
Bibliotheken (1979)
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Gesetzliche Grundlage ist die VO über die Aufgaben des Bibliothekssystems bei der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozia[S. 215]lismus in der DDR vom 31. 5. 1968 (BVO) (GBl. II. 1968, S. 565 ff.). Diese VO gilt 1. für wissenschaftliche Allgemein- und Fach-B.; dazu gehören: Die Deutsche Staatsbibliothek, die Deutsche Bücherei, die zentralen wissenschaftlichen Fach-B., die B. der Akademien, die Universitäts-, Hoch- und Fachschul-B., die wissenschaftlichen Allgemein-B. der Bezirke, die wissenschaftlichen Fach-B. der staatlichen Organe und Einrichtungen und der Betriebe, 2. die staatlichen allgemeinbildenden B.; dazu gehören: die Stadt- und Bezirks-B., die Kreis-B., die ländlichen Zentral-B., die Gemeinde-B., die Schüler-B., die Heim-, Patienten- und Anstalts-B.
Als staatliche Leitungsorgane gibt es beim Ministerium für Kultur, Hauptverwaltung Verlage und Buchhandel, Abt. Literaturverbreitung und Literaturpropaganda den Sektor Bibliothekswesen; außerdem besteht dort ein Beirat für Bibliothekswesen, beim Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen eine Abteilung für wissenschaftliche B., wissenschaftliche Information und Museen, ferner ein Beirat für das wissenschaftliche Bibliothekswesen und die wissenschaftliche Information. Diesem Ministerium ist weiterhin das Methodische Zentrum für wissenschaftliche B., Berlin (Ost) unterstellt. Es ist die zentrale wissenschaftlich-methodische Einrichtung für alle zum Aufsichtsbereich des Ministeriums gehörenden wissenschaftlichen B. Im Staatshaushalt 1977 waren für die B. insgesamt rd. 115 Mill. Mark ausgewiesen, darunter knapp 92 Mill. Mark für die staatlichen Allgemein-B.
1. Wissenschaftliche B. 3 zentrale wissenschaftliche Allgemein-B. unterstehen dem Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen: Deutsche Staatsbibliothek (früher Preußische Staatsbibliothek) in Berlin (Ost) (3,4 Mill. Bände. Gen.-Dir.: Dr. Friedhilde Krause), Deutsche Bücherei in Leipzig (6,23 Mill. Bände. Gen.-Dir.: Prof. Dr. Helmut Rötzsch), Sächsische Landesbibliothek in Dresden (1,1 Mill. Bände. Dir.: Dr. Burghard Burgemeister), ferner 7 Universitäts-B., 11 B. technischer und ökonomischer Hochschulen, B. der 3 medizinischen Akademien, 9 B. der Ingenieurhochschulen und die Forschungs-B. Gotha. — Aufgrund der Anweisung Nr. 22/69 des Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen über die Stellung, Aufgaben und Arbeitsweise des Bibliothekswesens und der wissenschaftlichen Information an den Hochschulen (Verf. u. Mitt. Hoch- und Fachschulwesen, 1969, 8/9, S. 2 ff.) werden die Einrichtungen des Bibliothekswesens und der wissenschaftlichen Information und Dokumentation einer Hochschule durch die dem Rektor direkt unterstehende Hochschul-B. zusammengefaßt und geleitet. Das Bibliothekswesen der Hochschule wird als eine einheitliche Institution angesehen. — Zu der BVO sind eine Reihe von Durchführungsbestimmungen (DB) erlassen worden: Die 3. DB betrifft die Aufgabe und Arbeitsweise der Deutschen Staatsbibliothek als zentrale Leiteinrichtung für den Leihverkehr und die Zentralkataloge im Bibliothekssystem der DDR (GBl. II, 1970. S. 570 ff.). Dies führte zur Bildung des „Instituts für Leihverkehr und Zentralkataloge“, einer Abteilung der Deutschen Staatsbibliothek. Bei der Deutschen Staatsbibliothek gibt es mehrere Zentralkataloge: den Zentralkatalog der DDR mit Nachweis von 2,5 Mill. Buchtiteln und 30.000 Zeitschriftentiteln mit mehreren Besitznachweisen, den Gesamtkatalog der Wiegendrucke, das Zentralinventar mittelalterlicher Handschriften, das Repertoire International des Sources Musicales und den Zentralkatalog der Literatur zur Geschichte des Sozialismus und der Arbeiterbewegung (bis 1945); bei der Deutschen Bücherei wird die letztgenannte Literatur ab 1945 erfaßt.
