DDR von A-Z, Band 1975

Kollektiv- und Arbeitserziehung (1975)

 

 

Siehe auch die Jahre 1979 1985


 

Wesentlicher intentionaler und instrumentaler Bestandteil der „sozialistischen“ Erziehung ist die KAE., die mit anderen Teilbereichen der „sozialistischen“ Erziehung, so mit der politisch-ideologischen bzw. staatsbürgerlichen ➝Erziehung, der polytechnischen Bildung, der Wehrerziehung und der Erziehung zu bewußter Disziplin, vor allem aber miteinander in enger Beziehung steht. Die Kollektiverziehung, d. h. die Erziehung „im Kollektiv durch das Kollektiv zum Kollektiv“, ist eine wesentliche Zielstellung und Methode der gesamten sozialistischen Erziehung und zielt auf die „sozialistische“ Gestaltung der zwischenmenschlichen Beziehungen und ihre Nutzung für die Erziehung „sozialistischer Persön[S. 465]lichkeiten“. Als Kollektiv wird eine für den Menschen überschaubare und in ihren Wirkungen bedeutsame Lebensgruppe bezeichnet, „die in ihrem Beziehungsgefüge die Prinzipien des sozialistischen Zusammenlebens widerspiegelt“. Als „Grundzelle der sozialistischen Gesellschaft“ ist das so verstandene Kollektiv ein sozialer Organismus, ein System sozialer Beziehungen, die in gemeinsamer Tätigkeit und gemeinsamem Erfahrungs- und Erlebnisschatz der Mitglieder bestehen und deren Gemeinsamkeit eine elementare Voraussetzung für das Kollektiv darstellt. Vor allem aber muß eine gemeinsame Aufgabe, speziell für die gesellschaftlich nützliche, produktive Arbeit, vorhanden sein, an deren Lösung alle Mitglieder des Kollektivs zielstrebig und organisiert mitwirken. Ferner muß das Kollektiv eine innere Gliederung besitzen, eine bestimmte Konstellation von sozialen Rollen, die sich aus den Erfordernissen der gemeinsamen Aufgabenlösung ergibt. Es wird seine Aufgaben nur lösen können, wenn jedes Mitglied eine bestimmte Rolle übernimmt und diese Rolle voll ausfüllt. Schließlich ist das Kollektiv durch eine bestimmte Lebensordnung, durch Regeln für das Zusammenarbeiten und Zusammenleben gekennzeichnet, die zweckmäßig gestaltet sein und den jeweiligen Anforderungen entsprechen müssen. Das wichtigste Element des Kollektivgeschehens aber ist der gemeinsame Ideengehalt (ideologische Inhalt), der das inhaltliche Bindeglied zwischen Lebensgruppe und Gesellschaft bilden und die Gesamtheit der Elemente des Kollektivs und ihr Zusammenspiel beeinflussen soll.

 

Das Kollektiv kann seine erzieherische Funktion jedoch nur erfüllen, „wenn es zur Arena der Selbstbehauptung und -bestätigung der Persönlichkeit für jedes seiner Mitglieder wird, wenn jeder einzelne in ihm eine Bestätigung seiner individuellen Position findet“. Der Erziehungs- und Bildungsprozeß im Kollektiv sei deshalb so wirksam, weil die Kollektivmitglieder sich gegenseitig helfen und unterstützen, und zwar sowohl bei der Aneignung der sozialistischen Ideologie als auch beim Erwerb entsprechender Verhaltensweisen und Gewohnheiten, im Kollektiv ihre Fähigkeiten und Begabungen voll in Funktion bringen, sozialistische Verhaltensweisen vervollkommnen, kollektive Urteile und Wertungen erfahren sowie Wege gezeigt bekommen, wie sie sich sozialistisch weiterentwickeln und selbst erziehen sollen. Die K. wird als eine universelle Methode anzuwenden versucht, die geeignet ist, nicht nur Kollektivität, sondern auch Individualität bei den Kollektivmitgliedern auszuprägen. Wenn nämlich das Kollektivgeschehen nach dem Modellbild des „sozialistischen“ Zusammenlebens gestaltet werde, so müßten auch die Erziehung des Kollektivs zum Kollektiv und die Erziehung der Einzelpersönlichkeiten zu sozialistischen Persönlichkeiten in der gleichen Richtung und in einem einheitlichen Verfahren verlaufen: Jede Einwirkung auf das Kollektiv sei dann zugleich eine Einwirkung auf die Einzelpersönlichkeit und jede Einwirkung auf die Einzelpersönlichkeit gleichzeitig eine Einwirkung auf das Kollektiv. Als wesentliches Mittel der K. aber gilt die gemeinsame und auf eine bessere Zukunft orientierte Ziel- und Aufgabenstellung, insbesondere in der Gestalt eines Systems (naher, mittlerer und weiterer) gesellschaftlicher bzw. pädagogischer Perspektiven. Die gemeinsame Aktivität des Kollektivs, um die als erstrebenswert erkannten oder gesetzten Perspektiven zu realisieren, erfordere höchste Anstrengung und Zusammenarbeit aller Mitglieder des Kollektivs. In dem Maße jedoch, in dem sie sich dem angestrebten Ziel nähern, verliert das Ziel bzw. die Perspektive an pädagogischer und individueller Bedeutung.

