DDR von A-Z, Band 1975

Kulturpolitik (1975)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1979 1985

 

I. Ideologische Voraussetzungen und allgemeine Tendenz

 

 

Die SED bezeichnet als allgemeines Ziel ihrer K. „die Verwirklichung der sozialistischen Revolution auf dem Gebiet der Ideologie und Kultur und die Herausbildung einer der Arbeiterklasse, dem schaffenden Volk und der Sache des Sozialismus ergebenen zahlreichen Intelligenz“.

 

Diese Definition der K. findet sich bereits in der „Erklärung der Kommunistischen und Arbeiterparteien“ von 1957 und wird gegenwärtig als „allgemeine Gesetzmäßigkeit des sozialistischen Aufbaus in allen Ländern“ verstanden (Kleines Politisches Wörterbuch, Berlin [Ost] 1973, S. 478).

 

Die K. soll der Durchführung einer „sozialistischen Kulturrevolution“ dienen, wobei gegenwärtig deren für alle sozialistischen Länder zutreffenden „allgemeingültigen Züge“ wieder stärker betont werden. Die Berücksichtigung „nationaler Besonderheiten“ ist damit — als Reflex der Absage an die Einheit der deutschen Nation — zugunsten einer Sichtweise zurückgetreten, die auch die K. unter dem „Aspekt des proletarischen ➝Internationalismus“ betreibt. Sie soll sich in Etappen vollziehen und hat „alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu durchdringen“. Eine derart umfangreiche Aufgabenstellung ordnet die K. in den Prozeß der allgemeinen sozialistischen [S. 489]Umgestaltung der Gesellschaft ein. Objektive Grundlage der K. soll die Beachtung der Einheit von Politik, Ökonomie und Kultur bilden. Wie in den Bereichen Politik und Ökonomie beansprucht die SED auch in der Kultur die Planung und Leitung der allgemeinen Entwicklung, wobei sie sich in zunehmendem Maße auf die Mitwirkung der Kultur- und Kunstwissenschaftler und der Künstler stützt. Die Durchsetzung der K. erfolgt über die Parteiorganisationen auf den verschiedenen Ebenen, die staatlichen Organe, kulturelle Institutionen und gesellschaftliche Organisationen sowie die einzelnen Künstlerverbände.

 

Als „die verschiedenen Elemente der sozialistischen Kultur“ nannte der zuständige Sekretär im ZK der SED, Kurt Hager, auf der 6. Tagung des ZK der SED am 6./7. 7. 1972 „die sozialistische Arbeitskultur, den Schutz und die Gestaltung der Umwelt, die Kultur in den menschlichen Beziehungen und im persönlichen Lebensstil, die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Weltanschauung und ihre Verbreitung im Volk, die Förderung von Wissenschaft und Bildung, die Pflege des humanistischen Kulturerbes und seine Aneignung durch die Werktätigen, den Aufschwung der Kunst und ihre gesellschaftliche Wirksamkeit, die Entwicklung aller schöpferischen Begabungen und Talente des Volkes“.

 

Die sozialistische Kulturrevolution versteht sich nach Lenin als „Entwicklung der besten Vorbilder, Traditionen und Ergebnisse der bestehenden Kultur vom Standpunkt der marxistischen Weltanschauung“; sie zielt in der DDR auf die Herausbildung einer sozialistischen Nationalkultur, die sich als legitimer Erbe aller demokratischen und humanistischen Traditionen der deutschen Geschichte betrachtet. Seit 1961 wird der These von einer fortbestehenden „Einheit der deutschen Kultur“ entgegengetreten und die Abgrenzung von der in der Bundesrepublik herrschenden „imperialistischen Kultur“ auch historisch mit dem Hinweis begründet, daß es eine „außerhalb der Bestrebungen der Klassen stehende einheitliche deutsche Kultur nie gegeben“ habe (Hager). Im Verhältnis zu den kulturellen Erscheinungen in der Bundesrepublik Deutschland soll genau unterschieden werden „zwischen den Produkten kapitalistischer Kulturindustrie, die dem Imperialismus unmittelbar dienen, und jenen künstlerischen Anstrengungen, die humanistische und demokratische Positionen, aber auch noch verschwommene Wünsche, Gedanken, Forderungen nach Frieden, Entspannung, sozialer Sicherheit zum Ausdruck bringen“. Das Gleiche gilt auch für den kulturellen Kontakt und Austausch mit anderen kapitalistischen Staaten; so wird z. B. von entsprechenden Kriterien die Auswahl von dort übernommener literarischer, filmischer und anderer künstlerischer Werke bestimmt.

