
Außenpolitik (1979)
I. Zielsetzung und Methoden
Theoretische Grundlage der A. der DDR ist der Marxismus-Leninismus. Danach wird auch die A. jedes Staates vom Charakter seiner Klassenstruktur und von den jeweiligen konkreten historischen und sozioökonomischen Bedingungen in einer Geschichtsepoche bestimmt. Die Kategorie des Klassenkampfes wird damit auch auf die Gestaltung der internationalen Beziehungen übertragen. A. sozialistischer Staaten bedeutet darum vor allem „Kampf“ mit dem Fernziel der Herstellung einer internationalen klassenlosen Gesellschaft und erst in zweiter Linie Zusammenarbeit mit anderen Staaten. Diese außenpolitische Konzeption unterscheidet zwischen Fern- und Nahzielen, Trägern und Triebkräften des internationalen Klassenkampfes und den Methoden (Strategie und Taktik) und Mitteln revolutionärer A. Träger sind danach in erster Linie das „internationale Proletariat“, das von den kommunistischen und Arbeiterparteien geführt und organisiert wird. Als wichtige Triebkräfte werden außerdem die revolutionären Befreiungsbewegungen in den kolonialen und halbkolonialen Ländern und die staatstragenden Parteien einer Reihe von Entwicklungsländern (wie etwa die Baath-Partei in Syrien und dem Irak) angesehen, die vor allem in ihren wirtschaftlichen Programmen einen nichtkapitalistischen Entwicklungsweg ihrer einheimischen Volkswirtschaften und Gesellschaftssysteme propagieren. Ferner wird der Ausnutzung einer Reihe von Widersprüchen die Rolle einer Triebkraft im internationalen Klassenkampf zugesprochen. Dies sind im wesentlichen die Widersprüche zwischen Bourgeoisie und Proletariat in den kapitalistischen Ländern, zwischen den kapitalistischen Ländern und ihren Kolonien bzw. den unabhängig gewordenen jungen Nationalstaaten der Dritten und Vierten Welt, zwischen den einzelnen kapitalistischen Ländern und zwischen kapitalistischem und sozialistischem Lager.
Aus diesem Grundverständnis leitet die SED als „Hauptaufgabe der sozialistischen A.“ — für die DDR wie für alle sozialistischen Staaten — „die Sicherung der günstigsten internationalen Bedingungen für den Sozialismus und Kommunismus wie für die Entfaltung des Kampfes aller fortschrittlichen und friedliebenden Kräfte“ ab (Wörterbuch zum sozialistischen Staat, Stichwort Außenpolitik, Berlin [Ost] 1974, S. 37). Als wirksamste Methode zur Verwirklichung dieser Hauptaufgabe bezeichnet die SED ihre mit der UdSSR — als „Hauptmacht“ — und den übrigen Staaten des Warschauer Paktes „Koordinierte Außenpolitik“ (ebenda, S. 162/163). Als „Hauptzentrum“ der Koordination gilt dabei der Warschauer Pakt, vor allem die regelmäßigen Konferenzen seines Politischen Beratenden Ausschusses, sowie die inzwischen jährlich mit Ausnahme des Jahres 1975 auf der Krim in der UdSSR durchgeführten Treffen der „Führer der kommunistischen und Arbeiterparteien der Bruderländer“.
Bei der Durchführung dieser Hauptaufgabe gelten für die A. der DDR folgende Grundprinzipien: Zu den sozialistischen Staaten will sie ihre Beziehungen auf der Basis des „Prinzips des sozialistischen Internationalismus“ gestalten, der als „höhere Stufe“ des Proletarischen ➝Internationalismus verstanden wird. Dabei wird seit Gründung der DDR insbesondere die Freundschaft zur UdSSR als „Grundpfeiler der Außenpolitik“ bezeichnet (Regierungserklärung Otto Grotewohls vom 12. 10. 1949). Faktisch führte dies mit einigen Einschränkungen — in der Berlin-Frage nahm die DDR zeitweise eine differenzierte Haltung ein — zu weitgehender Identifikation mit den außenpolitischen Zielen und Aktivitäten der UdSSR. Nach der Verfassungsrevision vom 7. 10. 1974 wird in Art. 6 Abs. 2 der zweiten Verfassung von 1968 das völkerrechtliche Verhältnis zur UdSSR auch verfassungsrechtlich normiert („… für immer und unwiderruflich … verbündet“).
Zwischen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung sollen die Prinzipien der Friedlichen Koexistenz gelten, die gleichermaßen einen Kooperations- wie Klassenkampfaspekt enthalten. Wichtige außenpolitische Funktionen nehmen in erster Linie wahr: das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA), das Ministerium für Außenhandel, das Ministerium für Nationale Verteidigung und die für die Beziehungen zu ausländischen kommunistischen Parteien zuständige Abteilung für Internationale Verbindungen sowie die anderen Abteilungen des Sekretariats des ZK der SED, die sich speziell mit Fragen der „BRD und Westberlins“ befassen. Die außenpolitischen Befugnisse des Staatsrates, der von 1960 bis 1970 mehr [S. 92]als 30 internationale Verträge ratifizierte, sind nach der Verfassungsrevision von 1974 fast vollständig beseitigt bzw. auf die „Regierung“ der DDR, d. h. auf den Ministerrat. faktisch auf sein Präsidium, übertragen worden.
Während das MfAA außenpolitische Entscheidungen „vorbereitet“ und „durchführt“ sowie für alle Ministerien eine außenpolitische Koordinierungsfunktion ausübt, werden alle wichtigen Entscheidungen auf außenpolitischem Gebiet im 19köpfigen Politbüro der SED getroffen. Damit ist die für Herrschaftssysteme sozialistisch-kommunistischer Prägung charakteristische Zweigleisigkeit der A. — durch Staats- und Parteiorgane — institutionell verankert. Zweigleisigkeit bedeutet hier, daß — soweit möglich — offizielle Beziehungen traditionellen Typs zu den Organen des anderen Staates unterhalten und gleichzeitig Parteibeziehungen zu den jeweiligen kommunistischen bzw. sozialistischen Parteien, auch wenn diese nicht an der Regierung beteiligt sind, gepflegt werden.
Unter der Verantwortung dieser zentralen Organe nahm die außenpolitische Aktivität der DDR — vor allem bis zur diplomatischen Anerkennung durch die Mehrzahl der UN-Mitglieder Ende 1972/Anfang 1973 — vielgestaltige Formen auf diplomatischer, wirtschaftlicher, wissenschaftlich-technischer und kultureller Ebene an und entwickelte die unterschiedlichsten, den Gegebenheiten des jeweiligen Staates angepaßten Methoden.
Instrumente und Kanäle dieser Aktivität waren bis zu diesem Zeitpunkt neben den Botschaften, die zur Pflege der diplomatischen Beziehungen in den sozialistischen Ländern errichtet wurden, und den zahlreichen Handelsvertretungen in erster Linie die Vertretungen der Kammer für Außenhandel (KfA), der Staatsbank der DDR, der Deutschen Reichsbahn, des Leipziger Messeamtes, der Deutschen Seereederei, des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendienstes (ADN), des Deutschen Reisebüros und die Vertretung Volkseigener Handelsorganisationen (vor allem volkseigene Außenhandelsbetriebe) im Ausland.
Als Medien der Kontaktaufnahme und -pflege und der Propagierung außenpolitischer Ziele dienten ferner die Entsendung eigener und der Empfang ausländischer Parlamentarier-Delegationen, die Einrichtung von Städte- und Betriebspartnerschaften, die Beteiligung an ausländischen Messen, die in westlichen Ländern bevorzugte Inseratenwerbung in der Tagespresse, internationale Sportveranstaltungen, wissenschaftliche Kongresse und tägliche, mehrstündige, fremdsprachliche Radiosendungen. Auf allen diesen Ebenen trieb die DDR eine technisch und finanziell aufwendige und nicht immer erfolglose Auslandspropaganda.
Hierbei spielten die etwa 40–50 Auslands- und Freundschaftsgesellschaften und Komitees mit globaler, regionaler oder auf einzelne Länder gerichteter Zuständigkeit, die in der 1961 gegründeten Liga für Völkerfreundschaft zusammengeschlossen wurden, eine wichtige Rolle. Ihnen oblag vor allem die Kontaktpflege zu kapitalistischen Staaten und Staaten der Dritten Welt.
Diese Vereinigungen und die entsprechenden Gesellschaften in den jeweiligen Partnerländern sollten von der DDR ein günstiges Bild ihrer innenpolitischen Entwicklung verbreiten und für ihre außenpolitischen Ziele werben. Die SED versprach sich davon vor allem günstige Auswirkungen auf die Erreichung ihres außenpolitischen Hauptzieles: die diplomatische Anerkennung.
Bis zum Abschluß des Grundlagenvertrages 1972 war die A. der DDR gegenüber der Bundesrepublik Deutschland von spezifischen — deutschlandpolitischen — Zielsetzungen bestimmt, d. h. Deutschlandpolitik war wichtigstes Aktionsfeld und im wesentlichen identisch mit der A. der DDR.
In beiden Teilen Deutschlands waren entgegengesetzte Vorstellungen über die politische Gestalt eines wiedervereinigten Deutschland entwickelt worden. und die DDR vermochte ihren Anspruch auf uneingeschränkte Souveränität und völkerrechtliche Anerkennung als selbständiger deutscher Staat gegen die Politik der Bundesrepublik nicht durchzusetzen. Ferner hat die SED-Führung gerade in der Frage der deutschen Nation einen schwankenden Kurs verfolgt, d. h. ihre Deutschlandpolitik blieb lange Zeit von widersprüchlichen Aussagen und raschen Positionswechseln in dieser zentralen Frage der politisch-propagandistischen Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik beeinflußt. Die A. wurde daher in entscheidendem Maß von deutschlandpolitischen Überlegungen bestimmt, auch wenn sie regional und politisch über den mitteleuropäischen Raum hinauswirkte.
Noch Mitte der 60er Jahre galt als „Hauptziel und Hauptinhalt der gesamten außenpolitischen Tätigkeit (der DDR)… die Sicherung der deutschen Nation vor Krieg und Vernichtung …“, d. h. die DDR verstand sich als Verfechterin der „nationalen Interessen Deutschlands“. Die These von der zwar noch einheitlichen, aber staatlich schon gespaltenen Nation wurde von der SED nur kurze Zeit vertreten. Gegen Ende der 60er Jahre und als Reaktion auf Beschwörungen der Bundesrepublik Deutschland auf die Einheit der Nation behauptete die SED-Führung die Existenz zweier deutscher Nationen, einer bürgerlichen in der Bundesrepublik und einer sich entwickelnden sozialistischen in der DDR, wobei die Hereinnahme ideologischer, von der Klassenkampfdoktrin geprägter Erklärungsmuster in den sozialistischen Nationenbegriff neben defensiven auch offensive (Angliederung der Bundesrepublik an den „nationalen Kern“ DDR) deutschlandpolitische Züge aufwies.
