentralversorgung in der Bundesrepublik. Rund 10 v. H. aller Betten befinden sich in Kliniken von Hochschulen und wissenschaftlichen Instituten (Bundesrepublik: 6 v. H.).
Die Ausrüstung der kleinen und mittleren Krankenhäuser nähert sich nur langsam dem Standard von Anstalten vergleichbarer Funktion in westlichen In[S. 376]dustrieländern; Krankenhäuser der Zentralversorgung hingegen stehen in der medizin-technischen Ausrüstung hinter denen westlicher Ländern wenig, Hochschulkliniken kaum zurück. Das gilt jetzt auch für die hochtechnisierten Zweige von Diagnostik und Therapie.
Die mittlere Verweildauer aller Patienten beträgt 22,0 Tage (Bundesrepublik: 24,3), ohne Psychischkranke und Tuberkulosekranke 17,2 (Bundesrepublik: 19,6).
In früherer Planung („Rahmenkrankenhausordnung“ 1951) war den Krankenhäusern die Führung in der medizinischen Versorgung überhaupt zugedacht: jedes Krankenhaus sollte mit einer Poliklinik oder einem Ambulatorium verbunden sein und in dieser „Einheit Krankenhaus/Poliklinik“ die Funktion des Gesundheitszentrums in einem fest umgrenzten „Versorgungsbereich“ haben, sein Ärztlicher Direktor für die „medizinische Betreuung“ darin verantwortlich sein. Diese „Einheit der ambulanten und stationären Betreuung“ ist 1971 offiziell aufgegeben worden.
B. Polikliniken, Ambulatorien und staatliche Praxen
Im Zuge der Verstaatlichung des G. sind seit 1947 Polikliniken und Ambulatorien in allen Land- und Stadtkreisen errichtet worden. Staatliche Arzt- und Zahnarztpraxen kamen von 1956 an hinzu. Nach jetzigen Normen soll eine Poliklinik (P) mindestens 5 fachärztliche Abteilungen, eine zahnärztliche Abteilung, Einrichtungen für die physikalische Therapie und eine Apotheke umfassen, ein Ambulatorium, mindestens 2 fachärztliche Abteilungen (Allgemeinmedizin und Kinderheilkunde) und 1 zahnärztliche Abteilung; Fachärzte weiterer Fachrichtungen aus der übergeordneten Poliklinik halten hier regelmäßige Sprechstunden. Polikliniken wie Ambulatorien sollen nach dem „Dispensaire-Prinzip“ arbeiten (vgl. Abschnitt VI). Als Kreis- bzw. Bezirkspoliklinik ist jeweils eine P „Leiteinrichtung“ im Territorialsystem der ambulanten medizinischen Versorgung, der alle übrigen Einrichtungen dieses Sektors nachgeordnet und fachlich unterstellt sind. Für ihre personelle und apparative Ausrüstung sind Normen festgelegt, die ihr ermöglichen sollen, die Aufgaben der zentralen Einrichtung zu erfüllen. Diese Normen werden nur sehr langsam erreicht (vgl. Abschn. IX). Der Versorgungsbereich des Ambulatoriums im territorialen System wird je nach Wohndichte durch staatliche Arztpraxen und Zahnarztpraxen untergliedert. Die feste Aufteilung in „Arztbereiche“ allerdings ist mit der Einführung der freien Arztwahl in der Grundversorgung Ende 1973 entfallen (vgl. Abschn. IX). Staatliche Praxen sind überwiegend frühere Einzelpraxen niedergelassener Ärzte und Zahnärzte in ländlichen Gebieten; vereinzelt sind Neubauten errichtet worden. Den Ambulatorien und staatlichen Arztpraxen sind regelmäßig Gemeinde-Schwesternstationen zugeordnet; nach Möglichkeit sind sie — ebenso wie die Hebammen — im gleichen Hause untergebracht.
Neben den Ambulatorien gibt es an kleineren Krankenhäusern ländlicher Gebiete Ambulanzen, die direkt von den Krankenhausärzten versorgt werden. Bestand Anfang 1974: 296 P. (ohne Betriebs-P. und ohne Universitäts-P.), davon 150 noch in organisatorischer Vereinigung mit einem Krankenhaus; 612 Stadt- und Landambulatorien, davon 55 bei einem Krankenhaus; 989 Ambulanzen, 1536 Staatliche Arzt- und 859 Zahnarztpraxen. Zugeordnet 4.957 Gemeindeschwesternstationen (neben noch 223 Konfessionellen Stationen; 1950 war das Verhältnis 2.620 zu 944).
C. Das Betriebsgesundheitswesen
Schon 1947 ist von der sowjetischen Besatzungsmacht großen Betrieben aufgegeben worden, medizinische Untersuchungs- und Behandlungsstellen zu errichten und zu unterhalten. Ihre Aufgaben gingen also von Anfang an über die traditioneller deutscher Werkärzte hinaus. Seit 1954 gelten die folgenden Richtwerte nach Beschäftigtenzahlen für Betriebe der produzierenden Wirtschaft, des Verkehrs und der Landwirtschaft (in Klammern die Richtwerte für Betriebe der übrigen Wirtschaft, der Verwaltung und des Schul- und Hochschulwesens): von 50 bis zu 200 (150–500) die Gesundheitsstube mit nebenamtlicher Besetzung durch Kräfte des Deutschen Roten Kreuzes; bei 200–500 (500–1.000) die Schwesternsanitätsstelle (a) mit medizinischem Arbeitsplatz für die Betriebsschwester und Sprechstunden des (nebenamtlich tätigen) Betriebsarztes; bei 500–1000 (1000–3.000) die Arztsanitätsstelle (b) mit Arbeitsplatz für den in Teilzeit tätigen Betriebsarzt, die Betriebsschwester und den Medizinischen Assistenten (Betriebshygieneinspektor); bei 2.000–4.000 (über 3.000) das Betriebsambulatorium © mit Arbeitsplätzen für mindestens 2 (vollbeschäftigte) Ärzte und 1 Zahnarzt neben den Betriebsschwestern und Betriebshygieneinspektoren; oberhalb 4.000 die Betriebspoliklinik (d) mit mindestens 5 fachärztlichen und zahnärztlichen Behandlungsabteilungen. Für manche Wirtschaftszweige sind die Richtwerte höher angesetzt. Das Personal gehört dem Staatlichen Gesundheitsdienst an; auf Auswahl und Arbeitsweise nehmen die Betriebe und die betrieblichen ➝Gewerkschaftsleitungen starken Einfluß.
Bestand Anfang 1974: (a) 1251; (b) 2.086; © 267; (d) 102. Die Zahl der Ärzte, die im B. tätig sind, wird nicht gesondert ausgewiesen.