 

„Sozialistische Persönlichkeit“ und „sozialistisches Kollektiv“ in ihrem jeweiligen erzieherischen Wirkzusammenhang gründen auf Vorstellungen, deren Wirklichkeitsbezug nur gering ist, so daß die Erfüllung der damit verbundenen Erwartungen in bezug auf ihre Erziehungswirksamkeit sich in der gleichen Weise in die Zukunft verschiebt wie die im Rahmen der K. als Erziehungsmittel angewandten „pädagogischen Perspektiven“. Daran hat bisher auch die zunehmende soziologische Fundierung der Auffassung vom Kollektiv nichts zu ändern vermocht.

 

Arbeitserziehung in spezieller Bedeutung bezeichnet das System strafrechtlich begründeter erzieherischer Maßnahmen vor allem gegenüber arbeitsscheuen Erwachsenen (als eine besondere Kategorie der Freiheitsstrafe), aber auch das System erzieherischer Maßnahmen in Einrichtungen der Jugendhilfe, insbesondere in den Jugendwerkhöfen, gegenüber schwer erziehbaren und straffälligen Minderjährigen (Jugendhilfe und Heimerziehung).

 

A. in genereller, hauptsächlich gebrauchter pädagogischer Bedeutung ist ein wesentlicher Bestandteil der gesamten Bildung und Erziehung der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen. „Sozialistische“ A. zielt darauf, daß die heranwachsenden Staatsbürger eine „sozialistische“ Arbeitshaltung erwerben, körperliche und geistige Arbeit lieben, hohe individuelle und kollektive Arbeitsergebnisse erzielen sowie ihre erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten praktisch anwenden, so daß ihnen die berufliche und außerberufliche gesellschaftlich nützliche Arbeit zur Gewohnheit und schließlich zum ersten Lebensbedürfnis wird; daß sie ferner die Arbeiterklasse und alle werktätigen Menschen achten, in ihnen die Träger des gesellschaftlichen Fortschritts und die Schöpfer der materiellen und geistigen Werte sehen sowie das gesellschaftliche Eigentum als Grundlage der sozialistischen Produktionsverhältnisse pflegen und schützen.

 

Auch im pädagogischen Bereich wird der Begriff A. mehrdeutig gebraucht, nämlich einmal als Erziehung durch Arbeit, womit die A. auf eine Mittelfunktion eingeengt wird, und zum anderen in ihrer Zielfunktion, nämlich als Erziehung zur Arbeit. Hauptziel einer Ziel- und Mittelfunktion umfassenden A. ist die Herausbildung eines „sozialistischen Arbeitsbewußtseins und Arbeitsverhaltens“, d. h., das „wissenschaftlich fundierte und auf eigene soziale Erfahrungen gestützte Bewußtwerden des Verhältnisses des sozialistischen Staatsbürgers zur Arbeit und Produktion als zentraler Sphäre des gesellschaftlichen Lebens sowie ein diesem Bewußtsein [S. 466]adäquates, auf entsprechende Fähigkeiten und Gewohnheiten beruhendes Verhalten in und gegenüber der Arbeit für die sozialistische Gesellschaft“. Daraus resultiert als wichtigste Aufgabe für die A., den Schülern ihre Stellung als künftige Staatsbürger zur zentralen Sphäre des gesellschaftlichen Lebens, zur Arbeit und Produktion, bewußt zu machen, sowie ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten und Gewohnheiten, sich gemäß den staatsbürgerlichen Rechten und Pflichten in Arbeit und Produktion zu verhalten, planmäßig herauszubilden und in ständiger Übung und Bewährung zu festigen.

 

Die Schüler und Lehrlinge sollen vor allem zur Bereitschaft erzogen werden, „auf sozialistische Weise“ zu arbeiten und ihre Arbeitsleistungen und Arbeitsproduktivität ständig zu steigern, wobei die Erfolge der A. an der Quantität und Qualität der Ergebnisse der gesellschaftlich nützlichen, produktiven Arbeit der Schüler und Lehrlinge gemessen werden. Die Diskrepanz zwischen der Zielstellung und den tatsächlichen Ergebnissen der A. wie auch der politisch-ideologischen bzw. staatsbürgerlichen Erziehung beruht nicht zuletzt auf der Fehleinschätzung der Möglichkeiten für die Realisierung jenes Zieles, wonach die gesellschaftlich nützliche, uneigennützige Arbeit zum ersten Lebensbedürfnis eines jeden Menschen in der sozialistischen Gesellschaftsordnung werden soll. Kollektiv, Sozialistisches.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 464–466


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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