In den Bezirken bestehen Zentralkataloge bei der Sächsischen Landes-B. Dresden, für Sachsen-Anhalt in Halle, für Thüringen in Jena, für Neubrandenburg. Rostock und Schwerin in Rostock, ferner den Zentralkatalog Leipzig und einen fachlichen Zentralkatalog für Körperkultur und Sport bei der Zentral-B. für Körperkultur und Sport der DDR in Leipzig.
Der Internationale Schriftentausch der B. und Informationseinrichtungen sowie der Tausch und die Abgabe von offiziellen Veröffentlichungen werden durch die 9. DB zur DVO (GBl. I, 1976, S. 188 f.) geregelt. Zentrale für den internationalen Leihverkehr ist das Institut für Leihverkehr und Zentralkataloge. Gesetzliche Grundlage für den Internationalen Leihverkehr der B. ist die 10. DB zur DVO (GBl. I, 1976, S. 190 ff.).
Eine organisatorische Verbindung zum Bibliothekswesen der Bundesrepublik Deutschland besteht praktisch nicht mehr; es wird grundsätzlich das sozialistische von dem bürgerlichen (oder kapitalistischen) Bibliothekswesen abgegrenzt. Allerdings bestehen noch zahlreiche Tauschbeziehungen, und es gibt einen Leihverkehr zwischen B. der DDR und der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der bestehenden Bestimmungen. Dabei überragt der Leihverkehr mit B. der Bundesrepublik Deutschland nach statistischen Angaben der DDR immer noch den Leihverkehr mit allen anderen B. (auch mit denen in sozialistischen Ländern) bei weitem. 1976 wurden nach diesen Angaben etwa 10.500 Bände von B. der DDR an B. in der Bundesrepublik verliehen, während umgekehrt etwa 7.100 Bände von B. der Bundesrepublik an B. in der DDR versandt wurden. Ein wesentlich anderes Verhältnis ergibt sich bei dem Versand von Kopien oder anderen Mikroformen: Hier erhielten B. der DDR 1976 etwa 7.500 Kopien (ca. 54.000 Seiten), während aus der DDR etwa 1000 Kopien (ca. 20.000 Seiten) an B. der Bundesrepublik verschickt wurden. Die Zahlen von Kopien liegen für alle anderen Länder weit niedriger (auch für die sozialistischen Länder), in aller Regel beträchtlich unter 100 Kopien im Jahr 1976, lediglich aus der UdSSR erhielten DDR-B. im Jahr 1976 etwa 1.200 Kopien mit 7.600 Seiten.
Wie von allen B. wird besonders von den wissenschaftlichen die Bevorzugung des Fachgebietes „Wissenschaftlicher Sozialismus“ und Ausschaltung „antimarxistischer Literatur“ sowie vor allem parteiliche Arbeit der Bibliothekare gefordert. Literatur aus der Bundesrepublik Deutschland und aus dem westlichen Ausland (sog. Kontingentliteratur) wird im Rahmen zugeteilter Kontingente durch den Leipziger Kommissions- und Groß[S. 216]buchhandel (LKG, Buchhandel) beschafft. Die Versorgung mit dieser Literatur ist schwierig und wird als keinesfalls ausreichend angesehen.