Aufgaben: Ambulante (Sprechstunden-)Beratung und Behandlung (auch betriebsfremder Personen, insbesondere der Familienangehörigen von Beschäftigten) und Kontrolle der Arbeitsbefreiung, Erste Hilfe bei Unfällen, vor allem aber „prophylaktische“ [S. 377]und „metaphylaktische“ Versorgung der Beschäftigten im Sinne einer umfassenden Präventivmedizin nach dem Dispensaire-Prinzip (siehe Abschn. V) und arbeitshygienische Überwachung aller Beschäftigten, zumal derjenigen, die besonderen Risiken ausgesetzt sind, sowie der Frauen und der Jugendlichen; Unfallverhütung und Überwachung der Betriebsküchen.
In einem durchgängig zentral gesteuerten G. kann auf eine einheitliche Lenkung auch des B. nicht verzichtet werden. Diese bereitet jedoch Schwierigkeiten: Die Aufgaben der Untersuchung und Behandlung und der vor- und nachsorgenden Überwachung gehören ihrer Natur nach der allgemeinen ambulanten Versorgung der Bevölkerung an; sie sind aus organisatorischen Gründen bei den Betrieben angesiedelt und verlangen nach Koordination mit dem „territorialen“ System der medizinischen Versorgung. Die arbeits- und industriehygienischen Aufgaben dagegen sind weitgehend spezifisch für die verschiedenen Wirtschaftszweige. Sie verlangen nach zentraler Lenkung für jeden Industriebereich u. ä. Dafür ist hier das Prinzip der „Leiteinrichtung“ modifiziert worden: Innerhalb jedes Industriezweiges wird das B. von einer großen Betriebspoliklinik als Leiteinrichtung für die speziellen Erfordernisse der Arbeitshygiene koordiniert: „Für die wichtigsten Industriezweige sind an der Stelle ihrer größten Konzentration Leiteinrichtungen aus Betriebspoliklinik, Betriebskrankenhaus und Arbeitshygienischer Abteilung einzurichten“ (Perspektivplan zur Entwicklung … des Gesundheitswesens, Juli 1960). Dafür bestehen bei Betriebspolikliniken 40 Arbeitshygienische Abteilungen und 184 Arbeitshygienische Untersuchungsstellen. Zentrale Leitstelle ist das Zentralinstitut für Arbeitsmedizin in Ost-Berlin. Zugleich aber sind alle Einrichtungen des B. in jedem Kreis organisatorisch verbunden und der Aufsicht der größten Betriebspoliklinik im Kreis unterstellt, deren Leiter Kreisbetriebsarzt ist. In den großen Industriestädten sind „Zentrale Betriebspolikliniken“ eingerichtet mit z. T. unterschiedlicher Zuständigkeit für die Industriebetriebe. Betriebsarztbereiche (vgl. dazu Abschn. IV) verschaffen auch kleineren Betrieben die Versorgung durch hauptamtliche Betriebsärzte und ermöglichen dort Dispensaire-Überwachung.
Im Vergleich zu den arbeitshygienischen Aufgaben ist die Tätigkeit in Diagnostik und Behandlung von Krankheiten gering: Im Betriebsgesundheitswesen finden weniger als 15 v. H. aller ärztlichen Behandlungen der staatlichen Einrichtungen statt (14,9 v. H. der Behandlungsfälle, 14,1 v. H. der Beratungen).
IV. Bereichsgliederung
Der zentralistische Aufbau des G. trägt eine natürliche Tendenz zur Reglementierung der Zuständigkeit jeder Einrichtung für örtliche bzw. regionale Bereiche in sich. In der Organisation der Einrichtungen in Kreisen und Bezirken hat sich das frühzeitig abgezeichnet (1951). Jedes Krankenhaus, jede Poliklinik und jede ihr nachgeordnete Einrichtung, auch jeder einzelne Arzt sollte einen fest umschriebenen Versorgungsbereich „betreuen“. Dem Bereichsarzt sollten auch die Aufgaben der Hygieneaufsicht in seinem Bereich zukommen. Der Nutzen einer ständigen Steuerung der Behandlung und der Überwachung und Führung jedes Patienten scheint offensichtlich. Freie Arztwahl war damit nicht vereinbar. Sie wurde praktisch aufgehoben, formal darauf beschränkt, daß innerhalb einer „zuständigen“ Einrichtung zwischen mehreren Ärzten der gleichen Fachrichtung, falls vorhanden, die Wahl frei blieb. Krankenhaus und Poliklinik jeder Gebietseinheit wurden organisatorisch zusammengefaßt. Jeder Facharzt sollte seine Patienten aus der Sprechstunde ggf. im Krankenhausbett weiterbehandeln. Damit sollte ein besonders rationeller Verlauf von Diagnostik und Behandlung erreicht werden. Für die knappen diagnostisch-technischen Einrichtungen schien damit eine optimale Nutzung ermöglicht. Diese Regelung hat sich jedoch organisatorisch nicht durchhalten lassen; sie ist 1971 aufgegeben worden. Von ihr zeugt in vielen Kreisen noch die Bezeichnung „Funktionseinheit Krankenhaus/Poliklinik“. Die Einsparung vermeidbarer diagnostisch-technischer Wiederholungsuntersuchungen vor und nach Krankenhausaufnahme und die Kommunikation zwischen Ärzten beider Sektoren stellen nach deren Trennung schwierige organisatorische Aufgaben. Der Aufhebung der freien Arztwahl hat der Großteil der Bevölkerung widerstrebt. Vorbereitung und Beschlüsse des VIII. Parteitags der SED (1971) sind darauf schließlich eingegangen. Im „Gemeinsamen Beschluß …“ (vgl. Abschn. IX) vom 25. 9. 1973 ist das Recht aller Bürger ausdrücklich bestätigt worden, wenigstens in der Grundversorgung durch Allgemeinärzte und Kinderärzte „den Arzt ihres Vertrauens (Hausarzt) zu wählen und ohne Schwierigkeiten dessen Rat einzuholen und seine Hilfe in Anspruch zu nehmen“. Das „Bereichsarztsystem“ ist damit aufgegeben. Für die übrige fachärztliche Versorgung und für die Ambulatorien, Polikliniken und Krankenhäuser als Institutionen besteht das Prinzip des Versorgungsbereichs weiter.
Das Betriebsgesundheitswesen hat auch in dieser Hinsicht eine Sonderstellung frühzeitig erlangt und behalten. Die Beschäftigten können sich dem direkten Zugriff der Einrichtung ihres Betriebes nicht entziehen. Da diese Einrichtungen — anders als in den meisten westlichen Ländern — auch Krankheitsbehandlung wahrnehmen und diese auch die Familienangehörigen der Beschäftigten umfassen darf, entstehen hier Überschneidungen, aber auch Aus[S. 378]weichmöglichkeiten mindestens bei Krankheiten mit Bettlägerigkeit. Das bringt Schwierigkeiten des Übergangs und der Kommunikation zwischen Ärzten des Betriebsgesundheitswesens und des territorialen Systems mit sich, für die befriedigende Lösungen nicht gefunden worden sind.
