DDR von A-Z, Band 1975

Lebensstandard (1975)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1979 1985


 

Der L. einer Bevölkerung wird durch eine Vielzahl von Faktoren geprägt, deren Auswahl und Gewichtung subjektiv bleiben muß - eine allgemein anerkannte Definition des Begriffs L. gibt es nicht. Menge, Qualität und Verfügbarkeit von Waren und Leistungen beeinflussen den L. ebenso wie die Wohnraumsituation, die Reisemöglichkeiten und das System der sozialen Sicherung, um nur einige Indikatoren der Lebenshaltung zu nennen. Die quantitative Erfassung dieser Elemente muß sich infolge Datenmangels auf einige äußere Merkmale beschränken; eine Wertung der nicht quantifizierbaren Faktoren aber ist nahezu unmöglich.

 

1. Einzelhandelsumsatz. Der Einzelhandelsumsatz — wichtigster Indikator für den privaten Verbrauch — hat seit Mitte der 60er Jahre stark zugenommen. Die Erhöhung war begleitet von erheblichen Strukturveränderungen innerhalb der Warengruppen. So expandierte der Verkauf von Genußmitteln bedeutend schneller als der von Nahrungsmitteln. Auch der Umsatz von industriellen Konsumgütern stieg überdurchschnittlich, vor allem der von „sonstigen Industriewaren“. In der Warengruppe „Elektroakustik, Foto-Kino-Optik, Schmuck, Straßenfahrzeuge“ sind die höchsten Zuwachsraten zu verzeichnen. Gerade in der Strukturveränderung zugunsten dieser Gruppe kommt das mit steigendem Wohlstand sich verändernde Konsumverhalten der Bevölkerung zum Ausdruck. Ein stetig wachsender Anteil des Einzelhandelsumsatzes entfällt auf nichtlebensnotwendige Güter.

 

2. Pro-Kopf-Verbrauch. Im Nahrungsmittelverbrauch spielen Kohlehydrate und Fette immer noch eine große Rolle, wenn sich auch allmählich ein Wandel zugunsten eiweißreicher teurer Nahrung wie Fleisch, Milch und Eier abzeichnet. Der Pro-Kopf-Verbrauch an Frischobst und Gemüse ist verhältnismäßig gering; zudem schwankt er von Jahr zu Jahr stark in Abhängigkeit von der jeweiligen Inlandsernte. Der Import konzentriert sich auf Südfrüchte, deren Angebot immer noch nicht ausreicht. Trotz der durch gesundheits- und ernährungspolitische Aufklärung geförderten Veränderungen im Nahrungsmittelverbrauch ernährt sich die Bevölkerung noch bei weitem zu kalorienreich: Täglich werden bei einem durchschnittlichen Bedarf von 2.600 cal pro Kopf 3.200 cal (Bundesrepublik 2.925 cal) aufgenommen. Obwohl der Umsatz von Genußmitteln mit wachsendem L. ständig zugenommen hat, liegt der Konsum noch deutlich unter dem westdeutschen Niveau - in erster Linie eine Folge der hohen Preise, die in der DDR für Genußmittel zu zahlen sind.

 

3. Bestand an langlebigen Konsumgütern. Die Ausstattung der privaten Haushalte mit langlebigen Konsumgütern ist zufriedenstellend. Bei einigen Produkten (Rundfunk- und Fernsehgeräten) werden in den oberen Einkommensgruppen bereits Sättigungstendenzen erkennbar. Ein Nachholbedarf besteht noch bei Kühlschränken und Waschmaschinen. Die DDR hat bei den meisten dieser Konsumgüter heute den Stand der Bundesrepublik Deutschland zu Ende der 60er Jahre erreicht. Neuartige hochwertige Produkte wie Stereo-Anlagen, Farbfernsehgeräte und Geschirrspülmaschinen sind dagegen bisher noch wenig verbreitet.

 

Bei der Ausstattung der Haushalte mit Kraftfahrzeugen herrscht in der DDR immer noch das Kraftrad vor; jedoch wird die laufende Zunahme der Kraftfahrzeugdichte in den letzten Jahren schon überwiegend von der wachsenden Zahl der Pkw getragen. Bislang wurde der Pkw-Bestand allerdings aus Produktions- und verkehrstechnischen Gründen durch hohe Preise und lange Lieferzeiten gering gehalten.