[S. 93]Die 1974 schließlich auch verfassungsrechtlich fixierte Aufgabe dieses Nation-Konzeptes (nach der Verfassungsänderung vom 7. 10. 1974 ist die DDR ein „sozialistischer Staat der Arbeiter und Bauern“ statt, wie bis dahin, ein „sozialistischer Staat deutscher Nation“), läßt vermuten, daß die SED für die nächste Zukunft weniger denn je eine selbständige Deutschlandpolitik unter (sozialistisch-) nationalem Vorzeichen zu treiben gedenkt und vielmehr das Verhältnis zur Bundesrepublik Deutschland mit klassischen Mitteln und im Rahmen ihrer gesamten A., d. h. ohne Vorrang und bei strikter Unterordnung unter die sowjetische Deutschlandpolitik, zu gestalten beabsichtigt (Nation und nationale Frage).
Damit ist vor allem auch jene Phase abgeschlossen, in der zur Erreichung außen- und deutschlandpolitischer Nahziele (wie der Anerkennung) die besondere „Unterstützung der nationalen Befreiungsbewegungen“ als wichtige „internationale Verpflichtung“ in erster Linie mit dem Ziel betrieben wurde, bei den Adressaten in massiver Form für die völkerrechtliche Anerkennung der DDR zu werben. Die Auslandspropaganda suchte vor allem der Deutschlandpolitik der Bundesrepublik entgegenzuwirken, der direkte Einmischung in die „Entwicklung normaler Beziehungen“ der Staaten der Dritten Welt zur DDR vorgeworfen worden ist.
II. Das Verhältnis zur UdSSR
Nach Gründung der DDR übertrug am 10. 10. 1949 die seit dem 9. 6. 1945 bestehende Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) einen Teil ihrer Funktionen auf die Provisorische Regierung der DDR. An Stelle der SMAD wurde die Sowjetische Kontrollkommission (SKK) gebildet, die für die „Durchführung der Potsdamer Beschlüsse und der anderen von den Vier Mächten gemeinsam getroffenen Entscheidungen über Deutschland“ zuständig blieb. Seit diesem Zeitpunkt betrachtet sich die DDR als souverän in der Gestaltung ihrer außenpolitischen wie außenwirtschaftlichen Beziehungen. Am 28. 5. 1953 wurde die SKK in eine „Hohe Kommission“ umgewandelt. Im Anschluß an die erfolglose Berliner Außenministerkonferenz der Vier Mächte erklärte die UdSSR am 25. 3. 1954, daß sie mit der DDR „die gleichen Beziehungen … wie mit anderen souveränen Staaten“ aufnehmen wolle. Gleichzeitig wurde die Tätigkeit der sowjetischen „Hohen Kommission“, soweit sie die Überwachung staatlicher Organe der DDR betraf, als beendet erklärt. Die Regierung in Moskau stellte jedoch gleichzeitig fest, daß sie sich auch künftig bestimmte Funktionen vorbehalte, die mit der „Gewährleistung der Sicherheit im Zusammenhang stehen und sich aus den Verpflichtungen ergeben, die der UdSSR aus den Viermächte-Abkommen erwachsen“ (Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik. Bd. 1, Berlin [Ost] 1954, S. 303).
Entgegen früheren Behauptungen der SED-Führung und in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht kann erst das Datum dieser sowjetischen Erklärung als der Zeitpunkt gelten, von dem an die DDR als formal souveräner Staat anzusehen ist. Die von sowjetischer Seite stets — zuletzt beim Abschluß des Viermächte-Abkommens über Berlin — geltend gemachten Vorbehalte haben jedoch den Charakter von Souveränitätsbeschränkungen, auch wenn dies von der SED bestritten wird.
Durch Erlaß der Sowjetregierung vom 25. 1. 1955 beendete die UdSSR einseitig den Kriegszustand mit Deutschland. Von Januar bis April 1955 vollzogen die ČSSR, die Volksrepublik Polen, die VR Albanien, die Rumänische VR, die Ungarische VR und die VR China den gleichen Schritt.
Nach der Unterzeichnung der Pariser Verträge im Herbst 1954, insbesondere nach der Londoner Neunmächte-Konferenz (28. 9.–3. 10. 1954), auf der die Westmächte das Alleinvertretungsrecht der Bundesrepublik Deutschland für alle Deutschen uneingeschränkt unterstützten, nach der gescheiterten Gipfelkonferenz vom Sommer 1955 (18.–23. 7. 1955) und dem Besuch Bundeskanzler Adenauers in Moskau (9.–13. 9. 1955), in dessen Verlauf die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland beschlossen wurde, ist am 20. 9. 1955 in Moskau ein „Vertrag über die Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken“ unterzeichnet worden, der von Völkerrechtlern der DDR als „Beginn einer neuen Etappe in den Beziehungen zwischen beiden Staaten“ bezeichnet wird.
Dieser Vertrag sollte die Souveränität der DDR erneut bekräftigen. Gleichzeitig löste die UdSSR ihre „Hohe Kommission“ in der DDR auf. Art. 1 Abs. 2 des Vertrages übertrug der DDR die „Entscheidung über Fragen ihrer Innen- und Außenpolitik, einschließlich der Beziehungen zur Deutschen Bundesrepublik …“ (Dokumente …, Bd. 3, Berlin [Ost] 1956, S. 281).
Der Vertrag rückte seitens der DDR und der UdSSR die innerdeutschen Beziehungen einseitig in den Bereich des Völkerrechts; die Wiedervereinigung Deutschlands sollte seitdem nur noch über völkerrechtlich gültige Verträge zwischen beiden deutschen Staaten erreichbar sein.
Der Vertrag regelte ferner (bis zum Abschluß eines Truppenvertrages zwischen beiden Staaten am 12. 3. 1957) die „zeitweilige Stationierung sowjetischer Truppen“ auf dem Gebiet der DDR. (Seit 1970 werden die in der DDR stationierten Teile der Roten Armee als Gruppe Sowjetischer Streitkräfte in Deutschland bezeichnet.) Um die DDR auch ökonomisch zu stärken und den wirtschaft[S. 94]lichen und psychologischen Folgen des 17. 6. 1953 entgegenzuwirken, hatte die UdSSR schon im April 1950 teilweise und im August 1953 auf alle noch ausstehenden Reparationszahlungen (2,5 Mrd. Dollar nach DDR-Quellen) verzichtet, weitere 33 SAG-Betriebe an die DDR zurückgegeben, alle Nachkriegsschulden erlassen, die Stationierungskosten für die Truppen auf dem Gebiet der DDR verringert und ihr beträchtliche Kredite (etwa 1 Mrd. Rubel) eingeräumt.
Große Bedeutung für die vom Rohstoffimport abhängige Wirtschaft hatten ebenfalls die Wirtschaftsverhandlungen am 16. und 17. 7. 1956 in Moskau. Die UdSSR halbierte noch einmal die Stationierungskosten für ihre Truppen (von 1,6 Mrd. auf 0,8 Mrd. Mark, ab 1959 wurden sie ganz gestrichen) und verpflichtete sich nach Angaben aus der DDR zu langfristigen Rohstofflieferungen für zusätzliche 7,5 Mrd. Rubel.
Die SED-Führung bezeichnete den mit der UdSSR am 12. 6. 1964 in Moskau abgeschlossenen „Vertrag über Freundschaft, gegenseitigen Beistand und Zusammenarbeit“ als das „bis dahin wichtigste Ereignis und Ergebnis“ ihrer A. und als „folgerichtige“ Fortsetzung und Entwicklung der beiderseitigen Beziehungen, die mit dem Vertrag vom 20. 9. 1955 begonnen hätten. Er sollte „der Freundschaft zwischen beiden Staaten Richtung und Perspektive bis über das Jahr 2.000 hinaus“ geben.
In seinen Kernsätzen bekräftigt der Vertrag die Zugehörigkeit beider Staaten zum Warschauer Pakt, garantiert die Unantastbarkeit der Grenzen der DDR, bezeichnet — erstmalig in einem völkerrechtlichen Vertrag — Berlin (West) als „selbständige politische Einheit“ und fordert die „Normalisierung der Lage in West-Berlin auf der Basis eines Friedensvertrages“. Die „hohen vertragschließenden Seiten“ erklärten ferner, daß ein einheitlicher deutscher Staat nur durch „gleichberechtigte Verhandlungen und eine Verständigung zwischen beiden souveränen deutschen Staaten“ erreicht werden könne. Die UdSSR behielt sich auch in diesem Vertrag „Rechte und Pflichten“ vor, die ihr aus „internationalen Abkommen einschließlich des Potsdamer Abkommens“ erwachsen sind. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder will der Vertrag optimal entwickeln und durch Koordinierung der Volkswirtschaftspläne den „nationalen Wirtschaften beider Staaten ein Höchstmaß an Produktivität sichern“. Der Vertrag hat eine Gültigkeitsdauer von 20 Jahren, falls er nicht „auf Wunsch“ beider Seiten im Falle der „Schaffung eines einheitlichen, demokratischen und friedliebenden deutschen Staates“ oder des Abschlusses eines deutschen Friedensvertrages „überprüft“ wird.
Nach Auffassung westlicher Völkerrechtler bedeutete dieser Beistandspakt, obwohl er explizit keine neuen Verpflichtungen schuf, die über den Warschauer Pakt hinausgehen, durch die Betonung des Prinzips des sozialistischen Internationalismus und der Verpflichtung zur „brüderlichen Hilfe“, die sich beide Seiten gegebenenfalls leisten wollen, verstärkte Interventionsmöglichkeiten für die UdSSR aufgrund eines international gültigen Vertrages.
Darüber hinaus bedeutete dieser Vertrag die völkerrechtliche Festlegung beider Staaten auf die bis dahin verfolgte Deutschlandpolitik. Die Bündnisklausel (Art. 5 Abs. 1) entspricht der des Warschauer Paktes. Danach bestimmt allein die UdSSR, mit welchen Mitteln sie Beistand leistet, eine automatische Hilfeleistung ist nicht vorgesehen.
Einerseits ist die DDR mit dem Vertrag vom 12. 6. 1964 erstmalig in das System der bilateralen Konsultations- und Beistandspakte einbezogen und damit noch stärker als bisher vertraglich an die UdSSR gebunden worden; andererseits erhielt sie jedoch durch ihn eine erhöhte Existenzgarantie seitens der UdSSR und ein begrenztes Mitspracherecht in der sowjetischen Deutschlandpolitik.
