DDR von A-Z, Band 1975

Gewinn (1975)

 

 

Siehe auch die Jahre 1965 1966 1969 1979 1985


 

Da in einer Zentralplanwirtschaft Löhne, Steuern, Gebühren, Zinsen, Preise und ebenfalls die Kosten — durch Kostennormative und staatliche Kalkulationsrichtlinien — zentral festgelegt werden, bestimmen diese Daten und das gesetzlich verankerte Verfahren der Reineinkommens- und G.-Verteilung in der Volkswirtschaft und in den VEB und VVB maßgeblich die Höhe des G. In den Jahren 1971 und 1972 wurde den Betrieben die Höhe des G. als feste Plankennziffer vorgegeben, seit 1973 ist er als „Berechnungskennziffer“ der Planung zu behandeln, d. h. er wird nicht direkt geplant, sondern indirekt aus anderen verbindlichen Plankennziffern ermittelt. Der tatsächliche Ist-G. ergibt sich als Differenz zwischen der Preissumme der abgesetzten Erzeugnisse und Leistungen zu Industrieabgabepreisen (Umsatzerlös) und den zu ihrer Herstellung nötigen Kosten sowie der als Durchlaufposten behandelten Produktions- und Dienstleistungsabgaben. Die im Gegensatz zur Marktwirtschaft zentral regulierte G.-Verteilung wird durch zwei Faktoren bestimmt, einerseits durch die der Preisbildung (Preissystem und Preispolitik) zugrundeliegenden Grundsätze und andererseits durch die über eine Differenzierung der Sätze der Nettogewinnabführung verfolgte staatliche G.-Verteilungspolitik. Der Betrieb kann allerdings im Rahmen der ihm auferlegten Planaufgaben bei den zentral vorgegebenen Preisen durch Steigerung seiner Rentabilität (z. B. Überplanerfüllung, verbesserte Kapitalnutzung — d. h. Einsparung von Produktionsfondsabgabe —, verbesserte Betriebsorganisation, verminderte Ausschußproduktion, sinnvollere Materialnutzung) den Ist-G. erhöhen. Durch die Nettogewinnabführung und die Produktionsfondsabgabe wird ihm jedoch wieder ein Teil des G. entzogen.

 

Mit der Wirtschaftsreform von 1963 (NÖS) wurde dem G. eine zentrale Stellung im System eingeräumt, denn er wurde zum entscheidenden Maßstab der Leistung des Betriebes und zu einer wichtigen Antriebskraft aufgewertet. Zwar war in der wissenschaftlichen Diskussion bereits Ende der 50er Jahre (Behrens-Benary-Affäre) die Forderung nach stärkerer Berücksichtigung ökonomischer Kategorien erhoben worden; jedoch erst, nachdem der sowjetische Wirtschaftswissenschaftler E. Liberman mit seinem Artikel: „Plan, Gewinn, Prämie“ in der „Prawda“ eine grundlegende Reform des betrieblichen Planungssystems der Sowjetunion unter Nutzung des G. als ökonomischer Hebel im September 1962 vorgeschlagen hatte, setzte auch in der DDR eine hieran anknüpfende lebhafte Reformdiskussion ein. Die ab 1963 in der DDR und in der Folgezeit auch in anderen osteuropäischen kommunistischen Ländern durchgeführten Wirtschaftsreformen führten dann schließlich in einem gewissen Grad zur Auswechslung der bis dahin im Mittelpunkt der Planerfüllung stehenden Ziele des Produktionsplanes durch die Richtgröße G. Die Bestimmung des G. zum Hauptkriterium der wirtschaftlichen Leistungen von VEB und VVB bzw. Kombinat verlangte damals in der DDR — genauso wie in anderen Ostblockländern — die Beseitigung der gröbsten, diesen Leistungsmaßstab verfälschenden wirtschaftlichen Mißstände. Erst die Neubewertung des Brutto-Anlagevermögens (Grundmittelumbewertung). der Abschluß der Industriepreisreform Ende 1967 und die Neufestsetzung der Abschreibungssätze (Abschreibungen) und Zinsen schufen bessere Voraussetzungen für eine aussagekräftigere Kostenrechnung und G.-Ermittlung. Entscheidend war, daß dem Betrieb die relativ freie Verfügbarkeit über einen Teil des von ihm erwirtschafteten Netto-G. (= G. minus Produktionsfondsabgabe) eingeräumt wurde, denn nur so war es überhaupt möglich, den Betrieb zur eigenen Ausgestaltung des ihm mit den Reformen geschaffenen Aktionsfeldes zu veranlassen. Damit der G. allerdings diese „incentive function“ überhaupt wahrnehmen konnte, [S. 385]mußten das „Prinzip der Eigenerwirtschaftung der Mittel“ sowie sinnvolle betriebswirtschaftliche Kostenrechnungsmethoden eingeführt, ein verbessertes Vertragssystem mit Sanktionen bei Schlecht- oder Nichterfüllung von Verpflichtungen geschaffen und das Bankensystem umgewandelt werden. Von einem Verteilungsapparat für zinslose Finanzierungsmittel für Investitionen aus dem Staatshaushalt avancierte das Bankensystem zu einem System mit „echten“ Kreditinstituten, das Kredite nur gegen Zinszahlung gewährt.