 

Die angestrebte verstärkte Integration der sozialistischen Staaten auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet führt auch zu einer Intensivierung der kulturellen Beziehungen der DDR zu diesen Staaten, wie dies vor allem schon mit der Sowjetunion seit langem praktiziert wird. Ihren Ausdruck findet diese Entwicklung in regelmäßigen Beratungen der Kultur-, Hochschul- und Volksbildungsminister und zwischen den entsprechenden Künstlerverbänden sowie in zwischenstaatlichen Arbeitsvereinbarungen und Abkommen auf allen Gebieten der K. In Ost-Berlin bestehen Kulturhäuser der Sowjetunion, der ČSSR, Polens, Ungarns und Bulgariens, die durch Ausstellungen, Film-, Musik- und Vortragsveranstaltungen, Sprachkurse sowie den Verkauf einheimischer Kulturwaren Informationen über die Kultur ihrer Länder liefern und z. T. auch entsprechende Veranstaltungen in den Bezirken der DDR durchführen. Kulturellem Austausch dienen auch meist auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit durchgeführte Kulturtage der einzelnen sozialistischen Länder. So wird z. B. in der DDR alljährlich ein „Festival des sowjetischen Kino- und Fernsehfilms“ veranstaltet; 1974 gab es u. a. „Tage des polnischen Films“, „Tage der Unterhaltungskunst der Volksrepublik Polen“, „Tage der rumänischen Kultur“, „Tage der bulgarischen Musik“ und „Tage der ungarischen Theaterkunst“.

 

II. Etappen der Kulturpolitik

 

 

Die „antifaschistisch-demokratische“ Phase der K. von 1945 bis 1951 war vor allem gekennzeichnet durch 1. die Aufklärung über die NS-Vergangenheit, 2. die Anknüpfung an die humanistischen Traditionen des Bürgertums in der Kunst, 3. die durch soziale und materielle Vergünstigungen unterstützte Einbeziehung der bürgerlichen Intelligenz in den Aufbauprozeß bei gleichzeitiger Besetzung der Schlüsselpositionen des Kulturapparats mit Kommunisten und 4. die Anfänge einer Schul- und Hochschulreform, die einmal der Entnazifizierung des Bildungswesens und zum anderen seiner Öffnung für Arbeiter- und Bauernkinder diente. Zur schnellen Heranbildung einer neuen Intelligenz aus der Arbeiterklasse wurden insbesondere 1946 die später in Arbeiter-und-Bauern-Fakultäten umbenannten Vorstudienanstalten eingerichtet, die jungen Arbeitern und Bauern den Zugang zum Universitäts- und Hochschulstudium ermöglichten.

 

Die eigentliche „sozialistische Kulturrevolution“ wurde 1951 durch eine Zentralisierung der Lenkung der gesamten K. eingeleitet. So wurden in diesem Jahr das „Amt für Literatur und Verlagswesen“ und die „Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten“ eingerichtet; 1952 folgte die Gründung des „Staatlichen Komitees für Filmwesen“ und des „Staatlichen Rundfunkkomitees“. Die von diesen Institutionen betriebene Ausrichtung der K. auf die Aufgaben des Fünfjahrplanes und die durch den kalten Krieg verschärfte Auseinandersetzung mit dem [S. 490]Westen erfolgte vorwiegend durch administrative Maßnahmen und wurde bestimmt durch den auf der 5. Tagung des ZK der SED vom 17. 3. 1951 gefaßten Beschluß „Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur“ und die Orientierung auf den „Sozialistischen Realismus“. Die davon ausgehende kunstfremde Kritik traf selbst prominente Vertreter des Kulturlebens in der DDR und allgemein anerkannte Kunstwerke. Beispiele dafür sind: Die Oper „Das Verhör des Lukullus“ von B. Brecht und P. Dessau, die nach ihrer Uraufführung 1951 von den Autoren umgearbeitet und in „Die Verurteilung des Lukullus“ umbenannt werden mußte; der nach dem gleichnamigen Roman von A. Zweig gedrehte DEFA-Film „Das Beil von Wandsbek“, der nach der Premiere zurückgezogen wurde; eine Barlach-Ausstellung, die 1952 nach vorausgegangener Kritik an dem „düsteren, bedrückenden, pessimistischen Charakter“ der Kunst des Bildhauers vorzeitig geschlossen wurde.