V. Vor- und Nachsorge - Das Dispensaire-Prinzip
Frühzeitig ist im G. der DDR — dem Vorbild der UdSSR folgend — das Prinzip der Vorbeugung („Prophylaxe“) in der Medizin (also Gesundheitserziehung, Vorsorge und Krankheitsfrüherkennung) betont die Mitwirkung an der Gesundheitserziehung zur Aufgabe aller Fachkräfte in der medizinischen Versorgung gemacht worden. Dem dienen die „Kabinette“ und „Ecken“ der Gesundheitserziehung in allen Krankenhäusern und Polikliniken. Es gehört zur Pflicht aller Ärzte, ein Achtel ihrer Arbeitszeit für Gesundheitserziehung zu verwenden. Zentrale Leiteinrichtungen sind das Nationale Komitee für Gesundheitserziehung und das Deutsche Hygienemuseum (in Dresden seit 1911), dieses vor allem für die Entwicklung und Bereitstellung von Unterrichtsmaterial.
Für die präventivmedizinische Arbeit im weitesten Sinn ist (erstmals in der UdSSR) das Dispensaire-Prinzip entwickelt worden. „Dispensaire“ ist die (aus dem Französischen übernommene) russische Bezeichnung medizinischer Beratungs- und Behandlungsstellen für bestimmte Krankheiten. Jetzt kennzeichnet das Wort die Zentralisierung von Verhütung („Prophylaxe“), Früherkennung (durch „Reihenuntersuchungen“, neuerdings auch „Siebuntersuchungen“ — vgl. in der Bundesrepublik „Filteruntersuchungen“) und Behandlung einer bestimmten Krankheit mitsamt der Nachsorge („Metaphylaxe“) für diese Kranken und deren Rehabilitation — also ein Arbeitsprinzip, nicht unbedingt eine besondere Einrichtung. In diesem Sinne wird das Dispensaire-Prinzip auf vielerlei verbreitete chronische Krankheiten angewandt, zumal solche, die das Leistungsvermögen nachhaltig beeinträchtigen: Tuberkulose, Krankheiten des Kreislaufs (Bluthochdruck) und seiner Organe, Diabetes, Magenkrankheiten, Rheumaleiden usf., aber auch für psychische Störungen bei Jugendlichen u. a. Die Zentralisierung bei bestimmten Einrichtungen wird am besten mit der Bezeichnung „…-Zentrum“ verdeutlicht. Soll die medizinische Versorgung der Gefährdeten und Kranken auf bestimmten Gebieten möglichst vollzählig gelingen, so ist eine „Meldepflicht“ (Anzeigepflicht) naturgemäß das meistversprechende Mittel der Erfassung. Demgemäß sind nach der Tuberkulose und den Geschlechtskrankheiten einer solchen Anzeigepflicht unterworfen worden, auch Geschwulstleiden (1951), Diabetes, Fehlbildungen und schließlich psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen (1954). Von diesen Krankheiten abgesehen hat das Dispensaire-Prinzip Bedeutung vor allem im Betriebsgesundheitswesen, dessen Einrichtungen z. T. damit eine wirksame Früherfassung und -behandlung chronischer Krankheiten unter Erhaltung der Leistungsfähigkeit erzielen. Versucht wird, das Prinzip auch in den Polikliniken durchzusetzen, indem die Behandlung bestimmter Krankheiten bei Ärzten zusammengefaßt wird, die sich darauf spezialisieren.
Vorsorge und Früherkennung haben ihre Schwerpunkte in der Überwachung aller Schwangeren, in der Jugendgesundheitspflege und im Betriebsgesundheitsschutz. Ein dichtes Netz von Schwangerenberatungsstellen, seit der Freigabe der Schwangerschaftsunterbrechung verbunden mit einem Netz von Ehe- und Sexualberatungsstellen, dient dem ersten Schwerpunkt (Mutterschutz; Schwangerschaftsverhütung und -Unterbrechung).
Jugendgesundheitspflege beginnt mit der Mütterberatung, deren Tätigkeit sich bis zum Ende des 3. Lebensjahres auf jedes Kindes erstrecken soll. Ihre Aufgabe umfaßt die Überwachung der körperlichen und geistigen Entwicklung und die Früherkennung von Fehlbildungen, Krankheiten und Entwicklungsstörungen, die Schutzimpfungen und die Rachitisprophylaxe, daneben auch die Beratung der Eltern in medizinischen und sozialen Fragen. Bestand Anfang 1974: 249 Hauptstellen mit 2.315 Neben- und 7.510 Außenstellen (in den Neben- und Außenstellen Sprechstunden nur in größeren Abständen). 95,4 v. H. aller Säuglinge werden dort ärztlich überwacht, davon 78 v. H. schon innerhalb der ersten vier Lebenswochen; nur 2,6 v. H. werden später als sieben Wochen nach der Geburt erstmals vorgestellt. Noch im 3. Lebensjahr liegt der Anteil der überwachten Kinder bei 62 v. H. 1972 sind 2.835.930 Beratungen geleistet worden, 90 v. H. davon durch Ärzte, und zwar fast ausschließlich Fachärzte und Ausbildungsassistenten der Kinderheilkunde. Fast 527.000 Hausbesuche haben stattgefunden, d. s. 2,6 pro Lebendgeborenen. 36.631 Kinder sind in Dispensaire-Überwachung genommen worden. Sie umfaßt in erster Linie Fehlbildungen und Stoffwechselstörungen, aber auch psychische und körperliche Entwicklungs- und neuerdings auch Ernährungsstörungen.
Vom Kindergartenalter bis zur Schulentlassung baut der Jugendgesundheitsschutz auf Reihenuntersuchungen auf: In 2 „Einschulungsuntersuchungen“ — vor und nach der Einschulung — und je 1 Untersuchung in der Mittelstufe und zum Schulabschluß werden jeweils ca. 93 v. H. der Schüler erfaßt. Die Ausführung liegt vielfach noch bei Allgemeinärzten (mit Zuständigkeit nach dem Bereichsarzt-Prinzip), z. T. aber schon bei Jugendärzten, d. s. speziell fortgebildete Kinder- oder Allgemeinärzte. Ziel ist, Krankheiten und Schwächen früh zu erkennen und der Behandlung zuzuführen; folgenschwere Krank[S. 379]heitszustände werden in Dispensaire-Überwachung genommen. Fehlbildungen, Körperbehinderungen und psychische Störungen einschließlich Krampfleiden sowie Schädigungen des Seh- und des Hörvermögens bei Kindern und Jugendlichen unterliegen dafür schon seit 1954 der Anzeigepflicht. Angestrebt wird auf diesem Wege die rechtzeitige Vorbereitung einer eventuell erforderlichen Rehabilitation, jedenfalls aber die Sicherung voller Schulbildung und Berufsfähigkeit.
