
Agrarpolitik (1979)
I. Theoretische Grundlagen
Mit der Errichtung eines auf den Prinzipien des Marxismus-Leninismus beruhenden Wirtschaftssystems wurde nach 1945 in der SBZ bzw. nach 1949 in der DDR auch die marxistisch-leninistische Agrartheorie in ihrer sowjetischen Ausformung für die praktische A. verbindlich.
Karl Marx war in der Begründung seiner Agrartheorie von der Erwartung ausgegangen, daß die Agrarproduktion durch die Einführung des technischen und technologischen Fortschritts in ähnlicher Weise [S. 14]industrialisiert werden kann wie die gewerbliche Produktion. Folglich mußten in der Landwirtschaft die gleichen Konzentrationsprozesse (Großbetriebe) und der Spezialisierungsprozeß (Arbeitsteilung) eintreten. Unter privatwirtschaftlichen Bedingungen war infolgedessen mit dem Ausscheiden der Masse der Kleinproduzenten aus dem Produktionsprozeß und deren Verelendung zu rechnen. Diese von Marx am Beispiel Englands entwickelte These bestätigte sich in anderen Industriestaaten nicht. Eine Unterstützung der proletarischen Revolution durch die Mehrheit eines verelendeten Landproletariats konnte nicht als sicher vorausgesetzt werden. Marx riet deshalb, die Bauern durch materielle Anreize für die Sache der Arbeiterklasse zu gewinnen bzw. zu neutralisieren.
F. Engels, der sich mit der Agrarfrage intensiver beschäftigte als Marx, kannte die emotionale Bindung der Bauern an Grund und Boden und warnte vor radikalen Maßnahmen, um die Bauern nicht durch Enteignung zu aktiven Gegnern der Revolution werden zu lassen. Die Schwierigkeit bestand darin, daß fast alle Marxisten die Errichtung landwirtschaftlicher Großbetriebe aus Gründen der Rentabilität als zwangsläufige Entwicklung ansahen. Auch ein sozialistischer Staat konnte deshalb keine Garantie für die Beibehaltung der privatbäuerlichen Wirtschaftsweise geben.
Jedes Versprechen, den privat-bäuerlichen Besitzstand zu wahren, mußte sich schließlich als falsch bzw. als kurzfristiges taktisches Manöver erweisen, um die Bauern vorübergehend politisch zu neutralisieren. Als Ausweg griff Engels den schon von Marx erwogenen Gedanken auf, die Bauern durch materielle Anreize für eine kollektive Wirtschaftsweise zu gewinnen. Er ging davon aus, daß insbesondere die Kleinbauern aufgrund der zu erwartenden wirtschaftlichen Zwangslage für den kollektiven Zusammenschluß interessiert werden können, daß man aber auch bei Mittel- und Großbauern von einer Enteignung absehen könne, weil der zwangsläufige Niedergang dieser Betriebe den genossenschaftlichen Zusammenschluß fördert. Der auf Lohnarbeit basierende Großgrundbesitz sollte wegen seiner „kapitalistischen“ Produktionsweise enteignet werden.
Nach der russischen Oktoberrevolution ergab sich erstmalig die Notwendigkeit, diese Theorien in die Praxis zu übertragen. Die besondere Schwierigkeit bestand darin, daß die Sowjetunion als Agrarstaat nicht in der Lage war, die Landwirtschaft ausreichend mit Maschinen und anderen Produktionsmitteln zu versorgen.
Lenin hat die von Marx und Engels entwickelten Agrarthesen weiterentwickelt und suchte dabei die besonderen Verhältnisse in Rußland zu berücksichtigen. Er unterschied — einschließlich der Landarbeiter — 6 Klassen der ländlichen Bevölkerung, die in unterschiedlicher Weise interessiert bzw. „behandelt“ werden sollten. Großgrundbesitzer und Großbauern sollten enteignet und der Einfluß der Mittelbauern beseitigt werden, da sie als Gegner der Revolution angesehen wurden. Wesentlich war, daß Lenin die enteigneten Betriebe zwar verstaatlichte, die Flächen und das Inventar dagegen zunächst den Landarbeitern, Heuerlingen, und landarmen Bauern zur privatwirtschaftlichen Nutzung beließ. Versuche, sofort zum Aufbau von Kollektivwirtschaften überzugehen, wurden 1921 — wegen des eingetretenen wirtschaftlichen Chaos — aufgegeben. Erst zu einem späteren Zeitpunkt sollte es die „Bündnispflicht“ der Arbeiterklasse erfordern, durch Bereitstellung von Produktionsmitteln die Masse der kleinbäuerlichen Betriebe auf genossenschaftlicher Basis zu organisieren und anschließend den Aufbau großer Kollektivbetriebe zu leiten. Gleichzeitig sollten mit fortschreitender Mechanisierung die Arbeits- und Lebensbedingungen der Landbevölkerung an die der Stadt angeglichen werden.
Über den stufenweisen Aufbau dieser Betriebe veröffentlichte Lenin 1923 in der „Prawda“ mehrere Beiträge, die gemeinsam mit anderen Veröffentlichungen aus den Jahren 1917–1922 als „Genossenschaftsplan“ bekanntgeworden sind. Dieser Genossenschaftsplan bzw. dessen „schöpferische“ Auslegung und Anwendung ist zur Grundlage für die A. aller sozialistischen Staaten geworden.
In der Sowjetunion wurde dieser Plan in 4 Phasen verwirklicht:
1917–1921 Kriegskommunismus. Enteignung von 18 Mill. Großbetrieben und Bauernhöfen, beginnende Kollektivierung;
1921–1928 Neue ökonomische Politik (Erholungsphase). Rückgang der Kollektivierung;
1928–1933 2. Revolution (auf dem Lande), Liquidation der Großbauern, Durchführung der Kollektivierung;
ab 1933 politische Stabilisierung der neuen Verhältnisse in der Landwirtschaft, Errichtung von Großkolchosen.
II. Ziele und Instrumente der Agrarpolitik
Die agrarpolitische Zielsetzung der SBZ/DDR richtet sich seit 1945 einerseits auf die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sowie auf die Belieferung der Industrie mit landwirtschaftlichen Rohstoffen. Es wird ein möglichst hoher Selbstversorgungsgrad angestrebt. Der Nahrungsgüterimport soll zunehmend auf Produkte, die aus klimatischen Gründen nicht in der DDR erzeugt werden können, sowie auf die Einfuhr von Zuchtmaterial beschränkt bleiben.
Andererseits wurde bereits 1945 mit der Umgestaltung der Agrarverfassung auf der Basis der marxistisch-leninistischen Agrartheorie begonnen, die [S. 15]eine Änderung in der bestehenden Eigentumsordnung, der Rechtsformen der Bodenbewirtschaftung, der Besitz- und Betriebsgrößenstruktur und der Arbeitsverfassung vorsah. Langfristig wurde sowohl die Entwicklung spezialisierter Großbetriebe auf der Grundlage kollektiven Eigentums als auch — infolge einer industriemäßig betriebenen Agrarproduktion — die Angleichung der ländlichen Arbeits- und Lebensbedingungen an die der Stadt angestrebt.
Soweit in der Verfolgung der beiden genannten Hauptziele Konflikte auftraten, wurde dem Streben nach hohen Erzeugungsleistungen Rechnung getragen, sofern dies ohne Gefährdung der gesellschaftspolitischen Ziele möglich war. Andererseits wurden Produktionseinbußen in Kauf genommen, sobald dies aus gesellschaftspolitischen Gründen für erforderlich gehalten wurde.
Zur Durchsetzung der genannten Ziele wurde das traditionelle agrarpolitische Instrumentarium (Preisgestaltung, Steuern, Agrarkredite, Subventionen usw.) um zahlreiche mehr oder weniger administrative Maßnahmen erweitert. Hierzu gehören die entschädigungslose Enteignung von Betrieben und Betriebsmitteln, Auflagen über die Betriebsorganisation sowie über die Verwendung der Erzeugnisse und der Betriebseinkommen, die Investitionsmittellenkung, die Auflösung, Umbildung und/oder Neueinrichtung von landwirtschaftlichen Dienstleistungsbetrieben und -Organisationen, die Gründung von Parteigruppen der SED in den Landwirtschaftsbetrieben, die mit Kontrollrechten gegenüber den Betriebsleitungen ausgestattet sind, die Veränderung der Arbeitskräfte- und der Bevölkerungsstruktur sowie der weite Bereich der Agrarpropaganda. Diese Aufgabe wird von den Parteien und Massenorganisationen sowie von den Schulungs- und Ausbildungsorganen wahrgenommen und ist auf produktionstechnische wie auf gesellschaftspolitische Ziele gerichtet (Berufsausbildung, Landwirtschaftliche; Bauernkongreß der DDR).
III. Die Realisierung der agrarpolitischen Ziele
Der Aufbau sozialistischer Großbetriebe mit spezialisierter Produktionsrichtung in der Landwirtschaft der DDR orientiert sich an der UdSSR und damit an Lenins „Genossenschaftsplan“. Obwohl Lenin ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, daß der sowjetische Weg nicht für Industriestaaten geeignet sei (Aufteilung der enteigneten Großbetriebe), wurde dem russischen Beispiel in der SBZ/DDR gefolgt. Die SBZ mußte jedoch aufgrund ihrer geringen Agrarquote, die 1939 ca. 26 v. H. (Westdeutschland 29 v. H.) betrug, als Industriestaat bezeichnet werden.