 

4. Wohnverhältnisse. Die Lebensbedingungen werden nicht zuletzt auch durch die Wohnverhältnisse geprägt. Obwohl die Wohnraumbeschaffung in der DDR immer noch ein akutes Problem darstellt, standen 1973 je 1000 [S. 514]Einwohner 369 Wohnungen zur Verfügung (Bundesrepublik 364). Dies günstige Verhältnis wird allerdings durch die durchschnittliche Wohnungsgröße relativiert, sie betrug 58 qm (Bundesrepublik 72 qm). Je Einwohner standen damit 21 qm zur Verfügung, gegenüber 26 qm in der Bundesrepublik (Bau- und Wohnungswesen). Für den Wohnwert sind neben der Größe das Ausstattungsniveau und der bauliche Zustand der Wohnungen entscheidend. Angesichts des hohen Altbestandes — über die Hälfte aller Wohnungen wurden vor 1919 gebaut — ist die Ausstattung wenig zufriedenstellend. Nur 11 v. H. aller Wohnungen waren 1971 mit Zentralheizung und 39 v. H. mit einem Bad ausgerüstet. Zudem befindet sich ein großer Teil der Wohngebäude in schlechtem baulichen Zustand, weil die Erhaltung von Altbauten lange Zeit vernachlässigt wurde? Durch eine seit Beginn der 70er Jahre zu beobachtende verstärkte Modernisierungs- und Neubautätigkeit soll das Wohnungsproblem bis 1990 gelöst werden.

 

 

 

 

5. Tourismus. Der steigende L. kommt auch in einer größeren Reisefreudigkeit zum Ausdruck. 1966 verreiste gut ein Drittel der Bevölkerung während des Urlaubs; in den letzten Jahren waren es wie in der Bundesrepublik Deutschland knapp die Hälfte. Allerdings fuhren nur 15 v. H. der DDR-Urlauber ins Ausland (ohne innerdeutschen Reiseverkehr); in der Bundesrepublik unternahm fast die Hälfte der Urlauber Auslandsreisen. Auffallend groß ist der Anteil der Personen, die einen Campingurlaub verbringen oder in den Ferien zu Verwandten und Freunden reisen - nicht zuletzt eine Folge der fehlenden Bettenkapazitäten.

 

Die Wertung relevanter nicht quantifizierbarer Faktoren für den L. würde einen Vergleich wohl stärker zugunsten der Bundesrepublik ausfallen lassen. Noch immer bestehen in der DDR in der Versorgung der Bevölkerung deutliche Mängel. Sortimentslücken und Lieferstörungen gehören auch heute noch zum Alltag der DDR. So hat z. B. das Sortiment an Textilien, Bekleidung und Schuhen — auch in seiner qualitativen Ausstattung — in fast allen Jahren nicht der Nachfrage entsprochen. Aber auch bei vielen alltäglich benötigten Dingen ist das Angebot immer noch unbefriedigend. Für Güter des gehobenen Bedarfs (z. B. Pkw) müssen vielfach längere, z. T. mehrjährige Wartezeiten hingenommen werden. Viele Erzeugnisse sind mit Qualitätsmangeln behaftet, die den Wert mindern oder gar den Gebrauch nach kurzer Zeit völlig unmöglich machen. Die Reparaturanfälligkeit zahlreicher Produkte wiegt besonders schwer, weil es seit Jahren an Ersatzteilen und Kapazitäten des Reparaturhandwerks fehlt. Die Bereitstellung [S. 515]von Dienstleistungen reicht bei weitem nicht aus. Die geringe Zahl z. B. von Reinigungen, Wäschereien und Tankstellen beeinträchtigt die Nutzung der Konsumgüter und verhindert die Entlastung der Bevölkerung. Da die verbesserte Ausstattung der Haushalte zu einem steigenden Bedarf an Reparaturen führt, entstehen ständig neue Engpässe.

 

Der Einfluß weiterer Faktoren auf den L. der Bevölkerung, die Bestandteil bzw. Auswirkungen der „sozialistischen Errungenschaften“ sind (Errungenschaften, sozialistische), läßt sich nur schwer bewerten. Im marxistisch-leninistischen Verständnis ermöglichen die sozialistischen Errungenschaften eine hohe gesellschaftliche Konsumtion (Konsumtion, gesellschaftliche), deren Anteil am L. allerdings aus westlicher Sicht bisher nicht quantifizierbar ist.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 513–515


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.