 

Die dogmatische Auslegung der Begriffe „Formalismus“ und „Sozialistischer Realismus“ war beeinflußt durch die damalige stalinistische K. der Sowjetunion und stieß ebenso wie die zur Durchsetzung entsprechender kulturpolitischer Richtlinien angewandten Praktiken der staatlichen Organe (nach Proklamierung des „Neuen Kurses“ am 9. 6. 1953) auf die Kritik der betroffenen Künstler, insbesondere der Deutschen Akademie der Künste in Ost-Berlin. Die Folgen waren eine Auflösung der 1951/1952 etablierten Institutionen (mit Ausnahme des „Staatlichen Rundfunkkomitees“) und die Übernahme ihrer Funktionen durch ein am 7. 1. 1954 gebildetes Ministerium für Kultur. In der dazu erlassenen VO hieß es u. a.: „Verständnisloses Administrieren darf nicht an Stelle des Überzeugens und der Selbstverständigung der Künstler treten“, und die DDR „wird alle Möglichkeiten einer gesamtdeutschen Zusammenarbeit zur Pflege und Erhaltung einer humanistischen deutschen Kultur wahrnehmen“.

 

Nachdem die auf dem XX. Parteitag der KPdSU geübte Stalin-Kritik kulturpolitischen Liberalisierungstendenzen in der DDR und Kritik der Künstler an bürokratischen und schematischen Leitungsmethoden neuen Auftrieb gegeben hatte, wies eine vom ZK der SED zum 23.724. 10. 1957 einberufene Kulturkonferenz solche Erscheinungen auch unter dem Eindruck der Ereignisse in Ungarn zurück. Schon vorher hatten kulturpolitische Repressionen gegen antistalinistische Kräfte eingesetzt, wobei insbesondere die Inhaftierung und Verurteilung der Gruppe um den Ost-Berliner Philosophie-Dozenten W. Harich und Auseinandersetzungen um die revisionistischer Ideologie beschuldigte Philosophie des von 1948 bis zur Zwangsemeritierung 1957 in Leipzig lehrenden E. Bloch eine Rolle spielten. Die SED orientierte jetzt wieder verstärkt auf die Erfordernisse der sozialistischen Kulturrevolution im Zusammenhang mit den politischen und ökonomischen Aufgaben des zweiten Fünfjahrplanes. In der Bildungspolitik bedeutete dies die Einführung des Systems der polytechnischen Bildung in den Unterricht, die 1959 mit der Errichtung der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule für alle Schüler Gesetz wurde. In der Kunstpolitik hieß das die Herstellung engerer Verbindungen zwischen Kunstproduzenten und -konsumenten, was Schriftsteller und Künstler dadurch realisieren sollten, daß sie sich mit Leben und Arbeit an den Schwerpunkten industriellen und landwirtschaftlichen Aufbaus vertraut machen.

 

Besonders forciert wurde diese K. mit der Zielvorstellung einer Überwindung der „noch vorhandenen Trennung von Kunst und Leben, der Entfremdung zwischen Künstler und Volk“ durch die als 1. Bitterfelder Konferenz bekanntgewordene Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlages Halle vom 24. 4. 1959 im Kulturpalast des VEB Elektrochemisches Kombinat Bitterfeld. Die hier von W. Ulbricht ausgegebenen kulturpolitischen Direktiven wurden in der Folgezeit als „Bitterfelder Weg“ popularisiert. Sie beinhalteten u. a. Bestrebungen zur Erhöhung des Kulturniveaus der Arbeiter, wie die Einbeziehung von „Kultur- und Bildungsplänen“ der Arbeitskollektive in den sozialistischen Wettbewerb und eine starke Förderung des künstlerischen Volksschaffens, z. B. durch die „Bewegung Schreibender Arbeiter“ und „Junger Talente“ sowie die Bildung von Arbeiter- und Bauerntheatern aus Laien.

