Bildende Kunst (1979)
I. Kunsttheorie
Die BK. ist kunsttheoretisch an die marxistische Ästhetik gebunden, nach der sie zusammen mit den anderen Kunstarten höchster Ausdruck des ästhetischen Bewußtseins ist, das sich in der bildhaft-künstlerischen Aneignung der Wirklichkeit vollzieht.
Als allgemeine Methode dieser Aneignung gilt der sozialistische Realismus, der „vom Künstler eine wahrheitsgetreue, konkret-historische Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung erfordert“. Die Kategorie der „künstlerischen Wahrheit“ meint dabei die Übereinstimmung des künstlerischen Abbildes mit dem abgebildeten Sachverhalt in seiner objektiven, sinnlich wahrnehmbaren Erscheinung. Allerdings muß es stets das Abbild eines größeren gesellschaftlichen Zusammenhanges sein. In diesem Sinne meint die „künstlerische Konkretheit“, als zweite Kategorie, die Widerspiegelung einer im historischen Entwicklungsprozeß eingebetteten Wirklichkeit in ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Ausprägung, wobei deren Beurteilung und Bewertung vom Standpunkt vermeintlich erkannter Gesetzmäßigkeiten des Geschichtsverlaufs ausgeht.
Der Realismus wird bei dieser Art Realitätswiderspiegelung als einzig adäquate künstlerische Methode angesehen, weil in ihm die Erscheinungen erkennbar bleiben. Der Inhalt, nach dem die Form sich zu richten hat. dominiert. Strikt abgelehnt werden deshalb in der marxistischen Kunsttheorie Ausdrucksweisen, die entweder die Form über den konkret fixierbaren Inhalt stellen (Formalismus) oder den historisch „falschen“ Inhalt widerspiegeln (Dekadenz). Die Forderung nach harmonischer, d. h. historisch „richtiger“ Übereinstimmung von Inhalt und Form ist dann gewährleistet, wenn die Arbeiterklasse als Held und Subjekt der Geschichte den neuen sozialistischen Inhalt ausmacht und zugleich zur Rezeption der formalen Gestaltung befähigt wird. Oberstes Kriterium der sozialistischen Kunst ist deshalb die Volksverbundenheit des Kunstwerks im allgemeinen und die Volksverständlichkeit der Form im besonderen. Als Beispiel und Vorbild für die ideale Einheit von Inhalt und Form gilt die sowjetische BK.
In der Kategorie des „Typischen“ erfaßt der sozialistische Realismus den „Sinn“ oder das „Wesen“ der Erscheinungen. Über das Typische artikuliert sich sinnlich anschaulich der historische Wahrheitsgehalt im Kunstwerk, in ihm kommt die dialektische Verbindung von Besonderem und Allgemeinem, von Individuellem und Gesellschaftlichem zum Ausdruck. Diese im Typischen konzentrierte Verallgemeinerung ermöglicht eine wahrheitsgetreue adäquate Darstellung gesellschaftlicher Prozesse und der Gesamtwirklichkeit der sozialistischen Gesellschaft. Der „typische Charakter“ in seiner klassenmäßig sozialen Bestimmung erscheint im Sozialismus als Protagonist neuer sozialer Beziehungen der sozialistischen Gesellschaft, als „positiver Held“. Die normative Ausprägung des Typischen führt zu symbolhafter, emblematischer oder zu monumentaler Kunstform.
Die Kunst trägt Klassencharakter, denn die künstle[S. 218]rische Widerspiegelung kann nach dieser Auffassung nur vom parteilichen Standpunkt aus erfolgen, welcher bewirken soll, daß die Kunst erkenntnisvermittelnde, bewußtseinsbestimmende und handlungsanleitende Funktionen erfüllt.
Parteilichkeit und Volksverbundenheit in Form und Inhalt, Gegenständlichkeit, Typisierung und Optimismus der Darstellung sind die feststehenden Kriterien des sozialistischen Realismus als künstlerische Arbeitsmethode, mit der die gesellschaftspolitischen Aufgaben der BK. — Erziehung der Bevölkerung zu sozialistischem Bewußtsein — am wirkungsvollsten erfüllt werden sollen.