Die engen völkerrechtlichen und machtpolitischen Bindungen an die UdSSR konnten jedoch nicht Spannungen verdecken, die mit einer wachsenden, aber eng begrenzten Emanzipation der DDR — vom einstigen Vasallen zum Juniorpartner der Hegemonialmacht UdSSR — auftreten mußten. Gründe hierfür sind in erster Linie die Auswirkungen des sowjetisch-chinesischen Konflikts auf die Bindungen innerhalb des osteuropäischen Paktsystems und in der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung der DDR als größter Handelspartner der UdSSR zu suchen. Wegen der ideologischen Verbundenheit und der machtpolitischen Abhängigkeit der strategischen Führungsgruppe der SED von der KPdSU führten Spannungen zwar nicht zu offener Obstruktion gegenüber sowjetischer Politik. Gelegentlich deuteten jedoch Zeitpunkt und Inhalt von DDR-Verlautbarungen, in denen sowjetische außenpolitische Aktionen oder innersowjetische Ereignisse kommentiert wurden, auf mangelnde „völlige Übereinstimmung“ hin. So hat sich z. B. Ulbricht bis 1961 in der öffentlichen Unterstützung des Chruschtschowschen Entstalinisierungskurses auffällig zurückgehalten. Ebenso wurden die Auswirkungen des kurzfristigen literarischen Tauwetters in der UdSSR im Jahre 1962 in der DDR rigoros bekämpft, die Reise und das Auftreten des Lyrikers Jewtuschenko in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1963 sogar heftig kritisiert. Der Sturz Chruschtschows im Oktober 1964 fand in der DDR nur ein vorsichtig registrierendes Echo. Zwar war der sowjetische Parteichef durch den Ausgang der Kuba-Krise auch mit seiner Berlinpolitik (Berlin-Ultimatum von 1958) gescheitert, jedoch wurden gerade zum damaligen Zeitpunkt seine Verdienste um die DDR bezüglich der Einführung des Neuen Ökonomischen Systems und des Abschlusses des Freundschaftsvertra[S. 95]ges vom Juni 1964 auffällig betont und von der SED-Führung in den Vordergrund gerückt. Andererseits sind die Vorbereitungen des für Herbst 1964 geplant gewesenen Besuches des sowjetischen Partei- und Staatschefs Chruschtschow in der Bundesrepublik Deutschland kritisch bis ablehnend diskutiert worden.
Im chinesisch-sowjetischen Konflikt hatte die SED auf ihrem VI. Parteitag im Jahre 1963 eindeutig die sowjetische Position unterstützt. Diese Einstellung wurde jedoch von ihr im Herbst 1964 vorsichtig modifiziert. Auch Ulbricht äußerte nun Bedenken gegen die Einberufung einer kommunistischen Weltkonferenz, die nach Chruschtschows Intention die Exkommunikation der KP Chinas aus der kommunistischen Weltbewegung beschließen sollte. Seitdem haben sich die Beziehungen zur VR China ständig verschlechtert und seit Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre einen absoluten Tiefpunkt erreicht. Die SED-Führung hat sich ohne Vorbehalte den sowjetischen Standpunkt zu eigen gemacht. Die Außen- und Innenpolitik Pekings wird als „antisowjetisch“, „unmarxistisch“, „revisionistisch“ und „chauvinistisch“ bezeichnet (Maoismus). Im Jahr 1978 wurden zwar noch diplomatische Beziehungen unterhalten, und bisher sind jährlich Protokolle über den Handelsaustausch unterzeichnet worden, jedoch wird die VR China von der SED nicht mehr uneingeschränkt als sozialistischer Staat anerkannt; die Existenz sozialistischer Produktionsverhältnisse in China ist im Widerspruch dazu jedoch nicht bestritten worden.
Die DDR sieht nach wie vor in der UdSSR den einzig wirksamen Garanten ihrer Grenzen und damit ihrer Existenz. Zwar hat sie bisher weder einen separaten Friedensvertrag mit der UdSSR abschließen noch ihre einseitige Forderung nach Umwandlung Berlins (West) in eine „Freie Stadt“ in Moskau durchsetzen können. Volle Übereinstimmung zwischen beiden Staaten bestand und besteht jedoch hinsichtlich eines Grundsatzes der A. der DDR:
Jede Entspannung in Europa darf den territorialen und politischen Status quo nicht in Frage stellen. Diesem Grundsatz entsprechend hat die DDR während der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (1973–1975) und während der Belgrader Folgekonferenz (Oktober 1977 – März 1978) die sowjetische Konferenzdiplomatie uneingeschränkt unterstützt. Insbesondere die Weigerung der UdSSR, in das Abschlußdokument der KSZE (1975) die Möglichkeit einer einvernehmlichen, d. h. friedlichen Änderung bestehender Grenzen aufzunehmen, hat die volle Unterstützung der DDR gefunden (Europapolitik der SED).
Die kompromißlose Unterstützung der sowjetischen Politik gegenüber den Reformbewegungen in der ČSSR 1968 lag zwar im ureigensten Interesse der Dogmatiker in der SED. ist aber auch als politischer Preis für die bis dahin unveränderte sowjetische Haltung in der Deutschlandfrage anzusehen. Jedoch war in den letzten Jahren vor der Ablösung Ulbrichts als Erster Sekretär des ZK der SED im Juni 1971 im Verhältnis zur UdSSR offenbar eine Veränderung eingetreten, die von einer wachsenden politischen Emanzipation der DDR bedingt war.
Das Bemühen Ulbrichts, die Interessen der DDR auch gegenüber der UdSSR stärker zur Geltung zu bringen, zeigte sich deutlich während der letzten Bundespräsidentenwahl in Berlin (West) im März 1969, als die SED-Führung im Gegensatz zur UdSSR eine schwere Berlin-Krise in Kauf nahm, während Moskau offenbar einen Konflikt mit den Westmächten zu Beginn der eigenen Entspannungsoffensive zu vermeiden suchte. Auch während der Vorbereitungen und in der ersten Phase der Vier-Mächte-Verhandlungen über Berlin schien die DDR eher einer Konfliktstrategie zu folgen, als die Anstrengungen Moskaus zu unterstützen, mit den Westmächten (über Berlin) und der Bundesrepublik Deutschland zu einem vertraglich ausgehandelten Modus vivendi zu gelangen. Westliche Beobachter haben die Ablösung Ulbrichts u. a. auf dessen Widerstand gegen die neue sowjetische Europa- und insbesondere Berlinpolitik zurückgeführt.
Unter der Führung Honeckers ist wieder eine nahezu vollständige Unterordnung unter die Außenpolitik der UdSSR zu beobachten, der sich die SED-Führung mit Zugeständnissen (durch Einbeziehung von Berlin [West]) in den ersten mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Folgeverträgen zum Berlin-Abkommen und zum Grundlagenvertrag anzupassen suchte.
Die vertragliche Grundlage des gegenwärtigen Verhältnisses zwischen beiden Staaten bildet der neue „Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“ vom 7. 10. 1975. Obwohl die Laufzeit seines Vorgängers vom 12. 6. 1964 (20 Jahre) noch nicht beendet war, hielten es beide Parteiführungen offenbar für notwendig, nach Abschluß der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Ende Juli/Anfang August 1975 in Helsinki die völkerrechtliche Fixierung ihrer Beziehungen den veränderten Bedingungen anzupassen.
Nunmehr fehlt jeder gesamtdeutsche Bezug, und die Betonung der Prinzipien des sozialistischen Internationalismus ist an die erste Stelle, im Gegensatz zum Vertrag von 1964, noch vor die Aufzählung der Grundsätze der staatlichen Souveränität getreten. Die noch 1964 und in Verträgen mit einzelnen Warschauer-Pakt-Staaten 1967 verwendete Formulierung von der „besonderen“ bzw. „selbständigen politischen Einheit Westberlin“ taucht nicht mehr auf, dafür wird — wenn auch in nicht zutreffender Weise — auf das Viermächte-Abkommen über Berlin vom 3. 9. 1971 rekurriert, wenn die künftige Politik gegenüber Berlin (West) angesprochen wird.
[S. 96]Die in Art. 6 fixierte Grenzgarantie („Unantastbarkeit“) erstreckt sich auf alle Grenzen der Teilnehmerstaaten des Warschauer Paktes, nicht nur auf die der Vertragspartner. Erstaunlicherweise werden die Grenzen zu Berlin (West) nicht besonders erwähnt, vielmehr so behandelt, als ob sie auch Grenzen zur Bundesrepublik Deutschland seien. Im Gegensatz zum Warschauer Vertrag und dem zweiseitigen Vertrag von 1964 ist 1975 jede regionale Begrenzung des Bündnisfalls entfallen, was bedeutet, daß die Nationale Volksarmee künftig auch an der sowjetisch-chinesischen Grenze eingesetzt werden könnte. Allerdings ist diese Begrenzung auch schon in einigen früheren bilateralen Verträgen der UdSSR und der DDR mit osteuropäischen Staaten aufgegeben worden.
Von Bedeutung ist schließlich, daß der Vertrag von 1975 nichts über die Aufhebung (Aussetzung?) der Verträge von 1964 und 1955 aussagt. Gilt also der völkerrechtliche Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ oder hat sich die UdSSR den Rückgriff z. B. auf die gesamtdeutschen Bezüge der früheren Verträge offengelassen? Insgesamt bringt der neue Vertrag unter dem Dach der sowjetischen Deutschlandpolitik eine beträchtliche völkerrechtliche Aufwertung und Anerkennung der Interessen der DDR, wie sie insbesondere auch in der neu aufgenommenen Konsultationsklausel des Art. 9 zum Ausdruck kommt.
III. Das Verhältnis zu den Staaten des Warschauer Paktes
Nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der UdSSR und der DDR (15. 10. 1949) folgten diesem Schritt auch die übrigen osteuropäischen Staaten: am 17. 10. 1949 Bulgarien, am 18. 10. 1949 Polen, die ČSSR, Ungarn und Rumänien, am 25. 10. 1949 die VR China, am 6. 11. 1949 Nord-Korea. In allen Fällen wurden zunächst nur diplomatische Missionen eingerichtet, ein Botschafteraustausch erfolgte erst 1953. Albanien stimmte am 2. 12. 1949 dem Austausch von diplomatischen Missionen zu, die 1953 zu Gesandtschaften und am 28. 3. 1955 zu Botschaften erhoben wurden. Ebenso wie Albanien verfuhr eine Reihe asiatischer kommunistischer Staaten. Die seit dem 13. 4. 1950 bestehenden diplomatischen Missionen in der Mongolischen VR und Berlin (Ost) wurden am 17. 10. 1955 wechselseitig in Botschaften umgewandelt. Mit Nord-Vietnam wurden am 16. 12. 1954 Botschafter ausgetauscht; die mit Kuba seit 1960 bestehenden Beziehungen in der Form diplomatischer Missionen wurden 1963 durch Botschafteraustausch aufgewertet. Die seit Oktober 1957 zwischen Jugoslawien und der DDR bestehenden Gesandtschaften wurden am 12. 10. 1966 in den Rang von Botschaften erhoben.
In zweiseitigen Abkommen mit Polen und der ČSSR erstrebte die DDR frühzeitig eine relative Konsolidierung ihrer östlichen Grenzen. Am 6. 6. und 6. 7. 1950 wurden in zwei Abkommen mit Polen Oder und Lausitzer Neiße zur „unantastbaren Friedens- und Freundschaftsgrenze“ zwischen beiden Staaten erklärt, obwohl sich die SED-Führung anfangs einer Abtretung deutscher Ostgebiete an Polen ebenfalls widersetzt hatte. Am 23. 6. 1950 bestätigten sich DDR und ČSSR, daß es zwischen ihnen keine „offenen und strittigen“ Fragen gebe und die „Umsiedlung der Deutschen aus der Tschechoslowakei unabänderlich, gerecht und endgültig“ sei. Mit allen Ländern Osteuropas ist bis heute eine Vielzahl von bilateralen Handelsverträgen, Kreditabkommen und Protokollen über wissenschaftlich-technische und kulturelle Zusammenarbeit abgeschlossen worden (Außenwirtschaft und Außenhandel).