Mit dem Beginn der Berufsausbildung bzw. Berufstätigkeit geht der Jugendgesundheitsschutz auf das Betriebsgesundheitswesen über. Jugendliche unterliegen hier wie alle Beschäftigten, die besonderen Risiken in der Berufsarbeit ausgesetzt sind (Arbeit unter Hitze-, Chemikalien- u. ä. Belastung), und wie Schwangere besonderer prophylaktischer Überwachung. Auch dies geschieht durch Reihenuntersuchungen u. dgl. und bei Aufdeckung von Krankheitszeichen durch Dispensaire-Überwachung (Arbeitshygiene). 1972 sind im Betriebsgesundheitswesen 312.000 Einstellungsuntersuchungen, 901.000 gesetzlich vorgeschriebene Überwachungsuntersuchungen (d. s. 94 v. H. des Solls) und 618.000 sonstige Pflichtuntersuchungen vorgenommen worden, dazu aber 600.000 allgemeine Vorsorgeuntersuchungen.
VI. Medizinisches Personal
A. Ärzte und Zahnärzte
Ärzte (Ä) und Zahnärzte (ZÄ) sind in dem staatlichen G. der DDR grundsätzlich im Angestelltenverhältnis tätig. Freiberuflich „in eigener Praxis tätige Ä“ (ZÄ) sind als Übergangserscheinung begrenzter Dauer zu verstehen.
Das medizinische wie das zahnmedizinische Studium dauert 5 Jahre. Ein neuer Studienplan sollte Ende 1974 zur Diskussion gestellt und 1975 eingeführt werden. Das Studium schließt mit dem Diplomexamen (an Stelle des früheren medizin. Staatsexamens) ab (Diplomordnung vom 21. 1. 1969 — GBl. II, S. 105). Es verlangt den Nachweis, daß der Kandidat „eine bestimmte wissenschaftliche Aufgabe unter Anleitung erfolgreich lösen kann“. Der Doktortitel kann erst nach Erlangung des Diploms erworben werden, also nicht während des Studiums, sondern erst während der Facharztausbildung oder im Anschluß daran (in einer „Aspirantur“ bei einer Forschungseinrichtung - Aspirantenordnung vom 22. 9. 1972 — GBl. II, S. 648). Die Promotion zum Dr. med. verlangt „Forschungsergebnisse, die dazu beitragen, das wissenschaftliche Niveau in Medizin und Stomatologie weiterzuentwickeln“; der Kandidat muß „nachweisen, daß er wissenschaftliche Aufgaben erfolgreich lösen und Wege für ihre praktische Nutzung weisen kann“ (Promotionsordnung A vom 21. 1. 1969, GBl. II, S. 105). Die nächste Stufe der akademischen Grade in der Medizin (und Stomatologie) ist der „Doktor der Medizinischen Wissenschaften“ (Dr. sc. med.). Er entspricht der früheren Habilitation (Promotionsordnung B).
Aufgrund des Diploms wird dem Diplommediziner die ärztliche Approbation erteilt. Diese aber berechtigt für sich allein nur zur ärztlichen Tätigkeit als „Ausbildungsassistent“ (oder als „Ausbildungskandidat“ in einer Forschungseinrichtung). Verantwortliche ärztliche Arbeit im ambulanten wie im stationären Sektor des G. setzt die Anerkennung als Facharzt (FA) voraus, sei es die des „FA für Allgemeinmedizin — Praktischer Arzt“, sei es die für ein Spezialgebiet („Fachrichtung“). Die Ausbildung hierfür (auch „Weiterbildung“ genannt) dauert ausnahmslos 5 Jahre. Sie kann nur an eigens zugelassenen Krankenhäusern, Polikliniken usw. unter der Verantwortung eines zugelassenen Ausbildungsleiters durchlaufen werden. Die Stellen sind kontingentiert („Ausbildungsstellen“). Damit wird der Zugang zu den Fachrichtungen gelenkt. Die FA-Ausbildung steht unter der Aufsicht der Akademie für Ärztliche Fortbildung bzw. der ihr nachgeordneten Bezirksakademien des Gesundheits- und Sozialwesens, an denen für die Ausbildung in jeder Fachrichtung bestimmte Lehrgänge durchlaufen werden müssen. Sie wird mit einer staatlichen Prüfung vor einer Bezirksfachkommission in der Zuständigkeit der Akademie abgeschlossen. Eine detaillierte Regelung von Ausbildungsgang, Anforderungen an die Ausbildungseinrichtungen und -leiter (sowie deren „Qualifizierung“, also Ausbildung) und der Prüfungsvorschriften befindet sich in Vorbereitung.
Die FA-Ordnung von 1967 umfaßt 33 Fachrichtungen (in der Bundesrepublik 23 - beides einschl. FZÄ). Darunter befinden sich der FA für Allgemeinmedizin (Praktischer Arzt) und für Allgemeine Stomatologie (Prakt. ZA). Weitere FA-Ausbildungen können u. a. für die Fachgebiete Arbeitshygiene, Sozialhygiene, Hygiene, Physiotherapie, Kinderchirurgie, Kinderneurologie und Kinderstomatologie erwartet werden. Der Erwerb mehrerer FA-Qualifikationen ist nicht zulässig. Vielmehr kann nach dem Erwerb der FA-Anerkennung eine „weitere Spezialisierung“ in spezieller Weiterbildung durchlaufen werden (z. B. zum Kardiologen, Jugendarzt, Sportarzt). Dafür finden Lehrgänge bei der Akademie für Ärztliche Fortbildung und bei den Bezirksakademien statt.
Bestand an Ä Anfang 1974: 29.275, d. i. 1 A auf 580 Einw. (Bundesrepublik: 592 Einw.). Ca. 65 v. H. der Ä besitzen die FA-Anerkennung (einschl. FA für Allgemeinmedizin); die Aufgliederung auf die Fachrichtungen wird nicht veröffentlicht. Im stationären Sektor waren Anfang 1973 10.100 Ä beschäftigt, im ambulanten Sektor 12.300. Indessen dürfen diese Zahlen nur unter Vorbehalt verwendet werden: „Teilbeschäftigung“ ist sehr häufig; darum werden alle Zahlen beschäftigter Ä (und ZÄ) auf „Voll[S. 380]beschäftigteneinheiten“ umgerechnet angegeben, also die geleisteten Anteile der vollen Wochenarbeitszeit in der beschäftigenden Einrichtung aufgerechnet. Da sehr viele Ä bei verschiedenen Einrichtungen in Teilbeschäftigung stehen, wirkliche Teilzeitarbeit aber kaum vorkommt, ist die Zahl der Vollbeschäftigungseinheiten größer als die Zahl der tatsächlich tätigen Ä. Ein großer Teil der Ä arbeitet also mehr als die übliche Wochenarbeitszeit; eine besondere Rolle spielt dabei die Nebentätigkeit von „in eigener Niederlassung tätigen Ä“ in staatlichen Einrichtungen. Tatsächlich dürften von allen berufstätigen Ä rd. 35 v. H. ihrer Hauptbeschäftigung in einer stationären Einrichtung, 43 v. H. in einer ambulanten Einrichtung nachgehen. Etwa 17 v. H. sind überwiegend von anderen Tätigkeiten absorbiert, vor allem von Verwaltungsaufgaben, von den oben genannten Medizinischen Diensten, von der nicht-klinischen Forschung und schließlich — zu nicht bekanntgegebenen Anteilen — von Beratungsstellen und von der Hygiene-Aufsicht. „In eigener Niederlassung“ waren Anfang 1973 noch 1633 Ä tätig, gegenüber ca. 3.200 im Jahr 1960; das sind nur 5,7 v. H. aller berufstätigen Ä. Immerhin ist das ein Siebentel der ambulant tätigen Ä, und ihr Leistungsanteil — der nicht veröffentlicht wird — dürfte noch erheblich höher liegen. Der Altersaufbau dieser Gruppe ist jedoch äußerst ungünstig; seit 1949 sind neue Niederlassungen auf seltene Ausnahmen beschränkt gewesen. Die Zahl der freiberuflich tätigen Ä wird also rasch weiter abnehmen.
