Wirtschaft (1975)
I. Wirtschaftspolitik
A. Allgemeine Bestimmung und Aufgaben
W.-Politik wird verstanden als die Gesamtheit der gestaltenden Maßnahmen, die der Staat im Hinblick auf die Erreichung der politischen und wirtschaftlichen Ziele „der „herrschenden Klasse“ trifft. Die Maßnahmen beziehen sich auf die Abläufe und Strukturen des W.-Systems. Das bestehende W.-System wird als „sozialistische Planwirtschaft“ (Art. 8 der DDR-Verfassung von 1968) gekennzeichnet. Entscheidend für die Eigenart der W.-Politik ist, daß die sozialistische Plan.-W. in ihren Grundelementen bewußt als Wertsystem aufgefaßt wird. Es soll im Rahmen einer neuen gesamtgesellschaftlichen Wertordnung auf die Dauer in Staat und Gesellschaft von oben durchgesetzt werden.
Eine entsprechende W.-Politik zu führen, war und ist das Ziel der KPD bzw. SED. Typisch dafür ist eine grundsätzlich klassenkämpferische Einstellung der SED auch im wirtschaftspolitischen Bereich. Sie zeigte sich am deutlichsten dort, wo z. B. durch Enteignung, Zwangskollektivierung und Berufslenkung gewaltsam das überkommene W.-System zerstört und eine neue W.-Ordnung schrittweise eingeführt wurde. Die allgemeine ideologische Orientierungsbasis ist der Marxismus-Leninismus, im Speziellen die Politische Ökonomie. Die Veränderungen im wirtschaftlichen Lenkungssystem seit Beginn des Neuen Ökonomischen Systems der Planung und Leitung der Volks-W. und die starke Förderung von praxisbezogenen Teilbereichen der W.-Wissenschaften (z. B. Sozialistische Betriebswirtschaftslehre; Sozialistische Wirtschaftsführung) zeigen jedoch, daß die Lösung von Problemen in entwickelten, vielschichtig verflochtenen hochindustrialisierten Volks-W. andere Instrumente erfordert, als sie die traditionelle Politische Ökonomie bereitstellt.
Die W.-Politik hat zur Aufgabe, bestimmte Grundbestandteile des Gesamtsystems — gesellschaftliches Eigentum und zentrale Planung und Leitung — entweder zu schaffen oder so funktionsbereit zu halten, daß über wirtschaftliche Wachstumsprozesse die Erreichung staatlicher Strukturziele sowie eine Anhebung des Lebensstandards möglich werden. Daher wird die W.-Politik zu Recht als der „wichtigste Teil der Gesamtpolitik“ der SED und der staatlichen Verwaltung angesehen. Machtgewinn, -behauptung und -Sicherung der SED sind eng mit der Gestaltung der wirtschaftlichen Struktur, der Organisationsformen, der Institutionen und des wirtschaftlichen Ablaufs (W.-Prozeß, makro- und mikroökonomische Beziehungen) verknüpft.
Im einzelnen sind wichtige Aufgaben der W.-Politik:
1. der allgemeine Aufbau des W.-Systems durch Bildung und Auflösung von W.-Organen, 2. die Verteilung von Entscheidungskompetenzen derart, daß ein kooperationsfähiges Entscheidungssystem entsteht, 3. die Festlegung der volkswirtschaftlichen Grundstruktur, der Branchen und Produktionssortimente sowie der territorialen wirtschaftlichen Verflechtung, 4. die Bestimmung der Wachstumsziele und -Strategien, der volkswirtschaftlichen Effektivität im zentralen Plan, 5. die Regelung eines Systems direkter und indirekter Lenkungsinstrumente („ökonomische Hebel“), wie Preisplanung- und -gestaltung, Haushaltsabführungen, Prämiensätze, 6. Entscheidungen über Investitionen, die vor allem den Umfang und die Proportionierung von Neu-, Erweiterungs- und Rationalisierungsinvestitionen betreffen, 7. Entscheidungen über den Außenhandel und die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit innerhalb und außerhalb des RGW, 8. die Festlegung des Gewinnanteils, der den VEB verbleibt, 9. die Lenkung der Branchen durch Ministerien, VVB, Kombinate und VEB im Hinblick auf Forschung, Entwicklung, Fertigung und Absatz sowie der regionalen W.-Organe (Bezirke und Kreise, Städte und Gemeinden), 10. die rationelle Nutzung der Produktionsfaktoren und die Verteilung der Erzeugnisse, 11. die Regelung der Finanzbeziehungen, z. B. zwischen Bank, Betrieb und Staatshaushalt.
