DDR von A-Z, Band 1979

XVIII. Sozialökonomische Grunddaten

 

Berlin (1979)

 

 

Siehe auch die Jahre 1953 1954 1956 1958 1959 1960 1962 1963 1965 1966 1969 1975 1985

 

I. Vereinbarungen der Siegermächte

 

 

Bestimmend für die Nachkriegsentwicklung der ehemaligen deutschen Reichshauptstadt waren die im Herbst 1944 von den USA. Großbritannien und der Sowjetunion getroffenen, einige Zeit später auch von Frankreich akzeptierten Vereinbarungen über die Aufteilung Deutschlands in Besatzungszonen (Londoner Protokoll vom 12. 9. 1944) und über die Kontrolleinrichtungen der Siegermächte (Londoner Abkommen vom 14. 11. 1944). Danach sollte das besiegte Deutschland „zum Zwecke der Besetzung“ in Zonen und „ein besonderes Berliner Gebiet“ („a special Berlin area“) gegliedert werden. B., d. h. Groß-B. in den durch das Gesetz vom 27. 4. 1920 festgelegten Grenzen, sollte in Sektoren aufgeteilt und einem „besonderen Besatzungssystem“ unterstellt werden.

 

Über die Absichten der Vier Mächte wurde die deutsche Bevölkerung durch 4 Deklarationen unterrichtet, die am 5. 6. 1945 — 4 Wochen nach der bedingungslosen Kapitulation des Hitler-Reiches — von den Militärgouverneuren Eisenhower, Schukow, Montgomery und de Lattre de Tassigny in B.-Karlshorst unterzeichnet wurden. Sie stellten darin fest, daß sie die oberste Regierungsgewalt in Deutschland übernommen hätten, ohne damit eine Annektierung des Landes zu beabsichtigen. In ihrer Feststellung über das gemeinsame Kontrollverfahren in Deutschland erklärten sie: „Die Verwaltung des Gebietes von Groß-Berlin wird von einer Interalliierten Behörde geleitet, die unter der Leitung des Kontrollrates arbeitet und aus vier Kommandanten besteht, deren jeder abwechselnd als Hauptkommandant fungiert. Sie werden von einem Stab von Sachbearbeitern unterstützt, der die Tätigkeit der örtlichen deutschen Behörden überwacht und kontrolliert.“ B. galt damit als Sitz des Vier-Mächte-Kontrollrates. Wie im Kontrollrat, so konnten auch in der Berliner Kommandantur Beschlüsse nur einstimmig gefaßt werden.

 

II. Bildung von Sektoren

 

 

Die auf Weisung Hitlers bis zuletzt mit äußerster Härte andauernden Kampfhandlungen endeten in B. am frühen Morgen des 2. 5. 1945, nachdem der letzte Berliner Stadtkommandant, General Weidling, die Kapitulation der deutschen Truppen in der Stadt vollzogen hatte. Unverzüglich gingen die sowjetischen Militärbehörden mit Unterstützung der aus Moskau heimgekehrten Gruppe Ulbricht daran, Bezirksverwaltungen und einen Magistrat von Groß-B. einzusetzen, um noch vor dem Einzug der westalliierten Garnisonen die neue Verwaltungsstruktur — vor allem in personeller Hinsicht — unter ihre Kontrolle zu bringen.

 

Amerikaner, Briten und Franzosen besetzten erst Anfang Juli ihre Sektoren in B., während die Sowjetarmee in Thüringen und Sachsen bis zur in London vereinbarten Zonengrenze vorrückte.

 

Zum amerikanischen Sektor von B. gehörten 6 Bezirke (Neukölln, Kreuzberg, Tempelhof, Schöneberg, Steglitz und Zehlendorf), zum britischen 4 (Tiergarten. Charlottenburg, Wilmersdorf und Spandau), zum französischen Sektor 2 Bezirke (Wedding und Reinickendorf). Die 3 Westsektoren umfaßten 54,4 v. H. der Fläche und 63,2 v. H. der Bevölkerung von Groß-B., das im August 1945 2,8 Mill. Einwohner zählte. Der sowjetische Sektor -45,6 v. H. der Fläche und 36,8 v. H. der Bevölkerung — bestand aus 8 Bezirken (Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain, Treptow, Köpenick, Lichtenberg, Weißensee und Pankow).

 

Eindeutige Regelungen für den Verkehr der westalliierten Garnisonen und der deutschen Zivilbevölkerung auf den Zugangswegen zwischen dem westdeutschen Besatzungsgebiet und den Westsektoren von B. sind 1944/45 nicht ausgehandelt worden. Der ehemalige amerikanische Hochkommissar in Deutschland, Lucius D. Clay, bemerkte in seinem Buch „Entscheidung in Deutschland“ einige Jahre nach Kriegsende, es sei aufschlußreich, festzustellen, daß in den Londoner Dokumenten „die gemeinsame Besetzung Berlins stand, daß aber in keinem der Zugang garantiert oder besondere Rechte zum Verkehr auf den Straßen, Schienen oder auf dem Luftwege festgelegt wurden“. Auf amerikanischer Seite glaubte man, sich mit der Feststellung begnügen zu können, daß das aus der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands abgeleitete Recht auf Anwesenheit in B. das Recht des ungehinderten Zugangs einschließe.

 

Ende November 1945 kamen die Vertreter der Vier Mächte auf der Grundlage eines Berichts ihres Luftfahrtdirektorats überein, drei jeweils 32 km breite Luftkorridore von B. nach Hamburg, Bückeburg (Hannover) und Frankfurt am Main sowie eine Kontrollzone mit einem vom Gebäude des Alliierten Kontrollrats ausgehenden Radius von 32 km festzu[S. 147]legen (Einzelheiten der Tätigkeit einer Luftsicherheitszentrale B. — Berlin Air Safety Center — legten die Vier Mächte in einer Vereinbarung vom 22. 10. 1946 fest). Diese Regelungen gelten auch heute noch für den Luftverkehr von und nach Berlin (West); sie haben sich trotz einiger Zwischenfälle in den Luftkorridoren bewährt und sind von den Botschaftern der Vier Mächte 1970/71 nicht in Frage gestellt und auch nicht durch neue Absprachen ersetzt oder ergänzt worden (s. Schaubild).

 

 

[S. 148]

 

III. Bildung von Parteien und Gewerkschaften

 

 

Die Situation B. war in der frühen Nachkriegszeit von den schweren Zerstörungen, die die Stadt vor allem in der letzten Phase des Krieges erlitten hatte, von dem Mangel an Nahrungsmitteln. Medikamenten, Wohnraum und von der daraus resultierenden Existenznot der Bevölkerung geprägt. Die chaotischen Verhältnisse verlangten eine Zusammenarbeit aller sich mit Zustimmung der Besatzungsbehörden formierenden politischen Kräfte. Nachdem die Sowjetische Militäradministration (SMAD) am 10. 6. 1945 in ihrem Befehl Nr. 2 die Bildung von politischen Parteien und Gewerkschaften zugelassen hatte, entstanden in rascher Folge 4 Parteien: KPD, SPD, CDU und LDPD. Ihre Berliner Gründer versuchten Verbindungen zu Gleichgesinnten in den fünf Ländern der Sowjetischen Besatzungszone und, soweit das überhaupt möglich war, auch ins westliche Deutschland zu knüpfen.

 

Zunächst wies die Entwicklung in den 4 Sektoren B. keine grundlegenden Unterschiede auf, zumal die westlichen Stadtkommandanten die vor ihrem Eintreffen von den Sowjets getroffenen Verfügungen im wesentlichen übernahmen. Ein erster ernster Konflikt mit unterschiedlichen Konsequenzen für den Sowjetsektor und die von den Westmächten kontrollierten Bezirke der Stadt deutete sich jedoch bereits im Frühjahr 1946 an, als die Kommunisten, unterstützt von der SMAD, die Verschmelzung von KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) durchsetzten. Eine Urabstimmung unter den sozialdemokratischen Parteimitgliedern konnte lediglich in den Westsektoren B. stattfinden — dabei sprachen sich mehr als 4/s der an der Abstimmung teilnehmenden Sozialdemokraten gegen die Verschmelzung mit den Kommunisten aus. Auf Beschluß der Vier Mächte wurden SPD und SED in allen 4 Sektoren zugelassen. (Die Ost-Berliner Gliederungen der SPD wurden formell erst nach dem Bau der Mauer 1961 aufgelöst, nachdem sie während der vorhergegangenen 13 Jahre in ihrer Öffentlichkeitsarbeit weitgehend beschränkt gewesen waren.)

 

Die am 13. 8. 1946 verkündete Vorläufige Verfassung von Groß-B. sah eine allgemeine, gleiche, unmittelbare und geheime Wahl der 130 Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung vor, die ihrerseits den Magistrat (Oberbürgermeister, 3 Bürgermeister und höchstens 16 weitere hauptamtlich besoldete Magistratsmitglieder) zu wählen hatten. Die von der Stadtverordnetenversammlung beschlossenen Gesetze bedurften ebenso wie die Verordnungen und Anweisungen des Magistrats der — einmütigen — Zustimmung der Vier-Mächte-Kommandantur.

 

Bei den Wahlen der Stadtverordneten und Bezirksverordneten in B. am 20. 10. 1946 entschieden sich 48,7 v. H. der Wähler für die SPD, die in allen 4 Sektoren den größten Stimmenanteil gewinnen konnte. Zweitstärkste Partei wurde die CDU mit 22,2 v. H. Die SED erhielt 19,8 v. H., die LDPD 9,3 v. H. der abgegebenen gültigen Stimmen.

 

IV. Konflikte zwischen der UdSSR und den Westmächten

 

 

Die sich im Laufe des Jahres 1947 verschärfenden Konflikte zwischen der Sowjetunion und den Westmächten erschwerten die Zusammenarbeit im Kontrollrat und in der Kommandantur. Die Sowjets blockierten durch ihren Einspruch die Wahl Ernst Reuters (SPD) zum Oberbürgermeister von B. Zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten entbrannte ein heftiger Streit innerhalb des Berliner FDGB. Sozialdemokratische und christliche Gewerkschaften zogen sich aus dem FDGB zurück, dessen Vorstand nach ihrer Überzeugung demokratische Grundregeln verletzte. Sie bildeten schließlich eine Unabhängige Gewerkschaftsorganisation (UGO), aus der später der Landesverband B. des DGB hervorging.

