Sekretariat des Zentralkomitees (ZK) der SED (1975)
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Nach dem noch gültigen Parteistatut von 1963, Punkt 41, wählt das ZK zur politischen Leitung seiner Arbeit das Politbüro, „… zur Leitung der laufenden Arbeit, hauptsächlich zur Organisierung der Kontrolle (im ursprünglichen Entwurf von 1962 hatte es noch geheißen „der Durchführung“) der Parteibeschlüsse und zur Auswahl der Parteiarbeiter, das Sekretariat …“ Dem Politbüro untergeordnet, bildet das S. das operative, d. h. faktische Führungszentrum der SED. Im S. des [S. 766]ZK sind politische Macht, ideologische und politische Richtlinienkompetenz und Sachverstand vereinigt.
Das heutige S. des ZK kann kaum mit dem vom April 1946 bis Sommer 1949 amtierenden Zentralsekretariat (ZS) verglichen werden, das sowohl die Funktionen des späteren Politbüros als auch die eines S. wahrnahm. Gemäß dem ersten Statut der SED von 1946 war das Zentralsekretariat dem Parteivorstand für die „Durchführung der Politik der Partei verantwortlich“. Es setzte sich aus den beiden Parteivorsitzenden und weiteren 12 Mitgliedern zusammen und wurde aus der Mitte des Parteivorstandes gewählt. Dem ersten ZS, das von April 1946 bis zum September 1947 bestand, gehörten 7 ehemalige KPD- und 7 frühere SPD-Mitglieder (paritätische Besetzung) an. Auf dem II. Parteitag wurde die Zahl der ZS-Mitglieder auf 16 erhöht. Die Parität blieb erhalten.
Bereits unmittelbar vor der 1. Parteikonferenz im Januar 1949 wurde das Prinzip der Parität durchbrochen. Nach der Flucht des früheren SPD-Mitgliedes Gniffke wurden ein ehemaliges SPD-Mitglied (Buchwitz) und zusätzlich ein früheres KPD-Mitglied (W. Koenen) in das ZS berufen.
Durch die Gründung des Politbüros und des „Kleinen S.“ auf der 1. Parteikonferenz verlor das ZS seine bis dahin zentrale Funktion und wurde daher im Frühsommer 1949 aufgelöst. Im Juli 1949 erfolgte auf Beschluß des Parteivorstandes die Auflösung der „Großen S.“ auf Landesebene.
Unmittelbar vor der 1. Parteikonferenz, am 24. 1. 1949, beschloß der Parteivorstand neben der Gründung des Politbüros die Schaffung des „Kleinen S.“. Seine ursprüngliche Aufgabe bestand in der „Unterstützung der ganzen Arbeit des Politbüros, zur Kontrolle der Durchführungen seiner Beschlüsse, zur Vorbereitung der Vorlagen und zur Erledigung der laufenden Arbeit“. Das neugeschaffene erste „Kleine S.“ setzte sich ursprünglich aus 5 Mitgliedern (Ulbricht, Dahlem, Oelßner, E. Baumann und Wessels) zusammen, von denen nur 2 (Ulbricht und Dahlem) dem Politbüro angehörten. Noch im Verlauf des Jahres 1949 wurde das „Kleine S.“ in das „S. des ZK“ umgewandelt und seine Eigenständigkeit erhöht.
Das zweite Parteistatut, vom III. Parteitag 1950 beschlossen, übertrug dem S. „die allgemeine Leitung der Organisationsarbeit und die tägliche operative Führung der Tätigkeit der Partei“.
Die Zahl der S.-Mitglieder erhöhte sich von 5 auf 11, Ende 1952 durch Kooptation auf 13. Im Juli 1953, auf der 15. ZK-Tagung (dem zweiten ZK-Plenum unmittelbar nach dem Juni-Aufstand) wurde beschlossen, „aus Gründen der Verbesserung der leitenden Organe des ZK, das S. des ZK in seiner bisherigen Form aufzuheben“ und es auf 6 Sekretäre zu verkleinern. Bereits 1954 wurde es aber wieder auf 9 Sekretäre vergrößert.