B. Phasen der Wirtschaftspolitik
Bei dem Abbau des überkommenen W.-Systems und dem Aufbau einer sozialistischen Plan.-W. lassen sich bis jetzt 6 Phasen unterscheiden. Sie sind zugleich die Hauptetappen der allgemeinen politischen Entwicklung.
Die 1. Phase von 1945 bis 1949 war dadurch gekennzeichnet, daß die wirtschaftlichen Grundlagen politischer Macht (z. B. privatkapitalistisches Eigentum) zerstört bzw. von der SED übernommen wurden. Es war die Etappe der „Eroberung der politischen und wirtschaftlichen Kommandohöhen“ durch Industrie- und Bodenreformen. In der Industrie wurden das staatliche und „nationalsozialistische“ Eigentum, später auch das Privateigentum enteignet.
Der Befehl Nr. 124 der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) vom 30. 10. 1945 („Sequesterbefehl“) ordnete unter der Bezeichnung „Über die Beschlagnahme und provisorische Übernahme einiger Eigentumskategorien“ [S. 940]die Beschlagnahme wichtiger Industriebetriebe an. Formal sollte sich die Maßnahme vor allem gegen „Naziaktivisten und Rüstungsfabrikanten“ richten. Ein kleiner Teil der beschlagnahmten Betriebe wurde mit dem Befehl Nr. 167 vom 5. 6. 1946 in das „Eigentum der UdSSR auf Grund der Reparationsansprüche der UdSSR“ überführt („SAG-Betriebe“), während der größere Teil zu „Volkseigentum“ erklärt wurde (Befehl Nr. 64 vom 17. 4. 1948). In der Provinz Sachsen bestimmte ein am 30. 6. 1946 durchgeführter „Volksentscheid über die entschädigungslose Enteignung der sequestrierten Betriebe der Kriegsverbrecher und aktiven Faschisten“ die Übernahme in „Volkseigentum“. 1947 gingen alle Bodenschätze in „Volkseigentum“ über (Ländergesetze „Über die Überführung der Bodenschätze und Bergwerksbetriebe in die Hand des Volkes“).
Parallel dazu lief seit 1945 eine Bodenreform, durch die aller landwirtschaftlicher Privatbesitz über 100 ha sowie der führenden Nationalsozialisten oder anderen „Kriegsverbrechern“ gehörende Boden entschädigungslos enteignet und in einem allgemeinen „Bodenfonds“ zusammengefaßt wurde. Etwa ⅔ des Landes wurde an 550.000 landlose Bauern, Landarbeiter, Pächter u. a. verteilt, etwa ⅓ übernahmen Länder, Kreise und Gemeinden.
Diese 1. Phase charakterisierten weiterhin Demontagen und Reparationsleistungen an die UdSSR. Letztere wurden formal 1953 abgeschlossen. Am 27. 6. 1947 konstituierte sich auf Befehl Nr. 138 der SMAD die Deutsche Wirtschaftskommission als zentrale deutsche Verwaltungsinstanz. Die aus 12 Zentralverwaltungen bestehende DWK brachte eine stärkere Zentralisierung des wirtschaftlichen Leitungssystems. Ein Teil der volkseigenen Betriebe unterstand ab Juli 1948 direkt der DWK. Die anderen VEB wurden entweder von Länderregierungen, unteren Gebietskörperschaften oder genossenschaftlich verwaltet. Als Zwischeninstanzen schuf die DWK ein Ministerium für Industrie und von diesem angeleitete Vereinigungen Volkseigener Betriebe (VVB) mit den VEB als unselbständigen Filialbetrieben. Die DWK wurde der Kern der Späteren Regierung.