Ebenso wie in der UdSSR wurden aus gesellschaftspolitischen Gründen die zuvor künstlich geschaffenen Kleinbetriebe in kollektiven Großbetrieben zusammengefaßt, ohne die wirtschaftlichen Zielkonflikte zwischen hoher Arbeitsproduktivität und hoher Flächenproduktivität, zwischen hoher Nutzungsintensität und Betriebsgröße zu berücksichtigen. Infolgedessen ging insbesondere der Anbau arbeitsintensiver Kulturen zurück.
Auf dem Wege zur sozialistischen Agrarverfassung sind in der SBZ/DDR mehrere Phasen festzustellen, die sich teilweise überlappen:
- Bodenreform 1945–1949,
- Klassenkampf gegen Mittel- und Großbauern 1949–1953,
- Kollektivierung, Aufbau von Produktionsgenossenschaften 1952–1960,
- Aufbau sozialistischer Großbetriebe auf dem Wege der Kooperation und der Fusion seit 1960,
- Errichtung von industriemäßig produzierenden Spezialbetrieben der Landwirtschaft auf dem Wege der Fusion seit 1972.
A. Die Bodenreform 1945--1949
Als die Außenminister der vier Besatzungsmächte den Plan einer Bodenreform für ganz Deutschland am 12. 4. 1947 billigten, war diese in der damaligen SBZ schon fast abgeschlossen. Gestützt auf eine gemeinsame Erklärung der wieder zugelassenen Parteien ergingen in den Ländern der SBZ vom 3. bzw. 5. 9. 1945 gleichlautende „Verordnungen über die Bodenreform“, die kurz vorher aus dem Russischen übersetzt worden waren und mit den Texten ähnlicher Verordnungen in anderen osteuropäischen Staaten in einzelnen Passagen wörtlich übereinstimmten.
Entschädigungslos enteignet wurden:
sämtliche Betriebe mit mehr als 100 ha Betriebsfläche einschließlich des gesamten Inventars,
sämtliche Betriebe auch unter 100 ha, deren Eigentümer als aktive Vertreter der NSDAP oder Kriegsschuldige oder Kriegsverbrecher eingestuft worden waren.
Der Großgrundbesitz war in den 5 Ländern der SBZ ungleichmäßig verteilt. Während in Thüringen und Sachsen nur 10 bzw. 13 v. H. der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) von Betrieben mit mehr als 100 ha bewirtschaftet wurden, waren es in Sachsen-Anhalt 27 v. H., in Brandenburg 30 v. H. und in Mecklenburg 48 v. H.
Die Durchführung der Bodenreform erfolgte — unter Anleitung der Länder — durch die Kreis- und Gemeindeverwaltungen. Auf sämtlichen Verwaltungsebenen wurden insgesamt 10.000 Bodenreformkommissionen mit 52.292 Mitgliedern gebildet (Zusammensetzung: Parteilose 56,8 v. H., KPD 23,9 v. H., SPD 17,5 v. H., LDP und CDU zusammen 1,8 v. H.).
Die enteigneten Flächen wurden gemeinsam mit Flächen des Staates und anderer Körperschaften einem Bodenfonds zugeführt.
[S. 16]
In der Gesamtfläche waren enthalten 1,042 Mill. ha Wald, von denen 0,433 Mill. ha (41,6 v. H.) an Privatbetriebe verteilt wurden. Von den an Privatbetriebe verteilten Flächen wurden ca. 1,7 Mill. ha an rd. 210.000 Neubauern verteilt (Durchschnittsgröße 8,1 ha), während 0,275 Mill. ha zur Aufstockung von rd. 82.500 Betrieben der Kleinbauern verwendet wurden. Die restlichen Flächen entfielen auf Kleinpächter, Handwerker und Altbauernbetriebe (Waldzulage). Entgegen Lenins Hinweisen waren im Industriestaat Deutschland die enteigneten Flächen nicht verstaatlicht, sondern zu einem größeren Teil reprivatisiert worden. Gleichzeitig wurden Eigentumsgarantien für alle nicht enteigneten Bauernbetriebe ausgesprochen und jede Absicht einer späteren Kollektivierung geleugnet. Zur Sicherung der Nahrungsversorgung sind Pflichtablieferungen je ha LN eingeführt worden, die ein Mindestaufkommen an Nahrungsgütern sichern sollten.
Für Marktlieferungen über dieses Maß hinaus gründete man „Bauernmärkte“, auf denen die Bauern weit höhere Preise erhielten („Preis nach Angebot und Nachfrage“) als für die der Pflichtablieferung unterliegenden Produkte. Bauern, die an diese Märkte lieferten, wurden zudem beim Produktionsmittelbezug bevorzugt. Gleichzeitig wurden die bäuerlichen Raiffeisengenossenschaften auf Anweisung der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) erneut gegründet. Zusätzlich wurde zur Unterstützung der Neubauern die Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe (VdgB) etabliert. Sie hatte zunächst das Inventar der enteigneten Betriebe zu verwalten und organisierte 1946 besondere Maschinenausleihstationen (MAS). Die MAS sind 1949 zu selbständigen Betrieben mit Produktions-, Reparatur- und Lagereinrichtungen weiterentwickelt worden.
Die Bodenreform ist von beträchtlichem Propagandaaufwand begleitet worden. Tatsächlich hat die Bodenreform die Betriebsgrößenstruktur, die Eigentums- und Arbeitsverfassung in der Landwirtschaft der SBZ/DDR umwälzend verändert und vor allem die „Klasse der werktätigen Bauern“, zahlenmäßig anwachsen lassen (Landwirtschaftliche Betriebsformen), Gleichzeitig sollte die A. der SBZ/DDR beispielhaft auf die Bevölkerung der heutigen Bundesrepublik wirken.
B. Der Klassenkampf auf dem Lande 1949--1954
Die kurz nach Kriegsende von W. Ulbricht ausgesprochene Eigentumsgarantie für die privatbäuerlichen Betriebe galt bereits seit 1949 faktisch nur noch für den Besitz der Klein- und Mittelbauern.
Gegen die Großbauern (zunächst Betriebe mit 50–100 ha LN, später alle Betriebe über 20 ha LN) wurden zahlreiche restriktive Maßnahmen ergriffen. Der beginnende „Klassenkampf auf dem Lande“ verfolgte das Ziel, die Mehrheit der Bauern und Landarbeiter für die A. der SED zu gewinnen und die Minderheit (in der Regel Groß- und Mittelbauern) zu isolieren.
Zur Förderung der Neubauern wurde ein Programm erarbeitet, in dessen Folge bis 1953 ca. 95.000 Wohngebäude, 104.000 Stallungen und 39.000 Scheunen entstanden sind. Insgesamt betrugen die Kosten der Neubauernstellen 1,35 Mrd. Mark. Außerdem entwickelten die MAS differenzierte Preissysteme, mit denen die in der Bearbeitung unwirtschaftlichen Flächen aller Kleinbetriebe geringer als größere Flächen bewertet worden sind. Die Betriebsmittelversorgung der Mittel- und Großbauern wurde vernachlässigt, Maschinen und Ersatzteile fast ausschließlich an die MAS geliefert. Die Ersatzbeschaffungen gegen höhere Preise wurden als Wirtschaftsverbrechen bestraft. Die zwischen 1945 und 1948 gesetzlich vorgeschriebene Rücklagenbildung zur späteren Investitionsfinanzierung (Sperrkonto) wurde dem Gewinn zugeschlagen und mußte in voller Höhe versteuert werden (andernfalls wurden Sicherungshypotheken eingetragen).
Das Ablieferungssystem wurde so gestaffelt, daß Betriebe mit mehr als 50 ha z. T. doppelt so hohe Mengen je ha LN abzuliefern hatten wie Betriebe mit 5–10 ha LN. Damit sank die Möglichkeit, Marktlieferungen über das Liefersoll hinaus zu erbringen und dadurch höhere Preise zu erzielen. Andererseits ist durch staatliche Anbaupläne verhindert worden, daß die Betriebe sich in ihrer Organisation den veränderten Bedingungen anpassen konnten. Außerdem wurden die traditionellen Selbsthilfeorganisationen der Bauernschaft, die Raiffeisengenossenschaften bzw. Genossenschaftskassen unter staatliche Kontrolle gestellt (Ländliche ➝Genossenschaften). Diese Schwierigkeiten führten schließlich dazu, daß ca. 24.000 bäuerliche Betriebe mit ca. 700.000 ha LN (11 v. H. der gesamten LN) aufgegeben bzw. beschlagnahmt worden sind.