In Zusammenhang mit der weniger dogmatisch konzipierten Kunstpolitik der 70er Jahre (s. u.) verlieren diese Maßstäbe jedoch an normativer Kraft: sie weichen zunehmend von der Kunstpraxis ab; dadurch ist die Kunsttheorie zu einer Modifikation der Begriffsbestimmung des sozialistischen Realismus gezwungen worden. Die u. a. aus diesem Grunde intensivierten kunsttheoretischen Diskussionen (seit 1976 3 Tagungen der Sektion Kunstwissenschaft des Verbandes Bildender Künstler der DDR) versuchen unter Beibehaltung der o. g. Kriterien, einer der Kunstpraxis angeglichenen erweiterten Realismusauffassung gerecht zu werden. So wird die Widerspiegelungstheorie inzwischen so interpretiert, daß sie sowohl Formen indirekter Bildaussage wie Metaphern. Symbole usw. als auch ungegenständliche Darstellungsweisen zu integrieren vermag. Dies kommt faktisch einer Eliminierung der Formalismusabgrenzung gleich.
Zentrale Aspekte der derzeit herrschenden kunsttheoretischen Auseinandersetzungen sind jedoch einerseits die noch konsequentere Verfolgung einer „historisch-dialektischen“ Kunstbetrachtung und andererseits die Abkehr von Lukács' Postulat einer bestimmten, der sozialistischen Kunst gemäßen Stilnorm. Diese Abkehr ist verbunden mit der Forderung, Brechts Auffassung von einer auch dem sozialistischen Realismus eigenen formalästhetischen Ausdrucksvielfalt stärker zu berücksichtigen.
II. Kunstpolitik
Die Kunstpolitik in der DDR ist bestrebt, die gesellschaftspolitische Funktion der BK. zu erhalten bzw. auszubauen. Die Kriterien des sozialistischen Realismus sind deshalb auf dem 5. Plenum des ZK der SED 1951 in einer Grundsatzerklärung für jegliches bildkünstlerische Schaffen zur verbindlichen Maxime erklärt worden. Gleichwohl ist die Kunstpolitik. als Teil der Kulturpolitik, durch Entwicklungsphasen gekennzeichnet, in denen diese Kriterien unterschiedlich interpretiert wurden. Dabei standen die folgenden Aspekte der Kulturpolitik im Mittelpunkt der Auseinandersetzung:
a) Hinsichtlich der künstlerischen Form gab es eine dogmatischere (2. und 4. Kongreß des Verbandes Bildender Künstler Deutschlands [VBK], 1951 und 1959) und eine liberalere Auffassung des Realismus- und Formalismusbegriffs (3. und 7. Kongreß des VBK, 1955 und 1974). Stets spielte dabei die sowjetische BK. als ideologisches wie als stilistisches Vorbild eine entscheidende Rolle. Die Möglichkeit, über den bürgerlichen Realismus und Naturalismus des 19. Jh. hinaus moderne Strömungen gegenständlicher Kunst zu rezipieren, ist ebenfalls nach wie vor Gegenstand z. T. heftiger Diskussionen.
b) Hinsichtlich der Thematik geht es in erster Linie um die Darstellung des Arbeiters und der Arbeitswelt als gleichbleibend zentrales Thema und darüber hinaus um eine Reduktion auf die bildkünstlerische Vermittlung politischer Losungen und ideologischer Normen (vorherrschend in den 50er Jahren) oder aber um eine Erweiterung der Themenbereiche auf die Spiegelung aller — gesellschaftlicher wie privater — Lebensbereiche (etwa seit Anfang der 70er Jahre vertretene Linie: „… jeder Bürger unserer Republik … will auch durch die Kunst als ein ganzer Mensch erfaßt werden, in allen seinen Beziehungen und Lebensäußerungen“, Kurt Hager 1972).
c) Hinsichtlich der gesellschaftlichen Gebundenheit der Kunst wurde die „Schließung der Kluft von Kunst und Leben“ unter zwei Aspekten erörtert: der Integration des Künstlers in die Arbeitswelt (Bitterfelder Weg 1959) und der Integration der Kunst in die Lebensumwelt des Menschen in der DDR (Programme des 6. und 7. Kongresses des VBK. 1970 bzw. 1974).
Für Kunstpolitik ist das Ministerium für Kultur zuständig. An der Vermittlung ist der Verband Bildender Künstler der DDR (VBK-DDR; von 1950 bis 1952 Gruppe des Deutschen Kulturbundes; bis 1970 „VBK Deutschlands“) entscheidend beteiligt. Die kunstpolitischen Richtlinien werden auf dem in der Regel alle 4 Jahre tagenden Verbandskongreß diskutiert und in Form von Beschlüssen für die — überwiegend im Verband organisierten — Künstler als bindend erklärt. Der Zentralvorstand ist für ihre Realisierung verantwortlich und rechenschaftspflichtig. Der Verband sieht seine Hauptaufgaben in der Pflege des klassischen künstlerischen Erbes, in der Anknüpfung an die Kunsttradition des Realismus und im Beitrag zur Bildung einer „sozialistischen deutschen Nationalkultur“ durch Förderung sozialistisch-realistischer Kunst. Neben der Lenkung der Kunstproduktion übernimmt der VBK Kontrolle und Lenkung der Künstler in ihrer Funktion als bewußtseinsprägende Kulturvermittler; er spielt eine „ausschlaggebende Rolle im Prozeß der ideologischen Klärung und schließlich in der Formung einer gereiften Überzeugung bei den Künstlern“. Im (1959 und 1974 geänderten) Statut wird die Verpflichtung des einzelnen Künstlers zu aktiver Mitarbeit hervorgehoben.