 

Der von den Sowjets 1945 eingesetzte Polizeipräsident Paul Markgraf (SED), dem die Stadtverordnetenversammlung im November 1947 das Mißtrauen aussprach, weigerte sich, Weisungen des Magistrats auszuführen und bevorzugte in seiner Personalpolitik Mitglieder der SED.

 

Am 20. 3. 1948 brach der Vier-Mächte-Kontrollrat auseinander — der sowjetische Vertreter verließ die Sitzung, nachdem er von seinen Kollegen Aufschluß über die von den Westmächten und den drei Benelux-Staaten auf der Londoner Sechs-Mächte-Konferenz erwogenen Pläne für die Bildung eines westdeutschen Staatswesens verlangt, aber nicht sofort erhalten hatte. Im Juni zogen sich die Sowjets auch aus der Kommandantur zurück.

 

Zuvor bereits — Anfang April 1948 — hatten ihre Eingriffe in den Verkehr der westalliierten Garnisonen auf den Zugangswegen Amerikaner und Briten zur Errichtung einer „kleinen Luftbrücke“ veranlaßt. Behinderungen des zivilen Personen- und Güterverkehrs zwischen B. (West) und dem westlichen Besatzungsgebiet waren seit der Jahreswende 1947/48 zahlreicher geworden.

 

V. Blockade Berlins

 

 

Nachdem am 18. 6. 1948 eine Währungsreform für die Westzonen verkündet worden war, führten auch die Sowjets — mit Wirkung vom 24. Juni — in ihrer Zone eine solche Reform durch. Sie verlangten, daß die DM-Ost als einziges gesetzliches Zahlungsmittel auch in allen 4 Sektoren von B. eingeführt werden sollte. Eine zentrale Notenbank mit dem Recht der Notenemission für ganz Deutschland sollte in Leipzig (SBZ) errichtet werden. Da die Westalliierten [S. 149]damit keine Kontrolle über die Ausgabe und den Umlauf der Noten gehabt hätten, lehnten sie den sowjetischen Vorstoß ab. Bevor ernsthafte Verhandlungen der Vier Mächte über die spezielle Berliner Währungssituation beginnen konnten, blockierten die Sowjets sämtliche Land- (am 19. 6.) und Wasserwege (am 8. 7.) von und nach B. (West).

 

Die Westmächte verwarfen den Plan, die versperrten Zugangswege mit militärischen Mitteln zu öffnen, und entschlossen sich, den Westteil der Stadt auf dem Luftwege zu versorgen. Die Luftbrücke erwies sich als eine außergewöhnliche technische und organisatorische Leistung, die die ursprünglich in sie gesetzten Erwartungen weit übertraf: Während der elfmonatigen Berliner Blockade wurden in annähernd 200.000 Flügen rund 1,44 Mill. t Güter — vor allem Kohle und Lebensmittel — nach B. transportiert.

 

Ab 24. 6. 1948 galten in den Westsektoren beide Währungen als gültige Zahlungsmittel, während im Ostsektor Besitz und Verwendung der DM-West bestraft wurden. Expertengespräche — auf der Ebene der Vier Mächte und schließlich auch im Rahmen der Vereinten Nationen — führten zu keiner Einigung über die Währungsfrage.

 

Von welchen politischen Motiven sich die Sowjetunion während der Blockade leiten ließ, verdeutlichte Marschall Sokolowski am 3. 7. 1948 bei einem Treffen mit den westlichen Militärgouverneuren: Die „technischen Schwierigkeiten“ auf den Zugangswegen, erklärte er, würden so lange anhalten, bis der Westen seine Vorbereitungen für die Gründung eines westdeutschen Staates eingestellt habe. Der schwere Konflikt um B. wurde auch mit psychologischen Mitteln ausgetragen: Es gelang den führenden Repräsentanten der nichtkommunistischen Parteien — vor allem Ernst Reuter die Bevölkerung in der blockierten Stadt zur mutigen und entschlossenen Abwehr der östlichen Pressionen zu ermuntern — eine Haltung, die von der Öffentlichkeit weltweit beachtet und respektiert wurde. Trotz spürbarer Versorgungsmängel machten nicht mehr als 5 v. H. der West-Berliner von der von der UdSSR eröffneten Möglichkeit Gebrauch, sich im Ostsektor als Käufer von Lebensmitteln registrieren zu lassen. Zu Beginn der Blockade besaß die Vier-Sektoren-Stadt zunächst noch eine einheitliche Verwaltung; Magistrat und Stadtverordnetenversammlung traten im Ost-Berliner Stadthaus zusammen. Nachdem aber bereits in der letzten August-Woche ernste Störungen der parlamentarischen Arbeit eingetreten waren, mußte am 6. 9. 1948 die ordnungsgemäße Sitzung der Stadtverordnetenversammlung wegen des gewaltsamen Eindringens kommunistischer Demonstranten abgebrochen werden. Die Mehrheit der Versammlung — mit Ausnahme der SED-Fraktion — beschloß, weitere Sitzungen in B. (West) abzuhalten. In den 8 Bezirksverwaltungen von B. (Ost) setzte daraufhin eine rigorose personelle „Säuberung“ ein ― ausgeschaltet wurden weitgehend alle Funktionsträger, die sich dem erklärten Ziel der SED widersetzten, eine volksdemokratische Ordnung wie in den anderen von der Sowjetunion kontrollierten osteuropäischen Ländern zu errichten.

 

Am 30. 11. 1948 trat unter dem Vorsitz des stellvertretenden Stadtverordnetenvorstehers Ottomar Geschke (SED) in B. (Ost) eine mehr als 1.600 Teilnehmer zählende Versammlung zusammen, der neben den 23 gewählten SED-Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung Delegierte des Demokratischen Blocks von B. (Ost), der Betriebe und verschiedener mit der SED verbündeter Massenorganisationen angehörten. Diese Versammlung erklärte den Magistrat von Groß-B. für abgesetzt und wählte einen neuen „provisorischen demokratischen Magistrat“ mit Friedrich Ebert (SED) als Oberbürgermeister an der Spitze. Diese auf B. (Ost) beschränkte Stadtverwaltung wurde von den Sowjets anerkannt. Damit war die administrative Spaltung B. vollzogen. Die nach der Vorläufigen Verfassung für ganz B. vorgeschriebenen Wahlen konnten am 5. 12. 1948 nur in den Westsektoren abgehalten werden. Die SED rief zum Wahlboykott auf — dennoch beteiligten sich 86,3 v. H. der Wahlberechtigten an der Abstimmung, bei der 64,5 v. H. sich für die SPD, 19,4 v. H. für die CDU und 16,1 v. H. für die LDPD entschieden. Nach dieser Wahl übernahm Ernst Reuter das Amt des Oberbürgermeisters von B., ohne seine verfassungsmäßigen Funktionen im Ostsektor noch wahrnehmen zu können. Die 3 Westmächte setzten — ohne sowjetische Beteiligung — ihre Zusammenarbeit in der Alliierten Kommandantur fort.

 

VI. Beendigung der Blockade

 

 

Nach erfolglosen Vier-Mächte-Verhandlungen in B., Moskau und vor den Vereinten Nationen kam es im Frühjahr 1949 zu sowjetisch-amerikanischen Gesprächen, die schließlich zum sog. Jessup-Malik-Abkommen führten: Ein am 4. Mai veröffentlichtes Vier-Mächte-Kommuniqué teilte mit, daß „alle Einschränkungen, die seit dem 1. 3. 1948 von der sowjetischen Regierung über Handel, Transport und Verkehr zwischen Berlin und den westlichen Besatzungszonen sowie zwischen der Ostzone und den westlichen Besatzungszonen verhängt wurden, am 12. 5. 1949 aufgehoben“ würden. Die Westmächte ordneten die Aufhebung ihrer Gegenblockade an und erklärten auf Drängen der Sowjetunion ihre Bereitschaft, am 23. 5. 1949 in Paris an einer neuen Außenministerkonferenz der Vier Mächte teilzunehmen.

 

Die Konferenz wurde am 20. 6. mit einem Kommuniqué beendet, in dem das New Yorker Abkommen vom 4. 5. bestätigt und darüber hinaus die gemeinsame Absicht bekundet wurde, ein „normales Funk[S. 150]tionieren und einen normalen Gebrauch der Schienen-, Wasser- und Straßenverbindungen für den Personen- und Güterverkehr sowie der Post-, Telefon- und Telegrafenverbindungen“ sicherzustellen. Die Besatzungsbehörden vereinbarten, „deutsche Sachverständige und geeignete deutsche Organisationen“ heranzuziehen.

 

Die im November 1948 vollendete Spaltung der Stadt konnte jedoch auch nach der Beendigung der Blockade nicht mehr rückgängig gemacht werden.

 

VII. Stellung Berlins zur Bundesrepublik Deutschland und zur DDR

 

 

Im Sommer und Herbst 1949 rückte ein neues Problem in den Mittelpunkt des politischen Interesses: die Stellung B. und seiner Teile zur Bundesrepublik Deutschland einerseits, zur DDR andererseits.

 

Der Parlamentarische Rat in Bonn hatte in seiner konstituierenden Sitzung in Bonn am 1. 9. 1948 beschlossen, 5 Abgesandte aus B. mit beratender Stimme an seinen Arbeiten teilnehmen zu lassen. Das vom Parlamentarischen Rat erarbeitete Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bezeichnete in seinem Artikel 23 Groß-B. als eines der 12 zum Geltungsbereich dieser provisorischen Verfassung gehörenden Länder. Dagegen betonten die Militärgouverneure der 3 Westmächte, ohne deren Zustimmung das Grundgesetz nicht in Kraft treten konnte, am 22. 4. 1949, ihre Außenminister könnten „gegenwärtig nicht zustimmen, daß Berlin als ein Land in die ursprüngliche Organisation der deutschen Bundesrepublik einbezogen wird“. In ihrem formellen Genehmigungsschreiben zum Grundgesetz präzisierten die Militärgouverneure am 12. 5. 1949 ihren Vorbehalt, indem sie erklärten. B. könne „keine abstimmungsberechtigte Mitgliedschaft im Bundestag oder Bundesrat erhalten und auch nicht durch den Bund regiert werden“; es dürfe „jedoch eine beschränkte Anzahl Vertreter zur Teilnahme an den Sitzungen dieser gesetzgebenden Körperschaften benennen“.

