DDR von A-Z, Band 1975

Weltgewerkschaftsbund (WGB) (1975)

 

 

Siehe auch:


 

Englisch: World Federation of Trade Unions (WFTU); französisch: Féderation Syndicale Mondiale (F.S.M.).

 

Oberstes Organ des WGB ist der „Weltgewerkschaftskongreß“. Dem Gründungskongreß vom 3. bis 8. 10. 1945 in Paris ging eine internationale Konferenz im Februar 1945 in London voraus. Schon der II. WGB-Kongreß vom 29. 6. bis 9. 7. 1949 in Mailand mußte sich damit auseinandersetzen, daß einige wichtige nationale Gewerkschaftsbünde, unter ihnen der britische TUC, den WGB wegen eindeutiger kommunistischer Manipulationen durch die Führungsgremien verlassen und den „Internationalen Bund Freier Gewerkschaften“ (IBFG) mit Sitz in Brüssel gegründet hatten. Der III. WGB-Kongreß fand vom 10. bis 21. 10. 1953 in Wien statt, dann folgten der IV. WGB-Kongreß vom 4. bis 15. 10. 1957 in Leipzig, der V. WGB-Kongreß vom 4. bis 15. 12. 1961 in Moskau, der VI. WGB-Kongreß vom 9. bis 22. 10. 1965 in Warschau, der VII. WGB-Kongreß vom 17. bis 31. 10. 1969 in Budapest und der VIII. WGB-Kongreß vom 15. bis 22. 10. 1973 in Varna (Bulgarien).

 

Die Zahl der Delegierten für die Kongresse wird nach einem Schlüssel ermittelt, der der Mitgliederzahl und der „Bedeutung“ der nationalen Mitgliedsorganisatio[S. 933]nen entsprechen soll. Damit ist das Übergewicht des Einflusses der Gewerkschaften der UdSSR und der osteuropäischen Volksdemokratien garantiert. Die Mitgliedschaft Rotchinas ist bisher noch nicht in Frage gestellt worden, obwohl seit Mitte der 60er Jahre die chinesischen Gewerkschaften keinen Vertreter mehr in ein WGB-Gremium entsandt haben.

 

Weitere Führungsgremien sind der Generalrat, der die Politik zwischen den Kongressen zu bestimmen hat, das Büro und das Sekretariat.

 

Sitz des WGB und seiner Gremien war zuerst Wien. Im Februar 1956 von dort ausgewiesen, siedelte der WGB nach Prag über.

 

Die bisherigen WGB-Präsidenten waren Lord Walter Citrine (TUC Großbritannien) 1945, Arthur Deakin (TUC Großbritannien) 1946–1948, Guiseppe di Vittorio (CGIL Italien) 1949–1957, Agostino Novella (CGIL Italien) 1958–1961 und Renato Bitossi (CGIL Italien) 1961–1969. Er starb kurz vor dem VII. Kongreß. Seit 1969 ist Enrique Pastorino (Uruguay) WGB-Präsident.

 

Louis Saillant (CGT Frankreich) war Generalsekretär des WGB von 1945 bis 1969. Auf dem VII. Kongreß in Budapest trat er zurück und wurde zum WGB-Ehrenpräsidenten gewählt. Sein Nachfolger als Generalsekretär ist seit 1969 Pierre Gensous (CGT Frankreich). Organ des WGB ist die monatlich in Prag (in mehreren Sprachen) herausgegebene Zeitschrift „Weltgewerkschaftsbewegung“.

 

Nach eigenen (nicht kontrollierbaren) Angaben sind im WGB ca. 120 Gewerkschaftsorganisationen aus mehr als 100 Ländern zusammengeschlossen und repräsentieren eine Gesamtzahl von angeblich weit mehr als 200 Millionen Mitgliedern.

 

Ein nicht geringer Teil der WGB-Tätigkeit spielt sich in den nach Berufen bzw. Branchen gegliederten Internationalen Gewerkschaftsvereinigungen (IVG) ab. Es gibt zur Zeit elf solche Vereinigungen: die Internationale Vereinigung der Gewerkschaften der Land- und Forstarbeiter, die IVG im Nahrungs-, Genuß- und Gaststättengewerbe, die IVG der Bau-, Holz- und Baustoffindustrie, die IVG der Chemie-, Erdöl- und verwandter Industrien, die IVG des Handels, die IVG des öffentlichen Dienstes und verwandter Berufe, den Internationalen Lehrergewerkschaftsbund, die IVG der Metall- und Maschinenbauindustrie, die Internationale Vereinigung der Bergarbeitergewerkschaften, die IVG der Textil-, Bekleidungs-, Leder- und Häuteindustrie und die IVG im Transport, in den Häfen und im Fischereiwesen.