C. Die Kollektivierungsphase 1952--1960
Entgegen zahlreichen früheren Versicherungen der SED und der Regierung beschloß die II. Parteikonferenz der SED im Juli 1952 die Vorbereitung des „Aufbaus des Sozialismus auf dem Lande“ durch die [S. 17]Bildung von landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) mit unterschiedlichem Vergesellschaftungsgrad der Produktionsmittel (LPG Typen I–III). Hierfür wurden Musterstatuten erlassen und für die Betriebsorganisation eine Musterbetriebsordnung aufgestellt (Landwirtschaftliche Betriebsformen, LPG). Bereits am 31. 12. 1952 bestanden 1.906 LPG mit rd. 218.000 ha LN. Bis zum Juni 1953 erhöhte sich diese Zahl auf 4.391 LPG und stieg danach bis zum 31. 12. 1957 auf 6.691 Betriebe mit 1,632 Mill. ha an (ca. 26,0 v. H. der LN der DDR). Das relativ langsame Wachstum in den Jahren 1953–1957 wird offiziell mit den negativen Einflüssen der „Klassenfeinde“ (Arbeiteraufstände 1953 in der DDR, in Polen und Ungarn 1956) erklärt und hatte vor allem im Verlauf des neuen Kurses 1953–1954 zu einer Mäßigung in den Kollektivierungskampagnen der SED geführt.
An der Gründung der LPG bzw. am Beitritt zu diesen Betrieben war die alteingesessene bäuerliche Bevölkerung Mitteldeutschlands bis zum Jahr 1957 in nur geringem Ausmaß beteiligt. Mitglieder wurden ausnahmslos die Inhaber wirtschaftsschwacher Betriebe mit der Folge, daß auch die Wirtschaftsleistung der LPG unbefriedigend blieb. Die LPG-Mitglieder setzten sich 1957 zu 42,5 v. H. aus Landarbeitern, zu 11,3 v. H. aus Industriearbeitern, zu 5,1 v. H. aus Parteifunktionären und Mitgliedern der „Landintelligenz“ u. a. m. sowie zu 28,5 v. H. aus Neubauern zusammen. Die Altbauern waren dagegen mit nur 12,6 v. H. (10,3 v. H. Kleinbauern und 2,3 v. H. Großbauern mit mehr als 20 ha LN) vertreten. Die von den LPG bzw. deren Mitgliedern bewirtschaftete Fläche stammte zu 54 v. H. aus „örtlichen Landwirtschaftsbetrieben“. Die Einführung der LPG entsprach der Ausdehnung des „Klassenkampfes auf dem Lande“ auf sämtliche privaten Landwirtschaftsbetriebe.
Die MAS wurden zu Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) entwickelt und vorwiegend bei den LPG eingerichtet. Die ausschließlich den MTS zur Verfügung gestellten Maschinenkapazitäten wurden bereits 1955 zu 64 v. H., später zu 80–90 v. H. in den LPG eingesetzt. Obwohl die LPG mit durchschnittlich 245 ha LN beachtliche Größen erreichten, wurden sie in der Produktionsleistung, in der Gestaltung der Erzeugerpreise und in den MTS-Tarifen den Betrieben mit einer Größe von 5–10 ha gleichgestellt; es wurden Steuern erlassen, Verlustbetrieben wurden durch direkte Subventionen Mindestarbeitseinkommen garantiert. Gleichzeitig mit dem Aufbau der LPG erging von der SED eine Direktive zur Bildung und über die Arbeit von Parteiorganisationen in den LPG, die gemeinsam mit den MTS die Neugestaltung des Dorfes auf sozialistischer Grundlage organisieren sollten. Den MTS wurden zu diesem Zweck politische und kulturelle Abteilungen angegliedert.
Überlegungen — auch innerhalb der Parteiführung der SED (Vieweg, Oelßner) —, den kostspieligen Aufbau der LPG einzustellen oder zumindest das Prinzip der Freiwilligkeit wieder uneingeschränkt anzuwenden, scheiterten; die gegen die Einzelbauern gerichteten Maßnahmen wurden ab 1958 verstärkt und führten bis April 1960 unter Gewaltanwendung oder -androhung zur Vollkollektivierung in der Landwirtschaft der DDR.
D. Die Kooperationsphase 1960--1972
1. Definition und Ziele
Die nachfolgende Periode bis etwa 1972 ist durch unterschiedliche Formen der „Kooperation“ geprägt. Der Begriff „Kooperation“ ist nach Inhalt, Form und Anwendungszeitraum ebenso unscharf wie die zur Charakterisierung der vorangegangenen Phasen dienenden Begriffe des „Klassenkampfes“ und der „Kollektivierung“. Insbesondere ist der Übergang zur nachfolgenden Phase der spezialisierten Landwirtschaft ebenso fließend wie auch die Kollektivierung im Frühjahr 1960 nur insoweit abgeschlossen war, als (fast) alle Bauern einer LPG angehörten. Der überwiegend unfreiwillig vollzogene Abschluß der Kollektivierung brachte es mit sich, daß die Bauern lediglich zum Beitritt bzw. zur Gründung einer LPG vom Typ I zu bewegen waren. Damit befanden sich auch nach 1960 noch wesentliche Teile der Nutzflächen (Grünland und Wald), vor allem aber der größte Teil des damaligen Besatzkapitals (die gesamte Viehhaltung einschließlich der Gebäude) weiterhin in privat-bäuerlicher Wirtschaft. Die „Kooperation“ erwies sich als eine wirksame Methode zur Überwindung dieser ökonomisch und gesellschaftlich unerwünschten Verhältnisse. Gleichzeitig leitet sie den Übergang zu industriemäßigen Produktionsverfahren ein.
Als Kooperation gilt auch bei Marx „die Form der Arbeit vieler, die in demselben Produktionsprozeß oder in verschiedenen, aber zusammenhängenden Produktionsprozessen planmäßig neben- und miteinander arbeiten“, wobei (nach Marx) die horizontale Kooperation typisch ist für die Anfänge der kapitalistischen Produktion (handwerklich orientierte Manufaktoren) sowie „für jede Art der großbetrieblichen Landwirtschaft“. Im übrigen wird die (vertikale) Kooperation als eine Folge der Arbeitsteilung im allgemeinen (zwischen den Volkswirtschaftsbereichen), im besonderen (innerhalb der Volkswirtschaftszweige) und im einzelnen, d. h. innerhalb der Betriebe, gesehen. Insbesondere die beiden letzten Formen sind ein Ergebnis der Spezialisierung, die sich aus der Mechanisierung der Handarbeit entwickelt haben. Allen Formen der Kooperation — auch der horizontalen — ist gemeinsam, daß sie als Produktivkraft wirken, weil die im Zusammenwirken vieler erzielte Leistung größer ist als die Summe der Einzelleistungen aller Beteiligten und, daß das Zu[S. 18]sammenwirken vieler der Koordination, d. h. der Leitung und Kontrolle bedarf. Die Zahl der Leitungsorgane nimmt mit dem Spezialisierungsgrad zu und ist damit vom Mechanisierungsgrad abhängig. Diese grundsätzlichen Überlegungen fanden während der Kooperationsphase Anwendung in der A. der DDR. wobei die im gewerblichen Bereich beobachteten Gesetzmäßigkeiten auf die Landwirtschaft übertragen wurden. Für die Landwirtschaft wurden nicht Maschinen, sondern Maschinensysteme entwickelt (Landtechnik), jedoch mit der Folge, daß die auf dem Wege der horizontalen Kooperation erzielte Steigerung der Arbeitsproduktivität nicht der Aufwandsverringerung bzw. Kostensenkung und damit der Erhaltung der bestehenden Betriebe diente. Im Gegenteil: Der Einsatz der Maschinensysteme sollte die spätere Fusion der (zunächst horizontal kooperierenden) Betriebe zu industriemäßig organisierten Spezialbetrieben vorbereiten, die ihrerseits als Stufenproduzenten durch vertikale Kooperationsbeziehungen miteinander verbunden sind.
2. Entwicklung
Bereits in der Endphase der Kollektivierung ist betont worden, daß der Zusammenschluß aller Bauern in LPG nur der erste Schritt für den Sieg des Sozialismus in der Landwirtschaft sei. Ein Jahr später wurde der „allmähliche Übergang zu einer gewissen Spezialisierung“ gefordert, und bereits 1962 wurden die Fragen der industriemäßigen Gestaltung einzelner landwirtschaftlicher Produktionsprozesse und der Errichtung von „Spezialwirtschaften“ aufgeworfen. Auf dem VIII. Deutschen Bauernkongreß und auf der 12. Landwirtschaftsausstellung der DDR (Agra) im Jahr 1964 wurden erste Beispiele der industriemäßigen Produktion vorgestellt, die jedoch später sehr stark modifiziert wurden. Die zunächst im Vordergrund stehende horizontale Kooperation führte häufig zu einer Fusion der „kooperierenden“ Betriebe, vor allem zahlreicher kleiner LPG vom Typ I untereinander oder zu deren Anschluß an LPG vom Typ III.
Die „Kooperation“ erstreckte sich auf gemeinsame Investitionen zur Einrichtung von Dienstleistungsbetrieben (Meliorationen usw.) oder zur gemeinsamen Organisation bestimmter Betriebszweige (Waldwirtschaft. Zweige der tierischen Produktion). Da diese so entstandenen Spezialbetriebe juristische Selbständigkeit erlangten, nach eigenen Plänen und mit eigenem Haushalt (Fonds) arbeiten, müssen diese „Kooperationen“ als partielle Fusionen bezeichnet werden.
Ab 1965 erfaßte die horizontale Kooperation sämtliche Landwirtschaftsbetriebe mit allen Betriebszweigen. Die Betriebe wurden — bei Aufrechterhaltung ihrer juristischen Selbständigkeit — veranlaßt. Kooperationsgemeinschaften (KOG) zu bilden, den Einsatz ihrer Technik gemeinsam zu planen und zu organisieren, die Betriebspläne gegenseitig abzustimmen, gemeinsam oder einzeln Hauptproduktionszweige zu entwickeln und Produktionszweige untereinander auszutauschen.
