Umweltschutz (1975)
I. Ursachen und Gefahren der Umweltverschmutzung
Die Gesundheit des Menschen und der Tierwelt wird heute auch in der DDR zunehmend durch Schadstoffe der belebten und der unbelebten Natur beeinträchtigt, insbesondere durch chemische Faktoren. Luft, Wasser, Boden und Pflanzen werden verunreinigt und schädigen so die Umwelt; über Nahrungsmittel oder direkte Kontakte wirkt sich dies nachteilig auf die menschliche Gesundheit aus.
Die Luftverunreinigung wird vor allem durch Staub, durch Industrieabgase und Rußbildung der Feuerungsanlagen der Haushalte — mit Schwefeldioxyd (SO₂) u. a. — sowie durch Kraftfahrzeug- und Flugzeugabgase mit den Hauptschadstoffen Blei (Pb), Kohlenmonoxyd (CO), Benzpyren, hervorgerufen. Dabei wird nicht nur die Gesundheit des Menschen beeinträchtigt und die Pflanzen- und Tierwelt geschädigt, es treten als Folgeerscheinungen auch erhöhte Korrosions- sowie Produktionsschäden in Industrie und Landwirtschaft auf.
Welche Auswirkungen allein für die Gesundheit eintreten, verdeutlicht, daß nach DDR-Berechnungen eine Senkung der Emissionen in stärker belasteten Gebieten auf die Hälfte eine Minderung der allgemeinen Sterberate um 4,5 v. H., eine Erhöhung der durchschnittlichen Lebenserwartung um rund 4 Jahre, einen Rückgang der bösartigen Geschwülste der Atemwege um ein Viertel sowie eine Verminderung von 10–15 v. H. der Herz- und Kreislauferkrankungen bewirken würde.
Bei der Wasserverschmutzung erweist sich das Problem der Abwässer — z. B. Überschußkühlwasser von Kraftwerken (5 v. H. des Wasserdurchlaufs der DDR gehen als Kühl- und Brauchwasser an Kraftwerke), ölhaltige Abwässer, Entsalzungswässer, Verunreinigungen durch Farben und Chemikalien — als besonders gefährlich. Sie beeinträchtigen nicht nur die Trink- und Gebrauchswasserversorgung des Menschen, sondern auch die Sauberhaltung der Flüsse, Binnengewässer und Meere. Während die Meere zunehmend organische und mineralogische Verschmutzungen mit den bekannten Gefahren für den Nahrungsmittelkreislauf sowie auch Radioaktivität aufweisen, zeigen die Binnengewässer durch Abwässer hervorgerufene starke Störungen des biologischen Gleichgewichts. Infolge von Temperaturerhöhungen durch industrielles Kühlwasser, durch nährstoffhaltige Abwässer oder durch Auswaschungen von auf Äckern verteilten Düngemitteln wird überein stimuliertes Wachstum von Flora und Fauna Sauerstoffmangel ausgelöst, der schließlich Fäulnisprozesse anregt. Einzelne Flüsse wie Saale und Weiße Elster führen bereits Wasser der Güteklasse 4 und gelten als hochgradig verunreinigt.
Bei der Bodenverschmutzung spielen neben der Bodenverschlechterung (z. B. durch agrarischen Raubbau, Übermelioration), dem Bodenentzug der Landwirtschaft (z. B. durch den Braunkohlenbergbau) und der ungeordneten Abfallagerung, vor allem auch die Ablagerung von Schadstoffen aus Luft und Wasser eine große Rolle. Bodenschädigende Auswirkungen hat auch der starke Gebrauch von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungspräparaten (Insektizide, Herbizide, Fungizide und Pestizide).
Die Lärmbelästigung erweist sich zunehmend als [S. 869]Störfaktor, da in der DDR lärmbedingte Berufskrankheiten mit einem Anteil von über 50 v. H. seit Mitte der 60er Jahre an der Spitze der Berufserkrankungen stehen. Quelle der Lärmbelästigung ist neben dem Lärm der Produktionsstätten vor allem der Straßenverkehr. Geht man davon aus, daß drei Viertel der Bevölkerung der DDR in Städten lebt und berücksichtigt man davon die Hälfte, so dürften ca. 6 Mill. Menschen ständiger Lärmeinwirkung ausgesetzt sein.