 

In den ersten Nachkriegsjahren wurde im WGB die Auffassung vertreten, daß der Aufnahme einer deutschen Mitgliedsorganisation der Zusammenschluß der Gewerkschaftsorganisationen der 4 Besatzungszonen vorangehen sollte. Nach dem Scheitern der Interzonenkonferenzen der deutschen Gewerkschaften (10 Konferenzen 1946–1948) wurde der FDGB im Januar 1949 Mitglied im WGB. (Der Deutsche Gewerkschaftsbund konstituierte sich auf seinem Gründungskongreß vom 12. bis 14. 10. 1949 in München). Der damalige FDGB-Vorsitzende, Herbert Warnke, dankte den Delegierten des II. WGB-Kongresses in Mailand Anfang Juli 1949 für den durch die Aufnahme ausgedrückten „Akt der Solidarität“.

 

Obwohl es der FDGB seitdem nie versäumt hat, sich in allen WGB-Aktionen (z. B. für Korea, Afrika, Lateinamerika, Vietnam) durch hohe Spenden und engagierte Mitarbeit in den Vordergrund zu rücken, ist sein Einfluß innerhalb des WGB verhältnismäßig gering geblieben. Herbert Warnke rückte 1956 in die Reihe der Vizepräsidenten vor, fiel aber Mitte der 60er Jahre auf den Platz eines Büromitglieds (Vertreter: Wolfgang Beyreuther) zurück. In den 11 Internationalen Gewerkschaftsvereinigungen (IVG) des WGB behaupten sich Lothar Lindner — zuerst Vizepräsident, dann stellvertretender Generalsekretär — bei den Bauarbeitern und Dagobert Krause, seit 1969 als Generalsekretär an der Spitze der IVG des öffentlichen Dienstes. Harry Weber, der langjährige Leiter der Abteilung Bundesfinanzen im FDGB-Bundesvorstand, gehört seit mehreren Jahren zu den 5 Revisoren der WGB-Führung.

 

Die „deutsche Frage“ ist im WGB in der Regel nicht Gegenstand gewerkschaftspolitischer Erörterungen. Nach dem Bau der Berliner Mauer schaltete sich jedoch der WGB mit einer außerordentlichen Konferenz in Ost-Berlin vom 22. bis 24. 9. 1961 in die Deutschlandpolitik unmittelbar ein, indem ca, 200 WGB-Vertreter „aus mehr als 40 Ländern“ unter der Leitung des WGB-Präsidenten Agostino Novella den Bau der Mauer ausdrücklich billigten, sowie den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland und eine „friedliche Lösung der Westberlin-Frage“ im Sinne der sowjetischen Vorstellungen forderten. Seit der Einleitung der Entspannungspolitik Ende der 60er Jahre begnügen sich die Aussagen der WGB-Führung damit, die Entspannungs-Fortschritte auf das Erfolgskonto der sowjetischen Außenpolitik zu buchen und zur „Wachsamkeit“ gegenüber der nach wie vor angeblich „imperialistischen“ Bundesrepublik Deutschland aufzurufen.

 

Nach dem VIII. Kongreß in Varna (Bulgarien) im Oktober 1973 ist der WGB dazu übergegangen, Zusammenarbeit und gemeinsame Aktionen mit anderen internationalen Gewerkschaftsorganisationen zu suchen. In Genf kamen am 19. 1. 1974 anläßlich der II. Europäischen Regionalkonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) die Vertreter von 41 nationalen Gewerkschaftszentralen (davon 17 des IBFG und 14 des WGB) zu einem Konsultationstreffen zusammen. Herbert Warnke erklärte auf der 17. Arbeiterkonferenz der Ostseeländer, Norwegens und Islands in Rostock im Juli 1974, die Aktionseinheit und Zusammenarbeit der europäischen Gewerkschaften stehe „als Erfordernis unserer Zeit nicht nur vor den nationalen Gewerkschaftszentralen, auch die internationalen Gewerkschaftsorganisationen“ müßten hierzu „einen eindeutigen Standpunkt beziehen“ (Neues Deutschland vom 11. 7. 1974). Anfang 1975 setzte der WGB diese Politik durch Beteiligung an einer „Europäischen Gewerkschaftskonferenz“, wieder in Genf, fort, wobei Themen wie die Verbesserung der Arbeitsumwelt bzw. der Arbeits- und Gesundheitsschutz im Vordergrund standen.


 

Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 932–933


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

Ausführliche Informationen zu den Handbüchern finden Sie hier.