 

In den Jahren 1969 und 1970 — als die mit dem NÖS geschaffenen ökonomischen Hebel weitgehend wirksam waren — konnte der Betrieb dann auch tatsächlich den ihm nach Abzug von Produktionsfondsabgabe und Nettogewinnabführung sowie der damals vorgeschriebenen Fondsbildung (Fonds) verbleibenden Rest-G. als finanzielle Basis seiner eigenverantwortlichen Investitionsentscheidungen nutzen.

 

Dieser Aktionsradius ist ihm jedoch mit der Rezentralisierung wieder genommen worden: 1971 wurde der vom Betrieb zu erwirtschaftende Netto-G. zur staatlichen Plankennziffer erhoben, die Nettogewinnabführung von Prozentanteilen in absolute, branchenweise unterschiedliche G.-Abführungsbeträge umgewandelt und die Investitionstätigkeit durch staatliche Planauflagen verbindlich vorgeschrieben. Damit wurde die Rolle des G. durch bewußte Minderung seiner Stimulierungsfunktion wieder erheblich geschwächt: Dem Betrieb werden heute vom Soll-G. gerade so viel Finanzierungsmittel belassen, wie er zur Durchführung der geplanten Aufgaben sowie zur Realisierung der geplanten Investitionen bei den von den Banken bewilligten planmäßigen Krediten benötigt.

 

Bei Übererfüllung des geplanten Netto-G. verbleibt dem Betrieb die Hälfte des Mehr-G., die Verwendungsmöglichkeiten für diese Mittel sind jedoch begrenzt auf: Verbesserungen der Arbeitsorganisation, Zuführungen zum Prämienfonds, Erhöhung der Eigenfinanzierung, vorfristige Kredittilgung, Kauf gebrauchter Anlagegüter, Finanzierung von Neuerervorschlägen bis zu je 10.000 Mark sowie die Herstellung von Rationalisierungsmitteln aus eigenen Reserven. Angesichts dieses eingeengten Katalogs dürften beim Betrieb kaum nennenswerte Antriebskräfte zur Übererfüllung der realen Planziele und damit auch des durch sie bestimmten Soll-G. ausgelöst werden. Zwar ist mit dem Gegenplan ein Anreiz zu — bereits im voraus angekündigten — Übererfüllungen geschaffen worden, da im Falle ihrer Realisierung zusätzliche Zuführungen zum Prämienfonds (Jahresendprämie) sowie — bei Übererfüllung der geplanten Arbeitsproduktivität, bei bestimmten Materialeinsparungen und Qualitätsverbesserungen — zum Leistungsfonds durchgeführt werden. Jedoch ist dieser Anreiz zugunsten der Belegschaft begrenzt: Einerseits werden leistungsfähige Betriebe — in Übereinstimmung mit den Interessen ihrer Arbeiter und Angestellten — ihre Planangebote so abstimmen, daß sie gerade die Prämienhöchstgrenze erreichen und immer noch Leistungsreserven für den kommenden Gegenplan zurückhalten. Andererseits dürften die einseitigen Verwendungsmöglichkeiten der Mittel des Leistungsfonds vorwiegend zugunsten der Gesamtbelegschaft bei den einzelnen Arbeitskollektiven nur ein bedingtes Interesse an zusätzlichen Arbeitsbelastungen induzieren. Ist damit der Anreiz für die Belegschaft schon gering, so ist er für die Betriebsleitung noch kleiner, weil sie mit den ihrer Disposition unterliegenden zusätzlich erwirtschafteten Gewinnteilen nur in beschränktem Umfang eigene Ziele verfolgen kann.