 

Die am 1. 9. 1950 verkündete Verfassung von B. besagte in ihrem Artikel 1: „1. Berlin ist ein deutsches Land und zugleich eine Stadt. 2. Berlin ist ein Land der Bundesrepublik Deutschland. 3. Grundgesetz und Gesetze der Bundesrepublik Deutschland sind für Berlin bindend.“ Der 2. und der 3. Absatz dieses Artikels würden „zurückgestellt“, erklärten die Alliierten in ihrem Genehmigungsschreiben zur Verfassung von B. am 29. 8. 1950: B. werde „während der Übergangsperiode keine der Eigenschaften eines zwölften Landes“ der Bundesrepublik Deutschland haben; Bestimmungen eines Bundesgesetzes könnten in B. erst Anwendung finden, „nachdem seitens des Abgeordnetenhauses darüber abgestimmt wurde und dieselben als Berliner Gesetz verabschiedet worden sind“.

 

Die am 7. 10. 1949 in Kraft gesetzte Verfassung der DDR bezeichnete in ihrem Artikel 2 B. als „Hauptstadt der Republik“. Die Bevölkerung des Ostsektors war aufgefordert worden, sich am 15. 5. 1949 an der Wahl zum Dritten Deutschen Volkskongreß zu beteiligen (wobei das offizielle, im Westen als manipuliert bezeichnete Wahlergebnis den Anteil derer, die mit „Ja“ für die Liste des Volkskongresses gestimmt haben sollten, mit 51,6 v. H., die Neinstimmen und die ungültigen Stimmen mitzusammen 48,4 v. H. der abgegebenen Stimmen angegeben hatte; das waren weniger ausgewiesene „Ja“-Voten als in den 5 Ländern der Sowjetischen Besatzungszone).

 

Nachdem die im Juli 1945 auf Weisung der SMAD gebildeten Zentralverwaltungen für die Länder der Sowjetischen Besatzungszone ihren Sitz in B. (Ost) genommen hatten und nachdem dort im Juni 1947 die Deutsche Wirtschaftskommission entstanden war, die den Kern des späteren Regierungsapparates der DDR darstellte, war B. (Ost) seit dem 7. 10. 1949 der Sitz aller wichtigen Ministerien, Behörden und Ämter der DDR. Dennoch nahm auch die östliche Seite zunächst Rücksicht auf den Vier-Mächte-Status der Stadt: Die Vertreter des Ostteils der Stadt in der provisorischen Volkskammer und in der provisorischen Länderkammer der DDR hatten kein volles Stimmrecht. DDR-Gesetze galten in B. (Ost) nicht automatisch, sondern erst nach Zustimmung des Magistrats. Die ersten Volkskammer-Wahlen am 15. 10. 1950 blieben — wie alle späteren Wahlen zur obersten Volksvertretung der DDR — auf die Länder (ab 1952 Bezirke) der DDR beschränkt; Ost-Berliner hatten kein aktives Wahlrecht für die Volkskammer — ebensowenig wie West-Berliner für den Deutschen Bundestag.

 

In den 50er Jahren bestanden zwischen Bewohnern beider Teile der gespaltenen Stadt vielfältige Kommunikationen — die Grenzen waren offen. Offizielle Kontakte zu dem nach westlicher Überzeugung nicht durch ein unanfechtbares demokratisches Votum der Bevölkerung legitimierten Magistrat in B. (Ost) lehnten Senat und nichtkommunistische Parteien jedoch ab.

 

Wiederholt kam es zu Zwischenfällen und angespannten Situationen — so während des Pfingsttreffens der FDJ 1950, während der Weltjugendfestspiele 1951, bei der Besetzung des Westteils von Staaken im Februar 1951 und bei der nach 5 Tagen wieder rückgängig gemachten Besetzung der Exklave Steinstücken durch Volkspolizei im Oktober 1951.

 

Seit dem 1. 9. 1951 erhoben die Behörden der DDR Straßenbenutzungsgebühren für alle Fahrten von zivilen Fahrzeugen auf den Zugangswegen. Nach der Unterzeichnung des Generalvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den 3 Westmächten ordnete der Ministerrat der DDR im Mai 1952 die Errichtung eines Kontroll- und Sperrgürtels zwi[S. 151]schen B. (West) und der DDR, die Schließung der aus den Westsektoren in die DDR-Bezirke führenden Straßenübergänge, soweit sie nicht dem Interzonenverkehr dienten, und die Unterbrechung der Telefonverbindungen innerhalb der gespaltenen Stadt an. West-Berlinern wurden Reisen in das Gebiet der DDR — außerhalb B. (Ost) — nur noch in Ausnahmen aufgrund von Sondergenehmigungen gestattet. Im Januar 1953 wurde der über die Sektorengrenzen führende Straßenbahn- und Autobus-Durchgangsverkehr auf Weisung der Behörden von B. (Ost) unterbrochen. Lediglich S- und U-Bahn-Linien verbanden weiterhin beide Teile der Stadt. Während des Juni-Aufstandes 1953 wurde die Sektorengrenze von sowjetischen Soldaten und Volkspolizisten zeitweilig hermetisch abgeriegelt.

 

Trotz dieser und anderer Spannungen machte der nach der Aufhebung der Blockade beschleunigt fortgesetzte Wiederaufbau von B. (West) rasche Fortschritte. Die im Frühjahr 1949 von den Westalliierten getroffene Entscheidung, daß die DM-West als einziges gesetzliches Zahlungsmittel in B. (West) gelten sollte, schuf die Voraussetzung für eine enge soziale und wirtschaftliche Verflechtung mit dem Bundesgebiet.

 

Das Dritte Überleitungsgesetz vom 4. 1. 1952 regelte die Stellung B. im Finanzsystem des Bundes. Der Bund gewährte B. eine Bundeshilfe in Gestalt von Zuschuß und Darlehen „zur Deckung eines auf andere Weise nicht auszugleichenden Haushaltsfehlbedarfs“. Um die künftige Hauptstadtfunktion B. zu unterstreichen und um zugleich angesichts der Anfang der 50er Jahre noch relativ hohen Arbeitslosenzahl weitere Arbeitsplätze zu schaffen, nahmen zahlreiche Bundesbehörden ihren Sitz in B. 1952 erließen die westlichen Alliierten Verfügungen, unter welchen Voraussetzungen B. in internationale Verträge der Bundesrepublik einbezogen werden sollte. Der im Mai 1955 in Kraft getretene Generalvertrag bestätigte im Artikel 2, daß die Westmächte die „bisher von ihnen ausgeübten oder innegehabten Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und auf Deutschland als Ganzes“ aufrechterhielten.

 

Auch die Sowjetunion unterstrich in ihrem am 20. 9. 1955 mit der DDR abgeschlossenen Vertrag die weitere Geltung ihrer Verpflichtungen „gemäß den bestehenden internationalen Abkommen, die Deutschland als Ganzes betreffen“. In einem den Vertrag ergänzenden Briefwechsel stellten beide Seiten fest, daß die DDR zwar die Bewachung und Kontrolle „am Außenring von Groß-Berlin, in Berlin sowie auf den im Gebiet der DDR liegenden Verbindungswegen zwischen der Deutschen Bundesrepublik und West-Berlin“ ausüben, daß aber die Kontrolle des Verkehrs der westlichen Garnisonen auf den Zugangswegen weiterhin den Sowjets obliegen sollte.

 

Bis in die zweite Hälfte der 50er Jahre nahmen die UdSSR und die DDR die Bemühungen, B. (West) enger mit der Bundesrepublik zu verbinden, relativ gelassen hin, sofern die Stadt dadurch nicht entgegen den alliierten Vorbehalten den Charakter eines voll in die Bundesrepublik integrierten Bundeslandes annahm (gegen die Abhaltung der Bundesversammlung 1954 in B. [West] erhob die östliche Seite keinen Einspruch. Die Presse der SED nahm die Wahl des Bundespräsidenten sogar zum Anlaß, den Wahlmännern einen Besuch im Ostsektor anzuraten).

 

UdSSR und DDR ergriffen eine Reihe von Maßnahmen, durch die der Status von B. (Ost) faktisch weitgehend dem der 14 DDR-Bezirke angeglichen wurde; dennoch blieben wichtige Elemente des Vier-Mächte-Status der Stadt auch in ihrem Ostteil wirksam.

 

VIII. Berlin-Ultimatum der UdSSR

 

 

Eine neue B.-Krise kündigte sich 1958 an: Nachdem der sowjetische Parteisekretär N. Chruschtschow in einer Rede am 10. 11. 1958 eine Beendigung des „Besatzungsregimes in Berlin“ verlangt und die Übertragung der von den Sowjets wahrgenommenen Funktionen auf die Organe der DDR angekündigt hatte, übermittelte die sowjetische Regierung den Westmächten am 27. 11. 1958 gleichlautende Noten, in denen sie die Londoner Vereinbarungen über die Besetzung und Kontrolle Deutschlands als nicht mehr in Kraft befindlich bezeichnete und eine grundlegende Veränderung der B.-Situation forderte: „Die richtigste und natürlichste Lösung dieser Frage wäre natürlich die Wiedervereinigung des westlichen Teils Berlins, der heute faktisch von der DDR losgelöst ist, mit dem östlichen Teil, wodurch Berlin zu einer vereinigten Stadt im Bestande des Staates würde, auf dessen Gebiet sie sich befindet.“ Angesichts der grundlegend verschiedenen Lebensformen in beiden Teilen B. sei die Sowjetregierung jedoch bereit, „bei Beendigung der Besetzung durch die Fremdmächte“ der West-Berliner Bevölkerung das Recht zuzugestehen, „bei sich eine Ordnung einzuführen, die sie selbst wünscht. Wenn die Bewohner Westberlins die gegenwärtigen Lebensformen, die auf privat-kapitalistischem Eigentum basieren, beizubehalten wünschen, so ist das ihre Sache. Die UdSSR ihrerseits wird jede diesbezügliche Entscheidung der Westberliner respektieren.“ Der Westteil der Stadt müsse jedoch in eine „selbständige politische Einheit — in eine Freie Stadt“ umgewandelt werden, „in deren Leben sich kein Staat, auch keiner der beiden bestehenden deutschen Staaten, einmischen dürfte“. Die Sowjetunion setzte den Westmächten eine Frist von 6 Monaten, innerhalb der die von ihr verlangte Regelung vereinbart werden sollte: „Sollte die genannte Frist nicht zur Erreichung einer entsprechenden Übereinkunft ausge[S. 152]nutzt werden, so wird die Sowjetunion durch ein Abkommen mit der DDR die geplanten Maßnahmen verwirklichen.“

 

Die sowjetischen Noten vom 27. 11. 1958 standen in engem Zusammenhang mit dem sowjetischen Friedensvertragsentwurf vom 10. 1. 1959. Der östliche Vorstoß war in erster Linie darauf gerichtet, eine Anerkennung der DDR durch die westliche Staatengemeinschaft zu erzwingen und zugleich Rüstungsbeschränkungen für die Bundesrepublik Deutschland — insbesondere ihren Verzicht auf Verfügungsmacht über nukleare Waffen — vertraglich zu verankern; der Druck auf die vorgeschobene Position des Westens in B. sollte dabei als Hebel dienen. Die Westmächte lehnten jedoch die sowjetischen Forderungen ab und bekräftigten ihre Garantien für den Westteil der Stadt (Anwesenheit der westalliierten Garnisonen, Sicherung der Zugangswege und der Lebensfähigkeit von B. [West]). Die Vier Mächte verhandelten im Sommer 1959 — unter Beteiligung zweier Beraterdelegationen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR — in Genf über das B.- und Deutschlandproblem. Sie erwogen zeitweilig eine interimistische Lösung des B.-Problems, erzielten aber keinen für alle Beteiligten akzeptablen Kompromiß.