Die dieser Entwicklung innewohnende Tendenz, in größerem Rahmen zu fusionieren und Groß-LPG zu gründen, wurde jedoch unterbunden. Statt dessen ist die eingeleitete zwischenbetriebliche Spezialisierung durch die Einrichtung vertikal organisierter Kooperationsverbände (KOV) unterstützt bzw. intensiviert worden. In den KOV arbeiten die Landwirtschaftsbetriebe als Stufenproduzenten mit den ihren Produktionszweigen entsprechenden Verarbeitungs- und Handelsbetrieben zusammen, wobei dem Finalproduzenten die Aufgabe der Leitung und Gestaltung der Verbandsarbeit zufällt. Diese Entwicklung und der gleichzeitig ablaufende Prozeß der Spezialisierung der Produktion führten etwa ab 1972 zur Verselbständigung der einzelnen Betriebszweige in Spezialbetrieben. An dieser Entwicklung waren neben allen LPG auch die bezirksgeleiteten VEG und, sofern dies der industriemäßigen Organisation der Produktion diente, auch die Gärtnerischen Produktionsgenossenschaften (GPG) beteiligt.
3. Maßnahmen
Um die Richtigkeit ihrer Kollektivierungspolitik unter Beweis zu stellen, schuf die Parteiführung günstige Rahmenbedingungen im Bereich der Produktionsmittelversorgung, der Subventions-, Preis- und Steuerpolitik, der Entwicklung der Forschung, Lehre und Ausbildung sowie zahlreiche weitere leistungsfördernde. z. T. auch vertrauensbildende Maßnahmen.
Die Handhabung der agrarpolitischen Instrumente war zunächst auf die Konsolidierung der LPG Typ III gerichtet und förderte später die Zusammenarbeit aller Betriebsformen in den KOG. Die MAS/MTS wurden aufgelöst und ihr Maschinenpark den LPG vorerst leihweise, später zu verbilligten Preisen übergeben, wobei die LPG Typen I/II in der Preisgestaltung und in den Finanzierungsmöglichkeiten benachteiligt waren. Das Recht der LPG, ihren Maschinenbedarf eigenverantwortlich zu planen, zu bestellen und zu erwerben, wurde alsbald wieder eingeschränkt. Stattdessen durften Großmaschinen nur in „Komplexen“ an KOG ausgeliefert werden. Die Leitung des Komplexeinsatzes wurde in (zentralen) Erntedirektiven geregelt und von den Abteilungen Landwirtschaft bei den Räten der Kreise wahrgenommen. Ungeachtet dessen verdreifachte sich zwischen 1960 und 1972 der Traktorenbesatz auf 114 PS/100 ha LN. Weitere 40–45 PS/100 ha LN standen 1972 in Form von Fahrzeugen (Lkw) und selbstfahrenden Erntemaschinen zur Verfügung.
Ferner wurde von 1960 bis 1972 die Stickstoffdün[S. 19]gerbereitstellung auf rd. 285 v. H. (104,6 kg) erhöht. In noch stärkerem Ausmaß nahm die Bereitstellung von Pflanzenschutzmitteln (auf 4,7 kg Wirkstoff/ha AFl) und von Leistungsfuttermitteln zu. Im Ergebnis stieg die Nahrungsmittelproduktion insgesamt von 1960 bis 1972 um 20,3 v. H., was einer durchschnittlichen Wachstumsrate der Flächenproduktivität um 1,6 v. H. pro Jahr entspricht (Landwirtschaft). Gleichzeitig erhöhte sich, als Ergebnis der verstärkten technischen Ausrüstungen und der Bauinvestitionen, die Kapitalausstattung um 102,7 v. H., während der Arbeitskräftebestand um 28 v. H. abnahm. Zur Finanzierung der Investitionen und des Produktionsmitteleinsatzes sind die Erzeugerpreise im Rahmen des Neuen Ökonomischen Systems (NÖS) mehrfach modifiziert und erhöht worden. Das bis zum Abschluß der Kollektivierung übliche System der Erfassung der im Rahmen des Staatlichen ➝Aufkommens gelieferten Produkte zu niedrigen Erfassungspreisen und der Ankauf darüber hinaus verkaufter Mengen zu beträchtlich höheren Aufkaufpreisen wurden 1964 durch einheitliche Erzeugerpreise für pflanzliche Produkte, für Eier und Geflügelfleisch ersetzt, deren Niveau im Durchschnitt dem der höheren Aufkaufpreise entsprach. Sie sind ab 1969 auch auf Milch und alle anderen tierischen Erzeugnisse ausgedehnt worden. Daneben wurden ab 1964 zahlreiche Preiszuschläge für die Lieferung zu bestimmten Terminen, für Qualitätsprodukte und vor allem für den zukaufsfreien Produktionszuwachs gezahlt, sofern dieser im voraus geplant und vertraglich vereinbart war. Im Ergebnis stieg der Index der Erzeugerpreise (ohne Prämien für den Produktionszuwachs) von 1960 bis 1972 auf 143,1 v. H.
Die so entstandenen Mehreinnahmen der Betriebe durften von den Genossenschaften jedoch nur teilweise zur Erhöhung der Einkommen der LPG-Mitglieder verwendet werden. Für die ganzjährig mitarbeitenden Mitglieder war bereits 1962 ein staatlich garantiertes Mindesteinkommen von 3.120 Mark pro Jahr festgelegt worden. Zur Vermeidung zu hoher Einkommen ist die Auszahlung der o. g. Prämien für den Produktionszuwachs davon abhängig gemacht worden. daß die Betriebe angemessene Rücklagen zur Investitionsfinanzierung bilden, deren Höhe vor Beginn des Wirtschaftsjahres von den Kreislandwirtschaftsräten mit den LPG-Vorsitzenden und den Hauptbuchhaltern der LPG vereinbart werden mußte. Außerdem ist 1969 ein für jeden Betrieb gesondert zu ermittelnder Rückführungsbetrag eingeführt worden, der die Mehreinnahmen teilweise wieder abschöpft. Er wurde seit 1971 zu einer ökonomisch begründeten Abgabe weiterentwickelt, die einerseits die Unterschiede in den natürlichen und ökonomischen Produktionsbedingungen ausgleicht (Fruchtbarkeits- bzw. Intensitätsrente; die Lagerente wurde bereits 1967 durch Einführung von Loco Hofpreisen beseitigt) und gleichzeitig Anreize zur Produktionssteigerung behält, weil die über die geplanten Bruttoeinnahmen hinaus erzielten Einnahmen nur mit 50 v. H. des Abgabesatzes belegt werden. Andererseits bleibt die Höhe der individuellen Arbeitseinkommen begrenzt. Sofern jährliche Arbeitseinkommen von mehr als 8.000 Mark erzielt werden, ist von den Betrieben eine progressiv steigende Konsumtionsabgabe zu zahlen, die bei 11.000 Mark Jahreseinkommen bereits 1.000 Mark beträgt und fortan mit 40 v. H. die höher liegenden Einkommen zusätzlich belastet. Diese Abgabe, die — günstiger als der Rückführungsbetrag — nur vom LPG Typ III und kooperierenden Betrieben erhoben wurde, veranlaßte LPG der Typen I und II zur Kooperation bzw. Fusion mit LPG Typ III.
Preis- und Steuerpolitik erhöhten die Bruttoeinnahmen der Betriebe und schränkten gleichzeitig die individuelle Konsumtion (Arbeitseinkommen) ein, so daß steigende Beträge zur Investitionsfinanzierung akkumuliert werden konnten. Ungeachtet dessen belasteten ökonomisch begründete Abgaben und Rückführungsbeträge die Agrarproduktion mit durchschnittlich 1,15 Mrd. bzw. mit 180 bis 200 Mark/ha LN jährlich (Steuern; Agrarsteuern).
Ein weiteres Ziel des NÖS war es, die Landwirtschaft mit Hilfe der Preis- und Steuerpolitik voll in das Finanzgefüge der Volkswirtschaft zu integrieren. Einerseits sollten die landwirtschaftlichen Erzeugerpreise zugleich als Eingangspreise für die Betriebe der Nahrungsgüterwirtschaft gelten, was bei Aufrechterhaltung des bis 1964 bzw. 1969 geltenden gespaltenen Preissystems nicht möglich war. Andererseits sollte die Landwirtschaft dank der Preisanhebung in der Lage sein, die Industrieabgabepreise für Produktionsmittel zu zahlen. Beide Ziele haben sich bisher nicht oder nur teilweise verwirklichen lassen. Vielmehr führte die Anhebung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise bei unveränderten Nahrungsmittelpreisen zu wachsenden Erzeugerpreissubventionen (1966–1970 durchschnittlich 4,4 Mrd. Mark. 1971–1975 durchschnittlich 6,5 Mrd. Mark bzw. 1.033 Mark pro ha LN und Jahr). Versuche, die ebenfalls steigenden Produktionsmittelpreise (3. Industriepreisreform) in der Landwirtschaft wirksam werden zu lassen, konnten nur teilweise verwirklicht werden. Auch die Versuche, die Investitionskredite zu verringern bzw. zu versteuern, wurden binnen Jahresfrist zurückgenommen.