Die Zahl der Zulassungen zum Medizinstudium (einschl. Zahnmedizin) liegt bei 1900 im Jahr, die Zahl der Absolventen bei 1500. Daraus resultiert — bei noch immer ungünstiger Altersgliederung der gegenwärtig berufstätigen Ä und ZÄ — ein jährlicher Nettozuwachs von 1000 Ä (ZÄ s. u.) oder rd. 3,5 v. H. Mit rascher weiterer Zunahme der Zahl berufstätiger Ä. ist also zu rechnen, zumal Ärztinnen in der DDR nach Heirat die Berufstätigkeit gewöhnlich nicht aufgeben. Das angestrebte gesundheitspolitische Ziel für 1980 (1 A auf 520 Einw.) kann damit sehr wahrscheinlich erreicht werden. Das Sozialprestige der Ä dürfte jedoch von einer so hohen Arztdichte mit der Zeit ungünstig beeinflußt werden.
Die Situation der Zahnärzte ist stets parallel zu der der Ä verlaufen; dies gilt für ihre Hochschulbildung, Berufszulassung und Facharztausbildung wie auch für ihre Berufsausübung (die Dentisten sind schon 1949 in die Gruppe der ZÄ überführt, Dentisten neu nicht mehr ausgebildet worden). Für sie spielt aber Tätigkeit im stationären Sektor naturgemäß keine nennenswerte Rolle (ca. 550 Betten für Stomatologie, wohl alle an Hochschulkliniken). Auch für die ZÄ schließt ein 5jähriges Studium mit der Diplomprüfung ab. Nach der Approbation ist für jeden Diplomstomatologen die Fachausbildung in der Stomatologie obligatorisch (die Fachrichtung wird mit dem sowjetrussischen Fremdwort bezeichnet, heißt also nicht Zahnheilkunde). Sie führt zur staatlichen Anerkennung als FA für Allgemeine Stomatologie (Prakt. ZA), als FA für Kinderstomatologie oder als FA für Kieferorthopädie. Die Ausbildung wird an ambulanten Einrichtungen durchlaufen; dazu gehören Lehrgänge der Akademie für Ärztliche Fortbildung oder der (regional zuständigen) Bezirksakademie.
Bestand Anfang 1974: 7.558 ZÄ, d. i. 1 ZA auf 2.247 Einw. (Bundesrepublik: 1958). Von ihnen waren immerhin 2.054 oder ca. 27 v. H. „in eigener Niederlassung“, also freiberuflich tätig. Es bestehen gegenwärtig 859 Staatliche ZA-Praxen, d. s. fast durchweg verstaatlichte Einzelpraxen, die verwaist sind oder deren Inhaber in den staatlichen Dienst übergegangen ist. Fast 4.500 ZÄ arbeiten in Ambulatorien, Polikliniken und Einrichtungen des Betriebsgesundheitswesens.
B. Mittlere medizinische Fachkräfte
Die medizinischen Fachkräfte ohne Hochschulausbildung sind schon von 1950–1955 nachdem Muster der UdSSR in eine systematische Ordnung gebracht worden, die, trotz vieler Änderungen in dem anfangs sehr schematischen Aufbau, in den Grundzügen bestehen geblieben ist. Unterschieden werden Mittlere medizinische Berufe und Medizinische Hilfsberufe. Einheitlich gelten die „Grundsätze für die Gestaltung des einheitlichen sozialistischen Bildungssystems“. Jede Stufe der Berufsausbildung soll auf zwei Wegen erreicht werden können: von der 10klassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule (bzw. von der erweiterten Oberschule mit dem Abitur als Abschluß) aus im „Direktstudium“ mit rein schulischer Ausbildung in Fach- bzw. Hochschule mit eingeschobenen Praktika einerseits, andererseits aber von einer Lehr- oder Anlernausbildung im Anschluß an die (vorerst noch) 8klassige allgemeinbildende Schule her mit berufsbegleitenden Lehrgängen (Betriebsschulen und in Abend- oder Fernstudium bei Fach- und Hochschulen). Formal wie praktisch sollen beide Wege zu gleichen Ergebnissen führen, also zu gleichen Diplomen und gleichen Qualifikationen.
Die Medizinischen Hilfsberufe (MHB) sind Lehrberufe mit ausbildungsbegleitendem Unterricht; die Ausbildung schließt ab mit dem Facharbeiterbrief. Beispiele: Apothekenfacharbeiter (früher Apothekenhelfer), Kinderpflegerin, Laborgehilfe, Desinfektor, Sektionsgehilfe. Der Facharbeiterbrief eröffnet — nach Bewährung in der praktischen Berufstätigkeit — den Zugang zur Fachschule und damit zur Weiterbildung in einem entsprechenden Mittleren medizinischen Beruf.
Die Ausbildung der Mittleren medizinischen Berufe (MmB) erfolgt in Fachschulen, die 1960 aus dem allgemeinen Fachschulsystem herausgelöst und als [S. 381]„Medizinische Schulen“ dem Gesundheitsressort zugeordnet worden sind. Sie galten seitdem als Betriebsschulen, und die Absolventen erlangten formal keine „Fachschulqualifikation“, sondern einen Facharbeiterbrief. Seit dem 1. 9. 1974 sind sie Medizinische Fachschulen, bleiben aber den Einrichtungen des G. zugeordnet. Den bisher ausgebildeten Mittleren medizinischen Kräften (MmK) wird, soweit sie sich im Beruf bewährt haben, die „Fachschulqualifikation“ zuerkannt.