 

In der Folgezeit erneuerte die Sowjetunion mehrfach ihre Forderung nach Umwandlung von B. (West) in eine „entmilitarisierte Freie Stadt“, wobei sie den Abschluß eines separaten Friedensvertrages mit der DDR für den Fall androhte, daß die Westmächte sich nicht zu einer einvernehmlichen friedensvertraglichen Regelung mit zwei deutschen Staaten bereit fänden.

 

Nach dem Scheitern der Pariser Gipfelkonferenz im Mai 1960 verschärfte sich die Situation erneut. Am 8. September führten die DDR-Behörden einen Passierscheinzwang für westdeutsche Besucher in B. (Ost) ein.

 

IX. Bau der Mauer

 

 

Unter den DDR-Bürgern nahm die Besorgnis zu, die Fluchtwege nach B. (West) könnten völlig versperrt werden. Ohnehin wies die Abwanderungsbewegung nach dem Abschluß der Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR eine rasch steigende Tendenz auf. In der Nacht vom 12. zum 13. 8. 1961 wurden die Grenzen in und um B. vollständig abgeriegelt. Der Bau der Mauer besiegelte die Teilung der Stadt und zerstörte die Kommunikation zwischen ihren Bevölkerungsgruppen. Den West-Berlinern wurde der Besuch Ost-B. verwehrt.

 

Die Westmächte protestierten zwar gegen die Errichtung der Sperren, sahen jedoch ihre eigenen Garantieverpflichtungen für B. (West) nicht berührt und nahmen die veränderte Lage schließlich hin. Die Bewegungsfreiheit ihrer Militärpersonen in B. (Ost) wurde eingeschränkt, aber nicht grundsätzlich angetastet.

 

Gegen Ende des Jahres 1963 öffnete das erste Passierscheinabkommen, das von einem Unterhändler des Senats und einem Vertreter der DDR-Regierung ausgehandelt worden war, einem Teil der West-Berliner wieder, wenn auch nur befristet, den Zutritt zum Ostteil ihrer Stadt. Die Passierscheinregelung konnte in den folgenden Jahren mehrfach erneuert werden. 1966 aber scheiterten Bemühungen um ein neues Abkommen, nachdem die DDR ihre Ansprüche erhöht und auf formellen Verhandlungen mit dem Senat bestanden hatte. Lediglich die Passierscheinstelle für dringende Familienangelegenheiten (Härtestelle) konnte ihre Tätigkeit — ohne vertragliche Absprache — fortsetzen.

 

In ihrem Bündnis- und Beistandsvertrag vom 12. 6. 1964 unterstrichen die Sowjetunion und die DDR, daß B. (West) als „selbständige politische Einheit“ betrachtet würde. Ähnliche Formulierungen enthielten alle bilateralen Verträge der DDR mit osteuropäischen Staaten und mit der Mongolischen Volksrepublik, die in den folgenden Jahren abgeschlossen wurden. War die östliche B.-Politik zunächst — Ende der 50er und in der ersten Hälfte der 60er Jahre — vor allem darauf gerichtet gewesen, die Position der drei Westmächte in B. abzubauen oder einzuschränken, so richtete sich der Hauptstoß der Sowjetunion und der DDR in der zweiten Hälfte der 60er Jahre gegen die Bindungen zwischen B. (West) und der Bundesrepublik Deutschland. Soweit auf den Vier-Mächte-Status der Stadt Bezug genommen wurde, geschah das in der Weise, als ob lediglich der westliche Teil der Stadt diesem Status unterworfen sei.

 

Proteste der DDR gegen die Anwesenheit des Bundespräsidenten, gegen Sitzungen von Bundestags- und Bundesratsausschüssen, gegen Parteitage westdeutscher Parteien waren wiederholt mit Eingriffen in den Verkehr auf den Zugangswegen verknüpft. Im April 1965 begleiteten demonstrative Tiefflüge von sowjetischen und DDR-Flugzeugen über B.(West) eine Plenarsitzung des Bundestages in der Kongreßhalle. Im März 1968 verhängte die DDR ein Ein- und Durchreiseverbot gegen Mitglieder der NPD, am 13. April gegen Minister und leitende Beamte der Bundesregierung. Am 11. 6. 1968 wurde schließlich auf den Zugangswegen von und nach B.(West) ein Paß- und Visumzwang eingeführt.

 

Den Standpunkt der DDR in der B.-Frage umriß W. Ulbricht am 1. 12. 1967 vor der Volkskammer bei der Begründung des Konzepts einer neuen DDR-Verfassung mit der Behauptung. B.(West) liege auf dem Territorium der DDR und gehöre „rechtlich zu ihr, sei aber zur Zeit noch einem Besatzungsregime unterworfen“; die DDR werde sich dafür einsetzen, daß „Schritt um Schritt auch die letzten Überreste des Zweiten Weltkrieges beseitigt werden“.

 

[S. 153]Die neue Verfassung der DDR, am 6. 4. 1968 durch eine — auch in B. (Ost) stattfindende — Volksabstimmung bestätigt und 2 Tage später verkündet, bezeichnete B. in ihrem Artikel 1 als „Hauptstadt der DDR“.

 

Im März 1969 nahm die DDR die Einberufung der Bundesversammlung nach B.(West) erneut zum Anlaß für erhebliche Behinderungen des Verkehrs auf den Zugangswegen.

 

X. Viermächte-Abkommen

 

 

Kurze Zeit zuvor hatte der amerikanische Präsident Nixon bei einem Besuch in B. erklärt, die Situation sei nicht zufriedenstellend, alle Beteiligten seien zum Handeln aufgerufen. Die Sowjetunion griff diese — von Bundesaußenminister Willy Brandt auf der Washingtoner NATO-Konferenz im April nachhaltig unterstützte — Anregung auf: Am 10. 7. 1969 unterstrich der sowjetische Außenminister Gromyko vor dem Obersten Sowjet, daß seine Regierung zu einem Meinungsaustausch mit den ehemaligen Kriegsalliierten bereit sei, um künftig „Komplikationen“ um B. (West) zu verhüten.

 

Am 26. 3. 1970 trafen die Botschafter der Vier Mächte zu ihrem ersten Gespräch im Gebäude des ehemaligen Alliierten Kontrollrats in B. (West) zusammen. Ihre Verhandlungen, die sowohl in engen Konsultationen zwischen den 3 Westmächten und der Bundesrepublik als auch in ständigen Kontakten zwischen der UdSSR und der DDR vorbereitet wur[S. 154]den, führten schließlich am 3. 9. 1971 zu dem Viermächte-Abkommen, das am 3. 6. 1972 von den Außenministern unterzeichnet und in Kraft gesetzt wurde. Der Erfolg der Botschaftergespräche über B. war erst durch den Abschluß der Verträge von Moskau und Warschau 1970 ermöglicht worden.

 

 

In der Präambel ihres Abkommens stellten die Vier Mächte fest, daß sie auf der Grundlage ihrer bestehenden Rechte und Verantwortlichkeiten, „die nicht berührt werden“, unter „Berücksichtigung der bestehenden Lage in dem betreffenden Gebiet“ und „unbeschadet ihrer Rechtspositionen“ zu „praktischen Verbesserungen der Lage“ beizutragen wünschten. Sie klammerten also unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten über Grundsatzfragen aus und suchten „praktische“ Regelungen im Hinblick auf 3 Komplexe: Zugang, Zutritt und Zuordnung (die „drei Z“).

 

Ausgehend von einem Abschnitt „Allgemeine Bestimmungen“ (Verzicht auf Androhung und Anwendung von Gewalt, friedliche Streitschlichtung, Respektierung der individuellen und gemeinsamen Rechte und Verantwortlichkeiten der 4 Regierungen, Bereitschaft, die Lage, die sich „in diesem Gebiet entwickelt hat“, nicht „einseitig“ zu verändern) legten die Mächte „Bestimmungen, die die Westsektoren Berlins betreffen“, fest.

 

Hinsichtlich des seit fast einem Vierteljahrhundert umstrittenen Problems des Zugangs zu Lande und zu Wasser erklärte die Sowjetunion, daß „der Transitverkehr von zivilen Personen und Gütern zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland auf Straßen, Schienen- und Wasserwegen durch das Territorium der Deutschen Demokratischen Republik ohne Behinderungen sein wird, daß dieser Verkehr erleichtert werden wird, damit er in der einfachsten und schnellsten Weise vor sich geht und daß er Begünstigungen erfahren wird“. Im einzelnen wurde diese grundlegende Zusicherung durch den am 17. 12. 1971 von den Staatssekretären Bahr (Bundesrepublik Deutschland) und Kohl (DDR) in Bonn unterzeichneten Transitvertrag präzisiert.

 

Hinsichtlich des seit vielen Jahren unterbrochenen Zutritts der West-Berliner zum Ostteil B. und zu den DDR-Bezirken gab die Sowjetunion die Zusicherung, „daß die Kommunikationen zwischen den Westsektoren Berlins und Gebieten, die an diese Sektorengrenzen, sowie denjenigen Gebieten der Deutschen Demokratischen Republik, die nicht an diese Sektorengrenzen, verbessert werden“ und daß Personen mit ständigem Wohnsitz in den Westsektoren B. aus „humanitären, familiären, religiösen, kulturellen oder kommerziellen Gründen oder als Touristen“ in diese Gebiete reisen und sie besuchen könnten. Mit der Formulierung „Gebiete, die an diese Sektorengrenzen“ war B. (Ost) gemeint — die Westmächte wünschten eine ausdrückliche Bezeichnung der Hauptstadtfunktion von B. (Ost) zu vermeiden. Der Kreis derer, denen das Abkommen den Zutritt zum umliegenden Gebiet öffnete, ging — zahlenmäßig personell, zeitlich und räumlich — weit über diejenigen hinaus, die in den Jahren von 1963 bis 1966 von den Passierscheinabkommen Gebrauch machen konnten.