Während der 2. Phase von 1949 bis 1958 wurden die Grundlagen für die die volkswirtschaftliche Grundstruktur kennzeichnenden Branchen der chemischen und elektrotechnischen Industrie und des Maschinenbaus erweitert sowie durch Kriegsschäden und Demontagen bedingte Verluste und Disproportionen beseitigt. Die 1948 mit einem Halbjahresplan eingeführte zentrale Planung brachte 1949 einen Zweijahrplan, 1951 einen 1. und 1956 einen 2. Fünfjahrplan. Die Industrieverwaltung wurde zweimal reorganisiert: Ende 1950 wurde das Ministerium für Industrie durch einzelne Industrieministerien ersetzt. Sie übernahmen den größeren Teil der bis dahin den Länderregierungen unterstehenden VEB-L (jetzt VEB-Z), der kleinere Teil wurde als „örtliche Industrie“ den Kreiskörperschaften unterstellt. Gleichzeitig wurden neue Branchenverwaltungen (VVB-Z) gegründet. Ende 1951 wurden dann die Branchenverwaltungen aufgelöst und die angeschlossenen Betriebe in selbständige, nach der „wirtschaftlichen Rechnungsführung“ arbeitende W.-Einheiten umgewandelt.
Allgemein führte die SED in dieser Phase einen verschärften „Klassenkampf nach innen“. Die Sozialisierung wurde weiterbetrieben, so durch die Gründung von Produktionsgenossenschaften des Handwerks und von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG). Die Zwangskollektivierung der selbständigen Bauern-W. lief von Juli 1952 bis April 1960. Sie stagnierte in den Jahren 1953 (Juni-Aufstand), 1956 (Unruhen in Polen) und 1957 (Ungarn-Aufstand).
1950 wurde die DDR in den 1949 gegründeten Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) aufgenommen, womit eine intensivere wirtschaftliche Verflechtung mit den Ostblockländern, in erster Linie mit der UdSSR, begann.
Die 3. Phase von 1958 bis 1962 begann mit einer erneuten Reorganisation des Staats- und W.-Apparates. Der Auflösung der Industrieministerien folgten die Gründung von Vereinigungen Volkseigener Betriebe und Betriebszusammenschlüsse mit der Aufgabe, unterstellte VEB „operativ und produktionsnah anzuleiten“. Bis zur Bildung des Volkswirtschaftsrats 1961 unterstanden sie der aus dem Ministerium für Planung hervorgegangenen Staatlichen Plankommission. Die örtliche Industrie gewann an Bedeutung, indem den Räten der Bezirke und Kreise ehemals zentralverwaltete Industriebetriebe weisungsgemäß unterstellt wurden. Im Zusammenhang damit konstituierten sich bei den Räten der Bezirke besondere Wirtschaftsräte. Währenddessen wurde die Industrie stark ausgebaut (z. B. VEB Braunkohlenkombinat „Schwarze Pumpe“, Werk II des VEB Leuna-Werke, Erdölleitung „Freundschaft“).
Die Jahre 1958 und 1959 brachten insgesamt eine erste Konsolidierung des wirtschaftlichen und politischen Systems, der in den Jahren bis 1962 dann jedoch, hervorgerufen durch die Vollkollektivierung der Landwirtschaft, die Fluchtbewegung und den Bau der Mauer in Berlin, Krisen folgten. Unter der Formel „Störfreimachung“ wurden eine stärkere Umstellung der W. auf Materialimporte aus der UdSSR und anderen Ostblockländern sowie die Eigenfertigung bisher importierter Erzeugnisse propagiert. Durch die Umstellung sollte der Umfang des Interzonenhandels verringert werden; er stieg im Umfang allerdings ab 1962 wieder an.