Zu den wichtigsten administrativen Maßnahmen der Kooperationsphase gehört die mehrfache Reorganisation der Wirtschaftsverwaltung selbst. Bei Einführung des NÖS ist das Ministerium für Landwirtschaft, Erfassung und Forstwirtschaft aufgelöst worden, weil dessen Arbeitsweise für die einsetzende flexible Handhabung der „ökonomischen Hebel“ wenig geeignet erschien. Statt dessen wurde — analog zu dem für die anderen Wirtschaftsbereiche einge[S. 20]richteten Volkswirtschaftsrat — ein Landwirtschaftsrat gegründet, dessen Kompetenzen weit über die Aufgaben des aufgelösten Ministeriums hinausgingen (Einflußnahme auf die Produktionsmittelerzeugung und -bereitstellung). Ihm ist u. a. auch die Deutsche Akademie der Landwirtschaftswissenschaften (Agrarwissenschaften) unterstellt worden. Hingegen wurde für den Ankauf der Agrarprodukte und deren Verarbeitung ein gesondertes staatliches Komitee für Erfassung und Ankauf eingerichtet, das dem Ministerrat direkt unterstellt war.
Mit der Weiterentwicklung der vertikalen Kooperation und der Einrichtung landwirtschaftlicher Kooperationsverbände (KOV) wurde ab 1968 das Staatliche Komitee für Erfassung und Aufkauf und damit die Betriebe der Nahrungsgüterwirtschaft sowie deren Leitungsorgane dem nunmehr erweiterten Rat für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft (RLN) bzw. dessen Produktionsleitung nachgeordnet. Damit war der erste Schritt zur Bildung eines Agrar-Industrie-Komplexes (AIK) getan und die komplexe Leitung der Entwicklung der Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft gesichert. Dem Landwirtschaftsrat bzw. RLN beim Ministerrat entsprechend wurden bei den Räten der Bezirke und Kreise nachgeordnete Landwirtschaftsräte (RLN) eingerichtet. Die administrativen Aufgaben nahmen die Produktionsleitungen der RLN wahr.
Die Mitglieder der LR/RLN wurden auf den Bauernkongressen gewählt. Sie setzten sich zu 70 v. H. aus Leitern, Genossenschaftsmitgliedern und Arbeitern der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe, aus Agrarwissenschaftlern und darüber hinaus aus Agrarfunktionären der SED bzw. DBD sowie der VdgB/BHG usw. zusammen. Nach der Erweiterung der LR zu RLN wurden auch die Vertreter bzw. Betriebsleiter der Nahrungsgüterwirtschaft in die Arbeit der Räte einbezogen. Die Einrichtung der LR/RLN bildete einen starken Kontrast zu den bis zum Abschluß der Kollektivierung praktizierten Formen der staatlichen Leitung. Sie vermittelte den Eindruck, daß die landwirtschaftliche Bevölkerung nunmehr direkt an der staatlichen Leitung beteiligt sei. zumal die Vorsitzenden der Räte zugleich als Produktionsleiter den staatlichen Landwirtschaftsverwaltungen (Produktionsleitungen) vorstanden.
Durch die Einbeziehung und Beteiligung der Betriebsleiter und sonstiger Angehöriger der landwirtschaftlichen Bevölkerung auf allen Ebenen der staatlichen Leitung ergab sich in den Räten eine sinnvolle Zusammenarbeit von Wissenschaft, Praxis und Politik, die gemeinsam mit der flexiblen Anwendung der ökonomischen Hebel und der verbesserten Produktionsmittelversorgung zur bisher erfolgreichsten Entwicklungsphase der Landwirtschaft der DDR beitrug. Diese Leitungsorganisation bewirkte einerseits, daß die konkreten Verhältnisse auf dem Lande und die wissenschaftlichen Ergebnisse der Agrarforschung in den Beschlüssen der staatlichen Leitung berücksichtigt wurden. Andererseits war es den in den Räten mitwirkenden Vertretern der Landwirtschaftsbetriebe möglich, sich mit den von der Partei- und Staatsführung gefaßten Beschlüssen stärker zu identifizieren. Diese Identifikation mußte jedoch zwangsläufig zu einem Hemmnis werden, sobald die neu entstandenen Betriebsformen im Zuge der Spezialisierung erneut umgestaltet wurden.
E. Die Fusion zu industriemäßig organisierten Spezialbetrieben ab 1972
1. Ziele
Die Propagierung industriemäßiger Produktionsmethoden hatte bereits während der Kooperationsphase eingesetzt. Als auslösender Faktor wurde der wissenschaftlich-technische Fortschritt genannt, der über die Entwicklung der Produktivkräfte gesetzmäßig, d. h. zwangsläufig, zu industrieähnlichen Arbeitsverfahren auch in der Landwirtschaft führen soll. Es werden daher ausschließlich Fahrzeuge, selbstfahrende Spezialmaschinen, Maschinen und Geräte mit der jeweils maximal möglichen Kapazität entwickelt bzw. bereitgestellt, die zu Maschinensystemen zusammengesetzt und als Komplexe eingesetzt werden können (Landtechnik).
In Erwartung vergleichbarer Rationalisierungseffekte soll der Industrialisierungsprozeß in der Landwirtschaft in den Teilprozessen der Konzentration, der Spezialisierung und der Intensivierung ablaufen. Die Konzentration wird am Umfang der bewirtschafteten Fläche oder an der Anzahl der pro Anlage gehaltenen Tiere gemessen. Die Spezialisierung ergibt sich einerseits aus der Ausgliederung und Verselbständigung von Dienstleistungen und Konservierungsverfahren und andererseits aus der Trennung der tierischen von der pflanzlichen Produktion. Die Einführung industriemäßiger Produktionsverfahren soll zu Aufwands- und Kostensenkungen führen und der Intensivierung — und damit der Steigerung der Produktion — dienen (hoher Selbstversorgungsgrad). Mit ihrer Hilfe sollen weiterhin die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft an die der Industrie angeglichen werden. Die industriemäßig arbeitenden Betriebe haben darüber hinaus mit staatlicher Unterstützung (Schul- und Ausbildungswesen. medizinische Betreuung, Versorgungsbetriebe, öffentliche Verkehrsmittel usw.) auch zur Einebnung der äußeren Unterschiede zwischen Stadt und Land beizutragen. Als politisch-ideologisches Ziel wird die Annäherung der „Klasse der Genossenschaftsbauern“ an die Arbeiterklasse angestrebt.
2. Probleme der industriemäßigen Gestaltung der Agrarproduktion
Die genannten Ziele und die zu ihrer Verwirklichung eingeleiteten Prozesse stimmen mit den von Marx [S. 21]und Engels entwickelten theoretischen Vorstellungen weitgehend überein. Ihre Realisierung ist mit zahlreichen Problemen behaftet, die besondere agrarpolitische Maßnahmen erfordern.
Die Probleme ergeben sich daraus, daß die Agrarproduktion neben Arbeit und Kapital auch auf den Boden als Hauptproduktionsfaktor angewiesen ist. Der Boden kann jedoch ebenso wenig konzentriert werden wie die natürlichen Standortfaktoren (Wasser, Licht. Wärme). Da die pflanzliche Produktion — von Ausnahmen abgesehen — an die Fläche gebunden bleibt, müssen auch die Faktoren Arbeit und Kapital dezentral eingesetzt werden. Die Konzentration von Arbeit und Kapital in Betrieben mit zunehmendem Flächenumfang bedeutet, daß zusätzlicher Aufwand durch die Überwindung innerbetrieblicher Entfernungen entsteht. Dieser Mehraufwand ist um so höher, je intensiver die Produktion betrieben wird, weil der angestrebte hohe Ertrag vom Aufwand an Kapital und Arbeit pro Flächeneinheit abhängt.
Bezüglich der Intensivierung bleibt in der Konzeption der DDR noch immer unberücksichtigt, daß unter sonst gleichen Bedingungen der Ertrag in der Pflanzen- und der tierischen Produktion durch den Einsatz ertragssteigernder Produktionsmittel (Dünger. Planzenschutzmittel, Kraftfutter usw.) bestimmt wird. Diese Produktionsmittel sind beliebig teilbar, so daß die Produktionsleistung von der Betriebsgröße weitgehend unabhängig ist. Die in der Argumentation der DDR übliche Kopplung von zunehmender Produktionsleistung an wachsende Betriebsgrößen erklärt sich daraus, daß die unterschiedliche betriebs- und volkswirtschaftliche Wirkungsweise ertragssteigernder Produktionsmittel einerseits und arbeitssparender Technologie andererseits nicht in Rechnung gestellt wird. Die Zielkombination, hohe Flächenproduktivität bei gleichzeitiger großbetrieblicher Organisation, bedeutet unter den in der DDR gegebenen natürlichen Standortbedingungen, bei den dort erzeugten Kulturen, beim gegenwärtigen Stand der Technik und bei den zu Beginn der „Industrialisierung“ gegebenen Betriebsgrößen in Wirklichkeit einen Zielkonflikt, der nur durch zusätzlichen Zeit- und Kapitalaufwand überwunden werden kann.
Ferner sind der Spezialisierung in der Pflanzenproduktion auch aus Fruchtfolgegründen Grenzen gesetzt, zumal wenn gleichzeitig Höchsterträge angestrebt werden.