 

Im einzelnen wurde diese Zutrittsregelung in Verhandlungen zwischem dem Senat von B. und der Regierung der DDR präzisiert, die am 20. 12. 1971 mit einer von Senatsdirektor Ulrich Müller und DDR-Staatssekretär Günter Kohrt unterzeichneten Vereinbarung über Erleichterungen und Verbesserungen des Reise- und Besucherverkehrs beendet wurden.

 

Ebenfalls am 20. 12. 1971 trafen Senat und DDR-Regierung eine Vereinbarung über die Regelung der Frage von Enklaven durch Gebietstausch — sie gestattete es dem Senat von B., den Ortsteil Steinstücken durch eine neue, von der DDR nicht mehr kontrollierte Straße fest mit dem Bezirk Zehlendorf zu verbinden.

 

Zu den schwierigsten Problemen, mit denen sich die Botschafter der 4 Alliierten während ihrer anderthalbjährigen Verhandlungen beschäftigen mußten, gehörte die Zuordnung B. (West) zur Bundesrepublik Deutschland, also der gesamte Komplex der in mehr als 2 Jahrzehnten gewachsenen Bindungen wirtschaftlicher, finanzieller, sozialer, juristischer und kultureller Art.

 

Die 3 Westmächte erklärten in dem Abkommen vom 3. 9. 1971, daß „die Bindungen zwischen den Westsektoren Berlins und der Bundesrepublik Deutschland aufrechterhalten und entwickelt“ würden, wobei sie berücksichtigten, daß „diese Sektoren so wie bisher kein Bestandteil (konstitutiver Teil) der Bundesrepublik Deutschland“ seien und „auch weiterhin nicht von ihr regiert“ würden. Diese Erklärung wurde in einer Mitteilung der 3 Westmächte an die UdSSR in Anlage II des Abkommens näher erläutert.

 

In einem Brief an Bundeskanzler Brandt stellten die Botschafter der 3 Westmächte in Ergänzung zu Anlage II erläuternd fest, daß Repräsentanten und Organe der Bundesrepublik keine „unmittelbare Staatsgewalt über die Westsektoren Berlins“ ausüben könnten, daß keine Sitzungen der Bundesversammlung, des Bundestages und des Bundesrates in B. (West) stattfinden dürften, daß aber auch künftig „einzelne Ausschüsse des Bundestages und des Bundesrates … im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen“ im Westteil der Stadt tagen könnten: „Im Falle der Fraktionen werden Sitzungen nicht gleichzeitig abgehalten werden.“

 

Westmächte und Bundesregierung ließen sich dabei von der Ansicht leiten, daß ein Verzicht auf demonstrative Bundespräsenz möglich sei, nachdem die [S. 155]UdSSR sich zur Hinnahme der substantiellen Bundespräsenz in Gestalt der zahlreichen in B. (West) seit langem bestehenden Bundesbehörden bereitgefunden hatte. In einer Anlage zum Viermächte-Abkommen bestätigte die Sowjetunion, sie habe — „unter der Voraussetzung, daß Angelegenheiten der Sicherheit und des Status nicht berührt werden“ — ihrerseits keine Einwände gegen eine „konsularische Betreuung für Personen mit ständigem Wohnsitz in den Westsektoren Berlins“ durch die Bundesrepublik. Die Sowjetunion stimmte der Ausdehnung der von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge und Abmachungen auf B. (West) „in Übereinstimmung mit den festgelegten Verfahren“ zu. Sie akzeptierte schließlich auch die Vertretung der Interessen von B. (West) in internationalen Organisationen und auf internationalen Konferenzen durch die Bundesrepublik Deutschland.

 

Die Westmächte stimmten der Errichtung eines sowjetischen Generalkonsulats in B. (West) zu. Geklärt wurde schließlich auch, unter welchen Voraussetzungen West-Berliner Reisende sich in der Sowjetunion durch Pässe der Bundesrepublik Deutschland ausweisen könnten. (Die DDR hatte im September 1960 die Ausgabe von Pässen der Bundesrepublik Deutschland an Einwohner von B. [West] als „rechtswidrig“ bezeichnet und die Anerkennung dieser Personaldokumente verweigert.)

 

XI. Entwicklung seit 1972

 

 

Seit der Unterzeichnung des Viermächte-Abkommens und seiner unmittelbar daran anschließenden Inkraftsetzung am 3. 6. 1972 hat sich die Lage in und um B. (West) deutlich verbessert, obwohl nicht zu übersehen ist. daß die beteiligten Mächte Verhandlungsergebnisse erzielt haben, die in Ost und West z. T. unterschiedlich interpretiert werden. Indessen waren die erneut auftretenden Meinungsverschiedenheiten in der B.-Frage bisher nicht so schwerwiegend, daß der im Viermächte-Abkommen vorgesehene Konsultationsmechanismus in Gang gesetzt werden mußte.

 

Der Senat von B., der seit 1973 dem Abgeordnetenhaus jährlich einen Bericht über die Durchführung des Viermächte-Abkommens erstattet, stellte im sechsten dieser Berichte vom Juli 1978 fest: „Die praktischen Verbesserungen, auf die das Abkommen ausweislich seiner Präambel vor allem abzielt, haben im Kern reibungslos funktioniert. Sie sind inzwischen im Bewußtsein der Berliner zum selbstverständlichen Bestandteil des täglichen Lebens geworden“ (Abgeordnetenhaus von Berlin — Drucksache 7/1353, S. 2). Während die Westmächte ebenso wie die Bundesregierung und der Senat davon ausgehen, daß das Abkommen dem Fortbestand des Viermächtestatus von ganz B. Rechnung trägt und sich auf ganz B. bezieht, daß also die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte weiterhin auch in B. (Ost) bestehen, behaupten die Sowjetunion und die DDR, das Abkommen beziehe sich lediglich auf B. (West), weil „Berlin als Hauptstadt der DDR überhaupt nicht Gegenstand der Verhandlungen zwischen den vier Mächten war“ — so E. Honecker in seinem Interview mit der „Saarbrücker Zeitung“ im Juli 1978. Darin betonte er gleichzeitig, das Abkommen habe sich „in der Praxis bewährt“, und „keine Seite sollte es auf seine Belastbarkeit testen“, es gehe darum, seine Bestimmungen „strikt einzuhalten und voll anzuwenden“ (ND. 7. 7. 1978).

 

Die Formel von der „strikten Einhaltung und vollen Anwendung“ des Viermächte-Abkommens war im Mai 1973 von Bundeskanzler W. Brandt und dem Generalsekretär der sowjetischen KP, L. Breschnjew, bei dessen erstem Besuch in Bonn vereinbart worden. Sie ist in der Folgezeit in zahlreichen Reden und Kommuniqués von Politikern, Diplomaten und Publizisten der beteiligten Länder verwendet worden (so auch während des zweiten Besuchs von L. Breschnjew in der Bundesrepublik Deutschland im Mai 1978). Indessen konnte bisher kein Einvernehmen darüber erzielt werden, wie die „strikte Einhaltung“ der von der östlichen Seite immer wieder betonten Bestimmung, daß die Westsektoren B. „wie bisher kein Bestandteil (konstitutiver Teil) der Bundesrepublik Deutschland sind“, mit der „vollen Anwendung“ der von den westlichen Alliierten und der Bundesregierung stets hervorgehobenen Formulierung im Abkommen von der Aufrechterhaltung und Entwicklung der Bindungen zwischen B. (West) und der Bundesrepublik Deutschland zu vereinbaren ist.

 

Die UdSSR und die DDR protestierten wiederholt gegen die Anwesenheit von führenden Politikern der Bundesrepublik in B. (West), gegen Tagungen von Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Landesparlamente, von Parlamentsausschüssen und Ministerkonferenzen, einschließlich der Ministerpräsidenten-Konferenzen der Länder. Sie erhoben scharfe Einwände gegen die Errichtung des Bundesumweltamtes in B. (West) im Jahre 1974 sowie gegen die Tätigkeit von schon seit langem in der Stadt anwesenden Bundeseinrichtungen.

 

In der zweiten Hälfte der 70er Jahre wandte sich die UdSSR mit wachsendem Nachdruck gegen die Einbindung von B. (West) in die Europäische Gemeinschaft. Die 3 Westmächte betonten dagegen, daß die Entsendung von West-Berliner Abgeordneten in das Europäische Parlament den Status B. nicht verändere.

 

Im Frühjahr 1978 legten die Außenministerien der UdSSR und der DDR eine umfangreiche Dokumenten-Sammlung vor („Das Vierseitige Abkommen über Westberlin und seine Realisierung“. Berlin [Ost] 1978). Daraus ist zu entnehmen, daß sich die östliche Seite auch in Zukunft vor allem dem weite[S. 156]ren Ausbau der Bindungen zwischen B. (West) und der Bundesrepublik Deutschland und der Außenvertretung der Stadt durch den Bund entgegenzustellen beabsichtigt.

 

Zwar hat die Bundesrepublik seit 1972 mit Ländern des Warschauer Paktes 40 Abkommen schließen können, in die B. (West) ausdrücklich einbezogen worden ist. Jedoch kamen wegen Meinungsverschiedenheiten über eine B.-Klausel 3 deutsch-sowjetische Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit. Rechtshilfe und kulturellen Austausch bisher nicht zustande.

 

Ohne wesentliche Schwierigkeiten gestaltete sich die konsularische Betreuung von West-Berlinern durch diplomatische Missionen der Bundesrepublik Deutschland in osteuropäischen Ländern. Diese Staaten lehnen allerdings die konsularische Betreuung juristischer Personen aus B. (West) nach wie vor ab. Daß die Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in B. (Ost) die Interessen von B. (West) „in Übereinstimmung mit dem Viermächte-Abkommen“ vertritt, ist unumstritten. Die Stadt wurde auch in die zwischen beiden deutschen Staaten bisher abgeschlossenen, den Grundlagenvertrag ergänzenden Folgeverträge über die Zusammenarbeit im Gesundheitswesen, den nichtkommerziellen Zahlungsverkehr und das Post- und Fernmeldewesen einbezogen.