Die Veränderung der regionalen Außenwirtschaftsstruktur war ein wichtiges Teilziel des 1. Siebenjahrplanes, dessen Laufzeit in Anlehnung an die sowjetische Planperiodisierung für die Jahre 1959–1965
[S. 941]
[S. 942]vorgesehen war. Nach der Beendigung der Reparationsleistungen an die UdSSR und der Beseitigung der gröbsten Disproportionen in der Angebotsstruktur sollte mit diesem Plan das Leistungsniveau vergleichbarer westlicher Industrieländer erreicht werden. Als die „ökonomische Hauptaufgabe“ des Siebenjahrplanes wurde die Angleichung des Versorgungsniveaus (privater Verbrauch) an die westdeutschen Verhältnisse bezeichnet. Wie die Plandurchführung bereits im Jahre 1960 zeigte, reichten die Produktionsmöglichkeiten für das geplante Expansionstempo nicht aus. Der Rückstand in der Produktion und im privaten Verbrauch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, der 1958 bei 25 v. H. bis 30 v. H. (Sozialprodukt und privater ➝Verbrauch je Einwohner) lag, konnte nicht aufgeholt werden. Der Siebenjahrplan wurde 1961/62 abgebrochen.
Auf die krisenhafte Zuspitzung in den Jahren 1960–1962 reagierte die Partei- und Staatsführung 1963 mit einem wirtschaftspolitischem Reformprogramm, dem „Neuen Ökonomischen System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft“. Es zielte nicht auf eine Veränderung der Grundelemente des W.-Systems und der bezeichnenden Instrumente der W.-Politik, sondern auf ihre effektivere Gestaltung und Anwendung. Die Parteitage der SED in den Jahren 1963, 1967 und 1971 markierten in der Folgezeit die Phasen in der W.-Politik: 4. Phase 1963–1967, 5. Phase 1967–1971, 6. Phase ab 1971. (Für diesen Zeitraum: Phasen der Wirtschaftspolitik seit 1963.)
II. Wirtschaftsfläche und Raumordnung
Die W.-Fläche zählt neben der Bevölkerung — insbesondere der erwerbstätigen Bevölkerung —, den Rohstoffvorkommen, dem technischen Wissen und der Kapitalausstattung zu den bestimmenden Faktoren des W.-Potentials der DDR. Sie umfaßte 1973 10.832.745 ha und entsprach damit etwa der W.-Fläche der Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen. Nach der Größe ihrer W.-Fläche steht die DDR in Europa an 16. Stelle. Von der Gesamtfläche waren 6.287.128 ha landwirtschaftliche Nutzungsfläche, 2.950.134 ha Forsten und Holzungen, 79.021 ha Ödland, 220.509 ha Umland und Abbauland sowie 214.721 ha nutzbare Gewässer. Die landwirtschaftliche Nutzungsfläche, nach Eigentumsformen gegliedert, ergab für 1973 folgende Verteilung: 7. v. H. entfielen auf nichtsozialistische Betriebe und Eigentümer, 94 v. H. auf sozialistische Betriebe, darunter 86 v. H. auf Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften und 7. v. H. auf Volkseigene Güter. Der Anteil der landwirtschaftlichen Nutzungsfläche an der W.-Fläche geht seit Jahren leicht zurück. Gegenüber 1951, dem Jahr mit dem höchsten Hektaranteil, betrug der Rückgang 1972 258.991 ha.
Wichtiges Merkmal der räumlichen Verteilung der wirtschaftlichen Aktivitäten und der Bevölkerung besteht in einem Süd-Nord-Gefälle. So wird die industrielle Raumordnung durch die südlichen Ballungsgebiete der Bezirke Dresden, Halle, Leipzig und Karl-Marx-Stadt geprägt, in denen Bevölkerung, Industrie und Infrastruktureinrichtungen konzentriert sind. Auf einem Viertel der Fläche der DDR wird über die Hälfte der industriellen Bruttoproduktion erzeugt, gegenüber einem Anteil von nur knapp 7 v. H. in den etwa gleich großen Nordbezirken Schwerin, Neubrandenburg und Rostock (vergleiche Tabelle Regionalstruktur der Volkswirtschaft).