Die Massierung bestimmter Kulturen (Hauptfruchtarten) in Großbetrieben verursacht darüber hinaus Arbeitsspitzen, zu deren Bewältigung von Jahr zu Jahr eine wachsende Anzahl freiwilliger Helfer eingesetzt werden muß. während außerhalb der Saison die Tendenz zur Unterbeschäftigung besteht.
Schließlich erfordert die Verselbständigung der einzelnen Produktionszweige bzw. Arbeitsverfahren zu ökonomisch, organisatorisch und juristisch eigenständigen Betrieben die Einrichtung zusätzlicher Leitungsebenen innerhalb der Betriebe sowie ständig arbeitende Koordinierungs- und Kontrollorgane zur gegenseitigen Abstimmung der voneinander getrennten Produktionsabschnitte. Diese Aufgabe ist sog. „Kopperationsräten“ übertragen, die Art, Umfang und Zeitpunkt der Leistungen bzw. Lieferungen zu vereinbaren sowie Qualitätskriterien und Preise festzulegen haben. Die Lieferungen und Leistungen sind quantitativ und qualitativ zu erfassen und bedürfen der gegenseitigen Bestätigung. Der Aufwand für Leitung. Planung und Koordination hat seit der Einführung industriemäßiger Produktionsverfahren relativ und absolut zugenommen.
Im Gegensatz zur Pflanzenproduktion sind in den industriemäßigen Anlagen der Tierproduktion industrielle Arbeitsmethoden durchführbar (Spezialisierung, gleichbleibende Aufgaben, ganzjährige Arbeit. geregelte Arbeitszeit. Urlaub usw.). Das besondere Problem ergibt sich in diesem Bereich aus dem hohen materiellen und finanziellen Aufwand für die Errichtung und Ausrüstung der Stallanlagen. Es ist geplant, bis zum Jahr 1980 durchschnittlich 20 v. H. aller Tierbestände in industriemäßigen Anlagen aufzustellen. In der Landwirtschaft insgesamt wird daher ein wesentlicher Teil der Berufstätigen den Übergang zu industriemäßigen Arbeitsbedingungen noch nicht bzw. erst zu einem späteren Zeitpunkt vollziehen können.
Die agrarpolitische Konzeption der DDR zielt insbesondere auf die Transformation der landwirtschaftlichen Berufs- und Sozialstruktur ab. Während das früher vorwiegend durch unterschiedliche Eigentums- bzw. Besitzgrößen bestimmte Sozialgefüge mit Hilfe der Enteignung, Kollektivierung und durch die Überführung der LPG Typen I und II in den Typ III umgestaltet worden ist, entsteht als Folge der Konzentration und der Spezialisierung eine neue, durch Unterschiede in der Ausbildung, durch unterschiedliche Aufgaben und durch die erforderliche Einsetzung einer neuen staatlichen und innerbetrieblichen Leitungshierarchie und die Ablösung bzw. Auflösung der alten Verwaltungsorgane auf allen Ebenen bestimmte Sozialstruktur.
Ein Spezifikum der landwirtschaftlichen Sozialstruktur besteht darin, daß neben den Angehörigen anderer sozialer Schichten die beiden Grundklassen der sozialistischen Gesellschaft vertreten sind. Nachdem sich die ursprüngliche Bestimmung der Musterstatuten, derzufolge von den LPG keine Arbeiter beschäftigt werden dürfen, als nicht durchführbar erwies, arbeiten in den Produktionskollektiven wie auch in den Betriebsleitungen der Genossenschaften sowohl Angehörige der „Arbeiterklasse“ als auch Angehörige der „Klasse der Genossenschaftsbauern“. Endziel der Agrarpolitik der DDR war und ist die Aufhebung der Klassenunterschiede. [S. 22]Dies soll durch fortschreitende Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen der landwirtschaftlichen Berufstätigen an die Industriearbeiter im Rahmen der Errichtung industriemäßig produzierender Betriebe und durch die weitere Vergesellschaftung des genossenschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln geschehen.
3. Maßnahmen und Ergebnisse
Wenn auch die als Ergebnis der Kooperation erwarteten ökonomischen Vorteile ausblieben, so sind doch aufgrund der erreichten Betriebsgrößen und des Spezialisierungsgrades die Vorstellungen der Agrarpolitiker über die Voraussetzungen zu einer industriemäßigen Agrarproduktion weitgehend erfüllt worden. Dies gilt vor allem für die Arbeitsorganisation, die den in den Industriebetrieben üblichen Arbeitsbedingungen entspricht. Hieraus wird die Notwendigkeit abgeleitet, daß auch die Beziehungen der Produzenten zu den Produktionsmitteln in der Landwirtschaft denen in der Industrie anzugleichen sind. Da in der Landwirtschaft der DDR nach Abschluß der Kollektivierung das „genossenschaftliche“ Gruppeneigentum an den Produktionsmitteln vorherrscht, wurde die Verselbständigung der auf dem Wege der horizontalen Kooperation entstandenen Spezialbetriebe zum Anlaß genommen, die genossenschaftlichen Eigentumsrechte denen des im individuellen Sektor vorherrschenden Volkseigentums anzunähern. Weitere Gründe zum Abbau der an das genossenschaftliche Eigentum gebundenen Rechte ergeben sich aus dem wachsenden Anteil volkseigener Produktionsmittel und aus dem zunehmenden Anteil von Arbeitern und Angestellten am landwirtschaftlichen Produktionsprozeß. Der Anteil des Staatseigentums am landwirtschaftlichen Produktionsvermögen stieg von ursprünglich 6–7 v. H. (1950) auf rd. 25 v. H. im Jahr 1975 an. Bei den landwirtschaftlichen Berufstätigen hat der Anteil der Arbeiter und Angestellten seit Einführung der industriemäßigen Produktion (1968) absolut um rd. 24.000 auf 269.067 (1977) zugenommen. Ihr Anteil an den landwirtschaftlichen Berufstätigen insgesamt stieg gleichzeitig von 21,8 auf 30,8 v. H. an. Daraus wird die Notwendigkeit abgeleitet, dem gesamtgesellschaftlichen Volkseigentum einen entsprechenden Einfluß in der Landwirtschaft zu sichern und die zwischen beiden Eigentumsformen bestehenden Unterschiede abzubauen (Bündnispolitik).
Nach den seit 1959 geltenden Musterstatuten für die LPG-Typen I–III ergeben sich die Unterschiede
- aus den genossenschaftlichen Nutzungs- und Verfügungsrechten an den Produktionsmitteln,
- aus der Bindung der Vergütung der Arbeit an die von den Genossenschaften erzielten Gewinne,
- aus der Auszahlung von Bodenanteilen für die eingebrachten Flächen samt des zugehörigen Besatzkapitals,
- aus der relativ unabhängigen Betriebsleitung, die von den Genossenschaftsmitgliedern zu wählen ist,
- aus sonstigen Mitspracherechten der Mitglieder im Rahmen der Mitgliederversammlung.
Jede Annäherung des genossenschaftlichen Eigentums an das Volkseigentum muß die vom Volkseigentum abweichenden Rechte verringern. Zur Erreichung dieses Zieles sind 2 verschiedene Wege beschritten worden.
Im Jahr 1972 wurde auf dem XI. Bauernkongreß ein Musterstatut (MSt) für „kooperative Einrichtungen (KOE) der LPG. VEG, GPG sowie der sozialistischen Betriebe der Nahrungsgüterwirtschaft und des Handels“ beraten, das am 1. 1. 1973 in Kraft getreten ist. Seine Bedeutung liegt einerseits in der Zusammenfassung der beiden Eigentumskategorien (LPG und GPG genossenschaftlich und VEG, Nahrungsgüterwirtschaft und Handel überwiegend staatlich) und andererseits in der vertikalen Gliederung der erfaßten Betriebe (Agrarproduktion-Verarbeitung-Handel). Durch die Verbindung von Genossenschafts- und Volkseigentum entsteht als Zwischenkategorie das „kooperative Eigentum“. das allerdings auch dann entsteht, wenn ausschließlich genossenschaftliche Betriebe an der Gründung einer KOE beteiligt sind. Formal wird jedoch unterschieden nach Zwischenbetrieblichen Einrichtungen (ZBE), sofern Volkseigentum und Genossenschaftliches Eigentum beteiligt sind, und nach Zwischengenossenschaftlichen Einrichtungen (ZGE), falls ausschließlich Genossenschaftsbetriebe an der Gründung beteiligt sind. Der im Verhältnis zu den Genossenschaftsbetrieben (LPG, GPG) höhere Vergesellschaftungsgrad der Produktionsmittel und der Produktionsprozesse ergibt sich insbesondere aus der innerbetrieblichen Struktur und aus den Leitungsformen der KOE. Die Produktionsmittel der KOE werden entweder durch gemeinsame Investitionen bei Neuanschaffung oder aber durch Übergabe vorhandener Produktionsmittel beschafft, wie auch die erforderlichen Arbeitskräfte von den an der Gründung beteiligten Betrieben auf dem Wege der „Delegierung“ abgestellt werden. Während jedoch Arbeiter und Angestellte lediglich das alte Arbeitsverhältnis beenden und ein neues begründen, sollten die Genossenschaftsmitglieder nach dem Status Mitglieder „ihrer“ Genossenschaft bleiben. Ungeachtet dessen ergeben sich für die LPG-Mitglieder zahlreiche Veränderungen, die sie den Arbeitern in den volkseigenen Betrieben gleichstellen.