 

Weit mehr als vor dem Inkrafttreten des Viermächte-Abkommens im Jahr 1972 beteiligten sich Staaten des Warschauer Paktes an internationalen Kongressen, Tagungen, Festspielen, Ausstellungen und Messen in B. (West). Bei derartigen Veranstaltungen in osteuropäischen Ländern sind jedoch mehrfach Bestrebungen erkennbar geworden, Teilnehmer aus B. (West) von denen aus der Bundesrepublik protokollarisch zu unterscheiden.

 

In ihrem Freundschafts- und Beistandsvertrag vom 7. 10. 1975 kündigten die UdSSR und die DDR an, sie würden „ihre Verbindungen zu Westberlin ausgehend davon unterhalten und entwickeln, daß es kein Bestandteil der Bundesrepublik Deutschland ist und auch weiterhin nicht von ihr regiert wird“ (GBl. II, 1975, S. 239). Die ständige Wiederholung dieser Formel, die auch in andere bilaterale Verträge der DDR mit osteuropäischen Ländern Eingang fand, war darauf gerichtet, die Aussagen der 3 Westmächte über den Charakter der Bindungen zwischen B. (West) und der Bundesrepublik Deutschland zu relativieren.

 

Ungeachtet dieser Meinungsverschiedenheiten bewährte sich das Viermächte-Abkommen jedoch vor allem im Transitverkehr und bei den Besuchen von West-Berlinern in B. (Ost) und in der DDR.

 

XII. Der Transitverkehr 1972--1978

 

 

Die Zahl der von und nach B. (West) beförderten Personen war 1977 mit 22,1 Mill. nahezu viereinhalbmal so groß wie 1957 (4,9 Mill.) und doppelt so groß wie 1967 (11,1 Mill.). Im Jahr 1977 benutzten 15,82 Mill. Reisende die Transit-Autobahnen und -Straßen, 2,27 Mill. die Eisenbahnverbindungen. 4,04 Mill. Reisende sind im Luftverkehr von und nach B. (West) gezählt worden.

 

Im Transitverkehr auf den Landwegen wurden im Jahr 1977 162 Personen festgenommen — überwiegend wegen des Vorwurfs der Fluchthilfe oder wegen schwerer Verkehrsdelikte. Über den Grund der Festnahme ist die Bundesregierung von den zuständigen Organen der DDR vertragsgemäß, wenn auch gelegentlich sehr spät unterrichtet worden. Obwohl im letzten Quartal des Jahres 1977 die Zahl der Durchsuchungen von Transitreisenden auffällig zunahm, mußte sich im Jahresdurchschnitt jeweils nur einer von 6.500 Transitreisenden einer unbegründeten Verdachtskontrolle unterziehen. Unbegründet deshalb, weil sich der von den Grenzorganen der DDR geäußerte Verdacht eines Mißbrauchs der Transitwege bei der Durchsuchung nicht bestätigte. Aufgrund nachdrücklicher Einwände der Bundesregierung ist jedoch der Umfang der Verdachtskontrollen im Frühjahr 1978 wieder vermindert worden. Die Bundesregierung hat wiederholt betont, daß sie strafrechtlich nur im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften gegen offensichtlich kriminelle Aktivitäten von kommerziellen Fluchthilfeorganisationen einschreiten kann.

 

Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Transitabkommens waren Gegenstand intensiver Beratungen in der deutsch-deutschen Transitkommission, die regelmäßig zusammen trat und der es gelang, eine Fülle schwieriger Einzelfragen einvernehmlich zu klären. Strittig blieben allerdings einige schwererwiegende Eingriffe der DDR in den Transitverkehr — so im Januar 1974 bei einer angeblichen Fahndung nach sowjetischen Deserteuren, im Juli 1974 nach der Errichtung des Umweltbundesamtes, am 13. 8. 1976, als Teilnehmer einer Kundgebung in B. (West) zum 15. Jahrestag des Mauerbaus an der Grenze zur DDR in Helmstedt zurückgewiesen wurden, und erneut am 16. 6. 1978, als es zu Behinderungen im Reiseverkehr kam. Die Bundesregierung hat dagegen jeweils Protest eingelegt.

 

In der zweiten Hälfte der 70er Jahre ist mit dem Ausbau der Transitwege begonnen worden. Den am 19. 12. 1975 zwischen den beiden deutschen Regierungen geschlossenen Vereinbarungen gemäß begann im Januar des folgenden Jahres die Grunderneuerung der Autobahn B.-Helmstedt einschließlich des Ausbaus des B.-Ringes.

 

Durch eine verkürzte Streckenführung über Staaken konnte ferner die Fahrtzeit der Züge zwischen B. und Hamburg um eine halbe Stunde verkürzt werden. Zur Verbesserung des Eisenbahnverkehrs trug auch die Eröffnung dreier neuer Fernbahnhöfe in B. (West) bei: Charlottenburg, Wannsee und Spandau. [S. 157]Intensive Verhandlungen im Laufe des Jahres 1978 führten am 16. 11. zur Unterzeichnung weiterer wichtiger Vereinbarungen: Die Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR kamen überein, eine Autobahnverbindung zwischen B. (West) und Hamburg zu schaffen, die nach 4jähriger Bauzeit die Fernstraße F 5 als Transitstrecke ersetzen soll (Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten; Deutschlandpolitik der SED).

 

XIII. Wirkungen des Besuchs- und Reiseabkommens

 

 

Nachdem in den Oster- und Pfingsttagen des Jahres 1972 bereits 1,24 Mill. Besuche von West-Berlinern im Ostteil der Stadt und in den Bezirken der DDR registriert worden waren, machten die Bewohner der Stadt in den folgenden Jahren von den Möglichkeiten des Abkommens über den Besucher- und Reiseverkehr lebhaft Gebrauch. Lediglich nach der Verdoppelung des von der DDR geforderten Mindestumtausches von Zahlungsmitteln im November 1973 verringerte sich die Zahl der Besuche um mehr als ein Drittel. Diese den Reise- und Besucherverkehr erschwerenden Maßnahmen der DDR sind jedoch nach einem Jahr weitgehend zurückgenommen worden.

 

Insgesamt wurden in der Zeit von Juni 1972 bis Mai 1978 19,58 Mill. Besuche von West-Berlinern in B. (Ost) und in der DDR registriert. In diesem Zeitraum mußten sich die West-Berliner Behörden mit 8.466 Beschwerden über die Handhabung dieser Regelung befassen. 1884 Beschwerden sind zwischen den Beauftragten des Senats und der Regierung der DDR erörtert worden. Dabei beanstandete der Senatsvertreter die vor allem seit Anfang 1977 zu beobachtende Häufung von Zurückweisungen an der Grenze. Insbesondere wurden wiederholt jene West-Berliner zurückgewiesen, die legal aus der DDR in den Westen übergesiedelt waren oder eine Familienzusammenführung mit DDR-Bürgern anstrebten. Der Gesamtzahl von mehr als 19 Mill. Besuchen in B. (Ost) und in der DDR während der ersten 6 Jahre nach dem Inkrafttreten des Viermächte-Abkommens stehen 2.806 Fälle von Einreiseverweigerungen gegenüber. Nach Ansicht des Senats waren in 1274 Fällen die Zurückweisungen begründet, da die Betroffenen gegen Gesetze der DDR verstoßen hatten. In 1474 Fällen hielt der Senat eine Überprüfung der Verweigerungen für notwendig, in 196 Fällen gelang es, die DDR zu einer Rücknahme ihrer Entscheidung zu bewegen, 1278 Fälle blieben dagegen strittig.

 

XIV. Ergänzende praktische Regelungen

 

 

Auch die Ausweitung des Post- und Telefonverkehrs zwischen B. (West) und B. (Ost) sowie der DDR hat wesentlich zur Verstärkung menschlicher Kontakte beigetragen. Der im Mai 1952 unterbrochene Telefonverkehr zwischen beiden Teilen der Stadt konnte Ende Januar 1971 wieder aufgenommen werden. Im Sommer 1978 wurden von B. (West) aus täglich rd. 20.000 Telefongespräche mit B. (Ost) und etwa 3.000 Gespräche mit Teilnehmern in der DDR geführt. Es existierten zu diesem Zeitpunkt 305 Leitungen von B. (West) nach B. (Ost) (davon 300 vollautomatische Leitungen) sowie 64 Leitungen in die DDR-Bezirke (52 vollautomatische und 12 für handvermittelte Gespräche). In umgekehrter Richtung führten 60 Leitungen (durchweg vollautomatisch) von B. (Ost) und 24 Leitungen (davon 12 vollautomatisch) aus der DDR nach B. (West).

 

Die im Viermächte-Abkommen vorgesehene Regelung des Problems kleiner Enklaven führte zu einem Gebietstausch (17,1 ha an B. [West], 15,6 ha an die DDR). Dieser ersten Vereinbarung, die vor allem die Enklaven Steinstücken und Eiskeller betraf, folgte im Juli 1972 eine weitere Absprache über die Abtretung einer rd. 8,5 ha großen Fläche in der Nähe des ehemaligen Potsdamer Bahnhofs an B. (West). Dies ermöglichte es dem Senat, eine wichtige innerstädtische Entlastungsstraße zwischen den Bezirken Kreuzberg und Charlottenburg bzw. Tiergarten zu bauen.

 

Im Februar 1974 ist zwischen der dem Ministerium für Verkehrswesen der DDR unterstehenden Deutschen Reichsbahn und der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen eine Grundsatzvereinbarung über den Bau eines neuen Güterbahnhofs in B. (West) und im Zusammenhang damit über einen umfangreichen Gebietstausch („Schöneberger Südgelände“) erzielt worden. Einzelheiten waren Gegenstand von Expertengesprächen in den folgenden Jahren, die im März 1979 erfolgreich abgeschlossen wurden. Verhandlungen über einen vom Senat gewünschten Gebietstausch im Norden von B. („Frohnauer Entenschnabel“) blieben bisher ergebnislos. Einigkeit über die Öffnung eines neuen Grenzübergangs an der nördlichen Stadtgrenze von B. (West) — in Heiligensee — wurde im November 1978 im Rahmen der Vereinbarung über den Bau der Autobahn Berlin-Hamburg erzielt.

 

Nach zweieinhalbjährigen Verhandlungen tauschten Beauftragte des Berliner Senats und der Regierung der DDR am 29. 10. 1975 Briefe aus, in denen die Zuständigkeiten für Rettungsmaßnahmen bei Unglücksfällen in Gewässern an der Sektorengrenze geregelt worden sind.