In nach Bezirksmaßstab organisierten Sektionen [S. 219](Sektion Malerei und Grafik. Bildhauerei, Karikatur und Pressezeichnung, Gebrauchsgrafik, Formgestaltung und Kunsthandwerk, Kunstwissenschaft, Restauration) findet „theoretisch-konzeptionelle, politisch-ideologische und praktisch-organisatorische Arbeit“ statt.
Die Tätigkeit der Sektion Kunstwissenschaft („Herausarbeitung und Vermittlung einer marxistisch-leninistischen Geschichte der Kunst sowie der Geschichte und Theorie des sozialistischen Realismus“) wird als entscheidend für die Kunstentwicklung und -rezeption sowie für die „Planung und Leitung künstlerischer Prozesse“ angesehen. Theoretisches Organ des Verbandes ist die Zeitschrift „Bildende Kunst“ im 27. Jg. (1979).
Wesentlicher Teil der Verbandsarbeit ist die Auftragspolitik, in der Einzel- oder Kollektivaufträge für gesellschaftspolitisch wichtige Kunstwerke (Wandbilder, Denkmäler) vergeben werden bzw. in Zusammenarbeit mit Massenorganisationen (Kulturarbeit des FDGB) Arbeitsvereinbarungen in Form von Werkverträgen zwischen Künstlern und Betrieben in Industrie und Landwirtschaft getroffen werden. Letztere sollen stärkere Volksverbundenheit und Massenwirksamkeit der Kunst erzielen und der Bevölkerung zum Kunstverständnis verhelfen. Ebenfalls der „Förderung, Popularisierung und Verbreitung sozialistisch-realistischer Kunst“ dienen die „Genossenschaften Bildender Künstler“ — selbständige Verkaufsstätten, die dem wachsenden Bedürfnis nach Kunstkonsum Rechnung tragen. Einer erwünschten, möglichst intensiven Kunstrezeption der Bevölkerung genügen die „Deutschen Kunstausstellungen“ (1978: „VIII. Kunstausstellung der DDR“; nach halbjähriger Dauer über 1 Mill. Besucher) des VBK in Dresden, die als repräsentative „Leistungsschauen“ im vierjährlichen Turnus eine Übersicht über die gesamte Kunstproduktion der DDR bieten. Neben großangelegten Jubiläums- oder Übersichtsausstellungen (z. B. seit 1967 „Intergrafik“) machen zahlreiche „Rechenschaftsausstellungen“ in den Bezirken mit zeitgenössischer Kunst bekannt.
In den Beschlüssen des VBK lassen sich die Haupttendenzen der kunstpolitischen Entwicklung ablesen: In seiner Gründungszeit (1950; I. Präs. Otto Nagel) bemühte sich der VBK um eine nationale, demokratisch-antifaschistische Kunst unter Berufung auf die deutsche Realismustradition von Dürer bis Käthe Kollwitz. „Ohne dem Künstler Vorschriften per Stil und Inhalt zu machen“, werden die Akzente dennoch auf eine „reale, wirklichkeitsnahe und volksverbundene Kunst“ (Ulbricht auf der I. Kulturkonferenz 1948) gesetzt. Zu einem politischen Bekenntnis unter der Formel der „demokratischen Erneuerung“ und zur „ideell-erzieherischen Rolle der Kunst… für die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen“ sollte die ältere bürgerliche Kunstgeneration bekehrt werden. Unmißverständlich bekämpft wurden moderne Strömungen auch gegenständlicher Malerei unter dem Schlagwort „Formalismus“. Höhepunkt war die Auseinandersetzung um das Werk der deutschen Expressionisten.
Der 2. Kongreß des VBK (Juni 1952; 1. Vors. Fritz Dähn) stellte das ideologische Bekenntnis zur DDR zum sozialistischen Realismus als allein verbindlicher künstlerischer Norm und das Vorbild der sowjetischen Kunst in den Vordergrund, während der 3. Kongreß des VBK (Jan. 1955; Präs. Otto Nagel) im Zeichen des „Neuen Kurses“ eine differenziertere Bewertung moderner Kunstrichtungen und noch eine gesamtdeutsche Kunstdiskussion anstrebte.