Die Deutsche Bücherei, Leipzig (1913 vom Börsenverein der Deutschen Buchhändler gegründet) versucht, das seit ihrer Gründung in deutscher Sprache erschienene Schrifttum möglichst lückenlos zu erfassen. Die Neuzugänge werden in der „Deutschen Nationalbibliographie“, Reihe A: Neuerscheinungen des Buchhandels (wöchentlich) und in der halbmonatlichen Reihe B: Neuerscheinungen außerhalb des Buchhandels angezeigt: Die monatlich erscheinende Reihe C: Dissertationen und Habilitationsschriften weist die Neuzugänge von Hochschulen beider deutschen Staaten aus. Außerdem werden das Jahresverzeichnis der Hochschulschriften und das Jahresverzeichnis der Verlagsschriften sowie das Deutsche Bücherverzeichnis, eine Fünfjahreskumulation, herausgegeben. Diese beiden Verzeichnisse erscheinen allerdings z. Z. noch mit beträchtlicher Verzögerung; durch Einführung der elektronischen Datenverarbeitung bei der Deutschen Bücherei soll sich von 1980 an diese Situation verbessern.
Die Ausbildung von wissenschaftlichen Bibliothekaren erfolgt im Rahmen eines Hochschulstudiums beim „Institut für Bibliothekswissenschaft und wissenschaftliche Information“ der Humboldt-Universität zu Berlin (Direkt- und Fernstudium) und für Bibliothekare an wissenschaftlichen B. bei der „Fachschule für wissenschaftliches Bibliothekswesen“ in Leipzig. — Das Methodische Zentrum für wissenschaftliche B. unterhält auf Schloß Friedenstein bei Gotha eine Abteilung „Weiterbildung“ sowie die Forschungsbibliothek Gotha. ― Für die Ausbildung von Bibliotheksfacharbeitern (Lehrberuf) gibt es in Sondershausen die Betriebsschule für Bibliotheksfacharbeiter.
Die meisten wissenschaftlichen B. leiden unter erheblicher Raumnot; seit über 50 Jahren ist auf dem Gebiet der heutigen DDR kein großer Bibliotheksneubau, z. B. eine Universitäts-B., fertiggestellt worden; allerdings ist 1962 ein Erweiterungsbau für die Deutsche Bücherei errichtet und 1976 der Bau eines zusätzlichen Magazins für 5 Mill. Bände begonnen worden.
2. Zentrale Fach-B. (ZB). Für die Zentralen Fach-B. gilt die 7. DB zur DVO (GBl. II, 1972, S. 26 ff.). An ZB gibt es z. Z. die ZB der deutschen Klassik in Weimar, die ZB für Körperkultur und Sport der DDR in Leipzig, die Landwirtschaftliche ZB in Berlin (Ost), die Pädagogische ZB in Berlin (Ost), die ZB des Verkehrswesens in Berlin (Ost) und die Militär-B. der DDR in Dresden. Überraschenderweise gibt es bis heute in der DDR keine ZB für Technik; die Deutsche Staatsbibliothek hat zwar für die in Berlin (Ost) ansässige Industrie gewisse Aufgaben übernommen, jedoch gilt als die größte technische B. die Universitäts-B. der Technischen Universität Dresden.
3. Wissenschaftliche Allgemein- und Fach-B. Die BVO sieht vor, daß in jedem Bezirk eine wissenschaftliche Allgemein-B. vorhanden sein soll. Soweit diese Aufgabe nicht von einer Universitäts- oder Hochschul-B. wahrgenommen wird, sind hierfür bisher bestehende Stadt- oder Landes-B. ausgebaut worden. Dies gilt z. B. für die Bezirke Erfurt, Gera, Potsdam, Schwerin und Suhl, wo es bereits B. mit der Bezeichnung „Wissenschaftliche Allgemein-B.“ gibt.
4. Staatliche Allgemein-B. Die Aufgaben, Arbeitsweise und Struktur der den örtlichen Räten unterstehenden staatlichen Allgemein-B. sind in der 5. DB zur DVO niedergelegt (GBl. II, 1971, S. 209 ff.). 1976 wurden 939 Haupt-B. und 724 Zweig-B. sowie 3.775 Ausleihstellen gezählt. Nebenberuflich geleitet gab es 6.443 B. Der Gesamtbestand betrug 30 Mill. Bände mit einer Ausleihzahl von 70 Mill. Dies sind etwa 2,2 Bände pro Einwohner und eine Entleihung von 5 Bänden im Jahr pro Einwohner.