Schließlich nehmen Strahlenschäden zu, einerseits durch die natürliche Strahlenbelastung der Bevölkerung und andererseits durch radioaktive Stoffe. Dabei spielen sowohl Schädigungen von Personen eine Rolle, die beruflich Strahlenbelastungen ausgesetzt sind, als auch radioaktive Verunreinigungen von Sachgütern sowie Folgen unzureichender Lagerung radioaktiver Abfälle (nuklearer Umweltschutz).
II. Besonderheiten der DDR
Die DDR hat mit spezifischen Umweltproblemen zu kämpfen:
a) Die Braunkohle als Primärenergiebasis führt — wegen der Braunkohlenverbrennung in Industrie und Haushalt — zu einer besonders hohen Luftverschmutzung durch Schwefeldioxyd, Staub und Asche, die sich besonders stark in den Ballungsgebieten von Industrie und Bevölkerung (z. B. in den Bezirken Halle, Dresden, Karl-Marx-Stadt und Leipzig) auswirken. Zudem erfordert der Braunkohlentagebau eine hohe Inanspruchnahme land- und forstwirtschaftlicher Nutzfläche.
b) Die Wasserwirtschaft befindet sich in einer besonders prekären Situation, da die Inanspruchnahme des Wassers außerordentlich hoch ist. So stehen je Kopf der Bevölkerung pro Jahr nur 880 m³ Wasser (natürlicher Abfluß) — in Trockenjahren lediglich 430 m³ — zur Verfügung bei einem derzeitigen Gesamtverbrauch von fast 8 Mrd. m³, der bis 1980 auf etwa 14 Mrd. m³ ansteigen dürfte. Für die Bundesrepublik Deutschland beträgt der gegenwärtige Verbrauch ca. 30 Mrd. m³ und wird bis zum Jahre 2.000 auf 41 Mrd. m³ ansteigen.
Da nur 17 v. H. der Hauptwasserläufe — nach entsprechender Wasseraufbereitung — zur Trinkwasserversorgung herangezogen werden können, muß das Wasser in industriellen Ballungsgebieten bis zu fünfmal genutzt werden. Damit beträgt der Nutzungsgrad das Doppelte bis 4fache der Nachbarstaaten. Regional konzentriert sich die Wasserverschmutzung besonders auf den — von chemischen Betrieben dicht besiedelten — Raum Halle, Leipzig und Bitterfeld, erheblich weniger entfällt auf die nördlichen Gebiete und die Umgebung Berlins.
Obwohl von 1967 bis 1970 in der DDR Kläranlagen (vor allem auf der Basis mechanischer Verfahren) mit einer Tagesleistung von insgesamt 382.000 m³ gebaut wurden, gelten die Klärkapazitäten in der DDR immer noch als unzureichend, wodurch die wasserwirtschaftliche Situation zusätzlich belastet wird.
c) Das Müllproblem gestaltet sich etwas einfacher als in westlichen Industrieländern, da in der DDR ein Engpaß an Verpackungsmaterialien gegeben ist und die generelle Rohstoffknappheit zu stärkerem Einsatz von Sekundärrohstoffen zwingt. So spielen beispielsweise die Nutzung von Schrott und Altpapier sowie die Verwendung von Schlacken und Aschen als Baustoffe schon seit langem eine erhebliche Rolle. Dennoch fallen jährlich ca. 11,5 Mill. m³ (1970) Siedlungsmüll an, 1980 dürften es 17 und 1990 25 Mill. m³ sein, die in geordneter Deponie abgelagert oder durch Verbrennung bzw. Umwandlung in Humus beseitigt werden müßten. Bislang erfolgt jedoch die Ablagerung von Abfallstoffen aus der Produktion und von Siedlungsabfällen vor allem auf „wilden“ Müllkippen; eine erste geordnete Deponie wurde 1972 im Kreis Döbeln angelegt. Kompostierungswerke größerer Kapazität zur Verarbeitung von Siedlungsabfällen fehlen bisher ganz. Vorrangiges Ziel der DDR dürfte daher die Schließung wilder Müllkippen zugunsten geordneter Deponien sein, da die Realisierung weitergehender Programme vorläufig an den hohen Kosten scheitern dürfte.