Das auf dem V. Parteitag 1958 aufgestellte und auf der 1. Bitterfelder Konferenz 1959 propagierte kulturpolitische Ziel, das „sozialistische Menschenbild“ zu schaffen, war für die Kunstpolitik der 60er Jahre entscheidend. Neue Akzente, die auf dem 4. Kongreß des VBK (Dez. 1959; Präs. Walter Arnold) beschlossen wurden, betrafen die Bindung der künstlerischen Betätigung an den Produktionsprozeß in Form von Werkverträgen mit „sozialistischen Brigaden“, die die Entwicklung einer spezifisch sozialistischen Kunst beschleunigen sollten. Darunter wurde die lebensnahe Darstellung des Arbeiters und der Arbeitswelt sowie die der „typischen“ Züge des „neuen Menschen“ verstanden. Die Teilnahme des Arbeiters am künstlerischen Schaffensprozeß und die damit verbundene Kunsterziehung sollten die bisher vermißte massenwirksame Vermittlung und effektive Rezeption gewährleisten. Darüber hinaus wurde das Laienschaffen als Massenbewegung initiiert in Form von Zirkeleinrichtungen unter Betreuung professioneller Künstler (1978 existierten 3.000 Zirkel der bildenden und angewandten Kunst; z. Z. gibt es 40.000 in Kunstzirkeln organisierte Arbeiter). Die Verbindung von materieller und kultureller Sphäre wird als wesentlicher Bestandteil der „sozialistischen Nationalkultur“ angesehen und der sich im „bildnerischen Volksschaffen“ schöpferisch betätigende Arbeiter als soziales Leitbild des „allseitig gebildeten“ Menschen aufgefaßt.
Die wichtigsten Beschlüsse des 4. Kongresses bezogen sich auf die Vergabe eines Kunstpreises des FDGB, auf die Einbeziehung des bildnerischen Volksschaffens in Verbandsausstellungen, auf die Mitarbeit der Künstler bei Industrieformgebung und Wohnkultur sowie auf die Weckung und Deckung des Kunstbedarfs durch kontrollierte Ankaufs-, Ausstellungs- und Verkaufspolitik. Die weitere Kunstpolitik versuchte die bildkünstlerische Entwicklung auf den proklamierten „umfassenden Aufbau des Sozialismus“ (VI. Parteitag der SED, 1963) unter den durch die wissenschaftlich-technische Revolution geschaffenen Bedingungen und Erforder[S. 220]nissen des Bewußtseins, des Alltags, der menschlichen Beziehungen und der Kunstbedürfnisse einzustellen.
Der 5. Kongreß des VBK (März 1964, Präs. Lea Grundig) thematisierte aktuelle Gegenwartsprobleme („Ankunft im Alltag“), insbesondere Konflikte und Widersprüche zwischen individueller und gesellschaftlicher Ebene und deren Überwindung. Er diskutierte in diesem Zusammenhang die gesellschaftspolitische Wirksamkeit der Bildkunst sowie Qualitäts- und Formfragen. Auf dem VII. Parteitag der SED (1967) und der 5. Staatsratssitzung 1967 wurde dann von der BK. gefordert, die ästhetische Gestaltung qualitativer „typischer“ Merkmale des sozialistischen „Planers und Leiters“ zu meistern.
Diese Aufgabe bleibt für die Kunstpolitik in der DDR bis heute zentral. Parallel dazu galt das Hauptaugenmerk ab Mitte der 60er Jahre der künstlerischen Durchdringung aller Lebenssphären, also der Erzeugung eines „sozialistischen Lebensstils“. Der angewandten Kunst wird dabei stärkere Bedeutung zugesprochen (Plakat, Gebrauchsgrafik. Design), wobei die Integration von Kunsthandwerk und Technik sowohl den künstlerischen Formenkanon bereichert als auch neue Produktionsweisen schafft (z. B. VEB Bildende Kunst Neubrandenburg). Schwerpunkte dieser Periode bildeten — auf dem 6. Kongreß des VBK (April 1970, Präs. Gerhard Bondzin) formuliert — die mit dem forcierten Ausbau der Stadtzentren aufkommenden Probleme der Ausgestaltung der sozialen Umwelt, der sich die Ausstellung „Architektur und bildende Kunst“ 1969 widmete. Angestrebt wurde eine organische, d. h. ästhetischen, funktionalen und ethischen Bedürfnissen gerecht werdende Synthese von Architektur, bildender und angewandter Kunst, die Konzentration auf die Monumentalkunst als die der Architektur adäquateste Form und die Zusammenarbeit von Künstlern, Architekten, Soziologen, Handwerkern usw. bereits bei der Bauprojektierung (beispielhaft realisiert am „Palast der Republik“, erbaut in Berlin [Ost] von 1973 bis 1976).