Gilt in den Genossenschaftsbetrieben die Mitgliederversammlung als höchstes Leitungsorgan, so besteht in der KOE eine Belegschaftsversammlung, deren Aufgaben und Rechte mit denen der Arbeiter in den VEB übereinstimmen. Hat die Mitgliederversammlung der LPG das Recht, den Vorstand und den Vorsitzenden zu wählen, so ist der Rat der KOE zwar berechtigt, den Leiter der KOE vorzuschlagen. [S. 23]Dieser wird jedoch vom Rat des Kreises berufen und abberufen und ist ihm rechenschaftspflichtig und gegenüber den Beschäftigten ohne Unterschied voll weisungsbefugt. Während die LPG-Mitglieder in ihren Genossenschaften grundsätzlich entsprechend ihrer Arbeitsleistung am Gewinn beteiligt waren, wird in der KOE ebenso grundsätzlich die einheitliche Vergütung aller Beschäftigten nach dem Rahmenkollektivvertrag der VEG angestrebt, wobei befristete Übergangsregelungen möglich sind. Um zu vermeiden, daß Genossenschaften mit geringem Nettoeinkommen KOE mit dem Ziel bilden, ihren Mitgliedern die Löhne der Arbeiter und Angestellten zu sichern, bedarf die Einführung der einheitlichen Vergütung für alle Beschäftigten der Zustimmung durch den Rat des Kreises. Alle übrigen arbeitsrechtlichen Bestimmungen (Prämierung, Urlaub, Arbeitsfreistellung, Sozialversicherung, Aus- und Weiterbildung, Jugend- und Frauenförderung usw.) sind nach dem Arbeitsgesetzbuch geregelt; Übergangsregelungen für LPG-Mitglieder sind zulässig.
Nach dem Statut der KOE ist keine Auszahlung von Bodenanteilen mehr vorgesehen.
Ursprünglich war die KOE als Betriebsform des Übergangs gedacht. Die Entwicklung einzelner Betriebszweige der Pflanzen- oder Tierproduktion zu selbständigen Betrieben ist jedoch von ideologischen, kadermäßigen, ökonomischen, materiell-technischen und organisatorischen Voraussetzungen abhängig gemacht worden. Bei fortschreitender Konzentration und Spezialisierung sollten die KOE zu spezialisierten LPG bzw. VEG weiterentwickelt werden. Dieser Aufgabe sind die KOE bisher nicht gerecht geworden. Sie sind auch nur dann gebildet worden, wenn ein wesentlicher Anteil der Produktionsmittel volkseigener Herkunft war. Das trifft wegen der hohen Baukosten insbesondere für die Tierproduktion zu (staatliche Finanzierungsanteile). Bis zum Jahr 1976 sind zwar 360 KOE Tierproduktion, die etwa 6,2 v. H. der Rinder und 11,0 v. H. des Schweine- und 17 v. H. des Geflügelbestandes hielten, jedoch nur 12 KOE der Pflanzenproduktion entstanden.
Außerdem sah das Musterstatut vor, die in den 60er Jahren gebildeten Zwischengenossenschaftlichen Einrichtungen (ZGE), Meliorations- und Baubetriebe sowie die „Genossenschaftseinrichtungen für Zweige der tierischen Produktion“ bis zum 1. 7. 1973 zu KOE umzubilden. Diese Bestimmung erklärt einerseits die relativ hohe Anzahl der KOE Tierproduktion und andererseits, daß vor allem die Dienstleistungseinrichtungen (Meliorations- und Baubetriebe, ACZ und Trockenwerke, Lagerungs- und Verarbeitungsbetriebe für Kartoffeln, Obst und Gemüse) als KOE organisiert sind.
Der zweite Weg zur Annäherung der Klasse der Genossenschaftsbauern an die Arbeiterklasse betraf die Betriebe der eigentlichen Pflanzen- und Tierproduktion und damit die überwiegende Mehrheit der Genossenschaftsmitglieder. Aus den während der Kooperationsphase gebildeten KOG wurde zunächst die Pflanzenproduktion ausgegliedert und zu juristisch unselbständigen jedoch organisatorisch zunehmend eigenständigen „Kooperativen Abteilungen Pflanzenproduktion“ (KAP) entwickelt. Die verbleibende Tierproduktion wurde unter Beibehaltung der vorhandenen Stallanlagen in größeren Betrieben zusammengefaßt. Die Absicht, die KAP zu KOE der Pflanzenproduktion zu entwickeln, wurde aufgegeben, weil eine vergleichbare Konzentration für die Masse der Tierbestände erst in Jahrzehnten zu erreichen sein wird, und weil eine Auseinanderentwicklung der Klasse der Genossenschaftsbauern vermieden werden soll. Stattdessen wurden die KAP zu LPG Pflanzenproduktion und die in größeren Einheiten zusammengefaßten Viehbestände zu LPG Tierproduktion entwickelt. Auf Beschluß des IX. Parteitages der SED (1976) wurden neue Musterstatuten und Musterbetriebsordnungen (getrennt und für die LPG der Pflanzen- und der Tierproduktion entwickelt) in den Betrieben erläutert und vom Ministerrat beschlossen (GBl. I, 1977, S. 317 und SDr. 937). Sie traten mit Wirkung vom 1. 1. 1978 in Kraft. (Gleichzeitig verloren die Musterstatuten aus den Jahren 1959 und 1962 ihre Gültigkeit; die LPG-Typen I-III sind damit aufgelöst worden.)
Die Musterstatuten bieten in mehrfacher Hinsicht einen starken Kontrast zur ursprünglichen Konzeption der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung der Landwirtschaft. Waren die spezialisierten LPG ursprünglich als Endpunkt des Industrialisierungsprozesses gedacht, so bilden sie nunmehr den Rahmen, in dem der weitere Industrialisierungsprozeß ablaufen soll. Für die beiden Bereiche der Pflanzen- und Tierproduktion sind die gesellschaftspolitischen und sozialen Fragen in gleicher Weise geregelt worden, obwohl der Entwicklungsstand der Produktivkräfte nicht vergleichbar ist. Für die Tierproduktion der LPG, die noch weitgehend unter bäuerlichen Produktionsbedingungen betrieben wird, wurden mit den Musterstatuten die gleichen gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse eingeführt wie für die bereits weitgehend industriemäßig arbeitende Pflanzenproduktion. Einen starken Kontrast zu den KOE bilden auch die Festlegungen der LPG-Statuten hinsichtlich der Mitbestimmungsrechte und der Bestellung der Betriebsleitung. Wie in den nicht spezialisierten LPG-Typen I–III werden ein Vorstand und ein Vorsitzender gewählt. Wahlberechtigt sind jedoch nicht nur die Mitglieder, sondern auch die Arbeiter und Angestellten der LPG, durch deren Einbeziehung die Mitgliederversammlung zur Vollversammlung entwickelt wurde.
War in der KOE die Vergütung der LPG-Mitglieder grundsätzlich nach den Lohnsätzen der Arbeiter und [S. 24]Angestellten vorgesehen, so ist in den LPG Pflanzen- oder Tierproduktion wie zuvor in den LPG-Typen I–III ebenso grundsätzlich die Vergütung in Abhängigkeit vom Nettoeinkommen der Genossenschaften festgelegt. Allen Genossenschaftsmitgliedern wird jetzt das allen Arbeitern in der DDR gesetzlich garantierte Mindesteinkommen (ab 1. 10. 1976 400 Mark monatlich) gewährleistet. Die Fortführung einer persönlichen Hauswirtschaft wird weiterhin gestattet bzw. ist erwünscht. Auch dieses Recht steht Mitgliedern wie Arbeitern und Angestellten jetzt gleichermaßen zu. Jeder Beschäftigte hat Anspruch auf persönlich zu nutzende Flächen im Umfang von 0,25 ha LN bzw. max. 0,5 ha. sofern mehrere Familienmitglieder in der LPG arbeiten. Im Vergleich zu den Bestimmungen für die KOE sind damit in den Musterstatuten der LPG Pflanzen- oder Tierproduktion wesentliche Rechte der Genossenschaftsmitglieder erhalten geblieben; die Produktionsverhältnisse eines Teils der Arbeiterklasse sind damit denen der Genossenschaftsbauern angenähert worden. In der Landwirtschaft haben Arbeiter der DDR zum ersten Mal das Recht, die Betriebsleitung zu wählen, über alle den Betrieb berührenden Angelegenheiten mitzuentscheiden, eine private Produktion (persönliche Hauswirtschaft) zu betreiben und z. B. über die Höhe des Einkommens eines (anderen) Teils der Belegschaft mit abzustimmen.
Schließlich haben die Arbeiter und Angestellten das Recht, eine Betriebsgewerkschaftsorganisation zu gründen (Verfassung der DDR Art. 44 und 45 sowie Arbeitsgesetzbuch §§ 6–8). deren Leitung (BGL) als Vertragspartner des Vorstandes mit diesem Vereinbarungen über alle innerbetrieblichen Belange, d. h. auch über die Zusammenarbeit bei der Leitung und Planung der Produktion, abschließt. Zur Behandlung arbeitsrechtlicher Fragen bilden die BGL wie im außerlandwirtschaftlichen Bereich Konfliktkommissionen.