Die Schulen bestehen in breiter Ausfächerung der Ausbildungsgänge bei allen Bezirkskrankenhäusern und Hochschulkliniken und — begrenzt auf die Krankenpflegeausbildung — bei fast allen großen Krankenhäusern. Für einige der Berufe ist die Ausbildung bei nur einer Schule zentralisiert (so: Apothekenassistent und Pharmazie-Ingenieur an der Pharmazieschule in Leipzig, Medizinische Assistenten an der Fachschule für MA in Ost-Berlin). Gesamtzahl der Schulen Anfang 1974: 60 mit ca. 31.000 Schülern.
Voraussetzung für die Zulassung ist Abschluß der 10klassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule. Die Ausbildung zu den Grundberufen dauert 3 Jahre; in den ersten 2 Jahren wechselt der Schulunterricht mit Perioden berufspraktischer Ausbildung. Das 3. Jahr wird in „überwiegend vertiefender praktischer Ausbildung“ an einer Gesundheitseinrichtung absolviert. Sie schließt mit staatlicher Prüfung und staatlicher Anerkennung ab. Mehrjährige Bewährung in der Berufsarbeit ist Voraussetzung für die Weiterbildung. Sie wird meist im Fernstudium durchlaufen, also neben (reduzierter) Berufsarbeit mit nur periodischem Aufenthalt in der Schule. Die Dauer der Weiterbildung ist unterschiedlich; sie beträgt bis zu 3 Jahren. „Leiteinrichtung“ für die Aus- und Weiterbildung der MmB ist das Institut für Weiterbildung Mittlerer medizinischer Fachkräfte in Potsdam, das unter Aufsicht und Anleitung der Akademie für Ärztliche Fortbildung steht und vor allem Lehrpläne, Lehrmaterial u. ä. erarbeitet.
Das Weiterbildungsprinzip hat zu größerer Durchlässigkeit zwischen den Berufen in vertikaler Richtung beigetragen; von der Lehrausbildung her kostet der Weg jedoch viel Zeit. Die Grenzen zwischen den Berufen in horizontaler Richtung sind fast undurchlässig. Weitaus die meisten Weiterbildungsmöglichkeiten eröffnet die Krankenpflegeausbildung.
Die Schwierigkeiten der „Erwachsenenqualifizierung“ im G. sind leicht erkennbar: Ein berufsbegleitendes Abendstudium können nur große Krankenhäuser bieten; Fernstudium zwingt in der medizinischen Ausbildung, die besonders viel praktische Übungen erfordert, zu ausgiebigen „Hospitationen“, die periodisch bei der Fachschule abgeleistet werden müssen. Beides bewirkt eine sehr starke Fluktuation gerade der aktiven Kräfte und beeinträchtigt damit die Stetigkeit der Arbeit in den Einrichtungen der ambulanten wie der stationären Versorgung.
Die wichtigsten MmB sind in Grundstufe und Weiterbildungsstufen (diese in Klammern, höhere Weiterbildungsstufen durch / abgesetzt):
Krankenschwester, -pfleger (Operationsschw.; Schw. f. Intensivbehandlung; Fachkrankenschw. Psychiatrie; Stationsschw. / Abteilungsschw. / Ltd. Schw.; Betriebsschw.; Gemeindeschw. / Gesundheitsfürsorgerin; Hygiene-Inspektor/Ltd. Hygieneinspektor; Medizinischer Assistent — früher Arzthelfer).
Sprechstundenschwester; Stomatologische Schw.; Kinderkrankenschw.; Hebamme; Diätassistent. Medizinisch-technischer Laborassistent (MT Fachassistent f. Klin. Chemie; für Bakteriologie-Serologie; für Histologie 7 Ltd. MT Laborassistent). Medizin, techn. Radiologie-Assistent (MT Fachassistent f. Strahlenbehandlung; f. Nuklearmedizin / Ltd. MT Radiologie-Assistent).
Physiotherapeut (Arbeitstherapeut / Ltd. Physiotherapeut).
Audiometrie-Phoniatrie-Assistent. Apothekenassistent (Pharmazie-Ingenieur). Zahntechniker (Zahntechnikermeister). Krippenerzieher (Ltd. Krippenerzieher).
Von mehreren Grundberufen aus erreichbar: Medizinpädagoge, d. i. Lehrkraft für den berufsprakt. Unterricht; Ökonom im Ges.- und Sozialwesen.
VII. Aufwand und Kosten
Der Aufwand für das G. ist verhältnismäßig hoch. Die Zahl der Beschäftigten betrug 1973 300.000 Personen. Von ihnen hatten Hochschulabschluß 37.400, Fachschul- oder Facharbeiterabschluß 171.300. Das medizinische Fachpersonal einschl. angelernter Kräfte umfaßt 230.000 Beschäftigte, das sind ca. 3 v. H. aller Berufstätigen (Bundesrepublik: 3,3 v. H. unter Einschluß der mithelfenden Familienangehörigen in Arzt- und Zahnarztpraxen).
Fast 60 v. H. der Beschäftigten sind in den stationären Einrichtungen tätig. Die Besetzung der Krankenhäuser mit medizinischen Fachkräften ist hoch: auf 1 Beschäftigten dieser Gruppe (ohne Ärzte) kommen in Bezirks- und Kreiskrankenhäusern 2,7 Betten (Bundesrepublik: 3,1). In den Staatlichen Arztpraxen werden je Arzt ca. 5.000 Neuzugänge und 13.000 Konsultationen im Jahr geleistet; auf jeden Arzt kommen 1,1 nichtärztliche Fachkräfte. Die Kosten je ärztlichen Arbeitsplatz betragen 44.000 Mark. In den Polikliniken (Ambulatorien in Klammern) sind die entsprechenden Zahlen: 3.200 (3.500) Neuzugänge, 8.500 (10.500) Konsultationen und 63.000 (55.000) Mark. Die „Fallkosten“ (ohne Arzneimittel) liegen also zwischen 9 und 20 Mark. Die Leistungen und Kosten der „Ärzte in eigener Niederlassung“ werden nicht bekanntgegeben.
[S. 382]Die laufenden Ausgaben (Betriebsaufwendungen) des Staates einschließlich Leistungen der Sozialversicherung „für gesundheitliche Zwecke“, also Abgeltung der ärztlichen und der Krankenhausleistungen sowie der Arzneimittel, aber ohne Barleistungen (Krankengeld u. dergl.), machten (1973) mit 9,3 Mrd. Mark 10 v. H. von den Ausgaben im Staatshaushalt aus, vom „Produzierten Nationaleinkommen“ 7,4 v. H. (Bundesrepublik: ca. 5 v. H. des Bruttosozialproduktes). Über die Höhe der Investitionen fehlen verwertbare Angaben.