Der 7. Kongreß des VBK (Mai 1974, Präs. Willi Sitte) formulierte als nächstliegende Aufgaben die stärkere Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen des bildkünstlerischen Schaffens bei deren Planung und Lenkung (durch die Kulturfunktionäre der SED) sowie die Konzentration auf den Ausbau der einzelnen — traditioneller wie neuentwickelter — Kunstgattungen (z. B. der Produktionskultur). Zugleich wurde der seit dem VIII. Parteitag der SED (1971) eingeschlagene kulturpolitische Kurs erneut auch für die BK. geltend gemacht und die zum proklamatischen Slogan erhobene Formel von der „Weite und Vielfalt des Kunstschaffens“ wiederholt bekräftigt.
Diese kunstpolitische Wende der 70er Jahre, die auf dem 8. Kongreß des VBK-DDR im November 1978 nicht wesentlich korrigiert worden ist, bewirkte eine Umorientierung. Sie initiierte bzw. unterstützte:
a) eine von agitatorischer Zweckgebundenheit relativ freie Kunstproduktion, die spezifische Formen des Schaffensprozesses nicht länger negiert und damit zu einem Aufschwung insbesondere der Malerei führte;
b) eine uneingeschränkte, nunmehr alle Stilepochen einschließende Rezeption des künstlerischen „Erbes“, die selbst die Moderne des 20. Jh. bewußt einbezieht und so Anschluß und Verbindung des künstlerischen Schaffens in der DDR an die internationale Entwicklung anstrebt;
c) eine auf den Funktionszusammenhang von Kunst und Gesellschaft konzentrierte Theoriediskussion, die durch kunstsoziologische Forschungen die Bedingungen und Determinanten des gesamten Kunstprozesses zu analysieren beabsichtigt und dabei vor allem auf die empirische Erforschung der tatsächlichen individuellen Bedürfnisse der Kunstproduzenten wie der -konsumenten gerichtet ist;
d) eine aus der Einsicht in die komplexen Produktions- wie Wirkungsbedingungen von Kunst resultierende größere ideologische Toleranzspanne, die zum einen dem künstlerischen Ausdrucksbedürfnis Rechnung trägt, zum anderen kunstpolitische Entscheidungen tendenziell von der Partei- auf die Verbandsebene verlagert;
e) eine zwischen Kunst und Publikum stärker vermittelnde Kunstaufklärung und -Propaganda mit dem Ziel, ein angemessenes Kunstverständnis zu entwickeln und damit die Kunstverbreitung in weiteren Schichten der Bevölkerung der DDR zu fördern.
Als konkrete Schritte zu der geplanten umfassenden ästhetischen Erziehung, die gleichermaßen auch zu einer gesteigerten gesellschaftspolitischen Wirksamkeit der BK. beitragen soll, wurden folgende Maßnahmen ergriffen:
a) die intensivere Nutzung der Massenmedien (eigene Sendereihen im Fernsehen) und des Verlagswesens (z. B. Kunstreproduktionen, populäre Kunstpublikationen) für die Kunstpropaganda;
b) stärkere Beteiligung der Kunstkritik an der Kunstaufklärung (z. B. in der Tagespresse; vgl. dazu auch den Beschluß des ZK der SED über die „Aufgaben der Literatur- und Kunstkritik“ vom Dezember 1977);
c) eine gezielte pädagogisch-didaktische Ausstellungs- und Museumsarbeit, die auf der Konferenz der Museumsdirektoren 1976 beschlossen worden ist;
d) die Verstärkung des staatlichen Auftragswesens und die engere Zusammenarbeit gesellschaftlicher Institutionen (z. B. verstehen sich einzelne Volkseigene Betriebe zunehmend als „sozialistische Mäzene“, indem sie Aufträge an einzelne Künstler vergeben) mit dem VBK mit dem Ziel optimaler Kunst[S. 221]agitation (vgl. dazu die Beratung des VBK mit dem FDGB im Jahre 1978);
e) der Kunstpopularisierung dienende und den privaten Kunsterwerb anregende Einrichtung von Kunst- bzw. Verkaufsgalerien des Staatlichen Kunsthandels (1978 bestanden in der DDR insgesamt über 170 Galerien);
f) die Beteiligung der BK. an der Umweltgestaltung (u. a. Kunst am Bau), bei der die umfassenden Denkmals- und Stadtteilrestaurationen in allen Bezirken der DDR einen besonderen Platz einnehmen (1977 erfolgte die Gründung eines Rates für Denkmalpflege beim Ministerium für Kultur; Denkmalschutz).
