
CDU (1979)
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Die Christlich-Demokratische Union (CDU) trägt als einzige Partei in der DDR den gleichen Namen wie eine Partei in der Bundesrepublik Deutschland. Beide haben dieselbe Wurzel. Auf den Gründungsaufruf vom 26. 6. 1945 (1. Vors. Hermes, Stellv. Schreiber) folgte am 10. 7. 1945 die Genehmigung zur Gründung durch die SMAD. Bereits im August erreichte die Partei einen Mitgliederstand von über 100.000. Nach dem von der SMAD erzwungenen Rücktritt von Hermes und Schreiber wegen eines Konfliktes vor allem über die Bodenreform, übernahm Jakob Kaiser die Führung der Partei, die sich in den folgenden Monaten heftig gegen die Volkskongreßpolitik der im April 1946 durch Zusammenschluß von KPD und SPD entstandenen SED wehrte. Als auch Kaiser durch die Sowjets aus seinem Amt gedrängt wurde, ging die Führung an Otto Nuschke über, der die Partei gegen den Willen der meisten Mitglieder vollständig in die Bündnispolitik der SED einordnete. Zunächst übernahm)- er interimistisch mit Wilhelm Wolff die Leitung der CDU. Auf dem 3. Parteitag, 19. 9. 1948, wurde Nuschke ihr Vorsitzender.
Die CDU fand damals ihre Anhänger vornehmlich in den Reihen der Bauern, Handwerker und kleinen Gewerbetreibenden. Viele engagierte Christen, darunter auch Pfarrer und Theologen beider Konfessionen, gehörten ihr an. Den höchsten Mitgliederstand verzeichnete sie im Dezember 1947: 218.000. Ende der 40er Jahre — vor allem im Zusammenhang mit der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft — sank die Zahl stark ab. Zwar wurden genaue Angaben seitdem nicht mehr: bekanntgegeben, die Partei soll jedoch bis in die 60er Jahre nur rd. 70.000 Mitglieder gehabt haben. Erst im Juli 1975 wurden wieder Mitgliederzahlen veröffentlicht. Sie schwanken seither zwischen 100.000 und 140.000 (1977); 37.000 sollen „Mandatsträger“ im gesellschaftlichen Leben, 21.000 in Funktionen der Nationalen Front der DDR und 1.500 in Leitungsfunktionen in Staat und Wirtschaft tätig sein.
Unter Nuschkes Führung und der totalen Unterordnung unter die SED, die der 6. Parteitag der CDU im Oktober 1952 offiziell bestätigte, wandelte sich die ideologische Konzeption der Partei zum „christlichen Realismus“. Gerald Götting. Generalsekretär der CDU 1949–1966 und seither ihr Vorsitzender, definierte auf der Meißner Arbeitstagung Oktober 1951: „Echte Christen sind Friedensfreunde.“ Daraus ergab sich, daß sie im „Friedenslager“ der UdSSR stehen müssen, wie auch Christus „im Lager des Fortschritts“ gestanden habe („Neue Zeit“ Nr. 244/1951). Nach der vom 6. Parteitag angenommenen neuen Satzung werden ein „Politischer Ausschuß“ und ein „Hauptvorstand“ ― entsprechend dem Politbüro und dem ZK der SED ― als oberste Organe gebildet. Nuschke: „Wir sind eine einschränkungslos sozialistische Partei.“
Nach Nuschkes Tod im Dezember 1957 übernahm auf dem 9. Parteitag der CDU im Oktober 1958 August Bach den Vorsitz. Die Partei folgte dem verschärften kirchenpolitischen Kurs der SED und forderte ihrerseits die Kirchen in Ost und West auf, den in der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten Militärseelsorgevertrag rückgängig zu machen. Sie unterstützte fortan auch die verstärkten Bemühungen der SED-Regierung, die EKD zu spalten. Als Ulbricht am 9. 2. 1961 in seinem Amtssitz eine größere Anzahl evangelischer Theologen und kirchlicher Amtsträger unter Führung von Prof. Emil Fuchs empfing, rechnete sich die CDU diese Begegnung, die einen gewissen Wendepunkt in den Beziehungen zwischen Staat und Kirche darstellte, als ihr Verdienst an.
Als eine ihrer wichtigsten Aufgaben nannte die CDU in den 60er Jahren die Verwirklichung einer immer engeren Zusammenarbeit von Christen und Marxisten („Bündnispolitik“). Sie bezeichnet die DDR als die politische und geistige Heimat der Christen in Deutschland. Die 1958 von der Regierung der DDR in Angriff genommene Vollkollektivierung des Handwerks nach dem Vorbild der Landwirtschaft wurde von der CDU; unterstützt. Die Partei warb im Einklang mit den gesellschaftspolitischen Zielen der SED unter Einzelhändlern, Handwerkern und Unternehmern für die vollständige Überführung noch vorhandener privater Betriebe in Staatseigentum. Daneben betrachtet sie es als ihre [S. 239]Aufgabe, die „parteilosen Christen“ zur gesellschaftspolitischen Mitarbeit zu gewinnen. Dazu werden vornehmlich die in vielen Orten und Kreisen innerhalb der „Nationalen Front“ gebildeten „Arbeitsgemeinschaften Christliche Kreise“ benutzt. Ebenso, wie sich die CDU bei der Niederschlagung der Unruhen im Juni 1953 und bei der Errichtung der Berliner Mauer im August 1961 hinter die SED stellte, begrüßte sie die Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die ČSSR 1968.
