DDR von A-Z, Band 1975

Ministerrat (1975)

 

 

Siehe auch die Jahre 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1979 1985


 

Der M. bildet die Regierung der DDR und stellt damit die Spitze des Staatsapparates dar. Seine Stellung im Regierungssystem der DDR und seine Funktionen und Aufgaben wurden in der im Oktober 1974 durch Gesetz ergänzten und geänderten Verfassung (Art. 76–80) sowie dem Gesetz über den Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik (GBl. I, S. 253) vom Oktober 1972 festgelegt. Diese Bestimmungen waren das staatsrechtliche Resultat der vom M. im Regierungssystem der DDR seit Anfang 1971 tatsächlich wahrgenommenen Funktionen einer „Regierung“. 1949 wurde die „Provisorische Regierung der DDR“ von der Provisorischen Volkskammer gewählt. Diese Regierung wurzelte organisatorisch in der auf dem Gebiet der SBZ bis zur Gründung der DDR bestehenden Deutschen Wirtschaftskommission, in der Deutschen Verwaltung des Inneren, der Deutschen Verwaltung für Volksbildung und dem Zentralen Komitee für Staatliche Kontrolle, die im Auftrage der sowjetischen Besatzungsmacht Verwaltungsaufgaben wahrnahmen. Die Bezeichnung „Regierung“ wurde nur kurze Zeit beibehalten; bereits im ersten Gesetz über die Regierung vom November 1950 wurde die Bezeichnung M. geprägt. 1952 wurde die Bezeichnung „Regierung“ durch M. ersetzt; ein Wandel der Stellung als zentrales staatliches Organ ist damit jedoch nicht verbunden. Mit der Gründung des Staatsrates der DDR im September 1960 gingen in zunehmendem Maße die Regierungsfunktionen auf diesen über; dies schlug sich auch in der Bezeichnung des M. als „Exekutivorgan der Volkskammer und des Staatsrates“ im Gesetz über den M. von 1963 nieder. Regierungsfunktionen hat der M. jedoch seit 1970/1971 wieder übernommen, während der Staatsrat gleichzeitig an Bedeutung verlor.

 

Der M. setzt sich zusammen aus dem Vorsitzenden, dem Regierungschef, und den Mitgliedern, die den Titel „Minister“ tragen, auch wenn sie kein Ministerium leiten. Die Mitglieder des M. werden auf Vorschlag des Vorsitzenden des M., den die stärkste Fraktion zur Wahl vorschlägt, nach der Neuwahl der Volkskammer von ihr auf die Dauer von fünf Jahren gewählt und vom Vorsitzenden des Staatsrates auf die Verfassung vereidigt. Zwischen den Tagungen der Volkskammer kann der Vorsitzende des M. den Auftrag zur Wahrnehmung einer Funktion als Stellvertreter oder als Minister erteilen, muß dies aber von der Volkskammer bestätigen lassen.

 

Der M. ist ein Gremium mit 42 Mitgliedern (15. 8. 1975). Er tagt einmal in der Woche. Die Mehrzahl der Minister (37) stellt die SED, die anderen Parteien verfügen über je einen Stellv. des Vorsitzenden, die auch Ressortleiter sind.

 

[S. 575]Die Aufgaben des M. ergeben sich aus seiner Funktion als zentralem staatlichen Exekutivorgan. Der § 1 des Gesetzes legt im einzelnen fest, daß der M. als Organ der Volkskammer unter Führung der SED im Auftrag der Volkskammer die Grundsätze der staatlichen Innen- und Außenpolitik ausarbeitet, die einheitliche Durchführung der Staatspolitik leitet und die Erfüllung der politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen sowie der ihm übertragenen Verteidigungsaufgaben organisiert.