III. Politisch-ideologische Aspekte
In der DDR wird immer wieder betont, daß die kapitalistische Gesellschaftordnung wegen ihres Profitstrebens für das hohe Ausmaß der Umweltverschmutzung verantwortlich sei: Lediglich aufgrund der Initiativen einzelner Persönlichkeiten seien im Kapitalismus Landschaftsschutzgebiete zum Schutze der Natur vor dem Menschen angelegt worden. Demgegenüber soll im Sozialismus die Natur für den Menschen geschützt werden. Der „Raubbau an der natürlichen Umwelt“ sei ein typisches Merkmal des Kapitalismus, während der Sozialismus den U. nicht nur als bloße Abwehrmaßnahme verstehe, sondern eine aktive zukunftsbezogene Umweltgestaltung anstrebe. In der kapitalistischen Gesellschaftsordnung vollziehe man zwar auch eine „Reparatur von Umweltschäden“, jedoch sei der U. dabei eine neue Profitquelle. Demgegenüber wolle der Sozialismus eine bewußte und planmäßige Gestaltung der Lebensumwelt.
Die Existenz von Umweltproblemen wird als Hinterlassenschaft des Imperialismus bezeichnet. Man spricht von einem traurigen Erbe, das die DDR anzutreten hatte, denn beispielsweise seien nach 1945 für industrielle, mit Verbrennungsvorgängen verknüpfte Produktionsprozesse praktisch keine Abgasreinigungsanlagen vorhanden gewesen, da diese Probleme vor und im II. Weltkrieg völlig vernachlässigt worden seien. Es wird interessanterweise hinzugefügt, daß in der DDR nach dem Kriege die Anstrengungen zunächst dem Wiederaufbau galten und [S. 870]deshalb längere Zeit auch wieder die Aufgaben der Reinigung der Abgase und des Wassers zurückgestellt werden mußten.
Der ideologischen Verknüpfung von Umweltproblematik und Wirtschaftssystem ist entgegenzuhalten, daß jede Produktion — unabhängig vom Wirtschaftssystem — als Umwandlungsprozeß von Gütern einer Produktionsstufe zu solchen einer anderen Stufe immer einen nicht zu nutzenden Rest hinterläßt, der dann im Wasser, in der Luft oder auf Abraumhalden wiedergefunden werden kann. Selbst der Konsum ist eine Umwandlung in nur teilweise oder gar nicht verwendbare Abfallprodukte. Mit diesem Tatbestand sind Produktion und Verbrauch in allen Wirtschaftssystemen konfrontiert. Entscheidend ist, daß der Erkenntnisstand über die Gefahren der „Abfälle“ sowie über die Möglichkeiten ihrer Vermeidung bzw. Einschränkung erheblich hinter der Entwicklung der Produktionsprozesse hinterherhinkt, zumal die Orientierung auf starkes Wachstum — auch in sozialistischen Volkswirtschaften — Produktivitätsfortschritten erheblich höhere Priorität einräumt als der Durchführung kostspieliger U.-Maßnahmen.
IV. Gesetzliche Regelungen in der DDR
Gesetzliche Basis des U. ist das auf der Grundlage des Art. 15 der DDR-Verfassung von 1968 aufbauende Landeskulturgesetz vom Mai 1970 mit mehreren Durchführungsverordnungen und Durchführungsbestimmungen. Daneben ist auf eine ganze Reihe von Sondergesetzen hinzuweisen. Von diesen verdienen besonders hervorgehoben zu werden: das die Instandhaltung und Nutzung der Gewässer sowie den Schutz vor Hochwassergefahren regelnde Wassergesetz von 1963 (GBl. I, 1963, S. 77 ff.) mit mehreren Durchführungsverordnungen, die Bodennutzungsverordnung von 1964 (GBl. II, 1965, S. 233 ff.), die AO über die Bewirtschaftung der Wälder von 1965 (GBl. II, 1965, S. 773 f.), die Luftverunreinigungsanordnung von 1968 (GBl. II, 1968, S. 640 ff.), die AO über die Erhöhung der Verantwortung der Städte und Gemeinden für Ordnung, Sauberkeit und Hygiene im Territorium von 1969 (GBl. II, 1969, S. 149 ff.) sowie die Strahlenschutzverordnung von 1969 (GBl. II, 1969, S. 627 ff.). Diese Gesetze werden laufend durch Verordnungen und Durchführungsbestimmungen ergänzt. So wurden in jüngster Zeit z. B. 2 Anordnungen über Rückstände von Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln in Lebensmitteln (GBl. II, 1971, S. 526 ff. sowie I. 1973, S. 27 ff.) erlassen.