Keine unmittelbaren handelspolitischen Auswirkungen hatte zunächst die Aufnahme der DDR (29. 9. 1950) in den am 25. 1. 1949 von der UdSSR, Bulgarien, Ungarn, Polen, Rumänien und der ČSSR gegründeten Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). Die DDR war von da an zwar in allen vom 1959 verabschiedeten Statut des RGW vorgesehenen Organen vertreten, und 3 „Ständige Kommissionen“ (für Chemische Industrie, für Bauwesen und für Standardisierung) haben ihren ständigen Sitz in Berlin (Ost). Der Schwerpunkt der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Mitgliedern des RGW lag jedoch in den Jahren 1950–1960 auf den bilateralen langfristigen Handelsabkommen, unter anderen: DDR–UdSSR (23. 9. 1951 und 20. 2. 1957), DDR–ČSSR (1. 12. 1951), DDR-Polen (10. 11. 1951), DDR-Rumänien (23. 1. 1952).
Da auch die späteren Versuche der UdSSR (vor allem 1962), eine höhere Rechtsform der supranationalen Integration im RGW durchzusetzen, am wachsenden Selbständigkeitsstreben einzelner RGW-Länder (insbesondere Rumäniens) scheiterten, blieben die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen auch für die DDR die entscheidenden Formen der wirtschaftlichen Intra-Block-Beziehungen. Die DDR galt und gilt jedoch bis heute als die entschiedenste Verfechterin einer möglichst engen Verflechtung und Arbeitsteilung zwischen den nationalen Volkswirtschaften. Sie dringt auf völkerrechtliche „direkte Verbindlichkeit der Ratsempfehlungen“ im RGW, lehnt allerdings jede Form von „Supranationalität“, d. h. auch die Einführung von Mehrheitsentscheidungen, als Verstoß gegen die sozialistische Souveränität ab.
Von größerer Bedeutung für die außenpolitischen Bindungen der DDR war die Schaffung des Warschauer Paktes (14. 5. 1955), dem sie von Anfang an angehörte. Formal, jedoch nicht tatsächlich, von Anfang an gleichberechtigt, ist die DDR in allen Orga[S. 97]nen der Paktorganisation vertreten. Die am 18. 1. 1956 in Nationale Volksarmee (NVA) umbenannte Kasernierte Volkspolizei (KVP) wurde jedoch erst am 28. 1. 1956 dem Vereinigten Oberkommando (Sitz Moskau) unterstellt. Rechtlich erhebliche Unterschiede und dadurch bedingte Einschränkungen der außen- und militärpolitischen Entscheidungsfreiheit der DDR sind in den unterschiedlichen Formulierungen der die Beistandsklauseln betreffenden Passagen der Vertragstexte festzustellen. Während der für die übrigen Pakt-Staaten maßgebende Text in russischer, polnischer und tschechischer Sprache abgefaßt ist und bestimmt, daß jeder dieser Staaten über die Formen seines Beistandes zugunsten der DDR allein entscheidet, legt die für die DDR geltende deutsche Fassung fest, daß die Art des Beistandes der DDR zugunsten der anderen Teilnehmerstaaten von diesen bestimmt werden kann. Diese vertragsrechtliche Benachteiligung der DDR, verbunden mit den einseitig auf die Sicherheitsinteressen der sowjetischen Truppen in der DDR abgestellten Konsultationsklauseln des Truppenvertrages von 1957 -die in ähnlichen Verträgen der UdSSR mit Polen und Ungarn den Stationierungsländern mehr Mitspracherechte einräumen, verringerte aber nicht das faktische Gewicht, das die DDR im Pakt erlangen konnte. Seit gemeinsame Manöver der Paktstreitkräfte (Herbst 1961) stattfinden, hat der DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann, als einziger der Stellvertreter des sowjetischen Oberbefehlshabers, zwei größere Truppenübungen geleitet. Vieles deutet darauf hin, daß — einer Anregung W. Gomulkas aus dem Jahr 1957 zufolge — die Armeen der VR Polen, der ČSSR, der DDR zusammen mit den in Polen und der DDR stationierten sowjetischen Truppen innerhalb des Paktes eine Sonderstellung einnahmen. („Neues Deutschland“ vom 24. 5. 1965 sprach von einer „Ersten Strategischen Staffel“ des Warschauer Paktes.)
Angesichts des seit Mitte der 60er Jahre zu beobachtenden Wandels des Paktes zu einer „machtpolitischen Allianz klassischer Provenienz“ (R. Löwenthal) hat die vollständige Einbindung der DDR in den Pakt auch eine Stärkung ihres außenpolitischen Gewichts im sozialistischen Lager insofern zur Folge gehabt, als Ulbricht insbesondere in den Jahren 1968–1971 z. T. erfolgreich versuchte, über das östliche Allianzsystem eine Kontrolle der Politik vor allem der kleineren Paktmitglieder gegenüber der Bundesrepublik Deutschland auszuüben. Der außenpolitische Entscheidungsspielraum der DDR ist jedoch aufgrund ihrer geographischen Lage und ihres besonderen politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisses zur UdSSR geringer als der der übrigen Paktmitglieder. Das wurde gerade seit 1969 deutlich, als die UdSSR in der Phase der Annäherung an die Bundesrepublik den Warschauer Pakt verstärkt als Disziplinierungsinstrument gegenüber Osteuropa benutzte.
Neben dem Pakt („lex generalis“) haben die Länder des „Eisernen Dreiecks“ (DDR, Polen, ČSSR) von 1963 bis 1967 untereinander und mit der UdSSR eine Reihe von bilateralen Bündnisverträgen („leges speciales“) abgeschlossen, so die DDR im März 1967 mit Polen und der ČSSR, im Mai 1967 auch mit Ungarn und im September 1967 mit Bulgarien. Diese Verträge sollten vornehmlich der Konsolidierung des sozialistischen Lagers und dem Kampf „gegen die imperialistische Reaktion“ dienen. Die Bestimmungen über den Bündnisfall und über Art und Umfang der Beistandsleistung entsprachen weitgehend denen des Warschauer Paktes. Die Bundesrepublik Deutschland wurde zwar in diesen Verträgen nicht explizit als potentieller Aggressor genannt (der Pakt als sog. „offener“ Pakt spricht nur vom möglichen Angriff „irgendeines Staates oder einer Staatengruppe“); nach einheitlicher östlicher und westlicher Interpretation der Bündnisklauseln war sie aber implizit immer gemeint, wenn von möglichen Angreifern gesprochen wurde.
In allen Verträgen wurde ex- oder implizit die sowjetische Zwei-Staaten-Theorie hinsichtlich Deutschlands bekräftigt. Mit Ausnahme des Vertrages DDR–Ungarn ist in allen Verträgen das Potsdamer Abkommen, das die Vier-Mächte-Verantwortung für Deutschland als Ganzes festlegte, nur in der Weise erwähnt worden, daß die DDR seine Prinzipien verwirklicht habe. Sofern sich die Vertragstexte überhaupt auf die Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands beziehen, wurde sie nur nach „Normalisierung der Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten“ für möglich erklärt. In den Verträgen der DDR mit Ungarn und Bulgarien ist eine mögliche Vereinigung beider deutscher Staaten überhaupt nicht erwähnt worden. In allen Verträgen wurde als Grundbedingung für eine deutsche Friedensregelung die Überwindung des „deutschen Militarismus und Neonazismus“ genannt. Berlin (West) wird in den Verträgen der DDR mit Polen, Ungarn und der ČSSR als „besondere politische Einheit“, im Vertrag DDR-Bulgarien als „selbständige politische Einheit“ bezeichnet. Die Forderung nach Umwandlung Berlins (West) in eine „Freie und entmilitarisierte Stadt Westberlin“ konnte die DDR dagegen vertraglich nicht bekräftigen.
Die DDR verstand diese Verträge als zusätzliche Garantie ihrer Grenzen und damit als Vorleistung an ein zu schaffendes, den Status quo in Europa zementierendes Sicherheitssystem (W. Ulbricht in „Neues Deutschland“ vom 8. 9. 1967). Sie sollten ferner zu verstärkter Zusammenarbeit und Abstimmung auf allen Gebieten des politischen und gesellschaftlichen Lebens der Vertragspartner führen. Diese Abstimmung sah die DDR als „wirksames Mittel zur Durchführung gemeinsamer außenpolitischer Aktionen“ [S. 98]gegen die Ostpolitik der Großen Koalition in Bonn an.
Da diese Verträge das Prinzip des sozialistischen Internationalismus stark betonten, boten sie der Blockpolitik der DDR nach westlicher und östlicher Auffassung die rechtliche Grundlage für die — besonders in der ČSSR im Frühjahr und Sommer 1968 — zu beobachtenden direkten und indirekten Interventionen in die inneren Angelegenheiten der betroffenen Partnerstaaten. Die „Präventivfunktion“ dieser Verträge (Blockierung schwer kontrollierbarer Entwicklungen im Verhältnis der Bündnispartner zur Bundesrepublik Deutschland) hatte für die SED seit dem Abschluß des Grundlagenvertrages mit der Bundesrepublik Deutschland und der ihm folgenden internationalen diplomatischen Anerkennung an Bedeutung verloren. Inzwischen hat die DDR-Führung im Jahr 1977 mit Ungarn (24. 3.), mit Polen (28. 5.), mit Bulgarien (14. 9.) und der ČSSR (3. 10.) neue Verträge über „Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand“ nach dem Vorbild des Vertrages mit der UdSSR vom 7. 10. 1975 geschlossen. Auch diese Verträge traten an die Stelle der noch nicht abgelaufenen aus dem Jahr 1967. Gemeinsames Merkmal dieser Verträge ist, daß auch ihnen nunmehr jeder Bezug auf die Überwindung der Spaltung Deutschlands fehlt, allerdings auch Angriffe auf den „westdeutschen Militarismus und Revanchismus“ nicht mehr enthalten sind.
Einen Sonderfall stellte das Verhältnis der DDR zu Rumänien dar. Rumänien hatte sich seit 1962 sowjetischen Integrationsbestrebungen im Rahmen des RGW widersetzt, weil es darin Nachteile für seine Volkswirtschaft befürchtete. 1967 hatte es als erstes sozialistisches Land Osteuropas diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. ohne die vorherige völkerrechtliche Anerkennung der DDR durch Bonn zur Vorbedingung zu machen. Darüber war es zu einer öffentlich ausgetragenen scharfen Kontroverse zwischen der SED und der rumänischen Parteiführung gekommen.
Die rumänische KP hatte sich 1968 an der Intervention der übrigen Staaten des Warschauer Paktes in der ČSSR nicht beteiligt und diese Aktion auch öffentlich mißbilligt.