Die Bevölkerungszahl ist in den 3 Südbezirken dreimal so hoch wie in den drei Nordbezirken. Die Zahl der Einwohner je km² schwankte 1973 zwischen 59 im Bezirk Neubrandenburg und 334 im Bezirk Karl-Marx-Stadt. Im Zusammenhang mit der Konzentration von Industrieproduktion und Bevölkerung in den südlichen und mittleren Gebieten der DDR steht die ebenfalls differierende Ausstattung der Bezirke mit Einrichtungen der Infrastruktur, z. B. des Verkehrs- und Nachrichtenwesens, der Kultur und Volksbildung, des Handels und des Gesundheits- und Sozialwesens. Allerdings konnten hier die Unterschiede der Regionen durch eine gezielte Raumordnungspolitik verringert werden.
Regionale Unterschiede weist auch die Siedlungsstruktur auf. Während in den landwirtschaftlich orientierten Nordbezirken Schwerin und Neubrandenburg nur ca. 40 v. H. der Bevölkerung in Siedlungen mit über 10.000 Einwohnern leben, wohnt in den 4 Südbezirken über die Hälfte der Bevölkerung in städtischen Siedlungen dieser Größenordnung (vergleiche Tabelle Siedlungsstruktur). Entsprechend überwiegen in den schwach industrialisierten Gebieten kleinere Gemeinden in relativ großer Entfernung von großstädtischen Zentren. Partiell wurde diese überkommene Siedlungsstruktur durch städtische Neugründungen und Aufbau größerer Industriekomplexe (z. B. Eisenhüttenstadt, Schwedt) durchbrochen.
III. Wirtschaftssystem
Das W.-System wird bestimmt durch die ausdrückliche parteiprogrammatische und verfassungsrechtliche Festlegung auf eine bestimmte Form der W.-Ordnung, die „sozialistische Volks-W.“. Sie versteht sich als endgültige historische Überwindung kapitalistischer W.-Strukturen und rechnet demgemäß zu den „unantastbaren Grundlagen der sozialistischen Gesellschaftsordnung“ (Art. 2, Abs. 2 der DDR-Verfassung von 1968). Die verfassungsrechtliche Bestimmung, daß die Volks-W. sich auf der Grundlage sozialistischer Produktionsverhältnisse und gemäß den ökonomischen Gesetzen des Sozialismus entwickle, verweist zugleich auf die Rezeption einer spezifischen W.-Theorie (Politische Ökonomie).
[S. 943]Ähnlich deutlich festgelegt ist auch das Instrumentarium, mit dessen Hilfe die Ziele des W.-Systems verwirklicht werden sollen. Die DDR-Verfassung von 1968 hebt hervor, daß der Grundsatz der Planung und Leitung der gesellschaftlichen Entwicklung vor allem auch die Volks-W. beherrscht und ihr damit die Merkmale einer „sozialistischen Planwirtschaft“ verleiht. Zur Darstellung und Analyse der Funktionsfähigkeit des W.-Systems reicht eine derartige Charakterisierung allerdings nicht aus. Hier kommt es auf die Gestaltung der prozeduralen und institutionellen Regelungen an, auf die Verteilung der Verfügungsmacht über die wirtschaftlichen Ressourcen und deren Nutzung und die Berücksichtigung der Interessen aller am W.-Leben Beteiligten. So gesehen sind die Hauptmerkmale des W.-Systems:
1. Vergesellschaftetes Eigentum an den Produktionsmitteln, über das der Staat verfügt;
2. zentrale Planung und Leitung der Produktion und Distribution einschließlich der Koordination von W.-Planung und Finanz- und Sozialpolitik sowie die Gestaltung eines Systems der Leistungsanreize;
3. eingeschränkte Autonomie der Betriebe und Haushalte sowie begrenzte Aktionsmöglichkeiten Siedlungsstruktur (1972)
der Massenorganisationen und der nachgeordneten territorialen Verwaltung.