VIII. Regionale Unterschiede
Die insgesamt günstig erscheinende medizinische Versorgung weist Unterschiede zwischen den Bezirken auf, u. a. in der Dichte der Einrichtungen, in den Zahlen verfügbarer Ärzte und nichtärztlicher Fachkräfte und in den Zahlen der Krankenhausbetten, die erhebliche Verteilungsmängel erkennen lassen. Die Zahl der Einwohner je Arzt in ambulanten Einrichtungen ist in den Bezirken Neubrandenburg und Karl-Marx-Stadt um 54 bzw. 45 v. H. höher als im Bezirk Rostock. Die Unterschiede liegen im wesentlichen in der Facharztdichte mit Frauen- und Kinderärzten, weniger in der Besetzung mit Allgemeinärzten. Doch kommen auf jeden einzeln praktizierenden Arzt — Staatl. Praxen und niedergelassene Ärzte zusammen — in den ungünstigsten Bezirken (Suhl, Frankfurt [Oder]) doppelt soviel Einwohner wie in den günstigsten (Magdeburg, Gera). Die Zahl der Neuzugänge und der Konsultationen je Arzt und Jahr in Ambulatorien ist im Bezirk Suhl um 55 bzw. 48 v. H. höher als im Bezirk Rostock; ähnliche Belastungsunterschiede bestehen in den Polikliniken und staatlichen Arztpraxen. Die Zahl der Krankenhausbetten (ohne Psychiatrie und Tuberkulose) auf 10.000 Einw. ist in den bestgestellten Bezirken (Rostock, Potsdam, Gera) um mehr als 50 v. H. höher als in den schlechtestgestellten (Suhl, Frankfurt [Oder], Cottbus). In Ost-Berlin liegt die Arztdichte fast doppelt so hoch wie in den ungünstigsten Bezirken, die Krankenhaus-Bettendichte um 60 v. H. höher. Dem größeren Bettenangebot entspricht aber nicht etwa eine um so geringere Auslastungsquote; vielmehr ist auch die Zahl der Behandlungsfälle größer. Einige Bezirke sind — gemessen am mittleren Stand der DDR — durchgängig unterversorgt. Das sind Bezirke mit vorwiegend agrarischer Struktur (Cottbus, Neubrandenburg, Schwerin) und solche ohne stark geförderte industrielle Struktur (Dresden, Karl-Marx-Stadt), während umgekehrt einige Bezirke mit bevorzugten Wirtschaftszweigen (Rostock, Gera, Leipzig) auch mit medizinischen Einrichtungen stark besetzt sind. Ost-Berlin liegt an der Spitze aller Bezirke.
Noch stärker tritt die Unterversorgung hervor, wenn man industrielle Ballungszentren mit agrarischen Regionen vergleicht. Darüber wird statistisches Material nicht veröffentlicht. Die Verzerrungen in der Versorgungsstruktur sind im wesentlichen Folge der bevorzugten Ausstattung geförderter Gebiete mit hochwertiger medizinischer Ausrüstung und Wohnraum. Beides läßt die Aufnahme einer Tätigkeit für Ärzte in Krankenhäusern und Polikliniken attraktiv erscheinen. Es wirkt sich zum Nachteil der elementaren Versorgung aus.
IX. Planprojektion und Korrekturen
In der Folge des VIII. Parteitages der SED (1971) ist am 25. 9. 1973 in einem „Gemeinsamen Beschluß des ZK der SED, des Ministerrats und des Bundesvorstandes des FDGB“ ein detailliertes Programm „zur Verbesserung der medizinischen Betreuung der Bevölkerung“ festgelegt worden: Die „ambulante und stationäre Grundbetreuung“ soll nachdrücklich gefördert werden, besonders in Allgemeinmedizin und Kinderheilkunde. In denjenigen „Gebieten, die ärztlich noch nicht ausreichend besetzt sind, ist die Zahl der Fachärzte zielgerichtet zu erhöhen“. Die „ambulanten Betreuungskapazitäten“ sollen in Neubauzentren durch leistungsfähige Polikliniken und Ambulatorien, „entsprechend den territorial unterschiedlichen Bedürfnissen“, aber auch — besonders auf dem Lande — „durch Schaffung von kleineren Ambulatorien und Staatlichen Arztpraxen“ erweitert werden. Die ambulante Betreuung soll auf den wichtigsten Fachgebieten verstärkt werden, „um die Diagnostik- und Wartezeiten zu verkürzen“ und „dem Arzt mehr Zeit für individuelle Beratung und Behandlung seiner Patienten zur Verfügung“ zu stellen.
Dafür soll nicht nur die Zahl der Ärzte insgesamt noch weiter gesteigert werden, so daß ein Arzt auf 520 Einw. kommt. Auch der „oft übertriebene Ausbau spezialisierter Betreuungssysteme“ soll eingeschränkt und die Zahl der „Ärzte und Schwestern in Leitungsfunktionen vermindert“ werden, zugunsten unmittelbarer Arbeit am Kranken. Der Bau neuer Krankenhäuser in Suhl, Neubrandenburg, Schwerin, Cottbus und Frankfurt/Oder ist im Rahmen des nächsten Fünfjahrplans (1976–1980) vorgesehen. Die Investitionsmittel für das G.- und Sozialwesen sollen in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt werden.
Den Ärzten und den übrigen Fachkräften soll die Tätigkeit in der Grundversorgung (einschl. Frauenheilkunde und Innerer Medizin) attraktiv gemacht werden: „Neue und erprobte wissenschaftliche Erkenntnisse werden den in der medizinischen Praxis tätigen Ärzten rascher und übersichtlicher zugängig gemacht.“ Mitarbeiter im Gesundheits- und Sozialwesen können eine Zusatzvergütung bis zu 8 v. H. erhalten; ihre Altersversorgung wird verbessert (auch die der Ärzte in eigener Niederlassung). Für sie wird zusätzlicher Wohnraum geschaffen, „um sie seßhaft zu machen“.
[S. 383]Eine ungewöhnlich große Zahl von Kommentaren läßt erkennen, daß dieser gemeinsame Beschluß auf die lange erwartete Korrektur von Mängeln zielt, die in der medizinischen Versorgung entstanden sind. Ein besonders wichtiger Punkt ist das Ziel, das am Anfang des Beschlusses gesetzt ist, „die vertrauensvollen Beziehungen der Bürger zu den Gesundheitseinrichtungen zu vertiefen“. In der Allgemeinmedizin und in der Kinderheilkunde sollen „die Bürger überall von ihrem Recht Gebrauch machen können, den Arzt ihres Vertrauens (Hausarzt) zu wählen und ohne Schwierigkeiten dessen Rat … und Hilfe in Anspruch zu nehmen“. Das geht weit über bloße Verbesserung von Organisation und Ausstattung des G. hinaus. Es bedeutet begrenzte „freie Arztwahl“ und ist eine klare Abkehr vom Bereichsarztsystem. Dieses ist von der Bevölkerung nicht angenommen worden. Die Forderung weiter Teile der Bevölkerung nach „individueller Beratung und Behandlung“ hat sich vorerst durchgesetzt.