Während wesentliche Grundsätze zum U. bereits seit längerer Zeit gesetzlich verankert sind — sowohl in den genannten als auch in anderen Gesetzen — werden erst seit einigen Jahren auch Regelungen bezüglich der maximal zulässigen Immissionskonzentrationen (MIK-Werte) erlassen sowie Sanktionen bei Überschreitungen und Unterlassungen von vorgeschriebenen U.-Maßnahmen festgelegt. So wurde beispielsweise im August 1974 eine Verordnung über Schutzgebiete für die Wasserentnahme zur Trinkwasserversorgung erlassen und zur Eindämmung der Luftverschmutzung durch Kraftfahrzeuge mit weiteren Bestimmungen eine Minderung des Bleigehaltes im Benzin von 0,42 auf 0,4 g Pb/l — ab 1980: 0,311 g Pb/l — verordnet (in der Bundesrepublik gelten bereits seit 1972 0,4 g Pb/l, ab 1976 sollen es 0,15 g Pb/l sein). Daneben sind einige Emissionsgrenzwerte und Methoden der Messung und Überwachung von Abgasmengen für Fahrzeuge und Motoren für verbindlich erklärt worden.
V. Allgemeine Umweltschutzmaßnahmen
Bei den U.-Maßnahmen spielt neben der — z. T. schon seit längerer Zeit realisierten — Bildung von Naturschutzgebieten und Landschaftsschutzgebieten (Naturschutz) zunächst einmal die Durchführung einer ganzen Reihe von Messungen der verschiedensten Verschmutzungsarten eine große Rolle: Für die generelle Überwachung der Luftverschmutzung sind die Hygiene-Institute der Bezirke zuständig, für die Kraftfahrzeugabgaskontrolle zeichnen die Abgasprüfstelle der DDR in Berlin-Adlershof sowie die Leitstelle für Abprodukte beim Ministerium für Verkehrswesen verantwortlich. Von diesen Instituten werden laufend Messungen — beispielweise während und nach den Messen in Leipzig, im Industriezentrum Bitterfeld, in Ost-Berlin — durchgeführt, um vor allem die Schadstoffkonzentrationen von Blei (Pb), Kohlenmonoxyd (CO), Stickstoffmonoxyd (NO), Stickstoffdioxyd (NO₂), Formaldehyd (H3CHO), Kohlenwasserstoffen (CmHn), Kohlendioxyd (CO₂), von Schwebstoffen und Schwefeldioxyd (SO₂) zu messen und mit den maximal zulässigen, im ganzen RGW-Gebiet gültigen Immissionskonzentrationen (MIK-Werte), vergleichen zu können. Daneben erfolgen aber auch Messungen durch eine Vielzahl anderer Institute. Z. B. ist das Staatliche Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz in Berlin (Ost) für die Messung und Vermeidung von Strahlenschäden zuständig. Die Messungen dienen außer der Überwachung auch der wissenschaftlichen Forschung, vor allem der Entwicklung von Reinigungstechnologien und der Vorbereitung legislatorischer Maßnahmen.
In über 50 wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen wird an U.-Problemen gearbeitet. So wird z. B. in einem besonderen Institut im Tharandter Waldgebiet (im Bezirk Dresden) die Resistenz von Pflanzen, insbesondere Laubbäumen, gegenüber Schadstoffen — wie z. B. Schwefeldioxyd, Fluor- und Chlorverbindungen sowie Industrieabgasen - getestet, um widerstandsfähige Arten erkennen zu können, mit denen um Ballungszentren Grüngürtel anlegbar sind. Ein anderes Beispiel ist die von Forschern der DDR durchgeführte Messung der Bodenverunreinigung [S. 871]durch das bei Verbrennungsvorgängen (Kraftfahrzeuge, Industrie) entstehende, stark krebsfördernde 3,4-Benzpyren. Interessant sind auch die vom Institut für Meereskunde des DAW in Rostock-Warnemünde gemeinsam mit anderen Ländern (Polen, UdSSR, Finnland, Schweden und der Bundesrepublik) durchgeführten Messungen in der Ostsee. Diese wird wegen ihrer ozeanologischen Besonderheiten (erschwerter Wasseraustausch) besonders stark von Umweltverschmutzungen beeinträchtigt. Erforscht werden insbesondere die Sauerstoffverhältnisse, die Zunahme von Giftstoffen (Quecksilberverbindungen, chlorierte Kohlenwasserstoffe aus Pflanzenschutzmitteln, Mineralöl, Zink, Kadmium, Blei), aber auch die Ausbreitung des — die Lebensbedingungen der Fische stark beeinträchtigenden — Schwefelwasserstoffs. Daneben wird in der DDR auch — angesichts der starken Verbreitung lärmbedingter Berufskrankheiten — den Forschungen über den Lärmschutz große Aufmerksamkeit gewidmet. Vom 29. 5.–2. 6. 1972 fand in Dresden der VII. Kongreß der Internationalen Vereinigung gegen Lärm (AICB) statt.