 

Beide Seiten kamen in einem 1974 abgeschlossenen 20-Jahr-Vertrag überein, daß Abfallstoffe aus B. (West), insbesondere Siedlungsmüll, gegen Entgelt in Deponien der DDR verbracht werden. (Schon 1968 war eine Vereinbarung über die Abnahme von Abwässern aus B. [West] getroffen worden.)

 

Für die Binnenschiffahrt waren schließlich eine im [S. 158]Dezember 1977 erzielte Absprache über den Bau einer zweiten, größeren Kammer der Spandauer Schleuse in B. (West) und die im November 1978 verbindlich in Aussicht genommenen Vorhaben (Öffnung des Teltowkanals für den durchgehenden Schiffsverkehr und Reparatur der Transitwasserstraßen einschließlich des Schiffshebewerkes Rothensee) bedeutsam.

 

XV. Völkerrechtliche Problematik und Status von Berlin (Ost)

 

 

Die Vier Mächte waren sich beim Abschluß ihres B.-Abkommens am 3. 9. 1971 der Tatsache bewußt, daß zwischen ihnen wie bisher keine Übereinstimmung über den Rechtsstatus der Vier-Sektoren-Stadt B. bestand. Die Westmächte und die UdSSR wahrten ihre unterschiedlichen Rechtsauffassungen auch in der Folgezeit: Die USA. Großbritannien und Frankreich halten daran fest, daß ihr Recht auf Anwesenheit in der ehemaligen deutschen Reichshauptstadt aus der bedingungslosen Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. 5. 1945 und aus der „occupatio bellica“, d. h. aus der wirksamen Inbesitznahme eines Gebietes im Verlaufe einer Kriegshandlung, resultiert und insofern von einer Zustimmung der UdSSR nicht abhängig ist. Nach Überzeugung der Westalliierten und in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Völkerrecht schließt das originäre Recht auf Anwesenheit in B. das Recht des ungehinderten Zuganges ein.

 

Die Westmächte haben auch nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur DDR und nach Eröffnung ihrer Botschaften in B. (Ost) wieder betont, daß der Viermächte-Status in ganz B. fortbesteht und daß dieser Status auch künftig weder von der UdSSR und erst recht nicht von der DDR, der als Nicht-Signatarstaat überhaupt keinerlei Rechte zukommen, einseitig aufgekündigt werden kann, sondern erst mit Beendigung besatzungsrechtlicher Funktionen und Zustimmung aller 4 ehemaligen Siegermächte verändert bzw. aufgehoben werden kann. Würde die UdSSR das Viermächte-Abkommen vom 3. 9. 1971 einseitig aufkündigen oder kämen die beteiligten Regierungen überein, weitere ergänzende Abmachungen zu treffen, so würde das nach westlicher Auffassung den Viermächte-Status nicht berühren.

 

Amerikanische, britische und französische Militärpatrouillen, die von den Grenzorganen der DDR nicht kontrolliert werden dürfen, fahren weiterhin regelmäßig durch B. (Ost), obwohl die UdSSR im Frühjahr 1977 an die Westmächte eine Aufforderung richtete, auf diese Patrouillen-Fahrten zu verzichten. Als die westlichen Regierungen dieses sowjetische Verlangen ablehnten, erhöhten die Sowjets die Zahl ihrer eigenen Militärpatrouillen in B. (West), ohne daß die 3 Westalliierten dem widersprachen: Die Bewegungsfreiheit für militärisches Personal der 4 ehemaligen Siegermächte in ganz B. gilt als sichtbare Demonstration des fortbestehenden Viermächte-Status der Stadt.

 

Nach wie vor bestehen ferner in B. (West) 2 Viermächte-Institutionen: die Luftsicherheitszentrale im ehemaligen Kontrollratsgebäude und das Spandauer Kriegsverbrechergefängnis, in dem der ehemalige Stellvertreter A. Hitlers. R. Hess, als letzter der in den Nürnberger Prozessen 1945–1948 verurteilten Kriegsverbrecher seine lebenslängliche Strafe verbüßt.

 

Die Sowjetunion deutete und deutet das Abkommen vom 3. 9. 1971 als eine ausschließlich die Westsektoren von B. betreffende Vereinbarung. Sie bestreitet ebenso wie die DDR, daß der Viermächte-Status weiterhin auch für B. (Ost) gilt. Eine Reihe von seit langem geltenden Sonderregelungen, die dem völkerrechtlich unterschiedlichen Status von B. (Ost), der „Hauptstadt der DDR“, und dem ihrer 14 Bezirke Rechnung trugen, sind von der DDR mit Billigung der UdSSR um die Jahreswende 1976/77 weitgehend aufgehoben worden: Zwar konnten die Bewohner des Ostteils von B. entsprechend den Bestimmungen des geltenden Wahlgesetzes der DDR in der Fassung vom 17. 12. 1969 (GBl. I, 1970, S. 2) und der Wahlordnung in der Fassung vom 25. 2. 1974 (GBl. I, S. 93) auch an den Volkskammer-Wahlen vom Oktober 1976 nicht teilnehmen (ebensowenig wie die Bürger von B. [West] an den Wahlen zum Deutschen Bundestag), doch erhielten die von der Stadtverordnetenversammlung benannten „Vertreter“ von B. (Ost) in der Volkskammer ab 1976 keine besonderen Ausweise mehr, durch die sie sich bis zu diesem Zeitpunkt von den Abgeordneten der Bezirke unterschieden haben. (Schon seit längerem war auch die Sitzordnung in der Volkskammer geändert worden: die „Vertreter“ von B. [Ost] saßen nicht mehr abgesondert, sondern bei ihren jeweiligen Fraktionen. Auch über ihr Abstimmungsverhalten wird seit längerer Zeit nicht mehr gesondert berichtet.)

 

Der Magistrat stellte im Herbst 1976 die Herausgabe seines „Verordnungsblattes für Groß-B.“ ein- damit entfielen auch alle bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlichten Mitteilungen über die Übernahme von Gesetzen der DDR durch Beschlußfassung im Magistrat (eine ähnliche Verfahrensweise wird in B. [West] bei der Übernahme von Bundesgesetzen durch Beschluß des Abgeordnetenhauses von B. [West] praktiziert).

 

Am 1. 1. 1977 ist die Visapflicht für Ausländer bei Tagesfahrten nach B. (Ost) eingeführt worden. Seitdem treten die Kontrollposten an den Ausfallstraßen von B. (Ost) in das Gebiet der DDR nicht mehr in Erscheinung. Auch durch die Einführung einer Straßenbenutzungsgebühr im innerdeutschen und internationalen Reiseverkehr für B. (Ost) am 1. 3. 1977) sollten die restlichen Unterschiede zwischen der [S. 159]„Hauptstadt“ und dem Gebiet der DDR beseitigt werden. Die Bezeichnung „Magistrat von Groß-B.“ ist in „Magistrat von B., Hauptstadt der DDR“ geändert worden.

 

XVI. Innere Ordnung von Berlin (West)

 

 

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zum Grundlagenvertrag am 31. 7. 1973 die Auffassung vertreten, daß Art. 23 GG, in dem Groß-B. als zum Geltungsbereich des Grundgesetzes gehörend bezeichnet wurde, „weder durch die politische Entwicklung überholt noch aus sonst irgendeinem Grund rechtlich obsolet geworden“ sei: „Derzeit besteht die Bundesrepublik aus den in Art. 23 GG genannten Ländern, einschließlich Berlins: der Status des Landes Berlin der Bundesrepublik Deutschland ist nur gemindert und belastet durch den sog. Vorbehalt der Gouverneure der Westmächte.“ Alle Verfassungsorgane in Bund und Ländern seien — auch für die Zukunft — verpflichtet, diese Rechtsposition ohne Einschränkung geltend zu machen und dafür einzutreten.

 

Demgegenüber haben die 3 Westmächte 1949, 1954 und 1967 ihre — auch im Viermächte-Abkommen 1971 bestätigte — Ansicht zum Ausdruck gebracht, daß B. kein Land der Bundesrepublik sei. In ihrer Stellungnahme zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. 1. 1966 im Fall Niekisch erklärte die Alliierte Kommandantur am 24. 5. 1967: „It has been and remains the Alliied intention and opinion that Berlin is not to be regarded as a Land of the Federal Republic and is not to be governed by the Federation. It also has been and remains the Alliied intention and opinion that Berlin laws, if they adopt the provisions of Federal laws, are legislative acts of the Berlin House of Representatives and are legally distinct from such Federal laws … The Alliied Kommandantura considers that the Court does not have jurisdiction in relation to Berlin.“

 

Ungeachtet dieser unterschiedlichen Rechtsauffassungen stimmen Westalliierte, Bundesregierung und Senat von B. darin überein, daß die in mehr als 2 Jahrzehnten gewachsenen Bindungen zwischen B. (West) und dem Bund für die Lebensfähigkeit der Stadt von fundamentaler Bedeutung sind.

 

Die am 1. 9. 1950 erlassene Verfassung von B., die in allen 20 Bezirken der Stadt Geltung beanspruchte, ersetzte die Bezeichnung „Stadtverordnetenversammlung“ durch „Abgeordnetenhaus“ von B.; der „Magistrat“ wird seitdem „Senat“ genannt. Er besteht aus dem Regierenden Bürgermeister, dem Bürgermeister als seinem Stellvertreter sowie höchstens 16 Senatoren.

 

In den 12 Bezirken bestehen Bezirksverordnetenversammlungen (mit maximal 45 Mitgliedern) als legislative und Bezirksämter (Bezirksbürgermeister und höchstens 8 Bezirksstadträte) als exekutive Organe.

 

Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18. 3. 1979 entschieden sich 44,4 v. H. der Wähler für die CDU, 42,7 v. H. für die SPD und 8,1 v. H. für die FDP. Die SEW erzielte mit 1,1 v. H. ihr schlechtestes Wahlergebnis seit der Teilung der Stadt. 3,7 v. H. der Wähler, vorwiegend jüngere, votierten für eine „Alternative Liste für Demokratie und Umweltschutz“. Die Wahl bestätigte das bestehende sozialliberale Bündnis mit dem Regierenden Bürgermeister Dietrich Stobbe (SPD) an der Spitze.

 

B. entsendet 22 Abgeordnete in den Bundestag und 4 Vertreter in den Bundesrat. Sie haben volles Stimmrecht in den Ausschüssen, aber nur beratende Stimme in Plenarsitzungen, d. h., ihr Votum wird jeweils gesondert registriert. Seit 1959 sind die West-Berliner Wahlmänner in der Bundesversammlung den übrigen, aus den westdeutschen Bundesländern stammenden Mitgliedern dieses Gremiums, das den Bundespräsidenten zu wählen hat, völlig gleichgestellt.