X. Leistungen und Erträge
Die Leistungen der Einrichtungen des G. unterscheiden sich in Diagnostik und Behandlung ihrer Zahl nach wohl nicht wesentlich von denen in der Bundesrepublik Deutschland, soweit das Fehlen von Angaben über die in eigener Niederlassung tätigen Ärzte ein Urteil zuläßt: In den staatlichen Einrichtungen kommen auf jeden Einwohner ca. 3 Behandlungsfälle pro Jahr, auf jede Behandlung 2,4 Beratungen; die Ärzte in eigener Niederlassung stellen ein Siebentel der ambulant tätigen Ärzte, ihr Leistungsanteil dürfte aber über dem der übrigen liegen. In den Krankenhäusern werden — ohne Fachabt. für Psychiatrie, Tuberkulose und andere Langlieger — 7,6 v. H. der Einw. pro Jahr stationär behandelt (Bundesrepublik: 7,3 v. H.).
Über die Behandlung hinaus sind Vergleiche direkt nicht möglich: Die Leistungen an Vorsorge, Früherkennung und Nachsorge sind nicht vergleichbar. Die Erträge medizinischer Leistungen sind schwer zu vergleichen. Der Krankenstand liegt ständig zwischen 5 und 6 v. H. der Beschäftigten, also in ähnlicher Höhe wie in der Bundesrepublik, wird aber anders berechnet. Die Zahl der Männer, die zwischen dem 55. und dem 65. Lebensjahr aus der Erwerbstätigkeit ausscheiden, oder umgekehrt die Erwerbsquoten der älteren Männer, lassen sich aufgrund veröffentlichten demographischen Materials nicht ermitteln, frühzeitige Berentung mag also häufiger sein als die Staatsorgane wünschen.
Indessen ist die Lebenserwartung in der DDR durchgängig höher als in der Bundesrepublik Deutschland, und zwar bei den Frauen vom 40. Lebensjahr an um ca. 0,5 Jahre, bei den Männern zwischen 50 und 70 Jahren um etwa 1,0 Jahre.
Ähnlich auffällig sind Unterschiede in der Sterblichkeit der Kinder vor und unmittelbar nach der Geburt (perinatale Sterblichkeit): Bereinigt man die Zahlen der DDR und der Bundesrepublik von den Wirkungen statistisch verschiedener Erfassung, so ergibt sich in der DDR (bei sonst gleicher Summe von Totgeburtlichkeit und Säuglingssterblichkeit) eine eindeutig geringere Frühsterblichkeit vom 2. bis zum 7. Tag nach dej Geburt um 3,0 v. T. Sie hängt mit der geringeren Häufigkeit von Frühgeburten, und diese möglicherweise mit der umfassenden Vorsorge in der Schwangerschaft zusammen.
Man wird die Erträge des G. der DDR somit nicht gering schätzen dürfen.
XI. Forschung und Forschungsorganisation
Die medizinische Forschung (mF.) in der DDR ist bis in die 60er Jahre, wie in der Sowjetunion, von ideologisch begründeten Beschränkungen in ihrer Entwicklung gehemmt worden. Selbst als sich die sowjetische Medizin davon freimachte, ist die DDR nur zögernd gefolgt. Am deutlichsten ist dies an der relativ späten Aufnahme psychoanalytischen und psychosomatischen Gedankenguts zu erkennen. Die offizielle mF. hatte daher zunächst den Anschluß an die internationale Entwicklung verloren. Das ist heute überwunden.
Grundlagenforschung in der Medizin ist in erster Linie Aufgabe der Akademie der Wissenschaften, die eine beträchtliche Zahl leistungsfähiger Institute für mF. unterhält, darunter die Institute für Krebsforschung (Berlin-Buch), für Ernährungsforschung (Bergholz-Rehbrücke bei Potsdam) und für Kreislaufregulationsforschung. Grundlagenforschung wird auch in einer Anzahl gut ausgestatteter Hochschulinstitute betrieben. MF. zur Förderung der Erkennung und Behandlung bestimmter Krankheiten ist Aufgabe zahlreicher Hochschulinstitute, die in ihrer Ausrüstung dafür vergleichbaren Instituten westlicher Länder technologisch kaum, in der Vielfalt verfügbarer Geräte hingegen zuweilen beträchtlich nachstehen. Der Koordinierung dienen die Wissenschaftlichen Gesellschaften (für nahezu jedes Spezialgebiet).
Anwendungsorientierte mF. dagegen ist überwiegend Aufgabe staatlicher Forschungs-Institute, die dem Ministerium für G. unterstehen (so die Institute für Arbeitsmedizin, für Arzneimittelwesen, für Bäder- und Kurortwissenschaft, für Diabetes-F., für Hygiene des Kindes- und Jugendalters, für Lungenkrankheiten und Tuberkulose usf.).
1970 ist ein Rat für Planung und Koordinierung der medizinischen Wissenschaft beim Ministerium für G. errichtet worden (Statut vom 1. 10. 1970). Er soll Empfehlungen über Ziele und Methoden der mF. ausarbeiten. Dabei geht es besonders um Konzentration und „Profilierung“ der F. und ihrer Institute und um die Festlegung von Forschungsschwerpunkten. Er soll ferner die Durchführung und Erfüllung der gesetzten Aufgaben überwachen. Wichtigste [S. 384]Aufgabe dieses Rates ist es, die Kooperation und Koordinierung der F.-Einrichtungen; er soll das Zusammenwirken in komplexen wissenschaftlichen Arbeiten und einen optimalen Informationsfluß sichern. Der Rat ist aus führenden Vertretern der medizinischen Wissenschaft und Praxis sowie angrenzender F.-Gebiete zusammengesetzt. Er bildet „Problemkommissionen“, diese ihrerseits Arbeits- und Expertengruppen. Präsident und Mitglieder werden vom Minister für G. berufen, und zwar für jeweils 4 Jahre. Derzeitiger Präsident (1974) ist Prof. Dr. Kraatz (Gynäkologe).
Im November 1970 hat der Staatsrat einen „Beschluß zur weiteren Entwicklung der mF. und der Wissenschaftsorganisation in der Medizin und über die Hauptaufgaben der mF. im Perspektivplanzeitraum“ veröffentlicht: Darin wird ein Gesamtplan der mF. gefordert und dem Ministerium für G. aufgetragen, ein System der Planung, Leitung und Organisation der mF.-Vorhaben durchzusetzen. Als Hauptgegenstände werden genannt Herz- und Kreislaufkrankheiten, Geschwulstkrankheiten, Immunologie und Infektionsschutz sowie Arbeitsmedizin, ferner ein analytisch-diagnostisches System zur Verbesserung und Beschleunigung der medizinischen Diagnostik. Die mF. soll damit mehr als bisher auf die Zweckbezogenheit und Anwendbarkeit ihrer Ergebnisse orientiert werden.
Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 375–384