Erwähnung verdient auch, daß in jüngster Zeit einige wissenschaftliche Kommissionen zur U.-Forschung gebildet worden sind. U. a. wurde an der Akademie der Wissenschaften der DDR eine aus Medizinern, Biologen, Chemikern, Ernährungs- und Geowissenschaftlern zusammengesetzte „Kommission für Umweltforschung“ geschaffen, die unter Leitung von Prof. Mottek steht und die die von den Akademieinstituten durchgeführten Umweltforschungen leiten, koordinieren und kontrollieren soll. Aber auch die mehr und mehr mit Umweltfragen konfrontierte Kammer der Technik hat im September 1972 eine zentrale Kommission „U.“ eingerichtet.
Um die besondere Bedeutung der Umweltprobleme zu unterstreichen und geeignete U.-Maßnahmen zu erarbeiten bzw. zu koordinieren, wurde im November 1971 das Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft gegründet.
VI. Sanktionen
Die Fülle der gesetzlichen Bestimmungen zum U., die grundsätzlich allgemeinen Charakter tragen, bietet allein keine Gewähr für ausreichenden U., wenn nicht entsprechende Sanktionen ihre Einhaltung erzwingen. Dabei besteht allerdings einerseits wieder das Problem, daß man nicht nur Verursacher von Umweltverschmutzungen „bestrafen“ kann, ohne ihnen gleichzeitig auch vertretbare Möglichkeiten und Wege zur Vermeidung der Verunreinigungen zu zeigen. Andererseits bringt die Festlegung von Grenzwerten erhebliche Schwierigkeiten mit sich, weil in der Regel hierfür entsprechende Forschungen und auch Abstimmungen mit den anderen RGW-Partnerländern und den übrigen Anliegerstaaten wie der Bundesrepublik Deutschland Voraussetzung sind.
Für Wasserverschmutzungen wurde 1971 in der 2. DVO zum Wassergesetz (GBl. II, S. 25 ff.) das Abwassergeld festgelegt. Überschreitet ein Betrieb oder ein anderer Verursacher bei der von ihm durchgeführten bzw. bei unterlassener Abwasserbehandlung die — anhand vorgegebener Grenzwerte zu ermittelnde — Abwasserlast, so muß er entsprechend den in einer Kennzifferntabelle festgelegten Gebührensätzen Abwassergeld bezahlen. Dies beträgt beispielsweise für Giftstoffe und freies Cyan 100 Mark/kg, für Sulfide und Schwefelwasserstoffe 75 Mark/kg, für wasserdampfflüchtige Phenole 75 Mark/kg, für Schwermetalle (außer Eisen) 13,60 Mark/kg, für Öle und Fette 5 Mark/kg sowie für Abfallstoffe 200 Mark/m³. Welche Sanktionen dabei herauskommen können, zeigt ein Beispiel aus dem Jahre 1972: Das Gelatinewerk Calbe, das Mansfeld-Kombinat sowie die Reichsbahndirektion Magdeburg mußten 800.000 Mark Buße zahlen, da sie übermäßig verschmutzte Abwässer in die Saale geleitet hatten.
Bei Luftverunreinigungen wurden Immissionsgrenzwerte — sowohl Kurzzeit- als auch Dauergrenzwerte — gesetzlich festgelegt (GBl. I, 1973, S. 164 ff. und 1, 1974, S. 353), bei deren Überschreitung ein sogenanntes Staub- und Abgasgeld erhoben wird. Dieses wird aus der Differenz zwischen der zulässigen und tatsächlichen Emission unter Berücksichtigung der Überschreitungsdauer nach folgender Formel berechnet:
[S. 872]Die Betriebe sind dabei zu laufender Emissionsmessung verpflichtet; bei Unterlassung nehmen die Bezirkshygieneinspektionen Kontrollmessungen zu Lasten des Betriebes vor — bei doppeltem Gebührensatz.