 

Bei einer Untererfüllung des Soll-G. — Folge von Kostenüberschreitungen oder Mindererfüllungen materieller Planaufgaben — sieht sich der Betrieb erheblichen Finanzierungsschwierigkeiten gegenüber: Er kann die Fondsbildung nicht im geplanten Umfang realisieren. Insbesondere können dabei die vorgesehenen Investitionen betroffen werden, von denen wiederum der G. künftiger Jahre abhängt. Auf Kredite kann der Betrieb nur in dem durch die Kennziffer „Veränderung des Kreditvolumens für Grundmittelkredite“ abgesteckten, recht beschränkten Rahmen ausweichen. Angesichts dieser Schwierigkeiten werden seit einiger Zeit allerdings Erleichterungen bei der Nettogewinnabführung gewährt: Während diese bei Nichterreichen des Plangewinns 1971 noch voll zu zahlen war, durften 1972 30 v. H. und seit 1973 50 v. H. der Unterschreitung des geplanten Gewinns gekürzt werden. Bleibt der Ist-G. noch unter diesem geminderten Soll, so muß er voll abgeführt werden; die Differenz ist als Finanzschuld mit 5 v. H. zu verzinsen und im nächsten Jahr aus überplanmäßigen G.-Teilen zu tilgen.

 

An diesen Maßnahmen wird deutlich, daß der G. von einer betriebliche Initiativen stimulierenden Antriebskraft zum Sicherungsmittel staatlichen und betrieblichen Finanzierungsbedarfs abgewertet wurde. Mit seiner Planung sowie mit anderen ökonomischen Hebeln wird auch von seiten der finanziellen Planung her Druck auf die Betriebe zur plangerechten Aufgabendurchführung sowie zur Leistungsverbesserung ausgeübt. Diesem Druck kann der Betrieb grundsätzlich nur mit Kostensenkungen entgegenwirken. Deshalb werden von ihm seit 1974 auch neben einer detaillierten Planung der Kosten planmäßige Selbstkostensenkungen verlangt. Hierzu ist vom Betrieb bei exakter Einhaltung der Normen für den Einsatz von Materialien und Vorleistungen, der geplanten Lohnkosten sowie der geltenden Gemeinkostennormative eine genaue Voraus-Planung der Kosten nach Kostenarten, -stellen und -trägern durchzuführen. Dabei sind auch die infolge vorgesehener Rationalisierungsprojekte zu erwartenden Kosteneinsparungen — untergliedert nach Kostenarten und Rationalisierungsmaßnahmen — auszuweisen. Nicht planbar sind solche Kosten, die aus vom Betrieb verschuldeten Unregelmäßigkeiten resultieren. Mit dieser detaillierten Kostenplanung soll nicht nur über einen Vergleich von Betrieben einer Branche eine Aufdeckung betrieblicher Reserven erreicht, sondern den wirtschaftsleitenden Organen bereits zu einem Zeitpunkt Auskunft über von den Betrieben beabsichtigte oder mögliche — von zentralen Zielen abweichende — Eigenaktionen vermittelt werden, bevor diese überhaupt begonnen werden.

 

[S. 386]Die verstärkte Ausrichtung der gegenwärtigen monetären Steuerung auf Kosteneinsparungen ist als Versuch zu deuten, die betriebliche Effizienz künftig mehr und mehr am Umfang der Selbstkostensenkung denn am erzielten G. zu bemessen, zumal auch das bestehende Preissystem erhebliche Verzerrungen aufweist. Die Bedeutung des G. dürfte daher in Zukunft zugunsten der Richtgröße Kostensenkung noch weiter abnehmen.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 384–386


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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