Die in dieser Politik zum Ausdruck gekommenen unterschiedlichen Auffassungen über die Bedeutung der nationalen Unabhängigkeit und Souveränität sowie über die Prinzipien des sozialistischen Internationalismus zwischen Rumänien und den übrigen Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrages (einschließlich der UdSSR) führten u. a. dazu, daß ein Freundschafts- und Beistandsvertrag zwischen DDR und Rumänien zwar im Oktober 1970 paraphiert, aber erst im Mai 1972 unterzeichnet wurde. Seine Bestimmungen gleichen — bis auf geringfügige Abweichungen — denen der Verträge des Jahres 1967. Schon damals waren polemische Angriffe auf die Bundesrepublik Deutschland vermieden und auf eine besondere Bezugnahme auf die deutsche Wiedervereinigung verzichtet worden. Lediglich in Art. 10 wurde die „Herstellung normaler gleichberechtigter Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten auf der Basis des Völkerrechts“ gefordert. Unter diesem Aspekt bedurfte der Vertrag von 1972 auch keiner Erneuerung, als der rumänische Parteichef Ceausescu im Juni 1977 zu einem offiziellen Staatsbesuch in die DDR reiste. Die mit Rumänien fortbestehenden Differenzen sind erneut anläßlich des Besuches des Vorsitzenden des Ministerrates, Stoph, in Bukarest im Frühjahr 1978 deutlich geworden. Zum Nahostproblem, zur Neutronenwaffe, zum proletarischen Internationalismus und in der Chinafrage gibt es gegenwärtig keine Übereinstimmung der Ansichten.
Verträge über „Freundschaft und Zusammenarbeit“ hat die DDR mit der Mongolischen Volksrepublik (6. 5. 1977) und mit der Sozialistischen Republik Vietnam (4. 12. 1977) abgeschlossen, die beide keinerlei militärische Beistandsverpflichtungen enthalten. Hervorzuheben ist hierbei, daß im Vertrag mit Vietnam auch kein Bezug auf die erfolgreich erkämpfte Wiedervereinigung Vietnams genommen wird, Hanoi also insofern den Standpunkt der SED-Führung in der nationalen Frage politisch unterstützt.
Ein gleiches Entgegenkommen ist von einem anderen kommunistisch regierten Land, Nord-Korea, nicht gezeigt worden. Während einer längeren Asienreise des Staatsratsvorsitzenden Honecker im November und Dezember 1977, in derem Verlauf er auch politische Gespräche mit Kim Il Sung, dem nordkoreanischen Parteichef, führte, unterblieb die Unterzeichnung eines politischen Paktes offenbar wegen nicht überbrückbarer Differenzen in der Frage, wie auf die von Nord-Korea angestrebte Wiedervereinigung des Landes eingegangen und dabei der Standpunkt der SED-Führung in der deutschen Frage berücksichtigt werden sollte.
Eine Analyse der Vertragspolitik der DDR-Führung ergibt ferner einige Besonderheiten, die die A. der SED gegenüber dem und im sozialistischen Lager charakterisiert.
Die wichtigsten sind:
1. Im Vertrag mit Polen sprechen sich beide Parteien auch gegen die friedliche Veränderung der Grenzen in Europa aus („Unveränderlichkeit“). Die implizite völkerrechtliche Absage an die friedliche Wiedervereinigung Deutschlands blieb freilich bisher ein Einzelfall und trägt den besonderen Interessen Polens Rechnung.
2. In den Verträgen mit Ungarn, Bulgarien und der Tschechoslowakei wird in den Präambeln die Breschnjew-Doktrin („gemeinsame internationalistische Pflicht“ zum „Schutz der sozialistischen Er[S. 99]rungenschaften“) ausdrücklich bekräftigt. In den Verträgen mit Polen, der Mongolei und Vietnam fehlt die Bestimmung „gemeinsam“. Geographische Distanz und polnische Vorsicht gegenüber militärischen Hilfeleistungen aus der DDR mögen dafür maßgebend gewesen sein.
3. Die Konsultationsklauseln in allen Verträgen — außer in denen mit Polen und Vietnam — wurden qualifiziert; bisher bestanden sie nur in den Verträgen mit der UdSSR und Bulgarien.
4. Die erstmals im Vertrag mit der UdSSR aufgetauchte Formel von der „Annäherung der sozialistischen Nationen“ findet sich jetzt auch in den Verträgen mit den osteuropäischen Ländern (Ausnahme wieder: Rumänien), in leicht abgeschwächter Form auch im ostdeutsch-polnischen Vertrag. Hanoi und Ulan-Bator konnten dem offenbar (noch) nicht zustimmen.
Besonders in diesen Bestandteilen der Vertragstexte kommt das Bestreben der SED-Führung zum Ausdruck, den Prozeß der politischen Integration der sozialistischen Staatengemeinschaft — zumindest verbal-propagandistisch und normativ-präjudizierend — voranzutreiben und auf diese Weise allen Erwartungen im Hinblick auf eine Wiedervereinigung Deutschlands (auch auf der „Grundlage des Sozialismus“) einen Riegel vorzuschieben.
IV. Das Verhältnis zu den nichtsozialistischen Industriestaaten
Bis 1972 gelang es der A. der DDR nicht, von einem europäischen Staat außerhalb des sowjetischen Einflußbereiches die völkerrechtliche, diplomatische Anerkennung als souveräner Staat zu erlangen. Dies lag gleichermaßen an der politischen Solidarität der Mehrzahl der europäischen Staaten mit der Bundesrepublik Deutschland, die eine Anerkennung der Teilung Deutschlands verbot, an den politisch-moralischen Überzeugungen und Sicherheitserwägungen der westlichen Bündnispartner und nicht zuletzt an der Wirksamkeit der von den Mitgliedern des Warschauer Paktes und der DDR heftig bekämpften sog. Hallstein-Doktrin (1955). Unterhalb der Schwelle der diplomatischen Anerkennung erlangte die DDR jedoch frühzeitig eine De-facto-Anerkennung insofern, als sie mit den meisten nichtsozialistischen Staaten Europas vertragliche Handelsbeziehungen anknüpfen, Verkehrs- und Finanzabkommen abschließen und/oder in diesen Staaten Niederlassungen volkseigener Außenhandelsunternehmen etablieren konnte. So bestanden Ende der 60er Jahre in 12 europäischen Staaten (einschließlich der Türkei) Vertretungen der Kammer für Außenhandel (KfA) der DDR, in Zypern und Finnland gab es eine Handelsvertretung. Als einziger europäischer Staat unterhielt Finnland — bedingt durch sein besonderes Verhältnis zur UdSSR — in Berlin (Ost) ebenfalls eine Handelsvertretung, die (ebenso wie die DDR-Vertretung in Helsinki) quasi-konsularischen Status besaß.
Eine ständige politische Offensive entwickelte die DDR etwa seit 1957 gegenüber den skandinavischen Staaten, die ihren alljährlichen Höhepunkt in der Veranstaltung der Rostocker Ostseewochen erreichte. Unter der Losung „Die Ostsee muß ein Meer des Friedens sein“ versuchte die DDR nicht ohne Erfolg einige Vorbehalte, insbesondere Dänemarks und Norwegens, gegen die NATO für die eigene Ostseepolitik auszunutzen, die eine Schwächung der NATO-Flanke zum Ziel hatte und hat und den eigenen außenpolitischen Status in diesem Gebiet aufwerten sollte. (Am 2. 9. 1957 hatte die DDR in einer offiziellen Erklärung allen skandinavischen Staaten den Abschluß zwei- und mehrseitiger Freundschaftsverträge angeboten.)
In Kopenhagen, Stockholm und Oslo bestanden bis 1973 (nur) Vertretungen der KfA.
Die finanziell aufwendige und agitatorisch den Bedingungen der jeweiligen Länder sich anpassende Öffentlichkeitsarbeit dieser wie aller anderen Vertretungen der DDR im Ausland hatte jedoch ihr internationales Prestige merkbar aufgewertet. Ziel aller derartigen wie auch der intensiven handelspolitischen Anstrengungen vor allem im Westen war es, die außenpolitische Isolierung zu durchbrechen und die völkerrechtliche Anerkennung als souveräner deutscher Staat zu erreichen.
Im Zusammenhang mit dem Abschluß des Grundlagenvertrages (1972) mit der Bundesrepublik und der Aufnahme der DDR in die Organisation der Vereinten Nationen (1973) hat sie zu über 90 Staaten Diplomatische Beziehungen aufgenommen. (Insgesamt haben bis Juli 1978 123 [ohne Bundesrepublik Deutschland] Staaten die DDR diplomatisch anerkannt.)
Bei der formalen Gestaltung der neuen außenpolitischen Beziehungen folgt die SED weitgehend den traditionellen Mustern. Sie hat deshalb auch zu jenen Staaten diplomatische Beziehungen aufgenommen, die vorher jahrelang im Zentrum ihrer propagandistischen Angriffe (wie z. B. Spanien, der Iran u. a.) standen. Ihr Ziel ist es dabei, als möglichst „normaler“ Partner auf dem diplomatischen Parkett anerkannt zu werden. So sprachen alle Redner, insbesondere Außenminister O. Fischer, auf dem 7. ZK-Plenum der SED (24./25. 11. 1977) vom international gewachsenen Ansehen der DDR, das auf ihre, die Entspannung fördernde. „Friedenspolitik“ zurückzuführen sei.
Der Inhalt der A. der DDR gegenüber der nichtsozialistischen, insbesondere der kapitalistischen Welt kann als defensiv-unentschlossen (im politischen Bereich) und offensiv (im handelspolitischen Bereich) charakterisiert werden. Zwar sollen die Prinzipien der friedlichen Koexistenz und der antiimpe[S. 100]rialistische Kampf weiterhin die Grundlage ihrer A. bilden. Jedoch scheint die SED zunächst vor allem daran interessiert zu sein, ihre jüngst gewonnene internationale Präsenz in möglichst intensive wirtschaftliche Kontakte umzusetzen.
Die auf diesem Wege angestrebte wirtschaftliche Stabilisierung der DDR müßte sich zwangsläufig in einer Stärkung ihres politischen Gewichts innerhalb des Warschauer Pakts und des RGW auswirken. Da gleichzeitig die Agitation gegen die Bundesrepublik Deutschland seit 1971 verringert wurde, scheint die angekündigte „Verschärfung des ideologischen Kampfes“ in den internationalen Beziehungen vor allem der Kontrolle nach innen zu dienen und eine gegenwärtig eher defensive Westeuropapolitik abzusichern. Vor allem geht es der SED-Führung darum, die ideologisch-politischen Konsequenzen der auch von ihr 1975 unterzeichneten Schlußakte der KSZE-Konferenz von Helsinki für die innere Stabilität ihres Herrschaftssystems unter Kontrolle zu halten. Eine über die weitere Normalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen hinausgehende politische Zusammenarbeit mit den Staaten Westeuropas bleibt daher auch künftig von den sicherheitspolitischen Perzeptionen der Parteiführung abhängig.
