DDR von A-Z, Band 1975

Städtebau (1975)

 

 

Siehe auch die Jahre 1966 1969 1979 1985


 

Die Stadt ist die „wirtschaftlichste und kulturreichste Siedlungsform“. Nach Auffassung der Architekten der DDR baut jede Gesellschaft ihre eigenen Städte, und die Städte wirken ihrerseits auf das Bewußtsein der Menschen zurück. Der St. der DDR sei deshalb Ausdruck der neuen Gesellschaftsordnung in der DDR und zugleich der Raum, innerhalb dessen sich die Gesellschaft weiter entwickele.

 

Aufgrund dieser Prämissen ist dem St. in der DDR immer eine besondere Bedeutung beigemessen worden. Bereits 1950 wurde das Gesetz über den Aufbau der Städte in der DDR und der Hauptstadt Deutschlands Berlin, das Aufbaugesetz, beschlossen (GBl. Nr. 104, 6. 9. 1950) und es wurden die „16 Grundsätze des St.“ erlassen (Ministerialblatt Nr. 25 v. 15. 9. 1950).

 

In der Entwicklung des St. in der DDR lassen sich 3 Etappen unterscheiden:

 

1. 1950–1955: Nationales Aufbauprogramm und 1. Fünfjahrplan: Beseitigung der gröbsten Kriegsschäden;

 

Beginn des Wiederaufbaus bedeutender Kulturdenkmäler (Staatsoper Berlin, Zwinger Dresden) und einer Reihe von Altstädten; Beginn des Baus von neuen Industriestädten (Eisenhüttenstadt) sowie von Straßenzügen (Lange Straße in Rostock, Karl-Marx-Allee Berlin, 1. Abschnitt) und Plätzen (Altmarkt in Dresden).

 

2. 1955–1966: Beginn der Industrialisierung des Bauens, verbunden mit der Typenprojektierung: Bau von neuen Wohnstädten in Hoyerswerda und Schwedt, Baubeginn in Halle-Neustadt sowie Bau von reinen Wohnsiedlungen wie Rostock-Lütten Klein und Hans-Loch-Str. in Berlin.

 

Die Anwendung des industriellen Bauens führte jedoch zu Schematismus und Monotonie. Das künstlerische Moment des St. war zugunsten des wirtschaftlichen völlig zurückgetreten. Eingeschränktes Typensortiment, starre Vorfertigung und Orientierung an der scheinbar rationellsten Bautechnik („Kran-Ideologie“ schafft monotonen Zeilenbau) hatten zwar die Forderung des IV. Parteitages der SED (1954) verwirklicht, schneller, billiger und mehr zu bauen, aber die Eintönigkeit der dabei entstandenen Siedlungen war nicht zu übersehen.

 

In diese Periode fällt aber auch der Beschluß über die Grundsätze zur Planung und Durchführung des Ausbaus der Stadtzentren vom 4. 5. 1961 (GBl. II, 1961, Nr. 30), der sich in der Errichtung der Wohnhäuser in der Karl-Marx-Allee (2. Bauabschnitt) und dem Wiederaufbau der alten Magistrale Unter den Linden in Berlin (Ost), sowie dem Aufbau der Straße der Nationen in Karl-Marx-Stadt und der Karl-Marx-Allee in Magdeburg niederschlug.

 

3. Seit 1966: Von Beginn bis Mitte der 60er Jahre wurde in der DDR lebhaft über die weitere Entwicklung des St. diskutiert. Mit der Umorganisation des Instituts für St. und Architektur der Bauakademie wurden 1966 die Weichen gestellt für eine verstärkte Berücksichtigung baukünstlerischer Prinzipien und eine Verbesserung der Bautechnik. Der St.-Beschluß von 1961 konnte realisiert werden und mit Blickpunkt auf den 20. Jahrestag der DDR wurde der Aufbau der Stadtzentren der wichtigsten Städte der DDR in den Mittelpunkt gerückt. Im Gegensatz zu früher wurde nun komplexer geplant: Umgestaltung der Siedlungsstruktur, Generalbebauungs- und Verkehrspläne, Bezirkspläne usw. Die Stellung der Chefarchitekten der Städte (z. B. Berlin bis 1973 Joachim Näther, Nachfolger: Roland Korn) wurde gestärkt.

 

In den Städten Berlin (Alexanderplatz und angrenzende Straßen), Leipzig (Karl-Marx-Platz), Dresden (Prager Straße), Magdeburg (Zentraler Platz), Potsdam (Karl-Liebknecht-Forum) u. a. wurden völlig neue Zentren geschaffen, in einer Vielzahl anderer Städte mit dem Umbau begonnen. Die Stadtzentren waren jeweils als Räume („Ensemble“) mit einem beherrschenden Wahrzeichen („Dominante“) geplant (z. B. Berlin: Fernsehturm und Hotel „Stadt Berlin“, Leipzig: Uni-Hochhaus). Nach den Überlegungen der Städtebauer der DDR erhält ein Stadtzentrum sein Gesicht mittels besonders hervorragender Bauwerke. In Auswahl, Verteilung und Gestaltung dieser Bauwerke drücke sich ein [S. 836]künstlerisches Element des St. aus. Gesetze der menschlichen Wahrnehmung, funktionelle Notwendigkeiten und bautechnische Möglichkeiten führen dazu, diese Bauwerke monumental als typisches Merkmal (Wahrzeichen) einer Stadt zu gestalten (Zeichen-Architektur).

 

Nach dem Tod von W. Ulbricht hat sich der Schwerpunkt des St. von den Zentren wieder mehr auf die Errichtung von Wohngebieten verlagert (Ausnahme: „Palast der Republik“ in Berlin). Im Mittelpunkt der Prognosen stehen neben dem Wohnungsbau vor allem die Erhalten und Verbesserung der Altbausubstanz. Die Mittel für das repräsentative Bauen sind zugunsten dieser Aufgaben gekürzt worden. Bau- und Wohnungswesen.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 835–836


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.