III. Entwicklung in der Bildenden Kunst
Ausgelöst durch diese neuen kunstpolitischen Konzeptionen gelangte die BK. in den 70er Jahren zu einem beachtlichen Aufschwung, der vor allem durch stilistische wie thematische Vielfalt und durch hohes handwerkliches Niveau gekennzeichnet ist.
Voraus gingen 2 Entwicklungsphasen, von denen die erste durch die Emigrantengeneration mit Künstlern wie Hans und Lea Grundig, Otto Nagel, Rudolf Bergander und dem Grafiker Arno Mohr geprägt war. Sie knüpften im Malstil an den kritischen Realismus der 20er Jahre an und formulierten thematisch die Auseinandersetzung mit dem Faschismus. In den 50er Jahren bewirkte die dogmatische Auffassung vom „sozialistischen Realismus“ eine thematische Einengung auf explizit politisch-ideologische Momente des gesellschaftlichen Lebens (Aufmärsche, Kundgebungen, Aufbauarbeit, Sport, NVA, Agitationsbilder zu aktuellen Kampagnen). Naturalistisches Illustrieren, ornamental-dekorative oder monumentale Formgebung unter Verwendung stereotyper Symbole (Friedenstaube, Fahnen, verschlungene Hände …) kennzeichnen die bildnerische Kunstproduktion dieser Zeit (II. Deutsche Kunstausstellung 1953). Erst in den 60er Jahren bilden sich individuelle Ausdrucksformen der realistischen Malweise heraus; Hauptvertreter dieser 2. Generation sind die Hochschullehrer Bernhard Heisig (Jg. 1925, Leipzig), Willi Sitte (Jg. 1921, Halle), Werner Tübke (Jg. 1929, Leipzig), die z. Z. die BK. der DDR offiziell repräsentieren.
Neben einer noch überwiegend abbildhaft-naturalistischen Malweise zeichnen sich 3 Stilrichtungen ab:
1. die stark verbreitete impressionistische, vertreten z. B. durch Frank Ruddigkeit (Jg. 1939), Karl-Heinz Jakob (Jg. 1929), Karl-Erich Müller (Jg. 1926), Fritz Eisel (Jg. 1929); 2. die dekorative, vertreten z. B. durch Willi Neubert (Jg. 1920), Walter Womacka (Jg. 1925), Bert Heller (1920–1970) und 3. die expressionistische, vertreten z. B. durch Heinz Zander (Jg. 1939) und Ronald Paris (Jg. 1933). Während die monumentalen Farbtafeln von Heisig („Pariser Kommune“, 1970/71) und Sitte („Leuna 1969“, 1968, „Höllensturz in Vietnam“, 1966/67, „Mensch, Ritter, Tod und Teufel“ 1969/70) mit simultan gesetzten Symbolen und Versatzstücken in impressionistisch-tachistischer Pinselführung und stark expressiver Farbgebung eine sinnlich-aktivierende kritische Analyse gesellschaftlicher Zustände darstellen, sind Tübkes manieristisch-stilisierte Arbeiten (Wandfries „Intelligenz und Arbeiterklasse“ in der Leipziger Universität, 1973, „Bildnis eines sizilianischen Großgrundbesitzers mit Marionetten“, 1972) durch die Rezeption der Renaissancemalerei geprägt.
Auf der Bezirksausstellung des VBK in Leipzig 1969 trat erstmals ein am Stil der „Neuen Sachlichkeit“ der 20er Jahre orientierter Malerkreis der jüngsten Generation unter dem Dozenten Wolfgang Mattheuer (Jg. 1927; „Liebespaar“, 1970, „Leipzig“, 1971) hervor. Die Künstler (Hachulla. Glombitza, Stelzmann, Rink u. a.) arbeiten in einem relativ einheitlichen, für die DDR-Malerei völlig neuen Formenkanon („veristisch“ klare Bildkomposition, glatte Pinselführung, satte leuchtende Farbgebung) und einem uneingeschränkten Themenkreis (Porträtbildnisse privater Personen, Stilleben, Landschaften). Auf der VII. Kunstausstellung der DDR in Dresden 1972 erzielte diese Richtung ihren Durchbruch und offizielle Anerkennung und bestimmt seitdem im wesentlichen die Kunstszene der DDR.