Nach dem VI. Parteitag der SED (beginnend mit Februar 1963) wurden beim Politbüro 2 Büros (Industrie und Bauwesen, Landwirtschaft) und 2 Kommissionen (Ideologie, Agitation) eingerichtet. Mit Ausnahme der Agitations-Kommission wurden diese Büros bzw. Kommissionen auf allen Ebenen der Parteiorganisation installiert. Die Büros und Kommissionen beim Politbüro wurden von Mitgliedern bzw. Kandidaten des Politbüros geleitet. Diese organisatorische Reform innerhalb der SED orientierte sich an den von Chruschtschow auf dem November-Plenum des ZK der KPdSU von 1962 angekündigten Veränderungen innerhalb der sowjetischen Partei. Nach Chruschtschows Sturz und dem XXIII. Parteitag der KPdSU wurden diese Reformen (noch vor dem VII. Parteitag der SED 1967) wieder rückgängig gemacht. Das S. erhielt wieder seine alten Rechte und Funktionen.
An der Spitze des S. steht der „Erste Sekretär“ der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Erich Honecker (geb. 1912) übernahm am 3. 5. 1971 diese Funktion von Walter Ulbricht, den er zuvor schon auf S.- und Politbürositzungen vertreten hatte. Die Funktion des „Ersten Sekretärs“ (niemals: „1.“ Sekretär, da diese Bezeichnung den Spitzenfunktionären auf Bezirks- und Kreisebene vorbehalten ist) wird im gültigen Parteistatut von 1963 (VI. Parteitag) überhaupt nicht erwähnt. Nach dem VIII. Parteitag von 1971 erhielt der „Erste Sekretär“, erstmals in der Geschichte der SED, auch einen eigenen „Stander“ (Dienstflagge).
Außer dem „Ersten Sekretär“ gibt es gegenwärtig (1974) 10 weitere Sekretäre:
Hermann Axen (geb. 1916) für Internationale Verbindungen,
Horst Dohlus (geb. 1925) für Parteiorgane,
Gerhard Grüneberg (geb. 1921) für Landwirtschaft, Kurt Hager (geb. 1912) für Wissenschaft, Volksbildung, Kultur,
Dr. Werner Jarowinski (geb. 1927) für Außenhandel, Handel und Versorgung.
Werner Krolikowski (geb. 1928) für Wirtschaft, Werner Lamberz (geb. 1929) für Agitation und Propaganda,
Ingeborg Lange (geb. 1927) für Frauenfragen,
Albert Norden (geb. 1904) für befreundete Parteien und Massenorganisationen, Weltfriedensrat, „West“-Fragen,
Paul Verner (geb. 1911) für Sicherheit.
Im 11köpfigen S. ist seit Oktober 1973 (10. ZK-Plenum) wieder eine Frau (I. Lange) vertreten. Das Durchschnittsalter der Sekretäre beträgt 55 Jahre (Stand 1974). 2 Sekretäre leiten zugleich auch Abteilungen im ZK-Apparat: Horst Dohlus die Abteilung Parteiorgane und Ingeborg Lange die Abteilung Frauen. Insgesamt unterstehen den Sekretären ca. 40 Abteilungen und die Parteiinstitute. Personell besonders stark besetzte Abteilungen sind die Abteilung Sozialistische Wirtschaftsführung (Janson), Internationale Verbindungen (Markowski) und Wissenschaft (Hörnig).