VII. Das Umweltschutzprogramm bis 1975
Mit dem laufenden Fünfjahrplan 1971–1975 ist ein größeres Programm zur Verbesserung der Umweltbedingungen in Angriff genommen worden:
a) Zur Erhöhung der Bereitstellung von Trink- und Brauchwasser, um den im Zeitraum von 1971 bis 1975 auf 120 v. H. ansteigenden Wasserbedarf zu decken, sowie für den Hochwasserschutz ist vorgesehen, bis 1975 250 Mill. m³ zusätzliche Speicherkapazitäten zu schaffen (Wasserwirtschaft). Daneben ist geplant, den Anteil der an zentrale Wasserversorgungssysteme angeschlossenen Wohnungen von 82 v. H. (1970) auf 84 v. H. (1975) zu erhöhen und insbesondere dem dringlichen Problem der veralteten Abwassersysteme durch Erweiterung und Erneuerung bestehender Anlagen zu begegnen.
b) Durch Wiederurbarmachung bisher vom Braunkohlenbergbau beanspruchter Bodenflächen sollen mindestens 9.700 ha der land- und forstwirtschaftlichen sowie der touristischen Nutzung zugeführt werden — in den Jahren 1967 bis 1970 waren es 9.500 ha. In der Zeit von 1966 bis 1970 sind zudem 154.000 ha Land neu aufgeforstet worden; allein 1971 wurden 420 Mill. Bäume auf 30.500 ha Wald- und Brachland gepflanzt.
Für die Durchführung von Meliorationen sollen bis 1975 4 Mrd. Mark bereitgestellt werden, um über 800.000 ha Bodenfläche be- bzw. entwässern zu können. Diese Aufwendungen, die zum großen Teil als normale Investitionen der Landwirtschaft zur Bodengewinnung und -Verbesserung anzusehen sind, werden in der DDR dem U. zugerechnet, wahrscheinlich, um das U. Programm aufzuwerten.
c) Zur Minderung der Luftverunreinigung, die infolge der vielen nicht oder nur mit veralteten Reinigungsanlagen ausgerüsteten Industriebetriebe (insbesondere Kraftwerke, Brikettfabriken, Zementfabriken, Hüttenwerke und Chemiebetriebe) in der DDR hoch ist, sollen wirksamere Abgasreinigungsverfahren entwickelt und vor allem in Ballungsgebieten eingesetzt werden: So ist vorgesehen, in volkswirtschaftlich wichtigen Kombinaten und Betrieben die Luftverunreinigung um 40 bis 60 v. H. zu senken, insbesondere aber alle neu zu errichtenden Kraftwerke mit hochwirksamen Entstaubungsanlagen auszustatten. Im Jahr 1972 wurden für die Chemische Industrie 270 Mill. Mark an Investitionen zur Verringerung der Luftverschmutzung geplant.
d) Zur Bekämpfung des Lärms, zu der als erster Schritt die bereits durchgeführte Erfassung aller „Lärmarbeitsplätze“ (Plätze mit einem Lärmpegel über dem kritischen Wert von 85 dB) durch Betriebsärzte gehörte, sollen in allen größeren Städten „Lärmkarten“ als Voraussetzung für eine künftige schrittweise Lärmminderung erstellt werden. Daneben steht der Versuch, die Lärmbeeinflussung in Neubaugebieten durch entsprechende Planungen zu verringern. Dies soll durch geeignete Gruppierung der Wohnbauten und die Anpflanzung von Baumgruppen und schallabsorbierenden Kletter- und Rankgewächsen erreicht werden.
e) Der Verbesserung der Ablagerung, Beseitigung und Verwertung von Siedlungsabfall sollen zusätzliche Anstrengungen dienen: 100 Mill. Mark sind für die Errichtung 51 neuer Anlagen der Mülldeponie (einschließlich einer neuen Verbrennungsanlage in Ost-Berlin, bei der die entstehende Wärme der Fernheizung dienen soll) sowie für 5 Anlagen der Müllkompostierung vorgesehen. Von diesen sollen 3 in den Bezirken Leipzig, Potsdam und Rostock entstehen; mit ihnen sollen aus je 140.000 t Müll 100.000 t Kompost erzeugt werden.