 

Auf der 2. Bitterfelder Konferenz am 24.725. 4. 1964 wurde u. a. auf den Zusammenhang der Kulturrevolution mit der wissenschaftlich-technischen Revolution hingewiesen; die durch diese aufgeworfenen Probleme standen besonders Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre auch im Mittelpunkt verschiedener literarischer Werke, Theaterstücke, Filme und Fernsehspiele. 1965 wurde das einheitliche sozialistische Bildungssystem gesetzlich fixiert. Zu seinen Bestandteilen gehören die Einrichtungen der Vorschulerziehung (Kinderkrippen und Kindergärten), die zehnklassige allgemeinbildende polytechnische Oberschule, die Einrichtungen der Berufsausbildung, die zur Hochschulreife führenden Bildungseinrichtungen, die Ingenieur- und Fachschulen, die Universitäten und Hochschulen, die Einrichtungen der Aus- und Weiterbildung der Berufstätigen sowie die Sonderschuleinrichtungen. In allen Bildungseinrichtungen wird auf der Grundlage staatlicher Lehrpläne gearbeitet, für die das Ministerium für Volksbildung bzw. für Hoch- und Fachschulwesen verantwortlich ist. Die 3. Hochschulreform, deren Inhalte und Ziele vom VII. Parteitag der SED 1967 präzisiert wurden, koordinierte Lehre und Forschung mit den Bedürfnissen und [S. 491]den planmäßigen Veränderungen in den Betrieben. Der „Bitterfelder Weg“ führte in der Praxis zeitweise zu einer Nivellierung kunstästhetischer Maßstäbe. Kontroversen zwischen Vertretern der SED-K. und verschiedenen Künstlern entstanden auch aus unterschiedlichen Meinungen über die kritische Funktion der Kunst. Die nach der äußeren Abgrenzung durch die Maßnahmen des 13. 8. 1961 in Berlin erreichte innere Konsolidierung der DDR erlaubte nach Meinung dieser Künstler und einiger Kulturpolitiker eine offenere Auseinandersetzung mit Mängeln der eigenen Gesellschaft. Verschiedene Werke der Literatur, des Theaters und des Films, in denen diese Einstellung zum Ausdruck kam, wurden Mitte der 60er Jahre offizieller Kritik unterzogen, teilweise vom Spielplan abgesetzt, bzw. durften nicht erscheinen. Davon betroffen waren u. a. Schriftsteller wie V. Braun, P. Hacks, St. Heym und Ch. Wolf. Waren die entsprechenden Differenzen v. a. durch das 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 offenkundig und beeinflußt worden, so markierte der VIII. Parteitag der SED im Juni 1971 den Beginn eines positiveren Verhältnisses zwischen Künstlern und Partei, das seitdem mehrfach durch Begriffe wie „gegenseitiges Vertrauen“ und „schöpferische Atmosphäre“ gekennzeichnet wurde.

 

Auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 wurden Schriftsteller und Künstler zum „offenen, sachlichen, schöpferischen Meinungsstreit“ ermuntert und ihrer „schöpferischen Suche nach neuen Formen volles Verständnis“ zugesichert. E. Honecker ergänzte bald darauf diese Ankündigungen einer „offeneren“ K. durch die Feststellung, daß, „wenn man von festen Positionen des Sozialismus ausgeht, … es … auf dem Gebiet von Kunst und Literatur keine Tabus geben“ könne. Die für die durch den VIII. Parteitag der SED eingeleitete neue Phase der K. gültigen Richtlinien wurden auf der 6. Tagung des ZK der SED am 6./7. 7. 1972 präzisiert. K. Hager erklärte im Grundsatzreferat, daß es in der K. „um die Befriedigung sehr differenzierter kultureller und künstlerischer Bedürfnisse“ gehe und „in der Kunst des sozialistischen Realismus … eine reiche Vielfalt der Themen, Inhalte, Stile, Formen und Gestaltungsweisen zu erschließen“ sei.

 

Die in den letzten Jahren bei der Auslegung des Begriffs „Sozialistischer Realismus“ gewonnene zunehmende Variationsbreite wurde noch einmal durch den ausdrücklichen Hinweis auf „Weite und Vielfalt aller Möglichkeiten des sozialistischen Realismus“ unterstrichen, gleichzeitig aber betont, daß dies „jede Konzession an bürgerliche Ideologien und imperialistische Kunstauffassungen“ ausschließe. („Von den Beschlüssen [der Partei] ausgehen“ bedeute „im künstlerischen Schaffen nicht, sie zu illustrieren“. „Künstler sein heißt Entdecker neuer Wirklichkeiten sein, heißt Vordringen zu neuen Stoffen, Lebenstatsachen und Lebensbereichen.“)

 