 

Seine Tätigkeit soll das materielle und kulturelle Lebensniveau der Bevölkerung erhöhen und dem Wohl der Arbeiterklasse und allen Bürger dienen. Er soll:

  • die Volkswirtschaft leiten und planen,
  • die kulturelle und geistige Entwicklung fördern,
  • wissenschaftliche Leitungsmethoden verwirklichen,
  • die Initiative der Werktätigen fördern,
  • Aufgaben der sozialistischen ökonomischen Integration im Rahmen des RGW lösen,
  • die sozialistische Demokratie durch Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften entwickeln,
  • mit diesen zusammen Maßnahmen zur Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen, des Gesundheits- und Arbeitsschutzes, der Arbeitskultur und der kulturellen und sportlichen Betätigung festlegen und die Grundlinie der Sozial-, Lohn- und Einkommenspolitik mit dem Bundesvorstand des FDGB erarbeiten,
  • die Grundsätze der Außenpolitik verwirklichen,
  • die Tätigkeit des Staatsapparates auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus verbessern,
  • die Räte der Bezirke anleiten und kontrollieren und sie in die Ausarbeitung von Beschlüssen einbeziehen, wenn diese materielle, soziale und kulturelle Erfordernisse der Bezirke berühren,
  • grundsätzliche Entscheidungen zur Abstimmung und Harmonisierung der politischen, ökonomischen, kulturellen und sozialen Entwicklung der Territorien treffen, womit Standortentscheidungen über Industrieansiedlungen sowie Entscheidungen über Verkehrssysteme, Arbeitskräfteverteilung und -einsatz, Entwicklung der Arbeits- und Lebensbedingungen und Umweltschutz gemeint sind.

 

Schließlich soll er die Rechtsordnung planmäßig ausbauen, die sozialistische Gesetzlichkeit festigen und Rechte und Freiheit der Bürger schützen.

 

Alle Aufgaben sollen der Verwirklichung der Beschlüsse der SED dienen sowie auf der Grundlage der Beschlüsse und Gesetze der Volkskammer gelöst werden. Diese Entwürfe zu Gesetzen und Beschlüssen werden der Volkskammer vom M. unterbreitet; sie stimmt auch der Regierungserklärung zu Beginn jeder Wahlperiode zu. Die Wahrnehmung faktisch aller Leitungs- und Planungsaufgaben — mit Ausnahme von Aufgaben im militärischen Bereich durch die Bindungen im Warschauer Pakt und die Funktionen des Nationalen Verteidigungsrates — gewährleistet der M. durch die Ministerien und die anderen zentralen Organe, die ihm unterstellt sind, wie z. B. die Staatssekretariate mit eigenem Geschäftsbereich, die Staatliche Plankommission u. a. m. Für die eigene Geschäftstätigkeit, d. h. die Erfüllung nicht delegierbarer Aufgaben und seine Entscheidungstätigkeit stehen ihm im Büro des M. Arbeitsgruppen und Kommissionen sowie durch die Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Räten interne wie externe Institutionen zur Verfügung.

 

Das Büro des M. ist die Koordinationsstelle für die Arbeiten des M.; es dient jedoch vor allem dem Vorsitzenden. Zu seinen Aufgaben gehören u. a. die Vorbereitung der Sitzungen des M., die Begutachtung der Vorlagen, die Abfassung von Gesetzestexten, die Kontrolle der Tätigkeit der Ministerien und anderer zentraler Organe, die Anleitung von staatlichen Institutionen wie der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaften, des Presseamtes und anderer Ämter. Es verfügt über Abteilungen, die mit bestimmten Komplexen der Innen- wie der Außenpolitik befaßt sind, und die den zur Wahrnehmung besonderer Aufgaben betrauten Stellv. des Vorsitzenden oder Staatssekretären unterstehen, z. B. in Fragen des RGW, der Anleitung und Kontrolle des Staatsapparates und anderer Institutionen. Der M. wird als kollektiv arbeitendes Gremium bezeichnet. In seinen Sitzungen werden Vorlagen der Ministerien diskutiert, Koordinationsentscheidungen getroffen, Berichte entgegengenommen und Entscheidungen des Präsidiums des M. bestätigt. Das Präsidium ist das für das Funktionieren des M. als zentraler Entscheidungsinstanz wichtigstes Gremium. Es umfaßt den Vorsitzenden des MR und seine Stellv. sowie den Finanzminister, den Leiter des Amtes für Preise und den Minister für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft. Das Präsidium nimmt die Funktionen des M. zwischen dessen Tagungen wahr, kann also auch Beschlüsse fassen, die als solche des gesamten M. gelten, bereitet grundlegende Entscheidungen des M. vor, konzentriert die Arbeit des M. auf die zu lösenden Aufgaben.