Der Abschluß einer Reihe von Konsularverträgen (z. B. mit Finnland und Österreich 1975, mit Großbritannien 1976), mit denen die DDR-Führung ihrer Auffassung von der Existenz zweier deutscher Staatsbürgerschaften auch internationale Anerkennung zu verschaffen sucht, von langfristigen Handelsabkommen und Abkommen über wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit (1973 mit Großbritannien auf 10 Jahre, 1975 mit Frankreich auf 5 Jahre) und von Straßen- und Luftverkehrsabkommen sowie weiterer Abkommen mit einigen westeuropäischen Staaten diente dem Ziel, die mit der diplomatischen Anerkennung errungenen Positionen kontinuierlich auszubauen. Insgesamt sind mit den Staaten der EG und der EFTA bzw. mit Institutionen und Organisationen in diesen Staaten von 1974 bis 1978 mehr als 100 Verträge, Vereinbarungen, Protokolle und vertragliche Absprachen vor allem auf wirtschaftlichem, technischem, kulturellem und medienpolitischem Gebiet unterzeichnet worden (Europapolitik der SED). In den Beziehungen zu den USA (diplomatische Anerkennung: 4. 9. 1974) zeichnet sich nur eine langsame Verbesserung ab. Die A. der DDR betreibt gegenwärtig eine intensive, vor allem kulturpolitische Imagepflege (u. a. durch Entsendung von Symphonie-Orchestern und Veranstaltung von Gemäldeausstellungen) auf dem nord amerikanischen Kontinent; die Unterzeichnung eines Arbeitsprogramms auf der ersten gemeinsamen Sitzung der Wirtschaftsausschüsse DDR–USA und USA-DDR im Juni 1977 in Washington blieb bisher der einzige greifbare Erfolg dieser Bemühungen. Einer weiteren Normalisierung des Verhältnisses zwischen beiden Staaten steht die beharrliche Weigerung der DDR entgegen, in den USA lebenden jüdischen Opfern des Nationalsozialismus individuelle Wiedergutmachungszahlungen zu leisten und für die Enteignung amerikanischen Eigentums Entschädigung zu zahlen. Darüber hinaus dürften aufgrund der amerikanischen Haltung in der Berlin-Frage — Festhalten am Vier-Mächte-Status von ganz Berlin — auch in Zukunft schnelle Fortschritte bei der Verbesserung des Verhältnisses nicht zu erwarten sein.
In den letzten Jahren waren die USA allerdings größter westlicher Lieferant landwirtschaftlicher Erzeugnisse, vor allem von Mais.
Der erste Botschafter der DDR in den USA, Prof. Dr. Rolf Sieber, war Wirtschaftswissenschaftler. Er wurde Mitte 1978 von dem Karriere-Diplomaten Dr. Horst Grunert, bis dahin stellvertretender Außenminister, abgelöst.
Die Besuche des Staatsratsvorsitzenden E. Honecker im Dezember 1977 auf den Philippinen und des Politbüromitglieds G. Mittag in Japan im November 1977 sollten wohl in erster Linie — vor allem in Manila — die internationale Präsenz der DDR und die Reichweite ihrer A. dokumentieren. In beiden Fällen kam es zum Abschluß von Regierungsvereinbarungen über die Intensivierung der wirtschaftlich-technischen Zusammenarbeit und des Warenaustausches. Die Asienpolitik der DDR bleibt nach wie vor ohne eigene Konturen, d. h. den sowjetischen Interessen absolut untergeordnet, ohne allerdings das von der UdSSR vorgeschlagene kollektive Sicherheitssystem für Asien allzu deutlich zu unterstützen. Sie ist „antichinesisch“ und gegenüber Japan (diplomatische Anerkennung: 15. 5. 1973) ambivalent: Exportinteressen erfordern den Ausbau der bereits seit 1954 auf der Ebene von Verträgen der Außenhandelsbetriebe bestehenden Wirtschaftsbeziehungen zur Industriemacht Japan; Anfang 1975 kam es erstmals zu einem auf Regierungsebene abgeschlossenen Handelsabkommen, und 1977 wurde ein Kreditabkommen in Höhe von rd. 600 Mill. DM unterzeichnet. Andererseits hat die SED-Presse den Abschluß des chinesisch-japanischen Freundschaftsvertrages von 1978 ebenfalls als gegen die UdSSR gerichtet zurückhaltend kritisiert. Auf der Parteiebene hat die SED die zur Sozialistischen Partei Japans bestehenden Kontakte ständig weiter ausgebaut und verhält sich gegenüber der moskaukritischen Kommunistischen Partei Japans sehr zurückhaltend.
In der Auseinandersetzung zwischen der KPdSU und dem Eurokommunismus hat sich die SED-Führung erwartungsgemäß die Positionen Moskaus zu eigen gemacht. Insbesondere zu den kommunistischen Parteien Italiens, Spaniens und Frankreichs bestehen in zentralen ideologischen (proletarischer Internationalismus, führende Rolle der KPdSU im [S. 101]Weltkommunismus, Diktatur des Proletariats) und taktisch-politischen Fragen (Garantierung aller bürgerlichen Grundrechte auch nach einem Wahlsieg, Akzeptierung der Spielregeln des Parlamentarismus, Verhältnis zu Sozialisten und Sozialdemokraten) tiefgreifende Gegensätze. Auf der im Juli 1976 in Berlin (Ost) von der SED organisierten Konferenz der 29 kommunistischen und Arbeiterparteien Europas konnte zwischen regierenden und nicht-regierenden kommunistischen Parteien keine Übereinstimmung auf diesen Gebieten erzielt werden.
V. Das Verhältnis zu den Staaten der Dritten Welt
Als Hauptaufgaben ihrer A. gegenüber den Staaten der Dritten Welt bezeichnet die DDR: 1. Solidarische Unterstützung des nationalen Befreiungskampfes der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas im Kampf gegen Imperialismus. Kolonialismus und Neokolonialismus. 2. Hilfe bei der Festigung der politischen und der Herstellung der ökonomischen Unabhängigkeit.
Das Schwergewicht der Beziehungen zu diesen Staaten lag lange Zeit fast ausschließlich auf wirtschaftlichem bzw. kulturellem Sektor, jedoch sollte in jener Phase „der Außenhandel den Kampf um die diplomatische Anerkennung der DDR“ unterstützen.
Die DDR als an 9. Stelle (nach DDR-Quellen an 8. Stelle) stehender Industriestaat der Welt fand und findet in den Entwicklungsländern willkommene Absatzmärkte für Investitionsgüter und geeignete Rohstoffquellen für ihre Wirtschaft. Die Arbeitsweise der staatlichen oder halbstaatlichen Außenhandelsgesellschaften der Entwicklungsländer kommt zudem den Wünschen der DDR nach Abschluß langfristiger Handelsabkommen entgegen. Die Formen der Zusammenarbeit entsprechen vielfach ebenfalls den Bedürfnissen der unterentwickelten Länder. Sie reichen von Absatzgarantien für ihre einheimischen Güter. Gewährung langfristiger Kredite zu billigem Zinssatz, Studienförderung für Gaststudenten, relativ großzügigen wissenschaftlich-technischen Hilfeleistungen einschließlich der verbilligten Überlassung von Produktionslizenzen, Montageverträgen bezüglich der Errichtung ganzer Industriebetriebe bis zum permanenten Austausch von Regierungsdelegationen und der Organisierung von Studienreisen in die DDR für Regierungs- und Wirtschaftsfunktionäre aus Entwicklungsländern.
Geographischer Schwerpunkt dieser Auslandsaktivität war von 1954 bis 1970 (und wieder seit Mitte der 70er Jahre) insbesondere der afrikanische und asiatische Raum. Seit 1965 waren verstärkte Bemühungen der DDR auch in Lateinamerika zu registrieren. Wirtschaftliche Beziehungen unterhielt die DDR lange vor der 1972 einsetzenden Anerkennungswelle u. a. mit Argentinien, Brasilien, Chile, Ekuador, Kolumbien. Kostarika, Mexiko, Peru. Uruguay und Britisch-Guayana. Nach eigenen Angaben gab es Handelsvertretungen der DDR, deren völkerrechtlicher Status nicht eindeutig festzustellen war, in Chile, Ekuador und Mexiko. Eine Handelsvertretung der DDR in Uruguay wurde bereits 1966 auf Anordnung der Regierung in Montevideo geschlossen. Handelsvertretungen aufgrund von Abkommen zwischen den jeweiligen Staatsbanken bestanden in Brasilien (seit 1958) und Kolumbien (seit 1955).
Neben den wirtschaftlichen und einer Reihe kultureller Beziehungen (Universitätskontakte, sportliche und journalistische Kontakte) verstärkte die DDR Ende der 60er Jahre auch ihre politische Aktivität in Südamerika.
Dabei ging es der SED offensichtlich darum, schon vor der sich anbahnenden Entspannungsphase ihre völkerrechtliche Anerkennung außerhalb Europas zu erlangen, um auf diese Weise den Eindruck zu vermeiden, daß erst die Normalisierung ihrer Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland den internationalen Durchbruch ermöglichen würde.
Die Entwicklungspolitik der DDR hat bis zum Abschluß des Grundlagenvertrages vor allem außenpolitische Funktionen gehabt. Doppeltes Ziel entwicklungspolitischer Aktivitäten war neben der Erlangung der eigenen völkerrechtlichen Anerkennung die stets propagierte Ausdehnung des sozialistischen Weltsystems auf Kosten des „kapitalistischen Lagers“. Dabei spielten die Theorie vom „nichtkapitalistischen Entwicklungsweg“, die eigenen Aufbauleistungen und ihre Beispielwirkung für unterindustrialisierte Länder sowie die allgemeine Affinität einiger herrschender Machteliten in der Dritten Welt zum „sozialistischen Lager“ eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Der materielle Umfang der Entwicklungshilfe der DDR war und ist aber vergleichsweise gering. So ist der Anteil des Warenaustausches mit Ländern der Dritten Welt am Gesamtaußenhandel der DDR mit ca. 5,0 v. H. (1977) der kleinste aller RGW-Staaten. Auch reine Kapital- bzw. technische Hilfe erfolgt im Vergleich zur Bundesrepublik Deutschland (ca. 10 Mrd. DM im Jahr) nur in geringem Umfang. (Genaue Zahlen liegen nicht vor, da nicht zwischen angebotener und tatsächlich in Anspruch genommener Leistung unterschieden werden kann. Westliche Schätzungen gehen von rd. 6,0 Mrd. DM insgesamt bis 1976 aus.) Struktur und Abwicklung des Außenhandels sowie der Entwicklungshilfe der DDR haben beiden jedoch überproportionale politische Effizienz gesichert. Entgegen manchen westlichen Annahmen haben sie jedoch eine weltweite völkerrechtliche Anerkennung der DDR bis 1972 nicht entscheidend gefördert. Auch der frühzeitige Abschluß langfristiger Handelsabkommen mit Ägypten, Burma, Ceylon (Sri Lanka), Guinea, Indonesien, Irak, Jemen (Nord), Kambodscha, Libanon, [S. 102]Mali, Marokko, Tansania, Sudan, Syrien und Tunesien vermochte daran, trotz erklärter außenpolitischer Zielsetzungen, zunächst nichts zu ändern.
Begrenzte außenpolitische Erfolge für die DDR stellten jedoch die Stellungnahmen der großen Konferenzen nichtpaktgebundener Staaten zur deutschen Frage (1961 in Belgrad, 1965 in Kairo, 1970 in Lusaka, 1976 in Colombo) dar. Schon in Belgrad war von der „Existenz zweier deutscher Staaten“ gesprochen worden, obwohl in diesem Zusammenhang die Interessenlage der Staaten der Dritten Welt und ihre Rolle im weltpolitischen Kräftespiel zwischen den Großmächten, die ausschlaggebende Rolle gespielt hat.