Für diese Maßnahmen — einschließlich der Meliorationen — sollen insgesamt 7 Mrd. Mark aufgewendet werden. Während bis 1972 in den Jahresplänen lediglich ganz bestimmte Umweltaufgaben — z. B. Abwasserreinigung, Bodengewinnung — geplant waren, finden seit 1973 jeweils ganze Schutzprogramme Berücksichtigung: Im Volkswirtschaftsplan 1973 waren für den U. 1,6 Mrd. Mark vorgesehen, wovon über 0,6 Mrd. Mark auf die Reinhaltung von Luft und Wasser sowie die Lärmminderung und 0,75 Mrd. Mark auf Meliorationen entfielen. Dafür sind 67.000 ha Bodenfläche be- und 105.000 ha entwässert worden (1972 wurden mit der gleichen Summe 56.000 ha be- und 106.000 ha entwässert). Der Volkswirtschaftsplan 1974 sieht für die Verbesserung der Wasserversorgung Investitionen in Höhe von 575 Mill. Mark vor, um damit die Wasserwerkskapazitäten gegenüber 1973 um 5 v. H. und die Kapazitäten der Kläranlagen um 4 v. H. zu steigern. Insbesondere soll der Stauraum der Talsperren — vor allem durch die Fertigstellung der Vorhaben in Gottleuba, Bautzen und Niemtsch-Koschen — um 100 Mill. m³ erweitert werden. Daneben sind aber auch Investitionsmaßnahmen zur Reinhaltung der Luft sowie zur Nutzbarmachung und Beseitigung von Abfallprodukten geplant. Für Meliorationen sind 1974 715 Mill. Mark vorgesehen, um Be- und Entwässerungsmaßnahmen für 170.000 ha durchzuführen.
VIII. Besondere Probleme des Umweltschutzes in der DDR
Zweifellos hat sich das Umweltbewußtsein bei der Bevölkerung und in der Industrie in den letzten Jahren verstärkt, staatliche Stellen bemühen sich, die Forschung vermehrt auf Umweltprobleme zu lenken und die Betriebe zu einer Minderung und Beseitigung der Umweltgefahren zu veranlassen. Auch [S. 873]wenn beim DDR-Umweltprogramm „normale“ Maßnahmen — wie Meliorationen, Vergrößerung der Wasserbereitstellungskapazitäten — einbezogen werden, die nicht ausschließlich Umweltfunktionen erfüllen, so sind doch die eingeleiteten Bemühungen (Gewinnung von Sekundärrohstoffen, Müllkompostierung, Lärmschutz) sowie die beginnende Zusammenarbeit innerhalb des RGW beachtenswert. So betreffen allein 37 der 97 wissenschaftlich-technischen Forschungsaufgaben des Komplexprogramms den Umweltschutz, an denen die DDR besonders beteiligt ist.
Bedenklich ist hingegen die bisher nur geringe Zusammenarbeit der DDR mit westlichen Ländern, da die grenzüberschreitenden Wirkungen von verschmutzten Flüssen, von Abgasen und anderen Schadstoffen außerordentlich schwerwiegend sein können. In der Bundesrepublik Deutschland wirken sich z. B. die Abwässer der Thüringischen Kaliwerke — wegen Versalzung der Werra — ungünstig auf das Bremer Trinkwasser aus, aber auch der nordbayerische Raum wird durch aus der DDR stammende Abwässer beeinträchtigt. Immerhin konnten im September 1973 Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR über Grundsätze der Schadensbekämpfung an der Grenze sowie zu Instandhaltung und Ausbau der Grenzgewässer (einschl. der dazugehörigen wasserwirtschaftlichen Anlagen) abgeschlossen werden.
Wirksame Lösungen der heutigen und künftigen Umweltprobleme erfordern neben einer umfassenden internationalen Zusammenarbeit, neben einer Intensivierung der Forschung sowie der Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der Festlegung der regionalen Investitionsstruktur vor allem die Bereitstellung umfangreicher finanzieller Mittel. Bei allen guten Ansätzen zum U. dürfte die Wirtschaftsführung der DDR jedoch auch noch in den nächsten Jahren dem Einsatz aller verfügbaren Mittel für Produktionssteigerungen Vorrang einräumen.
Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 868–873