 

Die Kompetenzen des M. werden damit stark vom Präsidium des M., vor allem aber dem Vorsitzenden wahrgenommen. Die Rolle des gesamten M. wird u. a. dadurch gekennzeichnet, daß manche seiner Entscheidungen zwar der Zustimmung der Volkskammer bedürfen (Perspektiv- und Jahres- sowie Haushaltspläne), die Vorarbeiten dazu aber von ihm geleistet und die zur Durchführung notwendigen Entscheidungen in eigener Verantwortlichkeit getroffen werden, womit er die zentrale staatliche Instanz im Willensbildungs- und Entscheidungsprozeß darstellt; im Selbstverständnis der SED impliziert dies jedoch nicht eine Trennung von oberstem staatlichen Machtorgan (Volkskammer) und Regierung.

 

Zusammensetzung des M. (15. 8. 1975):

Vorsitzender des M. Sindermann, Horst (SED)
Erste Stellv. Vors. d. M. Mittag, Günter (SED)
Neumann, Alfred (SED)
Stellv. Vors. u. Vors. d. Staatl. Vertragsgerichts Flegel, Manfred (NDPD)
Stellv. Vors. u. Min. der Justiz Heusinger, Hans-Joachim (LDPD)
Stellv. Vors. u. Min. f. Allg. Masch.-, Landm.- u. Fahrzeugbau Kleiber, Günther (SED)
[S. 576]Stellv. Vors. u. Min. f. Materialwirtschaft Rauchfuß, Wolfgang (SED)
Stellv. Vors. u. Min. f. Umweltschutz u. Wasserwirtschaft Reichelt, Hans (DBD)
Stellv. Vors. u. Vors. d. Staatl. Plankomm. Schürer, Gerhard (SED)
Stellv. Vors. u. Min. f. Post- u. Fernmeldewesen Schulze, Rudolph (CDU)
Stellv. Vors. Weiß, Gerhard (SED)
Stellv. Vors. u. Min. f. Wissenschaft u. Technik Weiz, Herbert (SED) Mitglieder;
Min. f. Verkehrswesen Arndt, Otto (SED)
Min. f. Leichtindustrie Bettin, Karl (SED)
Min. d. Finanzen Böhm, Siegfried (SED)
Min. f. Geologie Bochmann, Manfred (SED)
Min. f. Hoch- u. Fachschulwesen Böhme, Hans-Joachim (SED)
Min. f. Handel u. Versorgung Briksa, Gerhard (SED)
Min. des Inneren Dickel, Friedrich (SED)
Stellv. Vors. d. Staatl. Plankommission Fichtner, Kurt (SED)
Min. f. Auswärtige Angelegenheiten Fischer, Oskar (SED)
Min. f. Werkzeug- u. Verarbeitungsmaschinenbau Georgi, Rudi (SED)
Min. f. Glas- u. Keramikindustrie Greiner-Petter, Werner (SED)
Leiter d. Amtes f. Preise Halbritter, Walter (SED)
Min. f. Kultur Hoffmann, Hans-Joachim (SED)
Min. f. Nationale Verteidig. Hoffmann, Heinz (SED)
Min. f. Volksbildung Honecker, Margot (SED)
Min. f. Bauwesen Junker, Wolfgang (SED)
Staatssekretär in der Staatl. Plankommission Klopfer, Heinz (SED)
Oberbürgermeister von Ost-Berlin Krack, Erhard (SED)
Min. f. Land-, Forst- u. Nahrungsgüterwirtschaft Kuhrig, Heinz (SED)
Vors. des Komitees d. Arbeiter-u.-Bauern-Inspektion Matthes, Heinz (SED)
Min. f. Gesundheitswesen Mecklinger, Ludwig (SED)
Min. f. Staatssicherheit Mielke, Erich (SED)
Min. f. Kohle u. Energie Siebold, Klaus (SED)
Min. f. Erzbergbau, Metallurgie u. Kali Singhuber, Kurt (SED)
Min. f. Außenhandel Sölle, Horst (SED)
Min. f. Elektrotechnik u. Elektronik Steger, Otfried (SED)
Min. f. Bezirksgeleitete u. Lebensmittelindustrie Wange, Udo-Dieter (SED)
Min. f. Chemische Ind. Wyschofsky, Günther (SED)
Min. f. Schwermaschinen- u. Anlagenbau (SED) Zimmermann, Gerhard
Präsident der Staatsbank Kaminsky, Horst (SED)

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Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 574–576


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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