A. Eigentumsverhältnisse
Eine der primären Differenzen zwischen dem W.-System der DDR und dem der Bundesrepublik Deutschland sind die unterschiedlichen Eigentumsverhältnisse. Sie werden von der Politischen Ökonomie als die wichtigsten gesellschaftlichen Verhältnisse interpretiert, die den Charakter aller anderen gesellschaftlichen Beziehungen bestimmen sollen. Im sozialistischen System wird das gegenüber dem Privateigentum dominierende „sozialistische Eigentum“ an Produktionsmitteln als die wirtschaftliche Basis der gesamtgesellschaftlichen Steuerung durch die SED (Arbeiter-und-Bauern-Macht) angesehen. Die Bildung von Privateigentum an Produktionsmitteln durch Unternehmer und von großen Kapitalgruppen mit gesellschaftspolitischen Einflußmöglichkeiten wird verhindert.
Das sozialistische Eigentum existiert in zwei Formen: als „Volkseigentum“, das die durch Vergesellschaftung in direkten staatlichen Besitz gelangten Betriebe und Unternehmen erfaßt, und als „genos[S. 944]senschaftliches Eigentum“, das durch den Zusammenschluß von Einzelproduzenten zu Erzeugergenossenschaften entsteht. Die Basis des Volkseigentums entstand 1946 durch die entschädigungslose Enteignung der „Nazi- und Kriegsverbrecher“. Durch die Errichtung und Erweiterung zahlreicher Großbetriebe wuchs der staatliche W.-Bereich stark an. Der Anteil der volkseigenen Betriebe am Nationaleinkommen der Gesamt-W. stieg von 51 v. H. im Jahr 1950 über 69 v. H. im Jahr 1970 auf 81 v. H. im Jahr 1973 an (vgl. Tabellen Eigentumsformen). Das verfassungsrechtlich privilegierte Volkseigentum erfaßt alle wichtigen Produktionsmittel: Bodenschätze, größere Gewässer, mittlere und größere Industriebetriebe, Banken, Versicherungen, Verkehrswege, Transport- und Nachrichteneinrichtungen. Als Subjekt des Volkseigentums werden der Staat und das Volk gesehen. Konzeptionen eines delegierten Gruppeneigentums, z. B. der Betriebsbelegschaften, fanden in der DDR keine Verbreitung.
[S. 945]
Faktisch ist der Staat der primäre Eigentümer, der die daraus entstehenden Rechte durch die Institutionen der zentralen W.-Lenkung (vor allem Industrieministerien und Staatliche Plankommission) und die von diesen eingesetzten Betriebsleiter verwirklicht. Das genossenschaftliche Eigentum besteht in den Organisationsformen von Produktionsgenossenschaften, die vor allem in der Landwirtschaft und im Handwerk sowie im Gartenbau und in der Fischwirtschaft verbreitet sind, und von Konsumgenossenschaften und Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften. Das genossenschaftliche Eigentum wird als eine niedere Entwicklungsstufe des sozialistischen Eigentums angesehen. Es läßt den Genossenschaften die Möglichkeit, im Rahmen der Gesetze und Pläne selbständig über ihre Betriebseinrichtungen und die Produktionsergebnisse verfügen zu können.
Zum sozialistischen Eigentum wird seit einigen Jahren auch das Eigentum von gesellschaftlichen Organisationen wie den Parteien und Massenorganisationen, die Verlagsbetriebe und soziale und kulturelle Einrichtungen unterhalten, gezählt (Vereinigung Organisationseigener Betriebe, VOB).
Das ist der DDR noch vorhandene private Produktionsmitteleigentum existiert vorwiegend in der Form von Einzelhandelsgeschäften, Gaststätten und Handwerksbetrieben. Nur unter der Voraussetzung, daß die Privatbetriebe „gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigen, der Erhöhung des Volkswohlstands und der Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums dienen“ (Art. 14, Abs. 1 der DDR-Verf. von 1968) ist privates Produktionsmitteleigentum zulässig.
