DDR von A-Z, Band 1975

Wahlen (1975)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1979 1985


 

Die W. haben in der DDR eine andere Funktion als in Staaten parlamentarisch-demokratischen Typs. Sie haben nicht die Aufgabe, eine Entscheidung des Volkes darüber herbeizuführen, welche der verschiedenen, miteinander konkurrierenden politischen Kräfte für begrenzte Zeit die Regierungsmacht ausüben soll. Diese Entscheidung gilt nach der marxistisch-leninistischen Partei- und Staatslehre als ein für allemal getroffen. Die politische Macht liegt bei der SED als der Partei der Arbeiterklasse und der mit ihr verbündeten Klassen und Schichten. Folglich geht es bei den W. in der DDR nicht um politische Alternativen. Anders als in einigen anderen kommunistischen Ländern geht es auch nicht um personelle Alternativen im Rahmen eines einheitlichen politischen Programms. Die Funktion der W. besteht in der plebiszitären Bestätigung der Inhaber der politischen Macht, der Demonstration der ideologisch-politischen Einheit des Volkes und der Mobilisierung der Volksmassen für die jeweils aktuellen politischen Zielsetzungen der SED-Führung. „So wird die Durchführung der Wahlen zu einer Bewegung, in der sich das sozialistische Staatsbewußtsein von Millionen Bürgern manifestiert“ (Verf. Komm. Bd. II, S. 55 f.). Die W. haben daher die Funktion, die gesellschaftliche Integration, die ideologische Indoktrination und die politische Mobilisierung der Bürger zu fördern.

 

In der DDR werden alle 4 Jahre W. zu der Volkskammer und den örtlichen Volksvertretungen (Bezirks- und Kreistage, Stadtverordneten- und Stadtbezirksversammlungen, Gemeindevertretungen) abgehalten. Die Einzelheiten sind im Wahlgesetz vom 31. 7. 1963 (GBl. I, S. 97) i. d. F. vom 17. 12. 1969 (GBl. I, 1970, S. 2) und in der Wahlordnung vom 31. 7. 1963 (GBl. I, S. 99) i. d. F. vom 25. 2. 1974 (GBl. I, S. 93) geregelt. Formal beruht das Wahlrecht auf den Grundsätzen der allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen W. und dem System der lose gebundenen Listenwahl in Mehrmannwahlkreisen. Träger der W. ist die Nationale Front. Mit ihrer Hilfe und unter Einsatz der Massenmedien veranstalten Partei und Regierung eine Wahlkampagne, deren erklärtes Ziel es ist, die Politik von Partei und Regierung zu propagieren, die Wähler durch eine Masseninitiative zur Verwirklichung dieser Politik zu aktivieren und den sozialistischen Wettbewerb zum Zwecke der Planerfüllung zu intensivieren. Die Wahlvorschläge der Parteien und Massenorganisationen werden von der Nationalen Front in einer Einheitsliste zusammengefaßt. Innerhalb der Nationalen Front entscheidet das zuständige SED-Organ über die Nominierung und die Reihenfolge aller Kandidaten. Die Volkskammer- und Bezirkstagsmandate gehören zur Nomenklatur des Zentralkomitees der SED; die Vorbereitung der personalpolitischen Entscheidungen obliegt der ZK-Abteilung für Kaderfragen (Kader). Die Kandidaten werden den Wählern ihres Wahlkreises auf Wählerversammlungen und Wählervertreterkonferenzen vorgestellt. Die Wähler und Wählervertreter können die Absetzung von Kandidaten vorschlagen. In der Praxis kommt dies jedoch relativ selten vor. Die Entscheidung über die Absetzung ist der Nationalen Front vorbehalten.

 

Bei der Stimmabgabe hat der Wähler das Recht, auf dem Stimmzettel, der die Kandidaten der Einheitsliste enthält, Änderungen vorzunehmen. Seit 1965 enthalten die Wahlvorschläge für die einzelnen Wahlkreise mehr Kandidaten, als Mandate zu vergeben sind. Die überzähligen Kandidaten sind die Nachfolgekandidaten. Der Wähler könnte demnach durch Streichungen einen gewissen Einfluß auf die personelle Zusammensetzung der Volksvertretungen ausüben. Allerdings müßte mehr als die Hälfte der Wähler einen Kandidaten streichen, damit sich an der listenmäßigen Reihenfolge etwas ändert, denn in der Regel entscheidet nicht die Anzahl der für die einzelnen Kandidaten und Nachfolgekandidaten abgegebenen Stimmen. § 39 Abs. 2 Wahlordnung bestimmt: „Erhält eine größere Zahl der Kandidaten mehr als 50 % der gültigen Stimmen, als Mandate im jeweiligen Wahlkreis vorhanden sind, entscheidet die Reihenfolge der Kandidaten auf dem Wahlvorschlag über die Besetzung der Abgeordnetenmandate und über die Nachfolgekandidaten.“ Da ferner ein faktischer Zwang zur offenen Stimmabgabe besteht, zu der sich Haus- und Betriebsgemeinschaften vielfach „freiwillig“ verpflichten, kann der Mehrfachkandidatur nur geringe praktische Bedeutung beigemessen werden. Es ist lediglich bekannt, daß bei den Kommunal-W. 1965, bei denen 186.107 Mandate zu vergeben waren, 2 Kandidaten nicht gewählt worden sind (Neues Deutschland vom 12. 10. 1965). Die Einheitsliste erhält seit 1950 stets über 99 v. H. der abgegebenen Stimmen, wobei die Ergebnisse in Berlin (Ost) immer etwas „schlechter“ sind als in der übrigen DDR. Bei den letzten W. zur Volks[S. 917]kammer im November 1971 entfielen auf die Einheitsliste in der DDR 99,85 v. H. in Berlin (Ost) 99,63 v. H. der abgegebenen gültigen Stimmen (Neues Deutschland vom 17. 11. 1971).

 

Die Sitze in den Volksvertretungen werden den einzelnen Parteien und Massenorganisationen nach einem seit 1948 festgelegten Schlüssel zugeteilt. Von den 500 Volkskammersitzen entfallen seit 1963 auf die SED 127, auf LDPD, CDU, NDPD und DBD je 52, auf den FDGB 68, auf die FDJ 40, auf den Demokratischen Frauenbund 35 und auf den Kulturbund 22 Sitze. In den kommunalen Volksvertretungen erhalten auch die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe, die Konsumgenossenschaften und die Nationale Front Sitze.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 916–917


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.