Die Gestaltung von Widersprüchen und Konflikten in Kunstwerken wurde legitimiert, auch wenn dabei keine fertigen Lösungen geboten werden. „Das ‚Kritische Element‘“ erweise sich aber „nur produktiv in seinem dialektischen Verhältnis zur konstruktiven Funktion der Kunst in der sozialistischen Gesellschaft“. Besonders hervorgehoben wurde auch die künstlerische und gesellschaftliche Bedeutung des Heiteren. Schließlich hieß es: „Der Arbeitsstil aller leitenden Organe der Partei, des Staates und der gesellschaftlichen Organisationen muß durch Sachlichkeit und Sachkenntnis, durch das verständnisvolle Verhalten zu den Künstlern und Künsten, durch das umsichtige Fördern aller Talente geprägt sein. In ihm verbinden sich Prinzipienfestigkeit mit Feinfühligkeit für die vielschichtigen und komplizierten kulturell-künstlerischen Prozesse, die das für das weitere Erblühen der Kunst und Kultur gedeihliche Klima gewährleisten.“ Daß sich der so umrissene neue „verwissenschaftlichte“ und von den administrativ-dogmatischen Methoden der 50er und 60er Jahre unterscheidende Führungsstil der Partei auf dem Gebiet der K. allmählich durchsetzt, ist auch eine Folge der in den 60er Jahren begonnenen Ausbildung von „Kulturkadern“ in speziell konzipierten Hochschulstudiengängen und Sonderlehrgängen. Die sich in diesen theoretischen Äußerungen dokumentierenden Modifikationen in der K. seit dem VIII. Parteitag blieben auf dem Gebiet der Kunst nicht ohne Konsequenzen. Einige bislang unterdrückte Werke durften erscheinen; zeitweise repressiv behandelte Künstler erfuhren eine Aufwertung; bessere Möglichkeiten zur Entfaltung formaler und inhaltlicher Eigenarten führten zu höherer Qualität künstlerischer Produkte; die Rolle des Individuums in der sozialistischen Gesellschaft rückte stärker in den Mittelpunkt künstlerischer Gestaltung; bisher durch ideologische Bedenken eingeschränkte Möglichkeiten zum Kennenlernen und zur Auseinandersetzung mit künstlerischen Werken der Vergangenheit und Gegenwart aus dem sozialistischen und kapitalistischen Ausland wurden erweitert.

 

III. Kulturapparat, Institutionen und Organisationen

 

 

Die Anleitung und Kontrolle der K. erfolgt zentral über entsprechende Abteilungen im ZK der SED und die Ministerien für Kultur, für Volksbildung und für Hoch- und Fachschulwesen, das Staatssekretariat für Körperkultur und Sport, das Staatssekretariat für Berufsbildung, das Amt für Jugendfragen und die mit diesen Fragen befaßten Ausschüsse der Volkskammer. Bei den Räten der Bezirke, Kreise, Städte, Stadtbezirke und Gemeinden bestehen Abteilungen für Kultur, für Volksbildung, für Arbeit und Berufsausbildung und für Jugendfragen sowie ständige Kommissionen für Kultur, denen Abgeordnete der Volksvertretungen und kulturell interes[S. 492]sierte Mitglieder gesellschaftlicher Organisationen angehören. Eine wichtige Rolle bei der Kulturvermittlung — entweder durch die Organisierung von Veranstaltungen in Klub- und Kulturhäusern oder als Anreger kultureller Bildung — spielen Kulturbund, FDGB (mit ca. 220.000 Kulturobleuten in den Betriebsgewerkschaftsgruppen), FDJ, DSF und Urania. Für die Durchführung der den Kulturschaffenden gestellten kulturpolitischen Aufgaben mitverantwortlich sind die Akademie der Künste der DDR, die Gewerkschaft Kunst im FDGB (mit ca. 65.000 Mitgliedern = etwa 94 v. H. aller im kulturellen Bereich Tätigen) und die verschiedenen Künstlerverbände: Schriftstellerverband der DDR, Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR, Verband Bildender Künstler der DDR, Verband der Theaterschaffenden der DDR, Verband der Film- und Fernsehschaffenden der DDR und Bund der Architekten der DDR. Diese Institutionen und Organisationen üben auch beratende Funktionen bei der Konzipierung der K. aus.