 

Nach Art. 87 der Verfassung von B. kann das Abgeordnetenhaus feststellen, daß ein Gesetz der Bundesrepublik Deutschland unverändert auch in B. Anwendung findet. Die Übernahme erfolgt auf dem Wege der „Mantelgesetzgebung“. Ausgenommen sind alle Bundesgesetze, die die Sicherung des Staates gegen gewaltsame Einwirkung von außen gewährleisten sollen: Weder die Wehrdienstgesetzgebung noch das Notstandsrecht der Bundesrepublik sind mit Rücksicht auf die ausschließliche Zuständigkeit der Alliierten in B. übernommen worden. Nach alliierter Auffassung stellt die Übernahme bundesrechtlicher Regelungen durch das Abgeordnetenhaus eine Transformation von Bundesrecht in Berliner Landesrecht dar.

 

Zahlreiche Bundesbehörden haben ihren Sitz in B., darunter die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, das Bundesgesundheitsamt, das Bundeskartellamt, das Bundesverwaltungsgericht (mit Ausnahme seiner Wehrdienstsenate) und der 5. Senat des Bundesgerichtshofes. Insgesamt beschäftigt der Bund rund 25.000 Beamte. Angestellte und Arbeiter in B. (West).

 

XVII. Innere Ordnung von Berlin (Ost)

 

 

Obwohl B. (Ost) bei der Gründung der DDR 1949 noch nicht als integraler Bestandteil dieses Staates, sondern als sowjetischer Sektor (in der Agitation der SED als „demokratischer Sektor“) der Vier-Sektoren-Stadt B. galt, versuchte die SED-Führung frühzeitig, den Ostsektor von B. politisch und gesellschaftlich mit der DDR zu verflechten.

 

In B. (Ost) haben nahezu alle Ministerien und zentralen Staatsorgane (mit Ausnahme des Ministeriums für Nationale Verteidigung), die zentralen Partei- und Gewerkschaftsapparate, die Spitzen der Massenorganisationen und die wichtigsten Medien ihren Sitz.

 

[S. 160]Ungeachtet der Viermächte-Vereinbarungen über den entmilitarisierten Status von ganz B. wurden das Verteidigungsgesetz der DDR vom 20. 9. 1961 und das Wehrpflichtgesetz vom 24. 1. 1962 auch in B. (Ost) in Kraft gesetzt. Am 22. 8. 1962 lösten die Sowjets ihre Stadtkommandantur für B. (Ost) auf- die DDR ernannte einen eigenen Stadtkommandanten.

 

Dennoch nahmen die UdSSR und die DDR bis Mitte der 70er Jahre eine gewisse, wenn auch schwindende Rücksicht auf den Viermächte-Status der Gesamtstadt — die versuchte Angleichung des Status von B. (Ost) an den des Gebietes der DDR wurde im wesentlichen erst 1976/77 beendet (Ausnahmeregelungen: bisher keine direkte Wahl zur Volkskammer der DDR in B. [Ost], Bewegungsfreiheit für westalliiertes Militärpersonal in ganz B., keine uneingeschränkte Lufthoheit für nichtalliierte Luftfahrzeuge über B. [Ost]).

 

Der Magistrat von B. (Ost) ist dem Ministerrat der DDR rechenschaftspflichtig, dem der Oberbürgermeister von B. (Ost) seit Ende 1976 als Mitglied angehört.

 

Im Anschluß an die Wahl der Stadtverordnetenversammlung im Oktober 1976 bestand der Magistrat aus dem Oberbürgermeister Krack (SED), seinem Ersten Stellvertreter, 9 weiteren — für bestimmte Sachgebiete zuständigen — Stellvertretern, 10 Stadträten, dem Bezirksarzt, der Bezirksschulrätin und dem „Sekretär des Magistrats“. Bis auf wenige Vertreter der 4 Blockparteien gehören die Mitglieder des Magistrats durchweg der SED an. Ähnlich war die personelle Zusammensetzung in den 8 Stadtbezirken, an deren Spitze jeweils Bezirksbürgermeister stehen. Abweichend von der seit 1920 bestehenden Gliederung und Struktur der Stadtbezirke wird seit mehreren Jahren die Bildung eines neuen, 9. Stadtbezirks von B. (Ost) vorbereitet, dessen Kern das Neubau-Gebiet von B.-Marzahn sein soll.

 

Die Stadtverordnetenversammlung wird alle 5 Jahre nachdem Prinzip der Einheitsliste gewählt (Wahlen). Im Mai 1974 wurde bei einer Wahlbeteiligung von 97,53 v. H. und einem Anteil der ungültigen Stimmen von 0,04 v. H. der Anteil der für den Wahlvorschlag der Nationalen Front abgegebenen Stimmen mit 99,80 v. H. beziffert.

 

 

 

Berlin (West) (480 qkm)

 

Die Einwohnerzahl betrug Ende 11)77 2,024 Mill. (davon waren 9,4 v. H. Ausländer). Am 31. 12. 1950 lebten 2,15 Mill. Personen in B. (West), am 31. 12. 1960 waren es noch 2,20 Mill. (bei einem Ausländer-Anteil von rd. 1 v. H.). Seitdem ist die Bevölkerungszahl gesunken — vor allem als Folge einer ungünstigen Altersstruktur und des veränderten generativen Verhaltens. Am 31. 12. 1976 waren 15,8 v. H. der Bevölkerung unter 15 Jahre alt, 61,4 v. H. 15 bis unter 65 Jahre und 22,8 v. H. 65 Jahre alt und älter.

 

1977 erzeugten 830.100 Erwerbstätige ein Bruttoinlandsprodukt im Wert von 43,8 Mrd. DM. Das Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen war mit 35.199 DM höher als im Bundesdurchschnitt (1977: 32.426 DM).

 

Zum Vergleich: 1950, im ersten Jahr nach Beendigung der Blockade, hatten 780.000 Erwerbstätige eine gesamtwirtschaftliche Leistung von 3,8 Mrd. DM erbracht.

 

Rückgrat der West-Berliner Wirtschaft ist nach wie vor die Industrie, vor allem die Elektroindustrie (1977 mit 37,4 v. H. an der Gesamtzahl der in der Industrie Beschäftigten und mit 26,6 v. H. am industriellen Umsatz beteiligt), gefolgt vom Maschinenbau (11,3 v. H. der Beschäftigten und 8,0 v. H. der Umsätze).

 

Der Verlust der Hauptstadtfunktion nach dem II. Weltkrieg brachte es mit sich, daß B. seine Bedeutung als Zentrum überregionaler Dienstleistungen teilweise einbüßte; Bemühungen von Senat und Bundesregierung in den letzten Jahren waren darauf gerichtet, diesen Bereich stärker auszubauen (z. B. das Kongreß-, Messe- und Ausstellungswesen).

 

Universitäten, Hoch- und Fachschulen zählten im Sommersemester 1978 68.600 Studierende. Jeder zehnte Student kam aus dem Ausland, zwei Fünftel aus dem Bundesgebiet. Bildung, Wissenschaft und Forschung bestimmen ebenso wie das breite Veranstaltungsangebot der Theater- und Musikbühnen und wie die Museen und Galerien den geistigen und kulturell-künstlerischen Rang von B. (West).

 

Berlin (Ost) (403 qkm)

 

Ende 1977 betrug die Einwohnerzahl 1,12 Mill. — davon standen 693.500 im arbeitsfähigen Alter. Zur Bevölkerung im nichtarbeitsfähigen Alter gehörten 221.700 Kinder unter 15 Jahren und 203.000 Personen im Rentenalter, das bei Männern mit 65, bei Frauen mit 60 Jahren beginnt.

 

Von den 588.000 Berufstätigen (ohne Lehrlinge), die die Statistik für 1977 auswies, waren mehr als 95 v. H. als Arbeiter und Angestellte tätig — lediglich 13.700 waren Mitglieder von Produktionsgenossenschaften und Rechtsanwaltskollegien, 12.000 galten noch als Selbständige und mithelfende Familienangehörige (Anfang der 60er Jahre sind es noch über 30.000 gewesen).

 

Die Bedeutung von Berlin (Ost) als Sitz der meisten zentralen Organe des Staatsapparates, der obersten Gremien der Massenorganisationen und Verbände, der wichtigsten Verlage und Redaktionen drückt sich in der Feststellung der Statistiker aus, daß 29,8 v. H. aller Berufstätigen (ohne Lehrlinge) in den „nichtproduzierenden Bereichen“ tätig waren. An zweiter Stelle folgte die Industrie mit einem Anteil von 25,8 v. H., an dritter Stelle liegt der Handel [S. 161]mit 14,2 v. H., auf viertem Platz das Verkehrs-, das Post- und Fernmeldewesen mit 11,8 v. H. der Berufstätigen 1977. Wird der Wert der industriellen Bruttoproduktion im Jahr 1977 nach Bereichen aufgeschlüsselt, so zeigt sich, daß in B. (Ost) die Produktionsbereiche Elektrotechnik/Elektronik/Gerätebau den wichtigsten Platz einnehmen (33,4 v. H. der industriellen Bruttoproduktion). Daneben haben der Maschinen- und Fahrzeugbau (16,9 v. H.) und die Lebensmittelindustrie (15,5 v. H.) sowie die Chemische Industrie und die Energie- und Brennstoffindustrie (mit jeweils gut einem Zehntel der industriellen Bruttoproduktion) Gewicht. Werden die Ost-Berliner Daten und die der 14 Bezirke der DDR zusammengefaßt, so ist der Ostteil der gespaltenen Stadt mit 6,7 v. H. an der Wohnbevölkerung, mit 7,3 v. H. an der Zahl der Berufstätigen (ohne Lehrlinge) und mit 5,6 v. H. an der industriellen Bruttoproduktion der DDR beteiligt.

 

Auch B. (Ost) ist ein Zentrum des Theaterlebens, der Wissenschaft und Forschung (Humboldt-Universität; Akademie der Wissenschaften der DDR).

 

Außenpolitik; Beziehungen zwischen beiden deutschen Staaten; Deutschlandpolitik der SED.

 

Manfred Rexin


 

Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 146–161


 

Information

Dieser Lexikoneintrag stammt aus einer Serie von Handbüchern, die zwischen 1953 und 1985 in Westdeutschland vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen (ab 1969 Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen) herausgegeben worden sind.

Der Lexikoneintrag spiegelt den westdeutschen Forschungsstand zum Thema sowie die offiziöse bundesdeutsche Sicht auf das Thema im Erscheinungszeitraum wider.

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