Die Musterstatuten für die Pflanzen- und Tierproduktion werden in der DDR zu Recht und in Verbindung mit zahlreichen weiteren rechtlichen Bestimmungen als wesentlicher Schritt zur weiteren Vergesellschaftung der Produktionsmittel und der Produktionsprozesse betrachtet. Trotz Beibehaltung einer Reihe formaler Rechte ist die Situation der Genossenschaftsbetriebe wie der Genossenschaftsmitglieder mit den Verhältnissen in den aufgelösten LPG-Typen I–III nicht mehr vergleichbar.
Die Verselbständigung der Betriebszweige zu selbständigen Betrieben wurde begleitet von mehrfachen Änderungen im zentralen landwirtschaftlichen Leitungssystem. Mit der Verabschiedung des Musterstatutes KOE wurde auf dem XI. Deutschen Bauernkongreß 1972 dem neugewählten RLN die Produktionsleitung ausgegliedert und zum Ministerium für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft (MfLFN) umgebildet. Der RLN wurde ab 1975 nicht mehr einberufen. Eine Neuwahl konnte, da Bauernkongresse nicht mehr abgehalten wurden, nicht erfolgen. Weitere Maßnahmen, die „eine straffe staatliche Leitung des Überganges zu industriemäßigen Produktionsmethoden in der Landwirtschaft auf der Grundlage des „demokratischen Zentralismus“ sichern sollen, sind im Gesetz über den Ministerrat der DDR (GBl. I, 1974, S. 253). im Gesetz über die Örtlichen Volksvertretungen (GBl. I, 1973, S. 313) und in der neuen Planungsordnung der DDR von 1975 festgelegt worden. Der Zentralisation der staatlichen Leitung diente weiterhin die Auflösung der Staatlichen Komitees für Aufkauf und Verarbeitung, für Landtechnik, für Meliorationen und für Forstwirtschaft, deren Aufgaben von dem 1975 erneut reorganisierten MfLFN wahrgenommen werden.
Auch die in den Bezirken und Kreisen gebildeten RLN sind aufgelöst und deren Produktionsleitungen zu „Abteilungen für Land- und Nahrungsgüterwirtschaft“ umbenannt worden (GBl. I, 1975, S. 449). Im Rahmen der Entwicklung des Agrar-Industrie-Komplexes (AIK) ist die Tätigkeit des MfLFN auf die Organisation der Agrarproduktion und der Beziehung der Landwirtschaftsbetriebe zu den Aufkauf- und Verarbeitungsbetrieben beschränkt worden. Die zeitweilig direkten Beziehungen der Landwirtschaft z. B. zum Landmaschinenbau sind unterbunden worden. Die Entscheidung über die Entwicklung und das Zusammenwirken aller am AIK beteiligten Volkswirtschaftszweige und deren Leitungsorgane wird vom Ministerrat wahrgenommen; die Koordinierungskompetenz liegt bei der Staatlichen Plankommission.
Eine Aufwertung erfuhren die Abteilungen für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft der Bezirke. (Übertragung der Entscheidungen des Ministerrates. der Staatlichen Plankommission und des MfLFN bezüglich der Entwicklung der Landwirtschaft unter Einbeziehung und Koordination der Produktionsmittelversorgung und der Organisation des Absatzes auf die Betriebe der Land- und Nahrungsgüterwirtschaft usw.)
Zur Abstimmung der Entwicklung der Landwirtschaft mit den territorialen Gegebenheiten wurden nach den Kommunalwahlen (1974) bei den Bezirken, Kreisen und Gemeinden „Ständige Kommissionen für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft“ gebildet. Diese nehmen grundsätzlich die gleichen Aufgaben wahr wie alle gemäß § 14 GöV gebildeten Kommissionen, sollen sich jedoch vor allem Problemen der Genossenschaftsordnung, der Arbeits- und Lebensbedingungen und der Annäherung der Klasse der Genossenschaftsbauern an die Arbeiterklasse zuwenden.
Weitere Formen der Leitung ergeben sich aus der Tätigkeit der Kooperationsverbände, die mit der fortschreitenden Entwicklung der industriemäßig [S. 25]produzierenden Betriebe zu Wirtschaftsverbänden entwickelt werden sollen, und aus der Bildung von Kooperationsräten. Aufgabe der Kooperationsräte ist es, die Beziehungen zwischen den durch die Zergliederung der LPG und VEG entstandenen Spezialbetrieben zu regeln. Diese Kooperationsräte werden durch Betriebs- und Abteilungsleiter bzw. Angehörige der beteiligten Betriebe gebildet und arbeiten in wachsendem Maße mit den Staatsorganen (Räte der Kreise) im Leitungsprozeß zusammen (Kooperation in der Landwirtschaft). Den unterschiedlichen Produktionszweigen entsprechend sind Kooperationsräte „Pflanzen-Tier“ (Futterbereitstellung. Gülleverwertung) und Kooperationsräte bzw. „Räte für Pflanzenproduktion“ (Koordination der Pflanzenbaubetriebe mit den KfL, ACZ, Trockenwerken und anderen Dienstleistungsbetrieben) eingerichtet worden.
Als neue Form der Leitung der Agrarproduktion sind seit 1976 zunächst versuchsweise Agrar-Industrie-Vereinigungen (AIV) eingerichtet worden, die in Bereichen von 30.000–40.000 ha LN alle durch Ausgliederung entstandenen Spezialbetriebe der Pflanzenproduktion konzernartig zusammenfassen. Ihre Aufgabe besteht in der Ausrichtung der landwirtschaftlichen Produktion auf die Bedürfnisse der Nahrungsgüterwirtschaft.
Der Einsatz der agrarpolitischen Instrumente wird gegenwärtig in ähnlicher Weise gehandhabt wie während der Kooperationsphase. Die Erzeugerpreise werden den Kosten der Betriebe angepaßt, was bei einigen Produkten zu Preissenkungen geführt hat. insgesamt jedoch die Erzeugerpreise auch nach 1976 leicht ansteigen ließ. Der Subventionsaufwand insgesamt hat weiter zugenommen. Die Kreditpolitik ist darauf gerichtet, mit der Vergabe der Kredite den Anteil des Volkseigentums am landwirtschaftlichen Produktionsvermögen zu erhöhen. Während jedoch in der Kooperationsphase die Betriebssteuern der VEG (ökonomisch begründete Abgaben) denen der LPG Typ III angeglichen waren, sind als Ergebnis der Einführung industriemäßiger Produktionsverfahren werden nunmehr die spezialisierten Betriebe, also auch die LPG der Tierproduktion, wie volkseigene Güter besteuert, d. h. daß ihre Abgaben gewinnbezogen erfolgen. Zur Vermeidung von Differentialrenten berücksichtigt die Abgabe einerseits den Bruttowert der Grundmittel und andererseits die Grundfondsrentabilität.
Die auf dem Weg der industriemäßigen Gestaltung der Landwirtschaft erzielten gesellschaftlichen Veränderungen fanden im Jahr 1977 in der Einführung eines „Tages der Genossenschaftsbauern und Arbeiter der sozialistischen Land- und Forstwirtschaft“ ihren Ausdruck (jeweils 3. Sonntag im Juni). Diese Anerkennung wurde der genossenschaftlichen Landwirtschaft in ihrer früheren Form versagt, weil ihre Produktionsverhältnisse (genossenschaftlich-sozialistisches Eigentum in Form der LPG-Typen I–III) nicht vergleichbar war mit den sozialistischen Produktionsverhältnissen bzw. Existenzbedingungen anderer Berufsgruppen. Gleichzeitig wurden neue Ehrentitel (Verdienter Genossenschaftsbauer bzw. Verdienter Werktätiger der Land- und Forstwirtschaft der DDR) und Medaillen für hervorragende Leistungen (in LPG bzw. in der Land- und Forstwirtschaft) ausgelobt und alte Ehrungen (Titel „Meisterbauer“ bzw. „Brigade der hervorragenden Leistung“ aus den Jahren 1959 und 1964) abgeschafft. Die neuen Titel berücksichtigen die unterschiedliche gesellschaftliche Stellung (Genossenschaftsbauer oder Arbeiter bzw. Werktätiger), sind jedoch im übrigen völlig gleichgestaltet. Der Ehrentitel ist jeweils mit einer Geldprämie in Höhe von 5.000 Mark (die Medaillen mit einer Geldprämie von 1.000 Mark) verbunden. Jährlich können bis zu 100 Ehrentitel und bis zu 200 Medaillen verliehen werden.
Wesentlicher Bestandteil der Agrarpolitik der DDR ist die volle Einbeziehung aller landwirtschaftlichen Berufstätigen in das System der allgemeinen sozialen Sicherung (Frauen; Sozialversicherungs- und Versorgungswesen). Die Ausgaben der Sozialversicherung für die Betreuung von LPG-Mitgliedern stiegen von 616,6 Mill. Mark (1965) auf 1598,7 Mill. Mark im Jahre 1975. Der staatliche Zuschuß erreichte im gleichen Jahr 672,9 Mill. Mark oder 42,1 v. H. Die an die Genossenschaftsmitglieder gezahlten Renten stiegen von 627,4 Mill. (1970) auf 1019,1 Mill. Mark (1975).
Christian Krebs
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 13–25