Zu einer Modifikation ihres Kurses sah sich die Partei 1971 nach der Ablösung Ulbrichts durch Honecker gezwungen. Der von Ulbricht geschaffene und jahrelang von der CDU als politische Maxime erachtete Begriff der „sozialistischen Menschengemeinschaft“, in der Christen und Marxisten gemeinsam an der Verwirklichung des Sozialismus arbeiteten, wurde von Honecker zugunsten einer Wiederbelebung des Klassenkampfkonzeptes und der Rückbesinnung auf die Grundlagen des Marxismus-Leninismus fallen gelassen. Die CDU legte fortan das Schwergewicht ihrer Aktivität auf außenpolitische Fragen, die mit Problemen von „Frieden und Sicherheit in Europa“ zusammenhängen. Sie drängte zugleich die Kirchen, sich stärker im Sinne der von der UdSSR und der Regierung der DDR verfolgten europäischen Politik zu engagieren.
Auf dem 13. Parteitag im Oktober 1972 in Erfurt tauchte erstmals in einer Rede von SED-Politbüro-Mitglied Albert Norden der Begriff „sozialistische Staatsbürger christlichen Glaubens“ auf, der künftig in der Propaganda der CDU eine Vorrangstellung einnahm und den Christen die Möglichkeit einräumen sollte, sich als vollwertige Bürger des sozialistischen Staates unter Verzicht auf ein ausdrückliches Bekenntnis zur materialistisch-atheistischen Staatsideologie zu fühlen. Der Begriff verschwand jedoch 1974 aus Publizistik und Agitation. An seine Stelle trat 1975 die Formel „Christenpflicht ist Bürgerpflicht“. Sie schien geeignet, auch die nicht der Partei angehörenden Christen auf eine Gefolgschaft gegenüber den von der CDU festgelegten politischen Zielen zu verpflichten und so die Basis der Partei zu verbreitern. Bekannte sich die CDU längst zur „sozialistischen Schule“ und suchte bei christlichen Eltern Bedenken gegen die marxistische Erziehung auszuräumen. so befürwortete sie auf ihrem Parteitag in Dresden im Oktober 1977 sogar die von den christlichen Kirchen nachdrücklich abgelehnte atheistische Jugendweihe.
In zunehmendem Maß hat die CDU den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten auf kulturelles Gebiet verlegt und ihre Außenbeziehungen mit befreundeten Parteien in den osteuropäischen sozialistischen Staaten ausgebaut. Kontakte wurden auch zu christlichen Gruppierungen in westeuropäischen Ländern sowie nach Afrika und Lateinamerika aufgenommen.
Die SED-Führung scheint jedoch der CDU als Mittlers für das Gespräch mit den Kirchen kaum noch zu bedürfen. Das wurde zuletzt deutlich, als Honecker am 6. 3. 1978 die Spitze des Evangelischen Kirchenbundes empfing, ohne daß der Vorsitzende der CDU oder sein Stellvertreter daran teilnahmen.
In enger, z. T. auch personaler Verbindung steht die CDU zur Christlichen Friedenskonferenz und zur Berliner Konferenz katholischer Christen aus europäischen Staaten. Über beide Organisationen pflegt sie zahlreiche internationale Verbindungen nach Ost und West. Enge Kontakte bestehen zur polnischen PAX-Bewegung und zur Christlichen Volkspartei in der ČSSR bzw. zur dortigen Friedenspriesterbewegung „Pacem in terris“. Ähnliche Kontakte unterhält die Partei nach Ungarn.
Entscheidendes Führungsorgan der CDU ist das Präsidium des Hauptvorstandes (21 Mitglieder). Parteivorsitzender Götting (Jahrg. 1923) bekleidet neben diesem Posten das Amt des Stellvertretenden Staatsratsvorsitzenden; er ist außerdem Präsident der Liga für Völkerfreundschaft. Die Leitung der Volkskammer, die er seit 1969 innehatte, mußte er 1976 an Horst Sindermann (SED) abgeben. Dem Präsidium der CDU gehören u. a. der Präsident des Obersten Gerichts der DDR. Heinrich Toeplitz, ferner die beiden Stellvertretenden Minister. Harald Naumann (Handel und Versorgung) und Rudolf Schulze (Post) sowie der Stellvertreter des Staatssekretärs für Kirchenfragen, Hermann Kalb, an.
Presse: Zentralorgan „Neue Zeit“ und 5 Provinzzeitungen mit einer Gesamtauflage von rd. 150.000. Als Funktionärsorgan fungiert „Union teilt mit“. Der Union-Verlag in Berlin (Ost) druckt neben politischer Literatur vornehmlich Bücher mit historischer und kirchlich-relevanter Thematik.
Fundstelle: DDR Handbuch. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln 1979: S. 238–239