Auch die frühe diplomatische Anerkennung durch Kambodscha, Irak, Sudan, Südjemen, Syrien und Ägypten (Mai bis Juli 1969) war weniger ein Verdienst der A. der DDR als vielmehr eine Folge der Nahost-Krise von 1967, in deren Verlauf die DDR (wie, mit Ausnahme Rumäniens, alle Staaten des „sozialistischen Lagers“) vorbehaltslos den arabischen Standpunkt eingenommen hatte.
Die A. der DDR im außereuropäischen Raum war lange Zeit Vehikel bei der Verfolgung ihrer europäischen, vor allem deutschlandpolitischen Ziele. Entscheidende Erfolge konnte sie nicht verzeichnen, solange die für Deutschland als Ganzes verantwortlichen Großmächte die DDR nicht in ihre Entspannungspolitik einbezogen. Gegenwärtig scheint die DDR ihr Verhältnis zur Mehrzahl der Staaten der Dritten Welt auf den Status traditioneller Beziehungen zurückzustufen, wobei gleichzeitig ihre handelspolitischen Interessen gegenüber industrialisierten Staaten vor allem in Asien an Bedeutung gewinnen. Europa als neuer Schwerpunkt außenpolitischer Aktivitäten hat die Bedeutung der „Dritten Welt“ für die Durchsetzung außenpolitischer Ziele der DDR reduziert.
In den Jahren 1977/78 ist ein verstärktes Engagement der A. der DDR vor allem in einigen Krisenzentren Schwarz-Afrikas festzustellen. Insbesondere die letzten Besuche von Verteidigungsminister H. Hoffmann im April und Mai 1978 in einigen afrikanischen Staaten (Kongo-Brazzaville, Guinea, Angola, Nigeria und Tunesien) legen in Übereinstimmung mit westlichen Pressemeldungen die Vermutung nahe, daß die Nationale Volksarmee der DDR im Auftrag und unter Kontrolle der UdSSR auch militärische Entwicklungshilfe leistet.
Im Bürgerkrieg in Äthiopien hat die Regierung der DDR — genau wie die der Sowjetunion — ohne Einschränkung zugunsten der Zentralregierung in Addis Abeba und gegen die Eritreische Befreiungsfront Partei ergriffen und militärische Ausbilder und Ausrüstungen entsandt.
Zu Tansania, Angola, Guinea, Guinea-Bissau, Mocambique, Nigeria und den in der sog. „Ablehnungsfront“ gegen Israel zusammengeschlossenen arabischen Staaten Algerien, Libyen, Syrien und Irak pflegt die DDR-Führung gegenwärtig besonders enge Beziehungen.
Die Beziehungen zu einigen früher stark umworbenen Staaten der Dritten Welt wie Ägypten und Indien (noch im Juni 1976 war I. Gandhi als 1. indischer Ministerpräsident zu einem Staatsbesuch in die DDR gereist und von den Medien der SED überschwenglich gefeiert worden) haben sich demgegenüber deutlich abgekühlt bzw. sind — zumindest vorübergehend — auf korrekte zwischenstaatliche, überwiegend handelspolitische Kontakte reduziert worden (der Außenhandelsumsatz mit beiden Staaten ist im Jahr 1977 jeweils um rd. 2,5 v. H. gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen).
Daß die Beziehungen der DDR zur Dritten Welt zunehmend auch von Opportunitätserwägungen bestimmt werden, denen im Bedarfsfall auch die „proletarische internationale Solidarität“ geopfert wird, zeigt das Verhältnis zum Kaiserreich Iran. Bis Mitte 1978 ist in der Presse der DDR über die sozialrevolutionären Unruhen in Persien so gut wie nichts berichtet worden; vielmehr war der Austausch von Grußtelegrammen und freundlichen Berichten über protokollarische Ereignisse am Hof von Teheran die Regel.
Für dieses Verhalten dürfte allein das Interesse der DDR an Rohölimporten ausschlaggebend sein (der statistisch nicht spezifiziert ausgewiesene Außenhandelsumsatz mit dem Iran hat sich von 1975 bis 1977 knapp verdoppelt).
Das Verhältnis zur Dritten Welt ist damit — entgegen schönfärberischen Behauptungen über internationale Solidarität und Nichteinmischung — von den Notwendigkeiten bestimmt, die sowjetische Politik so effektiv wie möglich zu unterstützen und im Rahmen dieser grundsätzlichen Festlegung die politischen Voraussetzungen für eine Politik der Sicherung dringend benötigter Rohstoffimporte zu schaffen.
VI. Das Verhältnis zu internationalen Organisationen
Bis 1953 hatte die DDR nach eigener Darstellung „gezögert“, sich um Mitgliedschaft in internationalen Organisationen zu bewerben. Sie begründet das damit, daß eine — damals auch von der DDR noch erstrebte — gesamtdeutsche Regierung nicht in ihren Entscheidungen „präjudiziert“ werden sollte. Tatsächlich bestanden jedoch Einwände einer Mehrheit von UN-Mitgliedern gegen eine Mitgliedschaft der DDR, der mangelnde Souveränität, Nichterfüllung einer Reihe in der Charta der UN verankerter Vorbedingungen für einen Beitritt, und Vertiefung der Spaltung Deutschlands im Falle eines Beitritts der DDR vorgehalten wurde. Aus diesen Gründen, für deren Wirksamkeit die DDR vornehmlich die Pro[S. 103]paganda der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich machte, scheiterten auch alle Anträge auf Aufnahme in einzelne UN-Spezialorganisationen (wie am 8. 5. 1968 in die WHO) oder wurden von der DDR wegen der für sie ungünstigen Mehrheitsverhältnisse (wie 1955 in dem ECOSOC) zurückgezogen.
Der am 28. 2. 1966 vom Staatsrat der DDR gestellte Antrag auf Aufnahme der DDR in die UN hatte mangels einer Empfehlung des Sicherheitsrates an die Vollversammlung zunächst ebenfalls keine Chance, obwohl die SED-Führung damals hoch behauptete, im Interesse einer einheitlichen deutschen Nation zu handeln.
Mit der Aufnahme sollte gleichzeitig die internationale Anerkennung der DDR durchgesetzt werden, ohne daß dafür in der innerdeutschen Auseinandersetzung ein politischer Preis zu zahlen gewesen wäre. Damit war auch die UN-Politik der SED ein wesentliches Instrument ihrer Deutschlandpolitik, das sich jedoch so lange als unwirksam erwies, wie in Europa ein Zustand der Konfrontation zwischen den Blöcken herrschte und in der deutschen Frage keine Fortschritte erzielt wurden.
Erst nach dem Abschluß der Verträge von Moskau und Warschau zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der UdSSR bzw. der Volksrepublik Polen, nach Ratifizierung des Viermächte-Abkommens über Berlin und der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages mit der Bundesrepublik Deutschland (1972) war für die DDR der Weg in die UN frei.
Am 18. 9. 1973 wurde die DDR als 133. Staat in die Weltorganisation aufgenommen. Das Verhalten der DDR in den ersten 5 Jahren ihrer Mitgliedschaft (September 1973 bis September 1978) läßt nur unsichere Schlüsse auf ihre künftige Politik in der UN zu. Bei den inzwischen erfolgten einigen hundert Abstimmungen bzw. Resolutionen stimmte sie stets — bis auf unwesentliche Ausnahmen — genauso wie die UdSSR. Dies wurde erneut besonders deutlich anläßlich der UN-Sonderabrüstungskonferenz im Juni 1978. (Im Vergleich dazu hat die Bundesrepublik Deutschland sehr viel öfter anders als ihre westlichen Verbündeten votiert.) Ein erster gemeinsamer Antrag von Bundesrepublik Deutschland, DDR und der Republik Österreich, Deutsch als offizielle UN-Sprache zuzulassen (d. h. vor allem, offizielle Dokumente der UN auch ins Deutsche zu übersetzen), ist 1974 positiv entschieden worden. Offenbar beabsichtigt die SED vorläufig nicht, in der UN eine offene Konfrontationspolitik gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zu betreiben, vielmehr durch sachbezogene Mitarbeit in einzelnen Gremien der Weltorganisation ihr „Image“ als „friedliebender“ und „sozialistischer deutscher Staat“ (als Staat des „real existierenden Sozialismus“) vor allem bei den Ländern der Dritten Welt weiter zu verbessern. Auf der 32. Generalversammlung im Jahr 1977 hat sie nur in einem knappen Drittel aller Fälle nicht mit der Mehrheit der UN-Mitglieder (von 149 sind 120 als Entwicklungsländer einzustufen) gestimmt. Vor allem in den sog. Dekolonialisierungsfragen („Question of Namibia“) war ihre Position stets mehrheitsfähig. In keinem Fall hat sie anders als die UdSSR abgestimmt.
Allerdings ist gleichzeitig eine unverminderte Fortsetzung ihrer Abgrenzungspolitik festzustellen, wobei vor allem die Debatten der UN-Vollversammlungen als internationales Forum genutzt werden. Dies wurde u. a. in der Rede von DDR-Außenminister Fischer während der Generaldebatte im September 1977 deutlich, in deren Verlauf beide deutsche Außenminister auch ihre Standpunkte zur deutschen Frage dargelegt hatten.
Gegenwärtig (1978) ist die DDR Mitglied in den folgenden Spezialorganisationen der UNO:
Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) seit 1972;
Wirtschaftskommission für Europa (ECE) seit 1973;
Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) seit 1973;
Internationale Fernmeldeunion (ITU) seit 1973;
Weltgesundheitsorganisation (WHO) seit 1973;
Weltpostverein (UPU) seit 1973;
Weltorganisation für Meteorologie (WMO) seit 1973;
Internationale Atomenergieorganisation (IAEA) seit 1973;
Internationale Beratende Seeschiffahrtsorganisation (IMCO) seit 1973;
Organisation für industrielle Entwicklung (UNIDO) seit 1973;
Internationale Organisation zum Schutz geistigen Eigentums (WIPO) seit 1974;
Internationale Arbeitsorganisation (ILO) seit 1974.
Ferner wurde die DDR u. a. für 2 Jahre (1974–1976) in den Wirtschafts- und Sozialrat der UN (ECOSOC) und den Verwaltungsrat für das UN-Umwelt-Programm (UNEP) gewählt.
Sie ist darüber hinaus Mitglied zahlreicher Unterorganisationen der UN: u. a. im Welternährungsrat, der Suchtstoffkommission, im Sonderausschuß gegen Apartheid, im Ausschuß für die friedliche Nutzung des Weltraums, dem Menschenrechtsausschuß, der Kommission für die Rechtsstellung der Frau, dem Ausschuß für natürliche Ressourcen und in der Konferenz des Abrüstungsausschusses.
Vom Haushaltsaufkommen der UN (1978/79 rd. 2 Mrd. DM) hat die DDR 1,33 v. H. (Bundesrepublik 7,70 v. H.) zu tragen.