Die wichtigsten Methoden der Verbindung von privatem und sozialistischem Eigentum sind die staatliche Beteiligung am Privatunternehmen und der Abschluß von Kommissionsverträgen. Das aus solchen Verbindungen entstehende „halbstaatliche Eigentum“ hat seit der letzten Sozialisierungswelle, die im Anschluß an den VIII. Parteitag der SED im Jahr 1972 zur Umwandlung fast aller halbstaatlichen und privaten Industrie- und Baubetriebe sowie der industriemäßig produzierenden Handwerksbetriebe (Stat. Jahrbuch der DDR, 1969, S. 111) in VEB führte, stark an Bedeutung verloren. Im Jahre 1967 hatten 5.556 halbstaatliche Betriebe, die 42 v. H. der Industriebetriebe darstellten, noch 10 v. H. der industriellen Bruttoproduktion aufgebracht, während die Privatbetriebe (29 v. H. der Zahl der Betriebe) 2 v. H. produzierten. Seit 1972 sind halbstaatliche Betriebe vorwiegend noch im Binnenhandel und im Verkehrswesen anzutreffen. Private Betriebe konzentrieren sich auch in der Bauwirtschaft, wo sie 1973 6 v. H. des gesamten Bauvolumens sowie 7 v. H. des Nettoprodukts dieses W.-Bereichs erwirtschafteten.
B. Zentrale Planung
Die zentrale Planung ist neben den spezifischen Eigentumsverhältnissen das entscheidende Strukturmerkmal des W.-Systems. Danach sollen grundsätzlich alle wirtschaftlichen Einzeldispositionen über zentrale Pläne gelenkt und koordiniert werden. Die zentrale Planung muß die Wachstums- und Strukturziele der W.-Politik mit den Ressourcen und Realisierungsmöglichkeiten der Branchen und Betriebe in Übereinstimmung bringen und Prioritäten Setzen. Neben einer die gesamte W. überziehenden Planungsorganisation und besonderen Planungsverfahren ist die zentrale Planung weiterhin an die Voraussetzung einer beschränkten Betriebsautonomie (Pflicht zur Planerfüllung) und staatlich festgelegter Preise gebunden. In der Vergangenheit hat sich die Form, nach der vor allem die Beziehungen zwischen Planungszentrale und W.-Einheiten geregelt wurde, wiederholt geändert. Seit 1948 gab es allein sieben größere Umbildungen der Planorganisation. Sehr verschiedene Planarten wurden, zumeist diskontinuierlich, angewendet: neben Jahres- und kurzfristigen Plänen Halbjahr-, Zweijahr-, Fünfjahr- und Siebenjahrpläne. Die früher durchgeführte einfache Mengenplanung mit der Bruttoproduktion als entscheidender Kennziffer ist inzwischen durch einige Qualitäts- und Effektivitätskriterien ergänzt worden, ohne daß allerdings eine einzelne Kennziffer (z. B. der Gewinn) Priorität erlangte und ein in sich [S. 946]konsistentes Plankennziffernsystem entwickelt werden konnte. Hier wie auch bei anderen Problemen der zentralen Planung wirkt sich negativ das Fehlen einer entwickelten Planungstheorie aus. Seit 1967 wurden die langfristige Planung und Prognose stärker als wichtiges wirtschaftspolitisches Instrument ausgebaut. Neuere Entwicklungen (Vorgabe umfassender Plankennziffern, Einschränkung der betrieblichen Investitionsentscheidungen) haben seit 1971 zu einer stärkeren Rezentralisierung geführt. Auch wenn seit dem Beginn des Neuen Ökonomischen Systems im Jahre 1963 wettbewerbliche Elemente in das W.-System eingebaut wurden, blieb doch der Planungszentrale nach wie vor die Aufgabe, ein volkswirtschaftliches Gleichgewicht zu sichern. Starke Spannungen bestehen aber zwischen den Mengen- und Preisregulierungen: Einerseits ist der unmittelbare Preis-Mengenzusammenhang unterbrochen, andererseits können die staatlichen Preisorgane die einmal fixierten Preise nicht fortlaufend den unterschiedlichen Versorgungs- und Kostenlagen anpassen. Zeitweilig erforderliche schnelle Umdispositionen begegnen vielfach bürokratischen Hemmnissen, was die durchschnittliche volkswirtschaftliche Effektivität mindert. Dies gewinnt Bedeutung, wenn — wie in letzter Zeit verstärkt — die W.-Branchen unmittelbar an den internationalen Markt herantreten. Die relativ hohe Effizienz, die einer zentralgelenkten W. bei der Bildung von Schwerpunkten oder bei radikalen Umstellungen innerhalb des W.-Systems möglich ist, kann dagegen eine entwickelte, in den Grundzügen proportionierte Plan-W. nach allen bisherigen Erfahrungen nicht erreichen.