 

Die überwiegend volks- bzw. organisationseigenen Verlage sowie die ganz wenigen kleinen privaten Verlage unterstehen mit ihrer Buch- und Zeitschriftenproduktion genauso wie das gesamte Filmwesen und die Staatstheater dem Ministerium für Kultur; städtische Bühnen und Kabaretts unterstehen den örtlichen Staatsorganen, ebenso die in jedem Bezirk bestehenden VEB Konzert- und Gastspieldirektionen, denen Organisierung und Durchführung aller übrigen künstlerischen Veranstaltungen ernster und unterhaltender Art obliegt. Das alleinige Recht zur Vermittlung von Künstlern und künstlerischen Ensembles aus der DDR ins Ausland und umgekehrt besitzt die Künstler-Agentur der DDR. 1973 gastierten Solisten und Ensembles aus der DDR in 40 Ländern: u. a. 168 Gesangs- und Instrumentalsolisten, Dirigenten und Kammermusikvereinigungen mit rund 800 Konzerten und führende Orchester und Theater während 36 Auslandsgastspielen mit 200 Vorstellungen. Verantwortlich für Rundfunk und Fernsehen sind ein Staatliches Komitee für Rundfunk und ein Staatliches Komitee für Fernsehen beim Ministerrat der DDR.

 

IV. Finanzierung kultureller Aufgaben und materielle Lage der Kulturschaffenden

 

 

Zum Teil durch Subventionierung aus dem Staatshaushalt sind die Kosten für Kulturgüter für den Konsumenten relativ niedrig; z. B. betragen die Preise für Bücher oft nur etwa ein Drittel vergleichbarer Ausgaben in der Bundesrepublik, Schallplatten kosten zwischen 4,10 Mark (Singles) und 16,10 Mark (LP), und die Eintrittspreise der Kinos bewegen sich zwischen 0,50 und 3 Mark. Durch einen Aufschlag von 0,05 bzw. 0,10 Mark auf Eintrittspreise bei Kulturveranstaltungen, Rundfunkgebühren und Schallplattenpreise wird der Kulturfonds der DDR finanziert. Er untersteht dem Ministerium für Kultur und wird durch ein Kuratorium verwaltet, dem u. a. die Präsidenten der Künstlerverbände, der Akademie der Künste, der Vorsitzende der Gewerkschaft Kunst und der 1. Bundessekretär des Kulturbundes der DDR angehören. Es entscheidet aufgrund staatlicher Richtlinien über die Verwendung der Mittel zur Förderung sozialistischer Kunst, z. B. für Finanzierung bestimmter in Auftrag gegebener Kunstwerke und für die „Verbesserung der Lebens- und Schaffensbedingungen der Schriftsteller und Künstler“.

 

 

Auftraggeber für Künstler, vor allem in den Bereichen der bildenden Kunst, der Dramatik, der Musik, des Films, aber auch in der Literatur, sind neben entsprechenden Kultureinrichtungen, wie Theater, Orchester, DEFA u. a., staatliche Institutionen, Betriebe und gesellschaftliche Organisationen. Zum Teil bestimmen die Aufträge als unmittelbare Partner der Künstler Arbeitskollektive aus den Betrieben, um auf diese Weise engere Beziehungen zwischen Kunstproduzenten und -konsumenten zu fördern. Erfahrungen mit aus unterschiedlichen Auffassungen von Künstlern und Auftraggebern resultierenden Konflikten führten in letzter Zeit zu Aufforderungen seitens kulturpolitischer Leitungsorgane, den individuellen künstlerischen Schaffensprozessen größeres Verständnis entgegenzubringen. Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann und der Sekretär des Rates für Kultur beim Minister für Kultur, Dr. Werner Kühn, betonten im theoretischen Organ des ZK der SED „Einheit“ (Nr. 6/1974), daß es bei der Auftragserteilung „nicht allein um Pläne und Beschlüsse“ gehe. Der „gesellschaftliche Auftrag“ sei nicht nur als „das Bestellen von Kunstwerken“, sondern [S. 493]„als eine produktiv-geistige Anregung, als Formulierung gesellschaftlicher Erwartung, als Ausdruck von Bedürfnis nach Kunsterlebnis“ zu verstehen. Man dürfe „unter keinen Umständen jenen Auftrag zurückstellen oder vergessen, den sich der Künstler selbst erteilt“. Ein umfangreiches System in der Regel mit steuerfreien Geldzuwendungen verbundener Preise und Auszeichnungen auf dem Gebiete der Kultur, Wissenschaft und Pädagogik sowie Stipendien, bevorzugte Wohnraumbeschaffung und Reisemöglichkeiten bieten zusätzliche materielle Anreize für Leistungen im Sinne der K.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 488–493


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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