Die Abteilungen leisten die tägliche Arbeit. Sie erarbeiten für staatliche und andere Institutionen und Organisationen „Vorschläge zur Klärung herangereifter Probleme und zur Neufassung gesetzlicher Bestimmungen“. Durch ihr Expertenwissen sind die Sektoren- und Abteilungsleiter in der Lage, auch eigene Vorschläge zu unterbreiten und damit den Entscheidungsmechanis[S. 767]mus sowohl im Politbüro wie z. B. im Ministerrat zu beeinflussen. Die ZK-Abteilungen sammeln Informationen, entwerfen Beschlüsse, Direktiven und Richtlinien und halten den Kontakt zu entsprechenden Abteilungen des sowjetischen ZK und der anderen „Bruderparteien“. Der ZK-Apparat hat eine eigene Partei-Grundorganisation, 1. Sekretär ist W. Homuth.
Neben ZK-Abteilungen mit eindeutig politischen Aufgaben gibt es solche mit überwiegend organisatorisch-technischen Funktionen. Z. B. existiert ein ZK-eigenes Fernmeldewesen, Abteilungsleiter ist Heinz Zumpe. Vor allem mit Verwaltungsaufgaben betraut ist die Abteilung Zentrag (Parteiverlage), Leiter ist P. Kubach; die Verwaltung der parteieigenen Wirtschaftsbetriebe (Leiter: Günther Glende) und der Parteifinanzen und -betriebe (Karl Raab) obliegt gleichfalls selbständigen ZK-Abteilungen.
Den Status eines ZK-Abteilungsleiters haben auch die Bürochefs der Sekretäre, die Stellvertreter des Leiters des Büros des Politbüros und einzelne Direktoren von wichtigen Parteibetrieben (z. B. der Direktor des Dietz-Verlages u. a.).
Die Abteilungen des ZK sind in einzelne Sektoren unterteilt, an deren Spitze ein Sektorenleiter steht. Ihm unterstehen die Mitarbeiter.
Der ZK-Apparat verfügt über eine hervorragende Datenbank, ein modern ausgerüstetes Rechenzentrum und eine auf dem neuesten Stand gehaltene Personenkartei (Nomenklatur).
Das S. des ZK (d. h. alle 11 Sekretäre) tagt — soweit bekannt — wöchentlich (jeden Donnerstag) unter Vorsitz seines „Ersten Sekretärs“ E. Honecker. Beschlüsse des Politbüros und des ZK heben entgegenstehende Direktiven und Beschlüsse des S. oder einzelner Sekretäre auf, bzw. können sie abändern. Die gesamte Parteiarbeit sowie die Tätigkeit der leitenden Organe wird durch das ZK-S. vorgeplant und koordiniert. Gegenwärtig sind (mit Ausnahme des Sekretärs und Leiters der Abteilung Parteiorgane Horst Dohlus) alle Sekretäre Mitglieder oder Kandidaten des Politbüros, so daß diese Spitzenfunktionäre sowohl innerhalb der SED wie im gesamten politischen System der DDR über die umfassendste Entscheidungskompetenz verfügen. Diese gründet aber auch auf dem im ZK-Apparat vorhandenen Sachwissen, wodurch die Sekretäre des ZK auch fachlich eine Konkurrenz zur Bürokratie des Staats- und Wirtschaftsapparates darstellen. Ohne Zweifel führte die Existenz zweier politisch über- bzw. untergeordneter, aber fachlich konkurrierender Bürokratien in der DDR in Vergangenheit und Gegenwart zu Spannungen.