Die VIII. Kunstausstellung der DDR in Dresden 1977/78 bestätigte diesen Trend zur versachlichten, kühl-distanzierten Darstellungsweise, die mit der zunehmend bevorzugten Thematisierung des Lebensalltags korrespondiert. Dies verrät auf Seiten der Künstler eine veränderte, konfliktbewußte Haltung gegenüber der gesellschaftspolitischen Umwelt (H. Sakulowski: „Porträt nach Dienst“ 1976; U. Hachulla: „Erster Rentnertag“ 1977; S. Gille: „Autofahrer“ 1973). In den Mittelpunkt des Interesses rücken außerdem immer stärker Sujets aus der privaten Erlebnissphäre (Porträts, Selbst- und Familienbildnisse, Akt- und Paardarstellungen).
Dieser Betonung einer subjektiven Realitätssicht, die gleichwohl gesellschaftliches Engagement keineswegs ausschließt, entspricht das Streben der Künstler nach individueller malerischer Handschrift. Vor allem die jüngere Malergeneration neigt zur indirekten, verfremdeten Bildaussage, wobei vielfältige Kunstgriffe wie das bewußte Zitieren von Motiven, die Übernahme ikonographischer Muster, die Adaption und Mischung unterschiedlichster Stilelemente vergangener Kunstepochen verwendet werden. Bei einzelnen Malern (Werner Tübke, Heinz Zander) sind Manierismen und Eklektizismen sogar stilbestimmend.
Eine sinnbildhafte Wiedergabe wird besonders mit dem zu neuer Blüte gelangten Genre des Historienbildes und seiner gegenwartsbezogenen Variante, [S. 222]dem Epochenbild, versucht. Mit Hilfe von Symbolen, Allegorien und Motiven aus der antiken und christlichen, aber vor allem auch der Mythologie der deutschen und europäischen Geschichte, einschließlich ihrer Sagen und Märchen, wollen einzelne Künstler Ereignisse und Entwicklungen im Sinne der marxistischen Geschichtsauffassung bildlich überzeugend gestalten.
Insgesamt ist für den derzeitigen Entwicklungsstand der Kunst in der DDR die Abkehr vom Abbildrealismus zugunsten eines „metaphorischen Realismus“ charakteristisch.
Als spezifisches Genre im Bereich der Monumentalkunst hat die stark geförderte „Kunst am Bau“ das großformatige Wandbild als Ausschmückung von Innen- oder Außenflächen repräsentativer Gebäude hervorgebracht. Die allegorisch-symbolischen Darstellungen mit gesellschaftspolitischem Themengehalt haben jedoch meist nur dekorativen Schauwert und werden dem ethischen Anspruch nicht gerecht. Beispiele: Walter Womacka, Fassadenverkleidung „Unser Leben“ am Haus des Lehrers, Berlin (Ost) 1964; Gerhard Bondzin, Betonplatten-Wandbild „Der Weg der Roten Fahne“ am Kulturpalast, Dresden 1969; Ronald Paris, Wandfries „Lob des Kommunismus“ im Haus der Statistik, Berlin (Ost) 1969.
Neben dem im letzten Jahrzehnt stark entwickelten Zweig der Formgestaltung (Gebrauchs- und Produktionskunst) und des Kunsthandwerks (Raumschmuck, Nippes) bleiben Malerei, Grafik und Plastik die Hauptgenres, jedoch entsprechend ihrer veränderten gesellschaftlichen Funktionen mit neuen Themen. In der Porträtmalerei steht — abgesehen von Bildnissen politischer und historischer Persönlichkeiten (Hauptporträtist: Bert Heller) — das Arbeiterporträt im Zentrum, zunächst als befreiter Proletarier oder Landarbeiter gestaltet (Otto Nagel, Kurt Querner), seit den 50er Jahren als Gestalter des Neuaufbaus und Repräsentant seiner Klasse gezeichnet (K. H. Jakob: „Bergmann“ 1961; O. Schutzmeister: „Tagebauleiter Kurt Jakob“ 1960; die Stahlwerkerdarstellungen von W. Neubert). Hierher gehören auch die Typenporträts von Lea Grundig in der Folge „Genossen“ (1966–1970). Die jüngsten Darstellungen zeigen den Arbeiter in selbstbewußter, optimistischer Geste als Beherrscher seiner Gesellschaft (B. Heisig: „Brigadier“ 1970; F. Ruddigkeit: „Meister Heyne“, 1971; V. Stelzmann: „Schweißer“, 1971; W. Sitte: „Sieger“, 1972). Die Auffassung, daß der sozialistische Mensch sich die Wirklichkeit über den Arbeitsprozeß aneignet und sich in ihm verwirklicht, erklärt die zentrale Stellung des Themas Arbeit in der BK. Allerdings ist eine realistische wie dynamische Gestaltung der Arbeit, vor allem als wissenschaftlich-technologischer Prozeß, ein bis heute nicht gelöstes Problem der Bildkunst (Ausstellung „Das Antlitz der Arbeiterklasse in der bildenden Kunst der DDR“ zu Ehren des VIII. Parteitages der SED, 1971).