Ohne Begründung bleibt die DDR bisher der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO), der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO), der Weltbank, dem Internationalen Wäh[S. 104]rungsfonds (IMF) und einigen weiteren Sonderorganisationen der UN fern.
Die DDR hat ca. 500 multilaterale völkerrechtliche Verträge mitunterzeichnet, darunter u. a. das Kernwaffenteststoppabkommen von 1963, den Nonproliferationsvertrag von 1968, den Vertrag über das Verbot der Stationierung von Kernwaffen auf dem Meeresboden von 1971 und die Konvention über das Verbot bakteriologischer Waffen von 1972.
Von besonderer Bedeutung ist die Ratifizierung der beiden Menschenrechtspakte (Bürgerrechts- und Sozialrechtspakt) der UN durch die DDR, die im Jahr 1976 völkerrechtlich in Kraft getreten sind (GBl. II, 1974, Nr. 6 u. 7). Der im Bürgerrechtspakt enthaltenen Berichtspflicht (Art, 40) ist die DDR im August 1977 nachgekommen. Aus dem von der DDR bisher nur unvollständig veröffentlichten Bericht über die Einvernahme ihres Vertreters durch eine Berichtskommission in Genf geht hervor, daß sie auf die meisten der über 130 Anfragen bezüglich Menschenrechtsverletzungen in der DDR nur sehr ungenau und in allgemeiner Form geantwortet hat. Dabei ist erneut deutlich geworden, daß die SED-Führung in der Darstellung der Menschenrechtsproblematik den sozialen Menschenrechten („Recht auf Arbeit“) den absoluten Vorrang vor den politischen einräumt.
Die DDR ist gegenwärtig Mitglied in einer Reihe zwischenstaatlicher Organisationen außerhalb der UN. So hat sie u. a. 1968 die Pariser Verbandsübereinkunft zum Schutz des gewerblichen Eigentums unterzeichnet und gehört, ebenfalls seit 1968, der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) an. Sie ist seit 1973 Mitglied des Internationalen Instituts für die Vereinheitlichung des Privatrechts (UNIDROIT) und hat im selben Jahr die beiden Internationalen Übereinkommen über den Eisenbahnfracht- und -Personenverkehr (CIM/CIV) unterzeichnet.
Darüber hinaus gehört die DDR gegenwärtig mehr als 250 nichtstaatlichen internationalen Organisationen wie z. B. der OIR („Organisation Internationale de Radiodiffusion“) und der internationalen Liga der Rotkreuzgesellschaften an und ist gleichberechtigtes Mitglied in allen internationalen Sportverbänden (seit 1968 auch im IOC).
Der Einzug der DDR in die UN stellt die SED-Führung aber auch vor neue Probleme.
Sie selbst charakterisiert ihre bisherige UN-Politik stets als „positiv, erfolgreich und konstruktiv“. Sie stelle einen Beitrag zur „koordinierten Außenpolitik“ der sozialistischen Staatengemeinschaft im Rahmen der UN dar. Immerhin wurde ein zu über 90 v. H. einheitliches Abstimmungsverhalten der 12 Staaten des sowjetischen Einflußbereiches erzielt, während die 9 EG-Staaten nur in rd. 65 v. H. aller Fälle einheitlich votierten.
Allerdings gibt es auch Schwierigkeiten mit den eigenen Verbündeten. So ist die DDR trotz Kandidatur bisher von ihrer Regionalgruppe nicht als nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrates vorgeschlagen worden, dem die Bundesrepublik Deutschland seit 1977 für 2 Jahre angehört.
Zu Konflikten können auch die bisher verweigerte finanzielle Wiedergutmachung an Israel und die Frage der Revision der UN-Charta führen. Während die UdSSR eine Revision bisher strikt ablehnt, befürworten sie gerade die Entwicklungsländer, die auf diese Weise die Privilegien (Vetorecht im Sicherheitsrat!) der Großmächte abbauen wollen. Ferner scheint der von der VR China forcierte Interessengegensatz zwischen den unterentwickelten Staaten und den Industrieländern (zu denen die DDR gerechnet wird) den traditionellen Ost-West-Konflikt auch im Rahmen der UN zu überlagern. Selbst wenn die SED die chinesische Haltung heute als „falsche Auffassung“, als „abstrakte Konstruktion“ und als „imperialistischen Konvergenzauffassungen entlehnt“ bezeichnet, wird sie sich auf Dauer den hier angelegten Konflikten nicht entziehen können.
VII. Zusammenfassung und Ausblick
Mit der völkerrechtlichen Anerkennung durch 123 Staaten (Juni 1978) ist für die DDR eine wichtige Phase ihrer A. abgeschlossen. In ihrem Verlauf ging es der DDR in erster Linie darum, durch Erlangung dieser Anerkennung einen Beitrag zur Existenzsicherung der DDR und damit zur Stärkung der Machtposition der SED zu leisten („günstige Bedingungen für den Aufbau des Sozialismus in der DDR“ zu schaffen). Die A. hatte damit in besonderem Maß eine innenpolitische Funktion und Dimension.
Dies bedeutet, daß jede außenpolitische Aktion, unabhängig von ihrer unmittelbaren konkreten „Nützlichkeit“. d. h. ihrem außenpolitischen Image-, Einfluß- und Zieldurchsetzungspotential, auch und vor allem im Hinblick auf die Förderung der politischen Stabilität des Herrschaftssystems der SED unternommen wird. Nur so ist die selektive Berichterstattung über außenpolitische Ereignisse in den Medien der DDR zu erklären: Die Bevölkerung hat aus der Presse der SED bisher so gut wie nichts über den Einsatz von Soldaten der Nationalen Volksarmee in Angola sowie in Äthiopien erfahren, dafür um so mehr von den Pflichten der „internationalen Solidarität“, die diese Aktivitäten ideologisch absichert und gleichzeitig den Eindruck erwecken soll, die A. der DDR befinde sich stets und überall in Übereinstimmung mit den geltenden humanen Prinzipien des allgemeinen Völkerrechts.
Die A. der DDR steht gegenwärtig vor folgenden grundlegenden Problemen:
1. Die DDR-Führung kann heute nicht mehr damit rechnen, daß ihren Problemen und Forderungen dieselbe internationale Aufmerksamkeit entgegengebracht wird wie in jenen Jahren, als sich ihre diplo[S. 105]matische Anerkennung noch als Druckmittel gegen den Westen im allgemeinen und die Bundesrepublik Deutschland im besonderen ausnutzen ließ. Ein Wandel im außenpolitischen Instrumentarium ist daher notwendig, wenn sich die SED-Führung nicht mit der ausschließlichen Vertretung ihrer Interessen durch die „koordinierte Außenpolitik“ ihrer kommunistischen Partner abfinden will.
2. Die seit dem VIII. Parteitag der SED (1971) zu beobachtende und sich auf dem IX. Parteitag (1976) fortsetzende, mit der Verfassungsänderung von 1974 und dem neuen Freundschaftsvertrag mit der UdSSR von 1975 jetzt auch staats- und völkerrechtlich normierte verstärkte Anlehnung und strikte Unterordnung unter die UdSSR hat das diplomatisch-politische Gewicht der DDR aus der Sicht westlicher Staaten nicht vergrößert, da ihr außenpolitischer Spielraum im Vergleich mit anderen osteuropäischen Staaten als sehr gering eingeschätzt wird.
3. In der konkreter werdenden Auseinandersetzung mit der Dritten Welt („Nord-Süd-Dialog“) wird sich die SED-Führung entscheiden müssen, ob sie aus Gefolgschaftstreue zur UdSSR die Rolle einer Solidarität predigenden „weißen“ Industriemacht weiterspielen will oder aber Moskau für eine stärkere Mitwirkung aller RGW-Staaten bei der Lösung der aktuellen Entwicklungsprobleme in Afrika, Asien und Lateinamerika gewinnen kann. Die DDR-Führung muß dabei auch bedenken, daß die Haltung der Entwicklungsländer in der deutschen Frage (bisher weitgehend: Gleichgültigkeit) keine unabänderliche Konstante ist, mithin für alle Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann, daß der ausgesprochene Wille des deutschen Volkes, soweit es in der Bundesrepublik Deutschland lebt, zur Wiedervereinigung die Unterstützung einer breiten Mehrheit in der UN findet.
Die Mitgliedschaft in der UN bedeutet auch, daß die DDR zu internationalen Streitfragen oder in Krisen- und Konfliktsituationen deutlicher als bisher Stellung nehmen muß.
In den Entwicklungsländern jedenfalls wird aufmerksam registriert, ob das Programm der sog. „koordinierten Außenpolitik“ der sozialistischen Staaten von einzelnen Ländern nicht dazu mißbraucht wird, sich einer eindeutigen Stellungnahme in internationalen Krisensituationen zu entziehen. Während Bündnistreue und eigenes Interesse keine A. der DDR wahrscheinlich machen, die auch nur dem Anschein nach in Widerspruch zu sowjetischen Interessen gerät, wird die DDR-Diplomatie in Zukunft ein hohes Maß an Beweglichkeit beweisen müssen, um in der Dritten Welt nicht als verlängerter Arm der Sowjetunion zu erscheinen. Im Kräfteviereck USA-UdSSR-VR China und Dritte Welt wird deutlicher als in der Vergangenheit werden, wo die SED-Führung eigene Interessen der bedingungslosen Anpassung an die Sowjetunion opfert. Der A. der DDR könnte damit eine eigenständigere Funktion als in der Vergangenheit zuwachsen.
4. Unter dem Zwang, die gerade erst geknüpften staatlichen Beziehungen zu entwickeln und nicht zu gefährden, wird die DDR den klassenkämpferischen Aspekt ihrer A. weiter zurückschrauben müssen. A. über die fortbestehenden Parteibeziehungen wird damit künftig eher subsidiär und zur Pflege revolutionärer Attitüde betrieben werden. Wie die SED in der neuen Phase ihrer Aktivität den selbstgestellten „Klassenauftrag“ („Sieg des Sozialismus/Kommunismus im Weltmaßstab“) und die Verfolgung eigenstaatlicher Interessen zu verbinden gedenkt, wird sich daran ablesen lassen, ob und inwieweit sie ihre von Klassenkampfvorstellungen geprägten außenpolitischen Ziele und Methoden traditionelleren, auf Ausgleich gerichteten Aktionsmustern anzupassen versteht und ob sie bereit und fähig ist, wirksame Strategien der Konfliktregelung entweder selbst zu entwickeln oder sie wenigstens zu akzeptieren.
Die Weigerung der SED-Führung, Vertreter in den Internationalen Gerichtshof zu entsenden oder dessen Entscheidungen zu akzeptieren (obwohl dort z. B. auch sowjetische Richter tätig sind), bedeutet eine schwerverständliche Absage an die friedliche Streitschlichtungskompetenz eines Sanktionsorgans der internationalen Staatengemeinschaft. Dies muß als Symptom gewertet werden, daß die A. der DDR noch um die Bestimmung ihrer weltpolitischen Koordinaten ringt.
Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten; Europapolitik der SED.
Johannes Kuppe
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 91–105
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