C. Wirtschaftseinheiten und Leitungsorgane
Die Organisationseinheiten des W.-Systems sind die unmittelbar wirtschaftenden Einheiten und die staatlichen Träger der W.-Politik sowie der allgemeinen Verwaltung. Letztere werden auch „wirtschaftsleitende Organe“ genannt. Dagegen umfaßt die ältere Bezeichnung „Produktionsleitungen“ Einheiten beider Arten: Vereinigungen volkseigener Betriebe, Bezirkswirtschaftsräte und Räte für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft. Die Organe der W.-Politik und Verwaltung sind hierarchisch gegliedert. Höchstes Organ der W.-Leitung ist der Ministerrat. Er transformiert wirtschaftspolitische Ziele, Strategien und Mittelpräferenzen aus dem Parteiapparat der SED in Sollgrößen und Handlungsanweisungen für den Bereich der W. und arbeitet direkt mit dem Staatsrat und der Volkskammer zusammen. Auf seiner Ebene werden die wichtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen mit den beteiligten Ressorts (z. B. Bildungswesen, Gesundheitswesen) abgestimmt.
Dem Ministerrat unterstehen zur Leitung, Verwaltung und Kontrolle der W. spezielle Organe, die sich nach Funktionen unterscheiden lassen. Dies sind erstens Organe, denen produktive W.-Bereiche zugeordnet sind: Industrieministerien, das Ministerium für Bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie, das Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft, die Ministerien für Bauwesen, Verkehrswesen, Post- und Fernmeldewesen, Handel und Versorgung, Umweltschutz und Wasserwirtschaft. Eine 2. Gruppe hat neben spezifischen Hauptaufgaben, wie z. B. die Planungsaufgaben der Staatlichen Plankommission, im Zusammenhang mit der W.-Leitung und -Verwaltung vorwiegend koordinierende und indirekt regelnde Funktionen: die Staatl. Plankommission, die Ministerien für Wissenschaft und Technik sowie der Finanzen, besondere Staatssekretariate und Staatliche Ämter für Arbeit, Löhne und Preise, die Staats[S. 947]bank der DDR. Kontrollaufgaben vor allem hat die dritte Gruppe der wirtschaftsleitenden Organe: wie die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik, das ASMW und das Staatliche Vertragsgericht.
Auf regionaler Ebene existieren folgende wichtige Organe der W.-Leitung:
1. die die Industrie der Bezirke leitenden und den Räten der Bezirke sowie dem Ministerium für Bezirksgeleitete Industrie und Lebensmittelindustrie unterstellten Bezirkswirtschaftsräte, 2. Räte für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft auf Bezirks- und Kreisebene, 3. Bezirks- und Kreisbauämter und 4. Räte der Gemeinden, soweit sie kommunale Dienstleistungs- oder Versorgungsbetriebe verwalten.
Die unmittelbar wirtschaftenden Einheiten umfassen Produktions- und Dienstleistungsbetriebe, Handelsorganisationen (HO, Großhandel, Außenwirtschaft) Genossenschaften und Banken (Bankwesen). Im Vordergrund des allgemeinen W.-Prozesses stehen die Industriebetriebe (Betriebsformen und Kooperation). Der Grad der erreichten Annäherung an optimale Größenordnungen der Betriebe, der technisch-ökonomisch adäquaten Ausstattung mit Sachmitteln u. Fertigungsverfahren und der rationellen Verflechtung in den überbetrieblichen Produktionsprozeß ist von erheblicher Auswirkung auf die gesamtwirtschaftliche Effektivität. Wichtiges Ziel der W.-Politik der vergangenen 10 Jahre war es, den auf diesen Gebieten bestehenden Rückstand gegenüber führenden westlichen Industrieländern zu verringern.
Fundstelle: DDR Handbuch. Köln 1975: S. 939–947