Seit Mitte der 70er Jahre läßt sich beim Arbeiterbild eine Akzentverschiebung verfolgen: Ähnlich wie in der Alltags- und Freizeitthematik überwiegt anstelle eines repräsentativ-exemplarischen Verständnisses des Arbeiters die individualisierende und psychologisierende Arbeiterdarstellung (V. Stelzmann: „Schweißer“, 1971; M. Peuker: „Arbeit aus dem Plattenwerk Halle-West“, 1974; W. Mattheuer: „Die Ausgezeichnete“, 1974).
Auch das Gruppenbildnis ist eine Domäne der Arbeitsthematik, zumeist als repräsentatives Konterfei von „Neuererbrigaden“, das das Selbstbewußtsein des Leistungskollektivs vermitteln soll, die Darstellung des Arbeitsvorgangs selbst jedoch meist meidet (ca. 10 Tafelbilder dieser Art auf der VII. Kunstausstellung der DDR 1972, u. a. in neusachlicher Manier wie W. Tübke: „Gruppenbild“; S. Gille, Jg. 1941: „Brigade Heinrich Rau“; G. Brüne, Jg. 1941: „Die Neuerer“).
Die technisch-industrielle Organisierung des Lebens spiegelt sich — allerdings nicht bedrohlich, sondern als positiver Ausdruck der menschlichen Produktivkraft — als Thema auch in der Landschaftsmalerei mit überwiegend Industrie- und Städtebildern wider.
Die Grafik und Buchillustration (Max Schwimmer) gehört im thematischen Angebot und technischen Niveau zu den überzeugendsten Genres der Kunst in der DDR. Die ältere Generation knüpfte an die Realismus-Tradition des 19. Jh. an mit Porträt- und lyrischer Landschaftsgestaltung (Otto Paetz, Hans Theo Richter) oder setzte den sozialkritischen Stil der Weimarer Zeit fort (Lea Grundig als Schülerin von Käthe Kollwitz). Thematische Zyklen richten die Anklage gegen politische Mißstände der westlichen Welt (Faschismus, Imperialismus. Atomtod, Vietnamkrieg) oder sie dienen der aufklärenden Illustration historischer Vorgänge (Kurt Zimmermanns Blätter zur „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“; Karl Erich Müller: „Geschichte der KPD“). Die grafischen Arbeiten der jungen Generation sind durch individuelle Gestaltung und freien Gebrauch moderner Techniken (Siebdruck) charakterisiert.
Auch die Plastik entwickelte sich aus der engagierten realistischen deutschen Bildhauertradition, in der die frühen typisierenden Arbeiten des Bildhauers Fritz Cremer (Jg. 1906, „Aufbauhelfer“. „Aufbauhelferin“) stehen, dessen künstlerische Entwicklung über vielfältige Porträt- und Aktgestaltungen zu diffiziler Ausdrucksfähigkeit des Widerstreits zwischen individuellen und gesellschaftlichen Zügen des Menschlichen führt (Figur des Galilei „Und sie bewegt sich doch“, 1970/71).
Die Skulpturengruppe Cremers für das Ehrenmal des ehem. Konzentrationslagers Buchenwald [S. 223](1956–1958) stellt Anklage wie Überwindung des Faschismus durch psychologische Konstellation und Haltung der Figuren dar und ist ein überzeugendes Beispiel der für die Themen der sozialistischen Bildhauerkunst zentralen Gattung politischer Mahnmale.
Der jüngeren Bildhauergeneration (Wieland Förster. Jg. 1930; Werner Stötzer, Jg. 1931; Wilfried Fitzenreiter, Jg. 1932), die sich vor allem im Berliner Raum konzentriert, gelang eine wesentliche Erweiterung ihres Spektrums, wobei die Vorliebe für das privat-intime Sujet (Kleinplastik, Aktfiguren) ebenso auffallend ist wie die zunehmende Experimentierfreude im Bereich der Form (Torsi) und in der Anwendung neuer Materialien (Polyester). Literatur und Literaturpolitik.
Wilfriede Werner
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 217–223