Die tatsächliche Arbeitsteilung zwischen S. und Politbüro ist von außen nicht eindeutig abgrenzbar. Es lassen sich nur Schwerpunkte der Tätigkeit beider Leitungsorgane feststellen. Das S. beschäftigt sich vor allem mit Parteiangelegenheiten (Parteiwahlen, Kaderpolitik, Parteischulung, Direktiven und Stellungnahmen an die Bezirks- und Kreisleitungen, Kontrolle der unterstellten Apparate durch Arbeitsgruppen und Kommissionen). Das Politbüro entscheidet über politische Grundsatzfragen, die Staat und Gesellschaft als ganzes betreffen. Als organisatorische Schaltstelle zwischen S. und Politbüro fungiert das Büro des Politbüros, an dessen Spitze ein ZK-Abteilungsleiter steht. (Bis zu seinem Tode O. Schön, danach G. Glende-Trautzsch; Stellvertreter sind Rudolf Thuning und Christel Schulz). Es bereitet technisch-organisatorisch die Tagungen des PB vor. Zu seinen Aufgaben gehören auch die Organisation von Konferenzen auf höchster Ebene (Thuning), die Abwicklung des parteieigenen Kurierdienstes (Chr. Schulz) und die Anleitung der technischen bzw. Verwaltungsabteilungen des ZK.
Obwohl das S. in erster Linie für die unmittelbare Arbeit der Parteiorgane zuständig ist, umfaßt in der Praxis sein Wirkungsbereich auch den Staats- und Wirtschaftsapparat sowie gesellschaftliche Institutionen. Formal und im Verständnis von der „führenden Rolle“ der Partei kann ein Sekretär oder ein Abteilungsleiter des ZK-Apparates einem Staatsfunktionär (Minister, Staatssekretär usw.) zwar keine Weisungen erteilen, doch kann eine nichtfixierte „informelle“ Befehlsstruktur angenommen werden, die es z. B. einem Staatsfunktionär unmöglich macht, „Wünsche“, „Empfehlungen“ oder „Anregungen“ eines Leitungsorganes der Partei auf gleicher oder übergeordneter Ebene zu ignorieren.
Die faktisch dominierende Stellung des S. gründet aber vor allem in der Zuständigkeit der Kader-Kommission für die Nomenklatur-Kader des ZK, auf deren Vorschläge vom Sekretariat alle Spitzenfunktionen in Partei und Staat ernannt oder „gewählt“ werden. Für die Kontrollkader ist dagegen ausschließlich die Kaderkommission des ZK (Leiter: Fritz Müller [geb. 1920], Abteilungsleiter im ZK-Apparat) zuständig (Kader; Nomenklatur).
Alle Sekretäre haben ein persönliches Büro, dem ein Leiter vorsteht. In der Regel haben diese Büros 3–5 Mitarbeiter. Die Bürochefs haben den Status eines ZK-Abteilungsleiters und nehmen an den Besprechungen der Abteilungsleiter des ZK gleichberechtigt teil. Diejenigen Politbüro-Mitglieder und -Kandidaten, die keine Sekretäre des ZK bzw. nicht Mitglieder des Sekretariats sind, verfügen ebenfalls über eigene Mitarbeiter im ZK-Apparat bzw. kleinere Stäbe für besondere Aufgaben.
Die Vermittlung von Beschlüssen der Parteiführung an die nachgeordneten Parteiorganisationen der Bezirke und Kreise geschieht durch:
1. Konferenzen und Tagungen der Sekretäre des ZK mit den 1. Bezirks- oder Kreissekretären in der Sonderschule des ZK in Brandenburg sowie das Auftreten zentraler Funktionäre in ausgewählten Bezirks- oder Kreisorganisationen (z. B. in Spannungssituationen, bei Parteiwahlen usw.);
2. schriftliche Information von oben nach unten und umgekehrt. Eine besondere Rolle spielen hierbei die „Parteiinformationen“, die Direktiven und Beschlußerläuterungen und die Stellungnahmen des S. zu bestimmten Entwicklungen in den territorialen Parteiorganisationen;
3. Einsatz von Arbeitsgruppen oder Instrukteurbrigaden des ZK in jenen Bezirks- oder Kreisparteiorganisa[S. 768]tionen, in denen Mängel in der politischen Arbeit auftreten. Bis Mitte der 50er Jahre, und wieder nach 1964, wurden Parteiorganisatoren des ZK in ausgewählten Großbetrieben und Kombinaten eingesetzt.
Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 765–768
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