Die Ausbildung des Personals für die staatlichen Allgemein-B. (und die Gewerkschafts-B.) erfolgt an der Fachschule für Bibliothekare „Erich Weinert“ in Leipzig (Direktstudium: 3 Jahre oder Fernstudium: 4 Jahre). Die 1. DB zur DVO enthält das Statut des Zentralinstituts für Bibliothekswesen (GBl. II. S. 565 ff.). Das Institut (Dir.: Dr. Gotthard Rückl) ist eine Einrichtung des Ministeriums für Kultur für Grundfragen der Entwicklung des B.-Systems der DDR und des Netzes der staatlichen Allgemein-B. sowie für die Koordinierung der wissenschaftlich-methodischen Arbeit im B.-System. Es ist 1950 gegründet worden und befindet sich in Berlin (Ost).
Stärker noch als die wissenschaftlichen unterliegen die: Allgemein-B. der politisch-ideologischen Beeinflussung. Als Instrument der politischen Bewußtseinsbildung (Gesellschaftliches ➝Bewußtsein) werden sie; zwar stark gefördert; jedoch reichen Beschaffungsmittel und Personal nicht aus, um den Anforderungen zu entsprechen, die man an die B. stellt.
Der Bestandsaufbau wird in erheblichem Maße zentral dirigiert und berücksichtigt nur die „fortschrittlichen“ Wünsche und Bedürfnisse der Leserschaft; insbesondere die neuere Literatur des Westens wird nur in einer sorgfältig begrenzten Auswahl angeboten; die B. machen zahlreiche und keineswegs immer erfolglose Anstrengungen, das „sozialistische Buch“ ihren Lesern nahezubringen. Kulturpolitik; Verlagswesen; Literatur und Literaturpolitik.
5. Gewerkschafts-B. Obwohl die Gewerkschafts-B. vom Geltungsbereich der DVO nicht ausdrücklich erfaßt sind, sind diese B. durch den Beschluß des Präsidium des Bundesvorstandes des FDGB (Kulturarbeit des FDGB) vom 4. 5. 1973 und durch die Vereinbarung zwischen dem Ministerium für Kultur und dem Bundesvorstand des FDGB über die Zusammenarbeit der staatlichen allgemeinen öffentlichen B. und der Gewerkschafts-B. vom 1. 6. 1969 in den Aufgabenbereich des B.-Systems bei der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der DDR integriert. Die 1.–5. DB zur BVO sind daher auch im Einvernehmen mit dem Bundesvorstand des FDGB erlassen worden Unter Gewerkschafts-B. werden Zentren des Lesens, der Bildung und der Literaturpropaganda im Betrieb verstanden. 1976 gab es 612 hauptberuflich geleitete und in 1466 Betrieben ehren- oder nebenamtlich gelei[S. 217]tete Einrichtungen der Gewerkschafts-B. Die Benutzerzahlen lagen 1976 bei etwas über 1 Mill., bei einem Buchbestand von über 8 Mill. Bänden mit 13,4 Mill. Ausleihungen.
6. Bibliotheksverband. Der 1964 als „Deutscher Bibliotheksverband“ gegründete „Bibliotheksverband der DDR“ (Umbenennung 1972) ist die Fachorganisation des Bibliothekswesens der DDR (Präsident: Dr. Gotthard Rückl, Direktor des Zentralinstituts für Bibliothekswesen). Er vereinigt B., zentrale Institutionen des Buch- und Informationswesens sowie Aus- und Weiterbildungseinrichtungen. Mitglieder können alle hauptberuflich geleiteten B. usw. werden. Er trägt sich im wesentlichen durch Mitgliedsbeiträge. Am 31. 12. 1976 zählte er 1442 Mitglieder: 18 wissenschaftliche Allgemein-B., 584 Fach-B. und Informationsstellen, 518 staatliche Allgemein-B., 304 Gewerkschafts-B. und 18 weitere B.-Institutionen.
Über den B.-Verband ist die DDR auch in internationalen Organisationen des B.-Wesens, wie der International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA) vertreten. Andere internationale Vereinigungen, denen B. der DDR als Mitglieder angehören, sind die Internationale Vereinigung der Musikbibliotheken und die International Association of Technological University Libraries (IATUL).
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 214–217